Im Stuttgarter Raum sind wir bisher eher dürftig vertreten. Dabei treten in dieser schönen Ecke Deutschlands auch vorzügliche Künstler auf. Jens K. aus Stuttgart füllt diese Lücke, begab sich aber auch auf Festivals. Besonders schön ist zudem, daß er auch ein Wohnzimmerkonzert organisiert hat. Seine Top3 sind erste Sahne, aber ich beneide ihn vor allem um das Konzert von Billy Bragg. (Archivfoto by Oliver Peel). Der gute Billy war nämlich seit Jahren nicht mehr auf Pariser Bühnen anzutreffen.
Nun überlasse ich das Wort an Jens K.
2012 war ein reichhaltiger, ein guter Konzertjahrgang, der vor allem tolle Momente bescherte. Die 20 besten herauszugreifen fällt schwer. Doppelnennungen wollte ich vermeiden, so dass viele Konzerte, die hierher gehören würden, zugunsten anderer Künstler, die eine Erwähnung verdienen, gestrichen wurden.
20. Jens Friebe in Stuttgart, Kulturzentrum Merlin, 14.01.2012
Jens Friebe, der extraordinäre Berliner Chansonnier zwischen klassischen Indiegitarrenrock und Hauptstadtelektropop, überzeugt in knapp zwei Stunden mit prägnanter Arroganz und stilsicherer Performance auch die Zweifler, die ihn zuvor lediglich für einen blasierten Schnösel hielten. Weißwein trinkend, sich mit Fender Stratocaster und seinem MacBook „Rechni“ begleitend folgt brillanter deutscher Pop, der über einen Untergrund-Hit „Lawinenhund“ hinausreicht. „Theater“, „Königin im Dreck“, eine Hommage an den Literaten Schernikau, „Charles de Gaulle“ oder „Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert“ fallen qualitativ nicht ab. Chapeau, Herr Friebe! Auch ohne Brax, sind Sie der James Dean der Berliner Indie-Szene. „Wir lagen uns in den Armen / Oder waren es die Haare?“
19. Nada Surf in Augsburg, Katine, 18.07.2012
Was soll man über ein Nada Surf Konzert sagen? Alles ist schön. Alles ist gut. Alles ist weich gezeichnet. Alles ist warm. Am Schluss sind alle glücklich. So war es immer und so wird es auch in absehbarer Zukunft bleiben. Nach dem Münchner Konzert im Februar ist es mein zweiter Nada Surf Besuch in diesem Jahr. Und es ist ein Auftritt, der Erwartungen weit übertrifft. Matthew Caws knabengesang wirkt frischer, Daniel Lorcas Dreadlocks sind länger geworden und er raucht wieder mehr. Die Songs prasseln auf einen hernieder wie wohlige Schauer. „Always love / hate will get you everytime“ Außerdem spielte die Bandentdeckung des Jahres im Vorprogramm, Okta Logue.
18. Me and Cassity in Hannover, BootBooHook-Festival (Open Air), 26.08.2012
Ex-Rockstar (Jeremy Days) und Labelboss (Tapete Records) Dirk Darmstaedter erspielt sich auf seinem eigenen Festival im strömenden Regen die Herzen der Fans, auch ohne Überhit „Brand new toy“. Überragend. Ebenso wie seine Band.
17. Tocotronic in Hannover, BootBooHook-Festival (Open Air), 24.08.2012
Live immer eine feste Nummer, wenn sie touren. So auch dieses Jahr. Tadellose Performance und grandiose Setlist. Kann man sich überhaupt einen besseren Konzert-Opener als „Freiburg“ wünschen? Vielleicht „I can't explain“, zugegeben.
16. The Gaslight Anthem in Ulm, Ulmer Zelt, 02.06.2012
The Gaslight Anthem sind die vielleicht beste amerikanische Liveband der vergangenen Jahre und einer der größten Acts der Zukunft. In Ulm stimmt wieder einmal alles. Obwohl es an der Intensität mancher Auftritte in den vergangenen Jahren fehlt ist alles fantastisch. Zum Schluss springt Brian Fallon zum brillanten Who-Cover „Baba O'Riley“ ins Publikum. Hier ist sie die Melange aus klassischen Rock und Punk Tugenden. „Sounds like Springsteen's fronting The Clash“, konnte man einmal lesen. Nichts ist dem hinzuzufügen.
15. Pretty Mery K in Nürtingen, Provisorium, 12.10.2012
Darf ich vorstellen: Meryem Kilic, Michael Fromme, Dirk Haefner und Ben Schadow sind Pretty Mery K eine Band, in die ich große Hoffnungen setze. Und hohe Erwartungen. Sollte das durch crowd-funding-finanzierte bezaubernde Debütalbum „Oh“ durch ein fähiges Label wiederveröffentlicht werden, kann diese unfassbar fähige Gruppe wohl niemand mehr aufhalten. Für mich eine der großen Überraschungen des Konzertjahrs 2013. Geht auf die Konzerte!
14. Madness in Stuttgart, Schlossplatz (Open Air), 05.07.2012
„Madness, madness, they call it madness.“ Die Größte Ska-Band der Welt im strömenden Sommerregen auf Stuttgarts Schlossplatz. Ein grandioser Abend in jeglicher Hinsicht. Wären da nicht unangenehm auffallende schwäbische Unternehmer, die lediglich auf „Our House“ zu warten scheinen.
13. Next Stop: Horizon in Hannover, BootBooHook-Festival (Open Air), 26.08.2012
Auch eine nach einem Wim Wenders Film benannte Band kann großartig sein. Woran das bei Dirk Darmstaedters Label „Tapete Records“ unter Vertrag stehende virtuose Kollektiv aus Schweden keinen Zweifel ließ. Jeder einzelne Song ist fantastisch. Die Arrangements perfekt. Man muss sich nur einmal „Wild Escape“ anhören, um zu wissen, dass man es mit einer der interessantesten aktuellen Bands zu tun hat. Live wirkt es umso besser. Verschiedenste, teils obskure Instrumente werden oft gleichzeitig gespielt. Der meist mehrstimmige Gesang ist stimmig. Schade nur, dass Next Stop: Horizon als Opener der Hauptbühne am letzten Festivaltag noch nicht so viele Leute ziehen konnten.
12. Billy Bragg in Wiesbaden, Ringkirche, 20.05.2012
Endlich wieder in Deutschland brilliert Folk-Punk und Politaktivist Billy Bragg in der wunderschönen Wiesbadener Ringkirche und zeigt sich vor allem von seiner weichen Seite als reizender Liebeslyriker, dem unübertreffbare Zeilen wie „I am the milkman of human kindness / I will leave an extra pint“ gelingen. „Tank Park Salute“ als erste Zugabe treibt nicht nur mir Tränen in die Augen. So habe ich den „bard of barking“, mittlerweile mit Bart, noch nicht erlebt. Dreieinhalb Jahre zuvor ließ er in der Frankfurter Batschkapp noch seinen inneren Iggy Pop, wie er es damals nannte heraus. Auch wenn der Wiesbadener Auftritt mindestens zwei Klassen schlechter war, als der im Frankfurter Kultclub, war es immer noch ein herausragendes Konzert.
11. Peter Gabriel & New Blood Orchestra in Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyer-Halle, 11.05.2012
Hätte er auf „Freude schöner Götterfunken“ in „Solsbury Hill“ verzichtet, wäre Peter Gabriel mit dem großartigen New Blood Orchestra in der Top Ten zu finden, denn mit Ausnahme dieser kitschigen Peinlichkeit stimmte in der unschönen Schleyer-Halle in Canstatt alles. Große Hits aus Gabriels langer Karriere neben einigen starken Coverversionen zu hören entschädigt für alles. Alleine mit Bowies „Heroes“ zu beginnen oder als Superstar Arcade Fires „My Body is a Cage“ zu spielen, zeugt vom festen Glauben an das eigene orchestrale Konzept. Und der ist zurecht unerschütterlich.
10. The Cure in Neuhausen ob Eck, Southside Festival (Open Air), 23.06.2012
Stundenlang zelebrieren Robert Smith und seine Mitstreiter die düster-romantischen Zwischentöne. Neben einen tanzt die ehemalige Germany's Next Top Model Kandidatin Marie Nasemann. Trotzdem ist alles gut. Schließlich wird der Strom nach drei Stunden abgedreht. Das Leid der Festivalauftritte. Dass man sogar auf „Boys don't cry“ warten musste, zeigt einmal mehr, wie viele Hits diese Band hervorbrachte. Gut, dass sie noch da sind.
9. The Beach Boys in Stuttgart, Hanns-Martin-Schleyer-Halle, 04.08.2012
Wer hätte gedacht, dass sich Mike Love und Popgenie Brian Wilson jemals wieder gemeinsam auf der Bühne stehen würden. Wenige. Mit einer Tour hätten wohl noch weniger gerechnet. Eines von wenigen Europakonzerten der fantastischen Reunion-Tour fand tatsächlich in Stuttgart statt. 50 Songs umfasste die Setlist. Alles Hits. Die Band brilliert neben den Gründungsmitgliedern und sorgt für einen wohligen Gesamtklang. Brian Wilson sitzt die meiste Zeit regungslos, lethargisch an seinem Flügel. Doch immer, wenn er den Kopf zum Mikrophon dreht, weiß man, warum diese Reunion etwas Besonderes ist. Das mit brüchiger Stimme „God only knows“ bleibt als einer der schönsten Konzertmomente meines Lebens in Erinnerung.
8. Okta Logue in Stuttgart, Zwölfzehn, 13.09.2012
Als Vorband von Nada Surf in Stuttgart gesehene Bandhoffnung der nächsten Jahre. Frankfurter Jungs um die 20 spielen progressiven Rock, der nicht peinlich ist, der Türen öffnet. Dem die Welt offen steht. Inklusive Majorlabel-Vertrag. Eine Band mit großer Zukunft. Es ist die erste richtige Europatour. Am nächsten Tag wartet Paris, danach London. Jetzt fehlt nur noch die große Gerechtigkeit! Dann kommen die ausverkauften Touren durch große Hallen und die hohen Festivalslots. Weltweit! Faith in something bigger. Wir stehen schließlich erst am Anfang.
7. Stone Roses in Neuhausen ob Eck, Southside Festival (Open Air), 24.06.2012
Ian Brown hat gute Laune. Am Schluss umarmen sich alle. Reunion geglückt. Über die Songs muss nichts gesagt werden. Perfekt. Auch wenn kaum Zuschauer vor der Blue Stage den fantastischen Moment erleben wollte. Wer gleichzeitig lieber bei Blink182 steht, hätte hier allerdings auch absolut nichts verloren.
6. Ben Schadow und Pele Caster mit Thomas Hannes in Stuttgart, Wohnzimmer, 04.06.2012
Das erste von mir organisierte Wohnzimmerkonzert. Ben Schadow (Bassist bei Bernd Begemanns Befreiung, Pretty Mery K oder Dirk Darmstaedter) und Pele Caster (Ex-Frontmann von Astra Kid und Bassist von Klee) haben Soloalben veröffentlicht, die fraglos zu den besten deutschen Releases des vergangenen Jahres gehören. Begleitet von Musikproduzenten und Toningenieur Thomas Hannes am Bass spielen die beiden die Songs ihres Alben im gut gefüllten Wohnzimmer meiner Freundin, die schließlich auch zum Mikrophon greift und auf dem kommenden Album von Pele Caster zu hören sein wird. Habe ich schon gesagt, dass man sich beide Alben unbedingt besorgen sollte. Wenn nicht. Kauft „Liebe zur Zeit der Automaten“ und „Wasimmer“. Ihr werdet es nicht bereuen versprochen.
5. Die höchste Eisenbahn in Stuttgart, Kulturzentrum Merlin, 28.09.2012
Moritz Krämer, Francesco Wilking (Tele), Felix Weigt (Kid Kopphausen) und Max Schröder (Der Hund Marie / Tomte) haben eine Supergroup gegründet, von deren Genialität sich alle in diesem Jahr überzeugen sollten. Wer nicht auf die Tour oder das Debütalbum warten möchte, sollte sich die Debüt-EP „Unzufrieden“ besorgen, auf der auch Judith Holofernes und Gisbert zu Knyphausen zu hören sind.
4. Bernd Begemann & Die Befreiung in Hamburg, Knust, 29.12.2012
Über drei Stunden zelebrierter deutscher Indie-Pop erster Güte. Der beste Songtexter Deutschlands und die fantastische Befreiung bescheren einen wundervollen Jahresausklang. Begemann als Solokünstler ist kaum zu übertreffen. Spielt er mit Achim Erz (Drums), Kai Dorenkamp (Keyboards) und Ben Schadow (Bass) ist er in Deutschland nicht zu übertreffen. Darf ich vorstellen: Bernd Begemann und die Befreiung, die beste Liveband des Landes. Ansehen, wann immer sich eine Gelegenheit bietet!
3. Radiohead in Berlin, Kindl Bühne Wuhlheide (Open Air), 30.09.2012
„Fuck It's Cold“ nuschelt Thom Yorke beim Betreten der Bühne. Es ist eisig kalt. Caribou sorgten zuvor für etwas Aufwärmung, bevor Radiohead alle Erwartungen übertreffen. Zum Schluss gibt es noch „Everything in it's right place“ und einen Moment des puren Glücks, bevor man die folgende Woche mit einem grippalen Infekt im Bett verbringen musste.
2. Noel Gallagher's High Flying Birds in Offenbach, Capitol, 08.10.2012
Ich gebe es zu! Ich bin ein Oasis-Jünger erster Güte, einer der geweint hat, als die Trennung bekannt gegeben wurde. Einer der nochmal geweint hat, als Beady Eye ihr Debüt veröffentlichten, weil ich so enttäuscht war. Und einer, der beim ersten Hören von Noel Gallaghers ersten Album Tränen des Glücks in den Augen hatte. Drei Mal sah ich ihn seither, doch das Offenbacher Konzert in relativ intimen Rahmen ragt heraus. Die High Flying Birds klingen immer besser, die Setlist ist von unnötigen Songs befreit und Noel ist als Frontmann gereift. Zum Schluss noch einmal „Don't Look Back In Anger“. Tränen in den Augen natürlich. Achja, außerdem spielte Jake Bugg im Vorprogramm. Ein „nexte big thing“. Keine Frage.
1. Wilco in Stuttgart, Theaterhaus, 21.10.2012
Hier ist es. Das Konzert des Jahres. Zwei Stunden pure Brillanz, über die man nichts sagen muss, außer, dass es live eigentlich nichts Besseres geben kann. Wer Wilco noch nichts sah, muss das dringend nachholen. Gelegenheiten sind rar und sollten ergriffen werden.
Besonders schwache Konzerte waren in diesem Jahr eher die Seltenheit, dennoch möchte ich Auftritte kurz auflisten, die entweder enttäuschend, durch äußere Einflüsse ungenießbar oder mies waren.
Keimzeit in Stuttgart, Kulturzentrum Merlin, 05.05.2012
Dear Reader in Stuttgart, Speakeasy, 15.05.2012 (was vor allem an unerträglichen Soundproblemen lag. Das nervig summende Feedback eines Verstärkers begleitete das gesamte Konzerte)
Kakkmaddafakka in Neuhausen ob Eck, Southside Festival, 22.06.2012
Florence and the Machine in Neuhausen ob Eck, Southside Festival, 22.06.2012
Jennifer Rostock in Neuhausen ob Eck, Southside Festival, 24.06.2012
Marsimoto in Aschaffenburg, Colos-Sall, 03.08.2012
Jens Friebe in Hannover, BootBooHook-Festival, 25.08.2012
Ja, Panik! in Hannover, BootBooHook-Festival, 26.08.2012
Maike Rosa Vogel in Hamburg, Knust acoustics, 29.08.2012
Max Prosa in Bad Nauheim, Soundgarden Festival,
31.08.2012
We Butter The Bread With Butter in Bad Nauheim, Soundgarden Festival, 01.09.2012
Großstadtgeflüster in Bad Nauheim, Soundgarden Festival, 01.09.2012
Emil Bulls in Bad Nauheim, Soundgarden Festival, 01.09.2012
2 Kommentare :
Pretty Mery K. fand ich beim Sound of Bronkow in Dresden live auch allererste Sahne - DIE Überraschung des Festivals für mich. Ich bin sehr gespannt darauf, was aus ihnen wird.
Like.
Noel G. in Offenbach am Meer war GROSSartig.
Wegen Stone Roses (rulez) bin ich ein bisschen neidisch, wobei Ian Brown live mehr als grenzwertig ist (siehe Konzert in der Mannheimer Feuerwache und diverse andere Tondokumente)
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