Dienstag, 31. März 2009

Now, Now Every Children, Köln, 30.03.09

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Konzert: Now, Now Every Children
Ort: Kulturbunker Mülheim, Köln
Datum: 30.03.2009
Zuschauer: 40 (brutto)
Dauer: Now, Now Every Children 40 min, Periscope 35 min


Wenn man in Minnesota, im kanadischen Teil der USA, aufwächst, sind typische Freizeitaktivitäten Snowmobilfahren, Eishockey oder Musik. So wie Juno MacGuff - oder aber in der Marching Band der Highschool. Die musikalische Laufbahn der aus der Gegend der Doppelstadt Minneapolis/Saint Paul stammenden Cacie Dalager und Brad Hale begann so; bei den Marching Bengals der Blaine High School.* Glücklicherweise war Trommeln im Laufen nicht die letztglücklichmachende musikalische Erfüllung für die beiden, sodaß sie irgendwann anfingen, Indiestücke zu schreiben. Mittlerweile sind Now, Now Every Children zu dritt und waren heute im Rahmen ihrer Europatour zum ersten Mal in Köln.

Für mich war dies nicht die einzige Premiere, denn ich war vorher noch nie im Mülheimer Kulturbunker. Im ehemaligen Hochbunker ist heute ein Kulturzentrum untergebracht, das sehr schöne Konzerte veranstaltet. Aber leider eben bisher ohne mich. Das Gebäude liegt mitten in Mülheim, auf der Kölner Schäl Sick. Als wir ankamen, lief im Saal im ersten Stock noch der Soundcheck - mieses Timing. Um kurz nach neun ging es aber dann los. Den Auftakt bildeten Periscope aus Köln und Bonn, die ich bereits zweimal gesehen hatte - an komplett unterschiedlichen Abenden allerdings. Die vierköpfige Band war Vorgruppe von Jonquil im Motoki-
Wohnzimmer (toller Abend, tolle Band, perfekter Eindruck) und ein paar Wochen später Support von Someone Still Loves You Boris Yeltsin (schrecklicher Abend!).

Heute gefiel mir die abwechslungsreiche Musik der Rheinländer wieder sehr gut. Es fing gleich aufregend damit an, daß der Schlagzeuger der Gruppe synchron Schlagzeug und Glockenspiel bediente. Mit so etwas bekommt man mich sofort. Das erste Lied gefiel mir direkt auch sehr gut. Prägendes Element sind die häufigen Melodiewechsel und die eindringlichen Schlagzeugrhythmen. Dazu kommt die Stimme des Sängers Tilman, die beim Singen weitaus besser als beim Sprechen klingt. Eine zweite Stimme kommt vom Keyboarder der Band, und die ist leider eine Ecke
schlechter als die des Hauptsängers. Ein Bassist komplettiert das Quartett. Leider kenne ich keine Liedtitel. Höhepunkte im Set waren neben dem Auftaktsong das vierte Stück (das einzige deutsche diesmal), das sechste (da spielte Tilman Keyboard) und das letzte, dessen eindringlicher Rhythmus mich an Waving Flags von British Sea Power erinnerte. Kein schlechter Auftakt - obwohl er vor nahezu leerem Saal stattfand.

Setlist Periscope, Kulturbunker Mülheim, Köln:

01: Did you say something?
02: Untitled
03: Beating the neighbours kid
04: Poplied (siehe Kommentar)
05: Coat and go
06: Anything goes
07: Damn you
08: Above radars sun smiles
09: Outlaw gang

Das änderte sich auch leider bis zehn Uhr nicht.

Das Konzert der Amerikaner begann recht unspektakulär. Brad schraubte noch ein wenig an seinem Schlagzeug rum, seine (vermutliche) Schwester Britty, die eine der lustigen Pudelmützen trug, die im Minnesotaer Winter jeder aufhat, stand etwas verloren in der Ecke rum und Cacie klimperte ein wenig auf der Gitarre. Und das war dann schon der Beginn des Konzerts. Richtig los ging es aber mit dem ersten Gesang der 22-jährigen. Oh mein Gott, ist diese Stimme live
aufregend! Die sehr kleine Sängerin singt mit einem wundervoll ausgeprägten Vibrato. Auf Platte wird das gar nicht richtig deutlich, "in echt" klang es verblüffend und toll!

Die Lieder der Band sind abwechslungsreich, obwohl die Instrumentierung Keyboard, Gitarre, Schlagzeug nicht spektakulär ist. Aber die catchy Melodien und dazu der Gesang von Cacie machen die Musik besonders. Bei den meisten Stücken spielt Cacie Gitarre. Sie und Britty bedienen aber auch oft ihre Keyboards. Friends
with my sister endete in wildem Gitarrengeschrammel, dies war allerdings der einzige Ausflug ins Noisige. Dominierend sind ganz klar die melodischen Elemente.

Mich hat der Auftritt der drei jungen Musiker voll und ganz überzeugt. Erst hatte ich kleinere Zweifel, weil
vor allem die beiden Frauen aussahen, als seien sie höchstens 16 (Britty ist mit 18 die jüngste der drei; Brad ist wie Cacie 22 Jahre alt). Sie sahen zu jung für reife Musik aus. Welch ein Blödsinn!

Mir gefielen
Not one, but two, Cars und Friends with my sister am besten. Allerdings fiel nichts wirklich ab - die gute halbe Stunde Programm war durchgängig großartig und kurzweilig! Während Britty unter ihrer Wollmütze scheinbar gelangweilt an einer Mauer lehnte, spielten Cacie und Brad nach dem normalen Set noch eine Zugabe, ein neues, bisher namenloses Stück, das sehr lustig, nämlich sehr improvisiert endete.

Ein wundervolles Konzert einer tollen Band! Mir gefielen aber trotzdem die Dinge abseits der Musik am besten. Die Dialoge zwischen Schlagzeuger und Sängerin waren herzallerliebst! "Können wir anfangen?" - "Hmmm, ich habe noch nicht angezählt" - "Ok, los jetzt" - "Nein, das ist das falsche Lied" - "Oh stimmt" - "Dabei spielen wir doch seit fünf Tagen den gleichen Kram"


Setlist Now, Now Every Children, Kulturbunker Mülheim, Köln:

01: Intro
02: Not one, but two
03: Sleep through summer
04: Little brother
05: Friends with my sister
06: In my chest
07: Cars
08: Everyone you know

09: Neu (namenlos) (Z)

Tourtermine Now, Now Every Children:

31.03.2009 Kulturpalast Linden, Hannover
01.04.2009 Schokoladen, Berlin
02.04.2009 Beatpol w/Bonaparte, Dresden
03.04.2009 E-Werk, Erlangen
04.04.2009 JUKUZ/Beatbaracke, Aschaffenburg
07.04.2009 Glazart, Paris

Links:

- mehr Fotos aus dem Kulturbunker
- hier hat das Klienicum über Now, Now Every Children berichtet


* zumindest Britty und Brad glaube ich, auf Jahresfotos der Marching Band entdeckt zu haben




Montag, 30. März 2009

Favours For Sailors, Electric Electric, Paris, 28.03.09

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Konzert: Favours For Sailors, Electric Electric
Ort: La Flèche d'or, Paris
Datum: 28.03.2009
Zuschauer: habe sie nicht gezählt
Konzertdauer: jeweils 30-40 Minuten




Am Tag, an dem mich Le Prince Miiaou schachmatt gesetzt hat, gab es auch noch andere Bands in der Pariser Fléche d'or zu begutachten. Die französische Elektropop Band Olympic hatte ich verpasst, was auch daran lag, daß die scheiß U-Bahn nur bis zur Station Père Lachaise (was wollte ich da? Etwa das Grab von Jim Morrison besuchen?) fuhr und ich den steilen Berg bis nach Gambetta hochkraxeln musste. Schade, denn ihre Stücke auf MySpace klingen gar nicht mal übel.

Anschließend gab es dann den bereits in schillerndsten Farben beschriebenen Auftritt von Le Prince Miiaou, bevor auch Engländer mit ins Geschehen eingriffen. Favours For Sailors hießen die vier Burschen und klangen wie tausend andere aktuelle englische Bands. Laut ihrer MySpace Seite sind ihre Haupteinflüsse Pavement, Modest Mouse, Built To Spill, aber so toll wie diese amerikanischen Großmeister des Indie Rock Genres waren sie leider nicht. Stattdessen klangen sie wie ein Abklatsch von den Good Shoes, den Cribs oder den Maccabees. Laaaaangweilig! Dabei waren ihre Songs eigentlich gar nicht weiter störend und ganz angenehm zu hören. Der Mangel an eigenem Profil ging mir allerdings auf den Zeiger und ich frage mich, ob ich nicht auch einmal ein paar junge Engländer zusammencasten soll, die dann für eine Saison lang im NME lobend erwähnt werden und durch die englischen Clubs tingeln. So schwer scheint das doch nicht zu sein! Die Typen müssen nur eine Gitarre halten können und in eine enge Jeans passen und ich recycle einen griffigen Refrain aus dem ewig gleich klingenden Kram der in den letzten Jahren aus England kam!

Also England pfui und Frankreich hui. Oder so. Halt! So einfach ist es natürlich nicht! Selbstverständlich gibt es zahlreiche riesige Talente in England, dem Mutterland des Rock, bloß schreibt der NME zu selten über die und in Frankreich wird natürlich auch jede Menge Käse produziert. Und ich meine jetzt nicht den leckeren Käse, den man sich aufs Brot schmiert, sondern beknackte Musik, die man sich noch nicht einmal in die Haare schmieren kann...

Electric Electric, die nun an der Reihe waren, sind aber ein weiterer Beweise dafür, daß sich in Frankreich musikalisch so einiges tut. Es handelt sich um ein hochinnovatives Trio aus Straßburg, daß Musik macht, die man nicht so leicht auf einen Punkt bringen kann. Mathrock wäre eine Schublade, die man ziehen kann, aber darunter hatte ich neulich ja schon La Terre Tremble!!!, eine andere Band aus Frankreich verortet. Electric Elctric klingen ganz anders. Die kredenzen einen lärmenden, funkigen Sound, der wie Hölle rockt und Genregrenzen auseinandersprengt. Post Punk, Electro, Mathrock, alles wird hier zu einem berauschenden Gebräu vermischt. Mechanisch und repetitiv, dabei aber hypnotisch, euphorisierend und unglaublich tanzbar. Das erste Stück des Abends dauerte mindestens eine viertel Stunde und der Drummer knüppelte dabei dermaßen ausdauernd und präzise auf sein Instrument ein, daß den Leuten der Atem stockte. Die Basslinien waren messerscharf und die Keyboards wurden wummernd wie beim Techno eingesetzt.

Trotzdem ist das Ganze entgegen des Namens keine elektronische Musik, sondern bleibt Rock bzw. eine Neudefinition des Post Punks (Funks). So würde die Gang Of Four vermutlich klingen, wenn sie nicht ihre alten Sachen aus den späten 70ern noch einmal aufkochen würde.
(die Gang of Four bleibt trotzdem eine der besten Bands aller Zeiten).

Kurzum: Electric Electric sind der helle Wahnsinn! Wer mir nicht glaubt, hört sich einfach in voller Lautstärke ihr 2008 er Album Sad Cities Handclappers auf ihrer Webseite an! Das fetzt!!!



Pour nos lecteurs français:

Le 28 mars 2009 il n'y avait pas seulement la fabuleuse Le Prince Miiaou à la Flèche d'or, mais aussi trois autres groupes. Arrivant à la bourre, j'avais malheureusement raté le concert de Olympic, mais après Le Prince Miiau en deuxième position, se produisaient les Anglais de Favours For Sailors. Ils avaient exactement le même son que 1000 d'autres groupes actuels britanniques (les Cribs, Les Good Shoes, Les Maccabees et tutti quanti) ce qui a fini par m'a agacer vers la fin malgré des morceaux pourtant pas désagréables.

Pour conclure la soirée les Strasbourgeois de Electric Electric ont fait une forte impression, me laissant bouche bée avec leur rythmes mécaniques et hypnotiques. Le premier morceau, epoustouflant, a duré presque 15 minutes et le reste du programme était encore plus bluffant. Ils mélangent des styles tels que le mathrock, l'electro, le krautrock et le punk-funk pour un résultant épatant, ultra efficaces et dansantes. C'est une veritable bombe sonique, une sorte de rouleau compresseur qui montre qu'en France en est souvent plus innovateur et moins formaté qu'en Angleterre. Renversant!



Sonntag, 29. März 2009

Tomte, Mülheim, 25.03.09

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Konzert: Tomte
Ort: Ringlokschuppen, Mülheim
Datum: 25.03.2009


Glaubt man einem gängigen Klischee, dann sind ein Großteil der Hörer der Hamburger Band Tomte Studenten.
Jeder schlaue Mensch weiß, dass Vorurteile keine gute Erfindung der Menschheit waren, doch ein bisschen Wahres steckt letztlich doch in den allermeisten Klischees. Der Leser stellt sich (und mir) nun einige wichtige Fragen: Waren am gestrigen Abend größtenteils Studenten im Mülheimer Ringlokschuppen beim Konzert der Truppe? Was hat Thees Uhlmann gegen Peter Fox? Und gab es nebenher auch ein bisschen Musik? Ich berichte.

Bevor Daniel und ich in den Genuss von live gespielten Instrumenten kommen konnten, mussten wir selbstverständlich erst einmal anreisen. Die Zugfahrt brachte einige underwartete Tücken mit sich, aber letztlich kamen wir nur mit einer knappen Viertelstunde Verspätung am Mülheimer Ringlokschuppen an. Die Münsteraner Vorband „Ghost of Tom Joad“ (vom Tomte-Label „Grand Hotel van Cleef“) spielte bereits, wir erkämpften uns derweil ein paar gute Plätze am linken vorderen Rand. Auf der Bühne gab es okayen Alternativ-Rock, man wippte ein bisschen mit und wartete anschließend gut zwanzig Minuten auf die Hauptakteure des Abends.

Kurz nach 21:00 Uhr begaben sich die Herren Musiker an ihre Instrumente. Bevor dann als drittes Lied die aktuelle Single Wie sieht’s aus in Hamburg? zelebriert werden durfte, wendete sich Frontmann Thees Uhlmann erstmals an das Mülheimer
Publikum. Er plauderte von seinem Paris Hilton-T-Shirt („Nur falls irgendwer fragt: ‚Paris Hilton #1′ steht drauf.“), alberte herum und hatte Spaß. Das Konzert war dank Klassikern wie So soll es sein oder Korn & Sprite längst ein Selbstläufer, doch seine Gitarre musste Herr Uhlmann trotzdem von Zeit zu Zeit stimmen. Dadurch entstanden natürlich kurze musiklose Pausen, doch auch hier wusste Thees die geschätzt 600 Fans zu unterhalten: „Das ist hier nicht wie bei Peter Fox, bei dem kommt ja auch alles vom Band. Ich werde noch ewig Gitarren stimmen, selbst wenn es gar keine Gitarren mehr gibt!“ feixte er.

Später lästerte er dann noch über die emotionslosen Zuschauer bei den Konzerten zuvor und kitzelte so noch den letzten Funken Motivation aus dem ohnehin sehr
ausgelassenen Publikum heraus. Fast jeder Song wurde mitgesungen, mitgeklatscht und gefeiert. Übrigens nicht nur von Studenten, sondern auch von jüngeren und älteren Semestern. Fast alle Altersgruppen (und beide Geschlechter!) waren vertreten: Musik, die Generationen verbindet, sozusagen.

Und im letzten Drittel kamen dann auch noch zwei Überraschungsgäste auf die kleine Bühne: zum einen Gunnar Vosgröne (Mitglied
von „Escapado“) am Cello, zum anderen Simon der Hartog (Sänger der „Kilians“). Ersterer durfte helfen, einige musikalische Höhepunkte zu setzen (persönlicher Höhepunkt: Nichts ist so schön auf der Welt, wie betrunken traurige Musik zu hören), zweiter sang Ich sang die ganze Zeit von dir mit Thees im Duett und auf Nachfrage, wer der junge Herr denn sei, antwortete Herr Uhlmann, dass er sein unehelicher Sohn aus Mülheim wäre. Lustig.

Nach gut zwei Stunden, vielen Zugaben und dem abschließenden Geigen bei Wonderful World war das Konzert zu Ende, die Kräfte auch. Konzerte unter der Woche sind anstregend. Und um mir eine platte Schlusspointe zu erlauben: das sehen die Studenten sicher ähnlich, denn die sahen heute Morgen bestimmt (wie üblich) so aus. Ne, ernsthaft: Tomte sind sehr dufte. Unbedingt irgendwann mal live anschauen, bitte.


von Johannes von HerrSalami.de



Le Prince Miiaou, Paris, 28.03.09

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Konzert: Le Prince Miiaou
Ort: La Flèche d'or, Paris
Datum: 28.03.2009

Zuschauer: 250
Konzertdauer: ca. 35-40 Minuten




Auch auf die Gefahr hin, diese Woche mit Superlativen zu großzügig umzugehen:


Wie sensationell war das denn schon wieder?? Habe ich in der Flèche d'or, wo alles immer ruckzuck und ohne große Gefühlswallungen abgeht, eigentlich schon einmal ein packenderes Konzert gesehen, als das von Le Prince Miiaou? Hmm, ich glaube nicht und hier haben ja schon etliche großartige Künstler (Fleet Foxes, Josh Tillman, Jonquil, Micah P Hinson, Mia Doi Todd, Good Shoes, Bowerbirds, Blood Red Shoes, Noah & The Whale, Fanfarlo, Syd Matters, Caribou, Ra Ra Riot, The Rascals, Marie-Flore, Mina Tindle usw. und sofort...) ihre Show abgezogen. Aber nichts kam in der Intensität nur annährend an das heran, was Maud-Elisa Mandau, eine 24 jährige Französin, hier ablieferte! Während der gesamten Konzertdauer stand ich unter Hochstrom, war hin und weg von der unglaublichen Sinnlickeit ihrer Stimme, der Melancholie ihrer hochdramatischen Lieder, der Wucht und der Energie der Liveperformance. Heiß und kalt lief es mir den Rücken runter und am Ende war ich fix und fertig mit den Nerven. Die spindeldürre Wahlpariserin hatte mich zusammen mit ihrem Cellisten und ihrem Drummer schwindelig gespielt und mir rauschhafte Gefühle en masse bereitet. Ich war wie bekifft, obwohl ich keinen Joint geraucht hatte (und das auch nie tue) und auch ansonsten nüchtern geblieben war. Mir zitterten die Hände vor Erregung und mein Mund war völlig ausgetrocknet. Wow, was für ein Hammer!

Aber mal von vorne. Wer ist denn bitte schön Le Prince Miiaou? Und was ist an ihr so toll, daß ich schon wieder so ins Schwärmen gerate? Nun, Le Prince Miiaou ist zunächst einmal die beste Freundin von Marie-Flore von der ich auf dem Konzerttagebuch ja schon oft sehr positiv berichtet habe. Und so war es auch nicht weiter verwunderlich, daß ich Maud-Elisa, so der bürgerliche Name der jungen Frau hinter dem kuriosen Pseudonym, bei einem Konzert von ebenjener Maire- Flore kennengelernt habe. Wir kamen ins Plaudern und sie erwähnte schüchtern und beiläufig, daß sie auch Musik mache. Wenn ich wolle, könne ich mir ja mal ihre Lieder auf MySpace anhören. Aber auch nur, wenn ich nichts Besseres zu tun hätte.

Natürlich habe ich mir die Zeit genommen und ich war durchaus angetan, von dem was ich da zu hören bekam. Wann sie denn mal live zu bewundern sein sei, wollte ich wissen. "Frühestens 2009", sagte sie und fügte hinzu, daß sie unter Auftrittsangst leide und sich erst ganz sicher fühlen wolle, bevor sie ins kalte Wasser springt. Im Februar 2009 las ich dann zu meiner Freude, daß sie im Baron auftreten solle. Ich trug mir den Termin rot in meinem Kalender ein, aber ich hatte mich zu früh gefreut. Sie cancelte das Konzert nämlich kurzfristig. Woran lag's? Panik bekommen? Keine Ahnung, aber das ist ja schon ganz anderen passiert...

Aber dann die zweite Chance: Le Prince Miiaou im Glaz'Art. Verflixt, ich konnte an jenem Märztag nicht! Also weiter warten...

Und heute dann endlich meine erstes Konzert von und mit Le Prince Miiaou. Ich war unglaublich gespannt und konnte es kaum erwarten, daß sich der rote Vorhang öffnete. Viele Leute waren noch nicht da, obwohl zuvor schon die Band Olmypic gespielt hatte. Der Mangel an Zuschauern schien auch Le Prince Miaou zunächst zuzusetzen: als der Vorhang gelüftet worden war, blickte sie in die Runde und sagte als erstes: "Nanu, wo sind denn jetzt die ganzen Leute hingegangen?" Aber sie ließ sich nicht lange von den äußeren Umsatänden beindrucken und legte an der Gitarre los, während ein männlicher Mitmusiker zum ersten Stück Hawaian Tree Cello spielte. Der Auftakt war gelungen, das erste Lampenfieber abgeschüttelt und die Zuschauer tröpfelten jetzt auch nach und nach hinein. Gut so, denn nun stand schon das grandiose This Is Not About A Map auf dem Prorgramm. Die Gitarrenmelodie war traumhaft schön und die Stimme zunächst gehaucht und sinnlich, fast so wie man das von Cat Power (oder Marie-Flore !) kennt. Aber mit Chan Marshall will sie eigentlich nicht in einen Topf geworfen werden, denn sie macht weder Folk noch Blues, wie sie betont. Eher schon Postrock, wie die Auflistung von Mogwai in ihrer Referenzbandliste beweist. Ansonsten hat aber ihr Sound eine klar experimentelle Note, innovative Bands wie Xiu Xiu stehen hierfür Pate. Aber sie kopiert niemanden, hat sich im stillen Kämmerlein ihr ganz eigenes musikalisches Universum aufgebaut und kann keiner Szene zugerechnet werden. Was sie macht, ist wirklich neuartig und anders, sie wechselt auch sprachlich zwischen französisch und englisch hin und her genau wie sie das mit dem Tempo und den Laut und Leise- Passagen auch macht. Auf ihrem ersten, im Selfrelease vertriebenen Album Necessité Microscopique kommt auch noch eine Besonderheit hinzu, die sie inzwischen fast komplett abgelegt hat: Sie erzählt Geschichten, bedient sich eines meist französischen, sehr sinnlichen Sprechgesangs. Bei dem einzigen Stück von diesem Ertsling Frénésies Horizontales wurde das auch noch einmal schön deutlich.

Ansonsten aber ist sie davon abgekommen, paradoxe Geschichten zu erzählen. Sie singt nun regelmäßig und das ist auch gut so, denn ihre Stimme hat einen solch unglaublich tollen Zartschmelz! Und wenn sie aus sich rausgeht, erkennt man die zuvor schüchterne Frau kaum wieder! Dann stampft sie mit ihren staksigen Beinen auf den Boden, reißt ihren Mund sperrangelweit auf und fetzt wie eine Scout Niblett über die Tanzfläche. Was für ein Feuer in der kühlen Schönheit lodert! Obwohl sie fast nie redet oder gar Anekdoten erzählt, hat sie ein nur schwer zu beschreibendes Charisma. Vielleicht liegt es an ihren Augen. Die wirken so melancholisch, selbst wenn sie mal lächelt. Mysteriös, diese junge Frau und höllisch gut!

Setlist Le Prince Miiaou, La Flèche d'or, Paris:

01: Hawaian Tree
02: This Is Not About A Map
03: Frénésies Horizontales
04: Happy Thought
05: Our Tale
06: No Compassion
07: Starfish

Pour nos lecteurs français:

Quelle belle voix, sensuelle et mélancolique! Quelle rage sur scène! Quels morceaux dramatiques et renversants. Wow! Le Prince Miiaou, pseudonyme pour la jeune Maud-Elisa de Jonzac, a montré à la fleche d'or parisienne qu'elle a un sacré potentiel et qu'elle est en pleine progression vers les sommets... Entourée d'un violoncelliste et un batteur, la guitariste a joué essentiellement des chansons de son deuxième album Safety First, pas encore publié, à l'exception de Frénésies horizontales tire de son premier album autoproduit Nécessité Microscopiques . Elle mêle avec une aisance stupéfiante des styles comme le postrock, la chanson et le rock indé pour un resultat frais, innovateur et diaboliquement efficace. Loin des scènes formatées, elle bricole sa musique dans son coin, se crée son propre univers et sait désormais faire des chansons experimentales avec un fil conducteur. Son jeu de guitare est ultra mélodique, sa voix aussi jolie que celle de sa copine Marie-Flore ( s'il vous plaît ne comparez pas avec Cat Power!) et sa présence sur scène rappelle Arcade Fire. Son concert m'a électrisé, donné la chair de poule . Je suis totalement sous le charme! A suivre de très très près!

Links:

- Videos: Hawaiian Tree, selbstgedrehter Clip, Football Team ebenfalls home made. Ein Wahnsinnslied, in dem sie darüber klagt, daß die anderen nicht in ihrer Fußballmannschatf haben wollen.
- mehr Fotos von Le Prince Miiaou hier und hier




Freitag, 27. März 2009

The Rodeo, Paris, 26.03.09

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Konzert: The Rodeo
Ort: L'Européen, Paris
Datum: 26.03.2009
Zuschauer: ausverkauft (ca. 350)
Konzertdauer: ca. 75 Minuten



Alle waren sie ins Européen gekommen, um Dorothée Hannequin aka The Rodeo zu sehen. Morgane Imbeaud, der weibliche Teil des enorm erfolgreichen Duos Cocoon, die von The Rodeo bei ihrem Triumph im kultigen Pariser Olympia im Januar supportet wurde; Aurélia, neben Dorothée die zweite Sängerin der inzwischen aufgelösten Indierockband Hopper, die zwischen 1999 und 2008 zahlreiche energiegeladene Konzerte gegeben hatte (u.a. auch im Zenith im Vorprogramm von Indochine) und es auf zwei hervorragende Alben brachte; Jean-Yves, Bassist von Syd Matters und am Ende auch Bassist von Hopper; Olivier Marguerit und Rémi Alexandre, die beiden Gitarristen von Syd Matters, die bei einem Lied auch einen Gastauftritt an der Flöte hatten; Ludomatic, der Videofilmer (u.a. Clips für Cyann & Ben), der von Hopper noch im Jahre 2008 einen tollen Dokumentarfilm über deren China-Tournee (!) gedreht hatte und der auch schon Konzerte von Herman Düne und anderen Größen eklusiv auf Zelluloid bannte; Gaspard und Xavier von Justice; Emma Daumas, Sternchen und Sängerin, die bei der Casting Show Star Academy entdeckt wurde und die sich schon sehr früh als Fan von The Rodeo geoutet hatte; die Mutter von Dorothée (eine Japanerin) und zahlreiche Freunde und Weggefährte, die zum Großteil von Beginn an den Solo- Werdegang von The Rodeo verfolgt haben, als Hopper bereits halb im Sterben lag. Und schließlich ich selbst (der Esel nennt sich immer zuletzt!), Fan der ersten Stunde und eifriger Begutachter der Konzerte von The Rodeo, die teilweise in sehr kleinen Räumen stattfanden.

Zu dieser Schar von Eingeweihten und Vertrauten gesellten sich auch noch einige Neufans, die möglicherweise über die nicht zu übersehende Werbung für das Konzert in Pariser U-Bahnstationen gestolpert waren. Kein Zweifel: The Rodeo wird immer bekannter!

So war es dann auch nicht weiter verwunderlich, daß das Européen- ein relativ kleiner, hörsaalähnlicher Raum, in dem ich schon Größen wie Joanna Newsom, die Two Gallants und Bill Callahan gesehen hatte, aus allen Nähten platzte. So dicht waren die Zuschauer hier noch nie zusammengerückt. Normalerweise ist auch die Fläche vor der Bühne bestuhlt, aber heute saßen die Leute statt auf bequemen Stühlchen auf dem nicht unbedingt sauberen Fußboden. Eine Sache, die ich nicht besonders schätze, da mir immer ziemlich bald die Füße einschlafen und ich stattdessen viel mehr Lust habe, mich zu bewegen. Aber ich mußte mich dem Mehrheitsvotum der Leute, die lieber im Schneidersitz kauerten, beugen.

Franz Is Dead hatte die Leute schon einmal gut aufgewärmt (als wäre es in dem brütend heißen Européen nötig gewesen!) und nun fieberten alle dem Auftritt von The Rodeo entgegen. Die ließ sich dann auch pünktlich blicken und wie eigentlich fast immer, war sie auch nicht allein gekommen. Zu ihrer Stammbesetzung gehört Jean, der omnipräsente Drummer, und in vielen Fällen auch ein männlicher Violinist. Mit Jean hatte ich aber nicht unbedingt gerechnet, denn der vielbeschäftigte junge Mann (er spielt in circa 15 Pariser Bands, ohne Übertreibung!) war vor kurzem noch mit der Band Tahiti Boy vier Tage beim texanischen Festival SXSW im Einsatz. Aber Dorothée lässt er nicht so einfach hängen, mit der hat er schließlich bei Hopper schon so manche Schlacht geschlagen! Er war also pünktlich zum heutigen Konzert wieder in Paris und genauso wie der Geiger mit Einsatzfreude dabei.

The Rodeo begann mit altbekanntem Material von ihrer ersten EP, schlicht My First EP by The Rodeo betitelt. Passenderweise hieß das erste Stück People Know, das die meisten hier in der Tat kannten. Die Sängerinnen mit der knarzigen, krazigen Countrystimme war blendend aufgelegt, sie war leichtfüßig unterwegs und nutzte den Raum auf der Bühne voll aus. Sie ist keine, die nur am Mikro klebt, sondern eher eine Raubkatze, die auf und abwandert, um sich freizuspielen. Dieser Einsatz wurde honoriert: Der Applaus, der nach circa. 3 Minuten aufbrandete, war schon fast so groß wie bei einer Zugabe, man unterstützte die Künstlerin vollkommen! Das tat ihr sichtlich gut und sie legte noch mehr Feuer in ihre Performance. Logischerweise hieß der zweite Song dann auch Feel The Fire. Ein Titel, der gut zu der Persönlichkeit der Französin passt, denn hinter dem manchmal etwas bockigem Gesicht versteckt sich eine Frau, in der ein Vulkan brodelt. Zwar ist sie mit ihrem Soloprojekt etwas gezähmter und auch deutlich folkiger als noch bei Hopper, aber die Rockerbraut steckt immer noch in ihr drin. Ein französisches Cowgirl mit Punk- bzw. Grungewurzeln, die genau wie Scout Niblett als Jugendliche viel Nirvana gehört haben dürfte. Heute ist sie aber immer stärker von Folkmusikern beeinflußt, ich traf sie sowohl beim Konzert von Bon Iver als auch bei den Fleet Foxes und Josh Tillman.

Natürlich hat sie aber auch den Hitparadenkram aus den 80 ern gehört, ihre ganz eigene Coverversion von Boy Georges Do You Really Want To Hurt Me ist dafür ein guter Beweis. Bis zu jenem Kulthit hatte sie nur altes Material gespielt, nun aber zauberte sie die neuen Sachen reihenweise unter dem nichtvorhanden Hut hervor. Das tolle On The Radio ist wohl jetzt schon für das Ende 2009 erscheinende Album gesetzt, die anderen Neuheiten wie Modern Life, Hand Shadows oder Bird landen möglicherweise auf der zweiten Ep, die schon im Mai veröffentlicht werden wird. Die Sachen gefielen mir schon jetzt sehr gut und weisen auch Unterschiede zu dem alten Stoff auf. Die Dame wiederholt sich nicht, sondern feilt ständig an neuen Ideen und Strukturen, das ist sehr positiv zu werten.

Little Soldier hingegen ist zwar auf der ersten Ep nicht drauf, hat aber schon ein paar Jährchen auf dem Buckel. Die countrylastige Nummer, bei der man wie ein Cowboy durch den Saloon hüpfen konnte, wurde auch schon einmal in einer charmanten ,
abgespeckten Akustiksession mit der berühmten Blogothèque eingespielt (hier zu bewundern), die The Rodeo schon früh entdeckt hat.

Mein absolutes Lieblingslied bleibt aber nach wie vor das tiefmelancholische Winterlands, das auch heute seine nahegehende Wirkung bei mir nicht verfehlte. Dorothée greinte, hauchte, keifte, was das Zeug hielt, sie gab sich heute besonders viel Mühe, wollte niemanden enttäuschen. Und das wurde mit sehr viel warmem und langanhaltendem Applaus belohnt. Auch ihre Band machte eine gute Figur, Jean, der Barfuß agierte, spielte nicht nur Schlagzeug, sondern glänzte auch am Akkordeon und der Ukulele und Olivier und Remy von Syd Matters steuerten sogar gemeinsam mit dem Geiger ein richtige Flötenpassage bei. Toll!

Aber wie das nun einmal so ist.: Alle schönen Dinge gehen irgendwann zu Ende und mit I'm Gonna Leave You (womit auch sonst?), verließ uns The Rodeo das erste Mal. Solo performte sie dann noch einen der besten Songs des Abends My Ode To You Cha Cha Cha, bei dem sie völlig neue und faszinierende Facetten ihrer Stimme zeigte. Zusammen mit der Band gab es dann noch die Weisheit Love Is Not On The Corner mit auf den Weg und das Européen tobte minutenlang. Gerührt wurden Verbeugungen vollführt, Kusshände ins Publikum geworfen und schließlich der Abgang vollzogen.

Eine rundum gelungene Performance, vollbracht in einem Saal, der nur Zwischenstation sein kann. Auf dem Weg in... die Cigale!

Setlist The Rodeo, L'Européen, Paris:

01: People Know
02: Feel The Fire
03: Your Love Is Huge
04: Hard To Say
05: Do You Really Want To Hurt Me (Boy George Cover)
06: On The Radio
07: Modern Liefe
08: Hand Shadows
09: Little Soldier
10: High Resolution World
11: Bird
12: Winterlands
13: I'm Gonna Leave You

14: My Ode To You Cha Cha Cha
15: Love Is Not On The Corner Or In The Neighborhood




Donnerstag, 26. März 2009

Faustine Seilman, Paris, 25.03.09

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Konzert: Faustine Seilman

Ort: 25.03.2009
Datum: 25.03.2009
Zuschauer: ca. 40
Konzertdauer: ca. 45 Minuten




Förmlich an die Decke gehüpft vor Freude bin ich, als ich las, daß die famose Pianistin Faustine Seilman im Pariser Pop In spielen würde. Vor über einem Jahr (genauer gesagt am 20.11.2007) hatte ich sie zufällig bei einem Konzertabend ihres tollen Nanter Labels Effervescence im Nouveau Casino kennengelernt. Ihr Album war in etwa zeitgleich erschienen und lief bei mir unzählige Male auf meinem I-pod. Manchmal vernachlässigt man ja aus Zeitmangel manche vorzüglichen Alben, aber Silent Valley hat von mir glücklicherweise die Aufmerksamkeit bekommen, die es verdient hat. Zu schön und ergreifend waren Stimme und Pianospiel von Faustine, als daß ich daran vorbeikonnte. Keine Chance! Faustine selbst hat sich aber seitdem eher rar gemacht, meines Wissens war sie nur noch einmal in Paris und zwar Ende vergangenen Jahres im Café de la danse zusammen mit Josephine Forster. War bestimmt ein hochklassiges Konzert, was mir da durch die Lappen gegangen ist, aber man kann ja leider nicht überall sein. Umso größer war nun meine Freude, daß das brünette Mädchen aus Nantes nun endlich mal wieder die französische Kapitale beehrte.

Aber sie ließ die Zuschauer im Pop In zunächst etwas zappeln. Leute die häufiger zu (Gratis)- Konzerten in den Keller des urigen Pubs kommen, wissen, daß man es hier mit Anfangszeiten nicht so genau nimmt. Wenn das Konzert für 21 Uhr angegeben ist, muß man keinesfalls vor 21 Uhr 30 da sein, denn die Tür zum Keller wird mit Sicherheit noch verschlossen sein. Heute war es aber schon weit nach 22 Uhr geworden, bevor sich der Sesam öffnete. Faustine war gerade erst vom Essen zurückgekehrt und probte noch ein wenig auf ihrem Klavier. Das gab mir die Gelegenheit, eine nette junge Französin aus Bordeaux kennenzulernen. Sie erzählte mir, daß sie Freunde hier hingeschickt hätten, da diese Mademoiselle Seilman zuvor in Bordeaux gesehen hatten und hellauf begeistert waren. Anscheinend waren aber leider nur ganze 7 (!) Leute zu diesem Konzert gekommen. Etwas mehr waren es hier und heute in Paris aber schon, obwohl man viel Platz im Keller hatte, nachdem gegen 22 Uhr 15 endlich Einlaß gewährt wurde. Faustine Seilman selbst saß auf einer Steinstufe, nippte an ihrem Bierglas und wartete, daß die Zuschauer eintrudelten. Dann stand sie auf, setzte sich hinter ihr elektronisches Klavier und stellte sich erst einmal höflich vor. Nicht selten erlebt man, daß Folksängerinenn sich nur sehr schüchtern und zaghaft vorstellen und kaum ihren Namen herausbringen, so verängstigt und scheu sind sie. Faustine aber, obwohl äußerlich sehr ruhig und zurückhaltend wirkend, hatte eine klare und feste Stimme und vergaß auch nicht zu erwähnen, daß sie aus Nantes stamme und zum ersten Mal seit vier Jahren wieder ein reines Solokonzert gäbe. Normalerweise hat sie nämlich eine mehrköpfige Band dabei, mit der ich sie auch damals im Nouveau Casino erlebt hatte. Aber schon nach dem Erklingen der ersten Noten war klar, daß dies keineswegs den Genuß verringerte, im Gegenteil! Die wunderbar warme und klare Stimme von Faustine kam so noch besser zur Geltung und man war unmittelbar ins Geschehen einbezogen. Die Intimität in dem kleinen Raume war wirklich atemberaubend. Man war Faustine und ihren tiefmelancholischen Liedern so unglaublich nahe, es fühlte sich an, als würde sie im privaten Wohnzimmer spielen. Meine Augen waren auf ihre Mimik gerichtet. Ähnlich wie eine Sophie Hunger lebt auch Faustine ihre Stücke mit Haut und Haar, entgleitet während des Vortrages in eine Art Parallelwelt und legt unfassbar viel Leidenschaft in jede einzelne Zeile. Ihre Texte sind sehr düster und nachdenklich, manchmal anklagend. In The Ballad Of A Starving Man setzt sie sich mit dem Leiden der Armen in einer reichen Gesellschaft auseinander, ähnlich wie das eine ihrer Lieblingsbands A Silver Mt Zion bei A Million Died To Make This Sound tun. Sie beklagt die sozialen Ungerechtigkeiten und die Gleichgültigkeit der Wohlhabenden gegenüber dem Elend der Aussätzigen:" I looked outside and these greedy people eating and filling their faces without hunger; a piece of paper is not enough to feed me, I'm cold I'm starving I can't feel my fingers moving and they don't give a shit! My body is dying, but I shouldn't wait for them"...

Harter Tobak, der nahegeht ohne die Kitschgrenze zu überschreiten, denn leider hat sie ja so recht mit ihrer Aussage, jedes Jahr Im Winter verenden Penner elend auf der Straße vor großbürgerlichen Häusern und niemand schert sich groß darum...

"I can't feel my fingers moving", sang sie so eindringlich und just in diesem Moment sehe ich auf ihre kleinen agilen Hände. Hände eines kleinen Mädchens an den Armen einer Mitte 20 jährigen Frau, die glücklicherweise nicht immer so ernst und traurig ist, wie das ihre Lieder vermuten lassen würden. In den Pausen zwischen den Songs lächelt sie wunderschön und bedankt sich aufrichtig über den Applaus, der von Stück zu Stück größer und intensiver wird. Die meisten Leute kannten ihre dramatischen Lieder vorher nicht, sind aber zusehends hingerissen von der Leidenschaft und der Poesie des Vortrages. Ihre Stimme ist noch fester und lauter als auf CD, noch schöner. Das setzt mir emotional stark zu. Es gibt keinen Schutzschild zwischen Faustines ergreifenden Geschichten und dem Publikum, alles ist sehr direkt und nahegehend. Steppenwolf ist so grandios daß ich mir wünsche, es würde nie aufhören. Ihrem Klavierspiel zuzusehen ist eine Wonne; wie flink ihre Finger von links nach rechts greifen, das ist einfach zu großartig! "We have to move to a warm place" singt sie in dem Song, der mich natürlich an das epochale Buch von Herman Hesse denken lässt und der Künstlerin selbst ist es im Laufe des Sets warm geworden. Sie muß sich ihrer Jacke entledigen. Mir persönlich ist es vor allem in der Gegend um das Herz sehr warm...

Menno, ich hatte mir vorgenommen, diesmal nicht so zu schwülsteln wie in meinem Konzertbericht über Sophie Hunger, aber ich kann nicht anders, das hier ist schon wieder zu ergreifend! Wann kommt endlich das neue Album? Ich bin so dreist reinzurufen und nach dem Releasedatum zu fragen. Erst frühestens Ende 2009 ist die ernüchternde Antwort. Wie soll ich bitte schön so lange warten, wenn schon die Kostproben wie z.B. das neue The Shepherd schon wieder so wundervoll sind? Faustine, Du kannst mich doch nicht so lange zappeln lassen!

Gegen Ende kommt dann auch noch der spitzbärtige Musiker The Healthy Boy hinzu und spielt mit viel Körpereinsatz Gitarre. Er geht jedesmal tief in die Knie, bewegt sich ganz virtuos, das habe ich in dieser Art vorher noch nie gesehen. Er singt auch ab und zu und ist mit Sicherheit selbst ein toller Musiker. Wenn ich nicht zu erschöpft gewesen wäre, hätte ich mich auch gerne davon überzeugen lassen, denn er ist nach Faustine mit seinem Eigenwerk an der Reihe. Ich aber verlasse das Pop In, denn jeder kennt ja den Spruch: "Man soll gehen, wenn es am schönsten ist." Und das war ganz klar bei Faustine Seilman der Fall!

Am Ende kommt noch einmal das Mädchen aus Bordeaux auf mich zu und sagt ganz bewegt : "Das war zum Weinen schön, ich hatte Tränen in den Augen...

Setlist Faustine Seilman, Le Pop In, Paris 2009:

01: Road Of Silence
02: The Ballad Of A Starving Man
03: Soap Opera
04: Steppenwolf
05: The Shepherd
06: Holy Shit
07: Hopefully
08: Keys Are Bound To Be Found
09: Plic Ploc
10: God

Links:

- Faustine Seilman am 20.11.2007 im Pariser Nouveau Casino hier
- mehr Fotos von Faustine Seilman hier
- Videoclips von Faustine Seilman: Keys Are Bound To Be Found,
The Man Who Said No, Sincerly Yours live, Soap Opera




 

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