Montag, 13. Januar 2014

Dagobert, Stuttgart, 10.01.2014


Konzert: Dagobert
Vorband: Philipp Bellinger
Ort: Kulturzentrum Merlin
Datum: 10.01.2014
Dauer: Dagobert 71 Minuten; Philipp Bellinger 15 Minuten
Zuschauer: 220 (ausverkauft)



Tiefer als in Kuriositäten der 60er und 70er und das umfangreiche Werk des Andreas Dorau habe ich mich nie in die Welt schlageresker Klänge gewagt, glücklicherweise, wie ich gerne betone. Dass es schließlich ein phänomenaler Feuilleton-Hype und „Ich bin zu jung“ sind, ein Crooner, der die allgegenwärtige, lyrische Schwere und Ernsthaftigkeit des deutschen Schlagers mit geradezu satirischer Überbetonung auf den Punkt bringt,  die mich erstmals auf ein ausgewiesenes Schlagerkonzert treiben, ist an sich furchtbar, wäre der Schweizer Dagobert nicht eine derart faszinierende Figur, der es gelingt mit überspitzten Klischees, Widersprüchen und gnadenlos pointierter Performance zu begeistern und den ausgewiesen schlechten Geschmack genießbar zu machen. 

Als Eröffnung des Pop Freaks Festivals ist der großgewachsene Anfang-Dreißigjährige eine Idealbesetzung, der Zuschauerzuspruch ist enorm. Mit freudestrahlendem Gesicht verkündet Merlin-Chefin Bärbel Bruns ein ausverkauftes Haus. Tatsächlich habe ich das Kulturzentrum nie zuvor voller erlebt. 
Vor Dagoberts Show betritt ein schlanker Mann im dunklen Jackett und T-Shirt mit Dagoberts Konterfei die Bühne und nimmt hinter dem Klavier Platz. Philipp Bellinger ist der Pianist und Gitarrist des in Berlin lebenden Schweizers und eröffnet mit einem kurzen Set den Abend. Mit durchweg vielversprechenden, brillant zwischen der Seichtheit eines Maximilian Heckers und Warren Zevons Zynismus pendelnden Songs, spielt Bellinger ein erstaunlich starkes Set. Manchmal genügen eben fünf Stücke und Zeilen wie „Jona in the belly of the whale, he never felt this way before“ in einer Viertelstunde für einen nachhaltig-positiven Gesamteindruck. 


 Im mausgrauen Jumpsuit steht Dagobert kurz vor zehn vor den Zuschauern, seinen Namen in großen, rot leuchtenden Lettern hinter sich. Das Publikum ist äußerst heterogen. Das klassische, aufgeschlossene Merlin-Kulturpublikum trifft auf Hipster, Indie-Jünger und echte Schlagerfans. So vor Widersprüchen triefend wie die Zuhörerschaft ist auch der Künstler selbst. Große Zeitungen verloren viele Worte um die bizarre Biografie, die Dagobert in einem Youtube-Video erzählt. Zu konstruiert erscheinend, als dass man die Geschichte glauben könnte, wirkt der schlaksige Hüne mit seinen akkurat gescheitelten, zurück gekämmten Haaren wie eine wohl durchdachte Kunstfigur. In meinen folgenden Ausführungen, gehe ich fest davon aus, dass all das als pointierte Parodie zu verstehen ist. 


Ohne Bellinger beginnt das Konzert. Lediglich mit einem iPod am Mikrophonständer des Sängers koordiniert dieser die Musik. Grässliche Synthie-Sounds erschallen, schlecht (über-)produzierte Bläser- und Streicher-Klänge. Mein natürlicher Schutzinstinkt warnt mich. Noch könnte ich das Konzert verlassen, denke ich, während der Mann auf der Bühne schmalzige Zeilen wie aus dem Setzkasten singt. „Du gehörst zu mir“ und „Du bist bei mir“ sind Standardverse des Genres, die in Dagoberts Songs jedoch wie Ausrufezeichen wirken, die zu sagen scheinen „Hey, das ist Satire, nimm' dich selbst nicht so ernst“. Kurz darauf kann ich mich auf das Ganze einlassen, bin gar begeistert. Als eine Melodie, die ein wenig Ähnlichkeit mit Alphavilles „Forever Young“ aufweist, erklingt und Dagobert „Für immer blau“ singt, gewinnt der Abend deutlich an Fahrt. Im weiteren Verlauf werden Klischees ausgereizt, Mitmachspiele zelebriert, Hände abgeklatscht, Schalala- und sogar Schubidu-Chöre mitgesungen und Arme geschwungen; von rhythmischen Mitklatschnummern mal ganz abgesehen. Nur die Feuerzeuge fehlen. „Ich mag deine Freunde nicht“ ist wenig später, sieht man von der entsetzlichen Instrumentierung und Schunkelmelodie ab, eine großartige Umkehr all jener „Ich bin okay – Du bist okay“-Songs und wunderbar zynisch.


 Viele Schlagersendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen leben vermutlich auch von auffälligen Outfits. Schon nach drei Titeln – um mit einem Grand-Prix-Wort zu sprechen – verschwindet Dagobert hinter einer auf der Bühne aufgebauten spanischen Wand und zieht sich um. Der Kostümierungswahn wird gekonnt karikiert. Vier Wechsel der Kleidung wird es während des Konzerts geben, darunter SM-konnotierte Lederkluft und das eigene Fan-Shirt. 
Mit Gitarrenunterstützung wird eines der bekanntesten Lieder, „Morgens um halb vier“, zum gefeierten Publikumsliebling, während „Hochzeit“ mit der Zeile „Du bist viel zu schön um ausszusterben, lass uns're Kinder deine Schönheit erben“ ein lyrisches Schmankerl parat hält. Der dezente Akzent und Probleme mit der Stimmhaftigkeit mancher Silben erinnert an berüchtigte Genregrößen. Als Dagobert in „Jenny“, einem „neuen Lied über Freundschaft“, mit dem unübertrefflichen Reim „Egal ob Bier oder Bananensaft / mit Dir schmeckt alles fabelhaft“ aufwartet, beginne ich richtig Spaß zu haben.


 Bis vorgestern habe er in Mannheim sein neues Album aufgenommen, berichtet der beim punkaffinen Hamburger Traditionslabel Buback Tonträger veröffentlichende Künstler, bevor er ergänzend erwähnt, dass die Lifestyle-Zeitschrift GQ ihn zum bestangezogensten und stilvollsten Schweizer gewählt habe. „Natürlich zu unrecht“, wie er mit an Arroganz grenzendem, gespieltem Understatement betont, während er sich selbstredend mit der Hand durch die Haare fährt. „Ich habe mein Haarwachs im Studio liegen gelassen, verzeiht, dass mein Haar heute nicht ordentlich liegt.“ Vor großen Gesten, Eitelkeit und Posen sich niemals scheuend, macht Dagobert eine souveräne Figur. An der mit Leuchtapplikationen gepimten Flying-V-Gitarre fügt sich Bellinger in das übersteigert pompöse Gesamtbild der Revue. Eine Umzugspause überbrückt er mit einem langen Solo. "So schön verstrahlt" mit dem Mantra „Ich war noch nie ein Genie“ folgt. Mitsingende Zuschauer bestimmen die Szenerie, dann lässt Dagobert das Mikrophon im Mund verschwinden, ein deutliches Bild. Danach: Ein wenig A-Capella mit Mitklatschspiel und Liebesbekenntnissen an die Flippers, die Scorpions und The Cramps(!), „Du bei mir mit 'ner Flasche Bier“


Trotz aller Schwermut funktionieren die Songs als Stimmungsmacher. „Ich bin zu jung“ wird an den ersten Takten erkannt, der Refrain allein durch das Publikum getragen. Überlebensgroße Gesten, zwei Zugaben, dann ist Schluss. „Ihr seid wunderschön.“ Eine Plattitüde. Eine Verneigung. Das war's. Großes Theater in 17 Szenen. Auf Indie-Festivals wie dem Maifeld Derby in Mannheim wurde Dagobert 2013 gefeiert. Der Bielefelder Rapper Casper nahm ihn Ende Dezember mit zum Zurück Zuhause Festival. Die Erfolgsgeschichte des selbsternannten Schnulzensänger aus den Bergen wird auch dieses Jahr fortgesetzt werden. Das Eröffnungskonzert der Pop Freaks bewies mir warum. 


Setlist Dagobert, Stuttgart:

01: "Du gehörst zu mir"
02: Für immer blau
03: Ich mag Deine Freunde nicht
04: Morgens um halb vier
05: Hochzeit
06: "Rede mit mir"
07: Jenny (neu)
08: Hast Du auch so viel Spaß
09: "Ich fühle mich so einsam"
10: Moonlight Bay (neu)
11: Zehn Jahre
12: Gitarren-Solo
13: Ich bin verstrahlt
14: "Du bei mir mit 'ner Dose Bier" (?) (A-Capella)
15: Ich bin zu jung

16: "Ich will 'ne Frau, die mich will" (Z)

17: Wunderwerk der Natur (Z) 

3 Kommentare :

Christoph hat gesagt…

Mir ging es beim Maifeld Derby sehr ähnlich. Es war entsetzlich am Anfang. Irgendwann fing das Konzert aber an, großen Spaß zu machen, wieso auch immer!

Gudrun hat gesagt…

Ich kriege ja auch Pickel von Schlagern, aber in Mannheim war ich am Ende nur mit albern und glücklich.

Chrissi hat gesagt…

Hmm...ich fand's beim Maifeld Derby auch nach drei Wein so gerade eben nicht mehr entsetzlich. Vielleicht waren es nicht genug.

 

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