Sonntag, 19. Januar 2014

Bernd Begemann & Die Befreiung, Hamburg, 29.12.2013


Konzert: Bernd Begemann & Die Befreiung
Vorband: Achim Erz
Ort: Knust, Hamburg
Datum: 29.12.2013
Dauer: Bernd Begemann 170 Minuten, Achim Erz 30 Minuten
Zuschauer: etwa 500 (ausverkauft)



Natürlich ist das Knust ausverkauft. Alle Jahre wieder, wenn Bernd Begemann & Die Befreiung zwischen Weihnachten und Silvester zum traditionellen Abschlusskonzert im Hamburger Club laden, kann man davon ausgehen, dass es voll wird. Der Godfather of Hamburger Schule ist im Knust auf St. Pauli in seinem Element. Konzerte sind am Ende noch leidenschaftlicher, noch erfrischender, noch besser als irgendwo sonst. Vor einigen Jahren spielte man jeden Monat ein Album komplett. Begemann ist hier das, was er landesweit sein müsste: Ein Star, mit unzähligen Songs, die man kennen sollte, ja kennen muss, möchte man deutschen Pop lieben. 


Im Publikum scheint jeder jeden über höchstens eine Ecke zu kennen. Konzertjunkies, Begemann-Fans und Musiker reichen sich die Hand. Es ist der sympathische Charakter eines Klassentreffens, nur ohne Leute, denen man am liebsten niemals wieder begegnen würde. Wenn man sich umblickt, schaut man in bekannte Gesichter. Isa Poppensieker von Tonbangerät ist da, ebenso der Musik-Video-Regisseur Kay Otto oder Superpunk-/Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen-Sänger (und Booker der Band) Carsten Friedrichs


 Während sich das Knust nach und nach füllt, betritt Befreiungs-Schlagzeuger Achim Erz gemeinsam mit Robert Holstein (Bass und Keyboards), Nicolas Nitt (Gitarre) und David Alleckna (Schlagzeug) die Bühne. Vor seinem Bandleader darf Erz seine gerade fertiggestellte EP vorstellen, nachdem er Anfang des Jahres im Vorprogramm der Ben Schadow Band bei einem von mir organisierten Konzert im Stuttgarter Studenten-Café Faust erstmals als Solokünstler in Erscheinung trat.
Eine halbe Stunde hat Erz, um das Publikum von sich und seinen Songs zu überzeugen. Nach dem Breitwand-Opener „Deine goldenen Zeiten“ verlässt ihn bei seinem bisher größten Solo-Auftritt die Nervosität. Souverän singt er sich durch das Set, berichtet von einer gewonnenen Bob-Dylan-Box und schwärmt von Ben Folds, dem er mit einem umgetexten Cover bemerkenswert Tribut zollt. Während eines Songs rutscht Robert Holsteins Mikrophon am Keyboard aus der Halterung. Bernd Begemann betritt unter Zwischenapplaus die Bühne und rettet die Situation. Spätestens jetzt hat Erz die Zuschauer in der Hand. Am Ende sind es vor allem „Gewartet“, „Mein Leben ist ein Medley“ und „Fahrschein“, die mit Sprachwitz und opulenter Bandumsetzung nachhaltig gefallen. An Gitarre und Keyboards gelingt Achim Erz der Livetest vor großem Publikum. Anerkennung für einen zum Performer gereiften Band-Arbeiter, der die große Bühne genießen darf. 


Es gibt nur wenige Dinge, die so gut sind wie ein Bernd-Begemann-Konzert. Noch besser allerdings sind Auftritte mit seiner famosen Band Die Befreiung. Nach einer kurzen Pause ist die Bühne hinter einem roten Vorhang verborgen. Schon zu Zeiten mit Die Antwort in den 80ern hatte Begemann ein Händchen für fantastische Shows im 50er Format. Nirgends lässt sich das besser ausreizen als im Knust. Der Vorhang fällt unter tosenden Applaus, „Unsere Liebe ist ein Aufstand“ vom gleichnamigen Befreiungs-Debüt, ein treibender Start. Die 500 im Saal reagieren ekstatisch, die Band wird frenetisch begrüßt. Bassist Ben Schadow im Kapuzenpullover des in seinem Bestehen gefährdeten Clubs Molotow wird für diese Geste gefeiert. 


„Bist du dabei?“ vom Überalbum „Solange die Rasenmäher singen“ von 1995 und „Liebe tat mir nie weh“ vom wohl schlagereskesten Begemann-Werk „Endlich“ folgen umgehend. Wo Soloauftritte von Anekdotenplauderei und purem Entertainment geprägt sind, leben die Band-Konzerte von der enormen Energie des Quartetts. Zu kurz kommen die Geschichten freilich trotzdem nicht. Begemann tobt sich an seiner Gibson-Gitarre aus, verausgabt sich in Textimprovisationen, während Kai Dorenkamp (Keyboards), Ben Schadow und Achim Erz ihm den nötigen Freiraum geben. Völlig außer Frage stehen die Live-Qualitäten dieser Formation, der es gelingt dem größten Entertainer dieses Landes das musikalische Gewand zu geben, das er verdient. 

Zuletzt fand der 51-Jährige wieder häufiger in den Medien statt. Das ist gerecht und gut so und hat vor allem mit einem bekannten Epigonen des ersten Punks aus Bad Salzuflen zu tun. Olli Schulz feierte seinen 40. Geburtstag gemeinsam mit Begemann in Hamburg und Berlin mit umjubelten Konzerten. Ein gemeinsamer Auftritt bei „Circus Halligalli“ und „Verhaftet wegen sexy“, ein Blödelsong mit „La Bamba“-Riff, fördern die Popularität. Die Single knackt die Charts. Eine kleine Anerkennung für den unerbittlichen Kämpfer für Qualität in einem Genre, das durch mediokre Konsens-Melancholie kommerziell geprägt wird. Wäre "Verhaftet wegen sexy" doch bloß nicht so wahlweise Aprés Ski oder Ballermann tauglich und würden dadurch doch bloß nicht so viele Störer, so viel Pro7-Pöbel auf die Konzerte gespült werden. Konsequenterweise wird „Verhaftet wegen sexy“, das viel zu oft gefordert wird, immerhin früh gespielt und mit „Summer Loving“ aus Grease, „Twist and Shout“ und „Wild Thing“ geschickt abgerundet. Im Spiel mit Popzitaten macht dem Hamburger ohnehin keiner etwas vor. „So, dann können alle die dafür gekommen sind, jetzt gehen“


Wer Begemann als größten Popdichter Deutschlands, als eine Art deutschen Elvis Costello feiert, der spätestens mit „Rezession, Baby“, seinem ersten Soloalbum, in den 90ern einen weichenstellenden Meilenstein veröffentlichte, kommt selbstredend auch auf seine Kosten. „Ohne den König, keine Prinzen“, sagte Thees Uhlmann einmal über Bernd Begemanns Einfluss und trifft den Kern. Solange die Rasenmäher singen, wird Bernd versuchen dieses Land zu entschlüsseln, nie werden subtilere Alltagsstudien angestellt. Ohne Bernd kein Blumfeld, Tocotronic, Kettcar, Tomte, wie man es kennt, und erst recht keinen Olli Schulz. Gleichzeitig hat Begemann dieses unschlagbare Händchen für große Melodien, perfekte Beat-Chöre und eine einnehmende Animation, die selbst abgeklärte Akademiker mitreißen. Gefangen in einem Sonntagabend.  

„Lila Twingo“ feiert Livepremiere, nach zwei Minuten wird der Refrain des unbekannten Songs vom Publikum getragen. Der Frontmann im Mod-Anzug genießt das zurecht. „Sie fuhr einen lila Twingo, ein Geschenk zum Abitur oder so.“ Zwischendurch wird liebevoll mit „Ben schwarzer Block Schadow“ gebauchelt und Achim Erz augenzwinkernd darauf hingewiesen, dass er nun wisse, "wie hart es ist, vor den Kids zu stehen".


 Eine weitere Premiere, „Es klappt gerade nicht mit dem Fahrrad“, ist textlich von gewohnter Qualität, während es musikalisch noch ein wenig unausgegoren ist. "Das ist Sozialkitsch. Aber es war schließlich auch Sozialkitsch, der den amerikanischen Bürgerkrieg ausgelöst hat, nämlich 'Onkel Toms Hütte' und nicht 'Nathan der fucking Weise', auch wenn das von mir aus bessere Literatur ist." Kai Dorenkamp überbetont derweil den einfachen Klavierrhythmus und verleiht der Situation angenehme Komik. Sein Frontmann spielt mit und persifliert das Klischee des abgeklärten Pianisten "mit Roger Willemsen Brille" ebenso wie das des egozentrischen Frontmanns à la "Michael Wendler".


Songwünsche werden erfüllt, Publikumslieblinge wie „Fernsehen mit deiner Schwester“, „Judith mach deinen Abschluss“ oder „Unten am Hafen“ selbstverständlich gespielt, auch wenn ich mir stattdessen die heimlichen Großtaten seines Kanons wünschen würde. Zu „Eigentlich wollte ich nicht nach Hannover“ tanzt Ben Schadow leidenschaftlich. Nach der obligatorischen Pause steigert sich die Band erfahrungsgemäß in unnachahmliche Klasse bis zur völligen Verausgabung. „Nichts erreicht außer Dir“, die vielleicht großartigste deutschsprachige Indie-Pop-Single der frühen 00er Jahre, ein großes Liebeslied, das live noch immer zündet, glänzt als tanzbarer Klassiker. Begemann-Konzerte versöhnen mit unsterblichen Songs, lyrischer Brillanz und gelebter Selbstironie Feingeister, Diskursrocker und Indie-Popper, sie sind obligatorische Highlights eines jeden Konzertjahres. Niemanden sah ich häufiger live und niemand hat seltener enttäuscht. Wenig überraschend verbleibt dieser Jahresabschluss als herausragender Höhepunkt, der dann doch immer wieder überrascht. Die Doors werden während „Judith, mach deinen Abschluss“ zitiert, schließlich gibt es eine echte Rarität als Zugabe, „Derrick weint“
Der König des deutschen Pop ist in seinem Haus- und Hofclub ein gerechter Herrscher, der weiß, wie man seine Untertanen drei Stunden lang beglückt.


4 Kommentare :

Zippo hat gesagt…

Kleiner Fehler: Begemann spielt keine Gibson, sondern einen koreanischen Gibson-Nachbau, erkennbar auch von weitem an dem untypischen Kopf. Ansonsten schöner Text über Deutschlands besten Songwriter.

Jens hat gesagt…

Danke für die Anmerkung. Ich war immer überzeugt Bernd würde zwei Gitarren spielen. Eine Gibson und eben diesen Nachbau.

Zippo hat gesagt…

Du hast ja auch vollkommen recht! Hab mir jetzt mal die Bilder angesehen und da steht tatsächlich in Riesenlettern "Gibson" drauf! I'm sorry!

Wobei ich so ein komisches Modell noch nie gesehen habe und auf alle Konzerten auf denen ich bisher war hatte er auch sein Korea-Teil gespielt!

Ich entschuldige mich für die Verwirrung!
Viele Grüße von Zippo!

Zippo hat gesagt…

Von mir aus können wir den ganzen Kommentarthread hier löschen ... Danke! :-)

 

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