Montag, 20. Februar 2012

Anna Ternheim, Frankfurt, 19.02.12


Konzert: Anna Ternheim
Ort: Unionhalle, Frankfurt
Datum: 19.02.2012
Zuschauer: ausverkauft (vielleicht 700 Zuschauer)
Dauer: knapp 90 min


Vergangenen Samstag spielte Anna Ternheim das erste deutsche Konzert ihrer Europatour in der Kölner Kulturkirche. Anders als von mir erwartet, wurde sie dabei nur von Dave Ferguson begleitet. In Fergusons Studio in Nashville hatte die schwedische Sängerin im vergangenen Frühjahr ihr viertes Album The night visitor aufgenommen. Im Gegensatz zur aufgeblasen produzierten dritten Platte ist The night visitor ein akustisches Album geworden, dem man die Mitarbeit einiger Countrymusiker aus Fergusons Umfeld deutlich anhört.

Mich hatte das Kölner Konzert begeistert. Nach rund zehn Konzerten in den vergangenen fünf Jahren (und allerlei Bandkonstellationen dabei - nachzulesen unten), bin ich überzeugt davon, daß Anna Ternheim am besten ist, wenn sie so akustisch wie möglich auftritt. Mit Dave Ferguson ist zwar bei der jetzigen Tour ein zweiter Musiker - und eine zweite Stimme - beteiligt, dies ändert aber wenig am grundsätzlich akustischen Charakter der Konzerte.

Das Konzert in Frankfurt wurde vom Mousonturm veranstaltet, konnte aber nicht dort stattfinden, weil dessen Spielstätte umgebaut wird. Ausweichquartier ist die Unionhalle auf der Hanauer Landstraße im Frankfurter Osten, ein Gebäude in zweiter Reihe zwischen Autohäusern und Tankstellen. Halle klingt schrecklich, der Saal, der sich hinter diesem Namen verbirgt, taugt allerdings viel für Konzerte und ähnelt dem Mousonturm. Auch in der Unionhalle gibt es eine Galerie über dem Saal und eine herrlich hohe Bühne. Der Raum selbst war bestuhlt und schon um kurz nach sieben recht voll.

In Köln hatte ich - weil auf meinem Online-Ticket die Angabe "Einlass 19 Uhr" fehlte, das Konzert erst in letzter Sekunde erreicht und mich mit einem arg sichteingeschränkten Platz unter der Kanzel begnügen müssen. Vieles von der Bühnedekoration war mir dadurch entgangen. Heute hatte ich alles im Blick - und es gab vieles zu sehen. Die Bühne war "gemütlich" eingerichtet. Mehrere Chesterfield Sessel waren zu einer Sitzgruppe arrangiert, daneben standen kleine Tischchen mit Kerzenleuchtern und Gläsern. Rechts Annas Klavier und daneben ein sitzender Schäferhund.

Um zehn nach acht* erschien die Schwedin. Kurz davor hatte eine Gruppe von Oberstudienräten das dämliche "ich klatsche sie jetzt herbei-Spiel" gespielt, eine schrecklich unhöfliche Unsitte, die man glücklicherweise nur bei einer bestimmten Sorte von Konzerten erlebt (zu anderen Unsitten unten mehr!).** Schlimm, daß das prompte Erscheinen der Musikerin die Klatscher bestärken wird, auch bei ihrem nächsten Konzert (Tori Amos) wieder zu demonstrieren, wer hier den Eintritt gezahlt hat und wer nur musikalischer Dienstleister ist.

Anna gab der dicken Glühbirne, die über ihrem Mikro hing einen kräftigen Stoß und begann wie in Köln mit
Solitary move und What remains vom aktuellen Album. Zumindest bei Solitary move war der Sound flach - zwar glasklar aber gedämpft. Dies besserte sich schnell, leider war das aber nur das erste von vielen, ärgerlicher werdenden Technikproblemen.

Technik ist aber ein gutes Stichwort. Ich habe wenig Ahnung von akustischem Gitarrenspiel. Allerdings benötigt man die auch nicht, um festzustellen, wie sagenhaft gut Annas Umgang mit ihrer uralten Gitarre bei What remains war. Die Sängerin hat viel Arbeit ins, wie sie selbst sagt, "Neuerlernen" ihres Hauptinstruments gesteckt, bei What remains fiel das besonders auf!

Statt dem Wedding song folgten im Anschluß Troubled mind als alter Titel - eine schöne Variation und am Klavier Shoreline und You mean nothing to me anymore ("it's a happy sad song"). Während Anna dieses fröhliche Stück spielte, schluffte Dave Ferguson auf die dunkle Bühne, eine Flasche Rotwein im Arm, und setzte sich auf einen der Sessel, entkorkte den Wein, schenkte sich ein und hörte andächtig zu. Das erinnerte an den Putzmann, der im Hintergrund der Tagesschau seinen Job machte, wärend die Sprecherin ihrem nachging. Anna Ternheim stellte ihren Produzenten im Anschluß vor, erzählte die Geschichte ihrer Zusammenarbeit, lobte seine Frühstückseier (und er ihre hervorragenden Fleischbällchen, nach denen auch seien Hunde verrückt seien) und fragte dann "wanna play some music?" - "I enjoy listening to you!" Kurz danach fragte Dave, welches Datum heute sei, der 19.? "Yesterday was our anniversary!"

Auch wenn es musikalisch nichts miteinander zu tun hat und Anna Ternheim sicher mehr Cowboy als die meisten anderen Folk- oder Pop-Musikerinnen ist, erinnerte mich die Konstellation da sehr an Isobel Campbell und den brummigen Mark Lanegan.

Es folgten sechs Stücke vom neuen Album, darunter das wundervolle Duett The longer the waiting (the sweeter the kiss). Dabei wurde die Bühnendeko mehr und mehr in die Show integriert. Zu All shadows setzte sich Dave auf einen der Sessel links, Anna Ternheim schnappte sich den Wein und setzte sich neben den früheren Johnny Cash-Produzenten (der ein iPad auf dem Notenständer stehen hatte). Das Weineinschänken kommtentierte der Amerikaner mit "one of the best parts of the job!"

Was nach Walking aimlessly passierte, kannte ich schon, es war aber trotzdem wundervoll. Anna ging weg, setzte sich in den Sessel mit Beistelltisch, zündete die Kerzen des Lüchters an und hörte tief versunken Dave zu, der Baby is gone seines Mentors Jack Clement coverte. Leider wurde dieser fabelhafte Moment durch zwei sich laut unterhaltenden Menschen auf dem Balkon verdorben. Sängerin nicht auf der Bühne? Also können wir ja quatschen... (in Heidelberg hatte Anna mal eine störende und sehr betrunkene Frau aus dem Saal geschmissen).

Besonders schön wurde es danach, als Anna Ternheim Girl laying down extrem reduziert am Klavier vortrug. Dummerweise gab es da einen fiesen Tonausfall, den sie zwar souverän umschiffte, er störte aber den Fluß des Konzerts. Schon vorher hatte es immer wieder laute Knalle gegeben, nach Girl laying down traten die Probleme vertärkt auf. Trotz des scheinbar gelassenen Weiterspielens merkte man der Musikerin an, daß es sie nervte. Profi Dave Ferguson warf ihr nach dem Stück einen töstentend Blick zu, was mir sehr gefiel. Der Mann hat schließlich (auch wenn er zehn Jahre jünger ist als er wirkt) mit vielen Musikerlegenden zusammengearbeitet und scheint deren Seelenleben gut lesen zu können.

Von einer der Legenden stammte das nächste Cover: The great divide, ein weiteres Duett der beiden wurde ursprünglich von Johnny Cash und seinem Schwiegersohn geschrieben. Der Co-Autor war sogar doppelter Schwiegersohn, er war nämlich mit zwei Töchtern von Johnny verheiratet. "He wanted to stay in the family."

Let it rain, das schwächste Stück aus Annas Repertoire, das sie heute spielte (das aber wegen seiner reduzierten Art nur mit Metronom und später Kontrabass begleitet um Längen besser war als die Albumversion) kam mit Abstand am besten an.

Nach einer Zugabe weniger als in Köln (dafür einem zu Ende gespielten Halfway to fivepoints), dem vergeblichen Versuch Daves, die Bühne auf der falschen Seite zu verlassen, endete das Konzert nach knapp 90 Minuten. Auch wenn es sehr gut war, hinterließen die Technikprobleme einen faden Nachgeschmack. Vor allem Anna wirkte zudem ein wenig müde. Ich habe zwar heute besser gesehen, das Kölner Konzert vor acht Tagen war musikalisch allerdings eine Ecke besser.

Am Rosenmontag endet Anna und Daves Deutschlandtour in Freiburg, bevor die beiden nach Paris und in die Schweiz weiterziehen. Ich bin sehr gespannt, in welcher Konstellation (und wie groß) die Schwedin demnächst in Deutschland zu sehen ist.

Setlist Anna Ternheim, Unionhalle, Frankfurt:

01: Solitary move
02: What remains
03: Troubled mind
04: Shoreline (Broder Daniel Cover)
05: You mean nothing to me anymore
06: Lorelie-Marie
07: The longer the waiting (the sweeter the kiss) (Pat McLaughlin/Roger Cook Cover)
08: All shadows
09: Ghost of a man
10: God don't know
11: Walking aimlessly
12: Baby is gone (Dave Ferguson solo) (Jack Clement Cover)
13: Girl laying down
14: The great divide (Johnny Cash Cover)
15: Let it rain
16: Bow your head

17: Halfway to Fivepoints (Z)
18: Black light shines (Z)

19:
My secret (Z)

Links:

- Interview mit Anna Ternheim (2007)
- aus unserem Archiv:
- Anna Ternheim, Köln, 11.02.12
- Anna Ternheim, Berlin, 03.11.11
- Anna Ternheim, Nyköping, 24.11.09
- Anna Ternheim, Paris, 23.09.09
- Anna Ternheim, Fribourg, 20.09.09
- Anna Ternheim, Köln, 13.09.09
- Anna Ternheim, Haldern, 14.08.09
- Anna Ternheim, Paris, 29.04.09
- Anna Ternheim, Frankfurt, 28.04.09
- Anna Ternheim, Nijmegen, 24.04.09
- Anna Ternheim, Stockholm, 08.12.08
- Anna Ternheim, Paris, 01.10.07
- Anna Ternheim, Köln, 26.09.07
- Anna Ternheim, Heidelberg, 25.09.07
- Anna Ternheim, Paris, 31.05.07
- Anna Ternheim, Köln, 12.03.07
- Anna Ternheim, Paris, 12.12.06

* Oliver: sag nicht, daß Du nicht gewußt hättest, daß sie so früh beginnt! 20.10 it is.
Exkurs:

Dinge, die niemand bei Konzerten mag:
- lautes mehr oder weniger rhythmisches Mitklatschen auf dem Oberschenkel
- sämtliche Geräusche digitaler Kameras, die sich abstellen lassen. Niemand braucht künstlich erzeugte Auslösergeräusche, lustige Sci-Fi Beeps oder anderen Nervkrams an Handys oder Fotoapparaten
- Autofocus-Hilfsleuchten. In Spielfilmen, in denen Einzelkämpfer oder Swat-Teams vorkommen, braucht es rote Laser, um zu sehen, daß gleich ein Schuß fällt. Bei schwach beleuchteten Konzerten sind in der Regel keine Schurken (auf der Bühne). Also hat rotes Ausleuchten des Künstlers nicht nur keinen Sinn, es nervt auch enorm!
- Mitsingen geht nur unter folgenden Bedingungen: es geht immer, wenn es nicht hörbar ist. Sollte man nicht mindestens so gut wie der Künstler singen können, spart man sich auch das kaum hörbare Mitsingen für die Heimfahrt auf. Lautes, hörbares und schlechtes Mitgröhlen ist auschließlich bei Britpop-Bands erlaubt.



4 Kommentare :

Oliver Peel hat gesagt…

"Das Duo Anna Ternheim/Dave Ferguson begeisterte mich sehr" "Es war dennoch ein hervorragendes Konzert"

"Es kam bei weitem nicht an das Kölner Pendant ran", "Ich hatte den Eindruck, Anna und Dave wären müde", "Anna wirkte genervt"

Wie passen diese Aussagen zusammen? Wenn Anna müde wirkte und es Technikprobleme gab, kann es doch unter dem Strich kein hervorragendes und sehr begeisterndes Konzert mehr gewesen sein, oder doch?

Ich warte auf die Vollversion.

Christoph W. hat gesagt…

Sämtlichen im Exkurs genannten Punkten kann ich nur zustimmen. Ganz schlimm ist auch das Herumklopfen auf Bierflaschen - eine Unsitte, die mir erstmals bewusst im vergangenen Herbst aufgefallen ist und seitdem bei fast jedem weiteren von mir besuchten Konzert aufgetreten ist. Womöglich war das immer der gleiche Störenfried...

Oliver Peel hat gesagt…

Sehr schöner Bericht, bravo Kumpel!

Dominik hat gesagt…

Danke für den tollen Bericht zu dem tollen Konzert - die paar Störgeräusche(Kabelbruch?) konnten das auch nicht kaputt machen!
War mein erstes A.T.-Konzert (manche guten Sachen gehen irgendwie lange an mir vorbei?!) und definitiv nicht mein letztes...

PS. Nett dass du auf last.fm darauf hinweist, aber ich war wohl noch nie auf einem Konzert mit so - vermeintlich - last.fm-aversen Publikum :-)

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates