Mittwoch, 31. Dezember 2008

My Year In Lists: die 30 großartigsten Konzertmomente des Jahres (Christoph)

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Am längsten erinnere ich mich nach Konzerten an die kleinen, besonderen Momente, an Pannen, liebevolle Fitzelchen Musik, die oft gar nicht sofort auffallen. Meine allerliebsten des Jahres waren diese (über die Links könnt ihr die Konzertberichte dazu nachlesen):

30: The Indelicates, Frankfurt - ich denke, ich hätte auch eine Liste mit den zwanzig schönsten Indelicates Konzertmomenten machen können, so viele herrliche Szenen habe ich im vergangenen Jahr mit der englischen Band erlebt. Ich versuche aber mich zu beschränken. Aber ganz ohne geht es natürlich nicht. In Frankfurt also verließen Keyboarderin Julia und Gitarrist Simon die Bühne vor den Zugaben und "versteckten sich" zwischen dem Publikum. Von da kommentierten sie das Konzert: "Get off! You are rubbish!"

29: The Futureheads, Luxor - beim Konzert der Nordengländer verpatzte der Roadie einen Gitarrenwechsel derart, daß er sich mit dem Gurt der alten Gitarre fesselte. Während die Band weiterspielte, bemühte er sich, sich aus dieser Fesselung zu befreien. Sänger Ross kommentierte es mit: "Cool guitar change by the way"


28: British Sea Power, Köln - ein schönes Konzert! Aber dann kam die letzte Zugabe und mit ihr die durchgeknalltesten Minuten des Jahres. Ein Engländer, der neben mir stand und gleich zu Beginn u.a. einen mitgebrachten Stoff-Pferdekopf auf die Bühne gestellt hatte, setzte sich eine Plastiktüte auf den Kopf und tanzte, die Band machte nicht weniger ungewöhnliche Dinge. Irre! Und irre unterhaltsam.

27: Ladytron, Köln - die Versuche, des armen Tourmanagers, den Soundleuten zu zeigen, daß es losgehen kann, waren urkomisch zu beobachten. Er hatte keine Taschenlampe dabei und war daher darauf angewiesen, sich anders Aufmerksamkeit zu verschaffen. Allerdings scheiterten all seine Versuche (und er war kreativ!)...

26: The Indelicates, Köln - kurz vor Ende der Zugabe Waiting for Pete Doherty to die fiel Julias Keyboard aus. Julia und Simon, die das Lied alleine gespielt hatten, sahen sich an und sangen ohne Instrument weiter - wundervoll!

25: The Kooks, KulturKirche in Köln - verschmitzt grinsend zeigt Sänger Luke nach dem Lied Do you wanna (make love to me) auf einige der jungen weiblichen Fans in der Kirche: "You, you, you, you...!"

24: Gravenhurst, Haldern-Festival - sehr verunsichert guckt Sänger Nick Talbot, als jemand im Publikum laut "Steven" brüllt. "Ich habe kein Lied mit dem Titel 'Steven'" antwortet er. Der Rufer, der den Namen des Sängers verwechselt hatte, wünschte sich dann ganz schnell Nichole, ein existierendes Lied des Bristolers. Puh! Der Wünscher war mein Kollege Oliver.

23: Kettcar, Köln - mein liebster Dialog während eines Konzerts
(vor "Stockhausen, Bill Gates und ich"): Marcus Wiebusch hatte davon erzählt, daß seine Mutter ihn auf die Geschichte des Lieds angesprochen hatte (das spielt in einem Aufzug). Er antwortete auf ihr Erstaunen, daß er so was erlebt habe: "Mama, halt's Maul, ich denk' mir die Scheiße nur aus, Mann." - Frank. "Du kannst doch nicht zu Deiner Mutter 'halt's Maul' sagen" - "Du mußt das in einem größeren Zusammenhang sehen, Lars und ich kommen aus zerrütteten Verhältnissen"

22: Klee, Melt! Festival - einer der wenigen Lichtblicke des Festivals... Ein tolles Konzert und ein besonderes Highlight bei Zwei Herzen: der Zeltboden bebte dabei so stark, daß man zwangsläufig hüpfte! Wie in einem Wellenbad! Ein großartiges Lied mit einem besonderen Zusatzeffekt!

21: The Wombats, Luxemburg - die Engländer hatten die mit Abstand coolsten Fans! Fünf kleine Jungs (13 oder 14) mit ManU Trikots machten Stimmung wie Alte und klatschten die Band beim Einlauf in den Saal ab. Konzertbesucher des Jahres!

20: Morrissey, Lille - der Sänger mußte viel Nähe ertragen, viele Hände abklatschen, wischte sich danach jeweils die Hand an der Hose ab und sah wenig amused aus. Dann bestieg ein Fan die Bühne, umarmte den verdutzten Morrissey, der dies mit
"Everybody deserves a hug." Pause. "Once a year."

19: Get Well Soon, Köln - Konstantin Groppers Ansage vor
If this hat is missing I've gone hunting (mit der Zeile "Shoot, baby, shoot."): "So, ich möchte das nächste Lied Charlton Heston widmen, der sich ja in seiner Rente stark gemacht hat für so eine Art Bürgerinitiative. Das ist jetzt auch vorbei."

18: Immaculate Machine, Frankfurt - die kanadische Band spielte gerade eines meiner liebsten Lieder, Broken Ship. Ich war eine klein wenig traurig, daß sie die englische und nicht die französische Version spielten. Und plötzlich machten sie es wie bei der kanadischen Nationalhymne, sie änderten die Sprache. Göttlich!

17: Blood Red Shoes und Babyshambles, Montreux - kurz vor dem Auftritt der Blood Red Shoes, in so einem Moment, als ich mich mal wieder fragte, ob Pete Doherty wohl erscheint, lief der stumm aber grinsend einmal von rechts nach links über die Bühne und wieder zurück. Huhu, ich bin da...

16: Los Campesinos!, Melt! Festival -
Gareth malt bei der Zeile "and every sentence that I spoke began and ended in ellipsis" bei Knee deep at ATP die drei Pünktchen in den Himmel.

15: Travis, Essen - Flowers in the window in der Live-Version ist es alleine wert, zu einem Travis Konzert zu gehen. Bald ist wieder Gelegenheit...

14: Lisa Bouvier, Stockholm - das Konzert war schon schön! Die herrlichste Szene ereignete sich aber danach. Die Band wollte ihr Auto beladen, um in die kalte Nacht zu verschwinden, die Kälte hatte den Wagen aber komplett vereist. Also kam der Koch der frierenden Band zur Hilfe und enteiste den Band-Volvo mit einem Crème Brulée Bunsenbrenner.

13: The Indelicates, Köln - wahrscheinlich schwer, dieses wundervollen Augenblick wiederzugeben. Die Indelicates haben mir viele schöne Kleinode beschert. Mein Liebling war aber eine eher winzige Szene. Julia wollte das nächste Lied anstimmen - Vladimir. Simon war allerdings komplett in eine Tom Waits Imitation vertieft, und Julias Anfangskeyboardakkorde liefern immer wieder ins Leere. Als er sie dann unschuldig fragte, was als nächstes komme, spielte sie nur noch einmal die ersten Takte und sah ihn vorwurfsvoll an. Eine unglaublich niedliche Szene!

12: R.E.M., Loreley - mein erstes Konzert meiner alten Lieblinge war viel besser, als ich vorher gedacht hatte. Der schönste Part hatte aber nichts mit den Amerikanern zu tun. Das glücklichste Strahlen zeigte mein Gesicht, als Tour Gitarrist Scott McCoy Heinrich Heines Loreley sang. Oh, wie unglaublich schön!

11: Melt!-Festival - Ins Auto zu steigen und das Festival zu verlassen - einer der schönsten Momente des Konzertjahrs!

10: Sigur Rós, Köln - wie liebevoll das Detail, daß bei Sé Lest die dazugehörende Blasmusikgruppe einmal über die Bühne lief!

09: iLiKETRAiNS, Frankfurt - ich habe schon viele Arten von Setlisten gesehen. Aber noch keine, die auf ein Brötchen geschrieben war!

08: Coldplay, Köln - ein geplanter Effekt, aber ein durch und durch wundervoller! Bei Lovers in Japan regneten Hunderttausende bunte Papierschmetterlinge vom Dach der Kölnarena in den Innenraum. Jeder drehte sich um, reckte die Hände nach oben, um die flatternden Papierchen zu ergreifen. Es war so unwirklich, als wäre man mitten in einem Tim Burton Film. Wie unglaublich zauberhaft!

07: Los Campesinos!, Luxor I - LC! dichten
live Lieder häufig um. Für das umgedichtete The international Tweexcore underground werden die Waliser immer meine Lieblingsband sein. Aus "Sarah Records never meant anything to me" wurde da "Lukas Podolski never meant anything to me".

06: Jens Lekman, Frankfurt - ich habe ja schon viel erlebt. Aber noch nie jemanden, der Luftglockenspiel gespielt hat. War das sensationell!

05: Chumbawamba, Köln - am Anfang fehlte Sängerin und Trompeterin Jude noch. Sie war noch zwischen Flughafen und Underground unterwegs. Kollege
Boff Whalley dirigierte trotzdem ihre Einsätze - "Jude, trumpet!". Der charmanteste Augenblick des Konzerts und des Jahres!

04: Feist, Frankfurt - die live von Puppenspielern gemachten Animationen und visuellen Effekte waren das Schönste, was ich seit Ewigkeiten gesehen habe!

03: The Last Shadow Puppets, Brüssel - ein sehr betrunkener Miles Kane kommt nach einem grandiosen Konzert mit Co-Frontmann Alex Turner Arm in Arm zurück auf die Bühne. Miles reißt die Arme hoch, und feuert mit erhobener Faust sich und das Publikum an, immer lauter BRUSSELS, BRUSSELS schreiend! Sensationell!

02: Wolf Parade, Köln - Keyboarder Spencer bekommt während des Konzerts vom Tourmanager einen kleinen Snack serviert, einen Weckmann. Weil er zweifelt, ob man den essen kann ("you eat this?"), spielt er mit dem Hefemännlein Keyboard und läßt ihn über die Tasten tanzen - herrlich!


01: Los Campesinos!, Luxor II - Gareth und Aleks spielen eine ganz kurze Passage Synchronglockenspiel, nur ein paar Takte, aber das schönste Stück Musik und der wundervollste Konzertmoment meines Jahres!


Montag, 29. Dezember 2008

My Year In Lists - Die 10 schlechtesten Konzerte des Jahres (Oliver)

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Na, wollt ihr mal so richtig kotzen? Den Weihnachtsbraten noch einmal in der Toilette wiedertreffen? Dann seit ihr hier genau richtig! Hier kommt nämlich meine Liste mit den 10 schlechtesten Konzerten des Jahres...


10: Mando Diao, Rock-a-Field Festival, Luxemburg: Live sind die großartig liest man immer wieder. Wie bitte? Großspurig vielleicht, aber großartig? Nähh! Wie soll das mit dem Songmaterial, daß die - zugegebenermaßen blendend aussehenden Schweden - zu bieten haben, denn auch gehen? Jeder im Publikum, der männlich und über 20 Jahre alt ist, sollte bei einem Konzert von Mando Diao erschaudern, ansonsten stimmt was nicht!

09: Nick Cave, Casino de Paris, Paris: Nick Cave sollte eigentlich nicht in einer Liste mit Mando Diao stehen, denn der coole Australier ist definitiv ein essentieller Musiker. Allerdings habe ich verdammt schlechte Erinnerungen an diesen Konzertabend. Das ging los mit meinem miesen Platz in dem Konzertsaal (ein altes Theater, keine gute Wahl für ein Rockkonzert), setzte sich fort mit dem Schweinerockkram des von mir ungeliebten letzten Albums und wurde weder durch den fiesen Schnauzbart von Nick, noch durch das alte und feiste Publikum besser. Aber es gibt Hoffnung: Nick Cave ist der einzige Künstler in dieser Liste, der das Potential hat, mir in der Zukunft eines der besten Konzerte des Jahres zu bescheren!

08: Hot Chip, Le Trabendo, Paris: Ist das der Woody Allen Effekt? Je beknackter und nerdhafter die Typen auf der Bühne aussehen, um so größer ist ihre Anziehungskraft auf hübsche Frauen? Oder anders ausgedrückt: Je dämlicher sich die Kerle zu elektropoppigen Rhythmen bewegen, um so cooler sind sie? Weder Band noch das kühl-arrogante und hedonistische Publikum fanden an jenem Abend meine Zustimmung

07: We Are Scientists, Highfield Festival: Wären sie doch Wissenschaftler geworden und hätten nie mit der Musik angefangen! Der smarte Sänger und der schnauzbärtige Bassist sollten nach dem voraussehbaren nahen Ende der Musikkarriere versuchen, eine Fernsehsendung nach dem Vorbild Hauser-Kienzle zu machen!

06: Kate Nash, Melt! Festival: Wäre sie doch Model für pummelige Frauen geblieben! Vielleicht sollte sich die Käthe einmal bei einem dieser Shopping Sender bewerben, die immer diese umwerfend heiße Mode für Frauen ab Kleidergröße 46 präsentieren! Oder aber sie wird Hundetrainerin. Kleffen wie ein Dackel kann sie nämlich schon!

05: Maximo Park, Haldern Pop Festival: Wenn ich schon dabei bin, Berufsberatung für schlechte Musiker anzubieten: Paul Smith könnte durchaus als Shakespeare Darsteller reüssieren. Allein schon wie stilvollendet er immer mit dem aufgeschlagenen Buch über die Bühne fetzt, verdient Anerkennung! Allerdings wirkt das alles so dermaßen einstudiert und die überschäumenden Emotionen so gefakt, daß man auch das Dauergrinsen von Dieter Bohlen bei Modern Talking relativieren muß. Und die neuen Lieder vom zweiten Album sind und bleiben überwiegend Schrott, da kann er hüpfen und wirbeln wie er will! Auch der Sound beim Haldern war übrigens alles andere als gut...

04: Lykke Li, Haldern Pop Festival: Nur um Fehlinterpretationen vorzubeugen: Die Besetzung beim Haldern Pop Festival 2008 war gewohntermaßen ausgezeichnet! Ein solch geschmackvolles und augewogenes Line-Up gibt es bei anderen Festivals selten bis nie! Mit Lykke Li haben die Haldern- Veranstalter aber eine Niete gezogen. Das Set der erdkrötenhaften Schwedin konnte ich mir beim besten Willen nicht bis zum Ende reinziehen. Und die von Christoph aufgestellte Regel " Ich bewerte nur Konzerte, die ich mir bis zum Ende angesehen habe, gilt für mich auch nicht. Ich halte mich da an den weisen Satz von Marcel Reich Ranicki: "Man bemerkt bei einer Suppe schon nach den ersten Löffeln, wenn sie versalzen ist". Wobei hier statt Salz eher zu viel Zucker in der ungenießbaren Popsuppe drin war. In Musikzeitschriften liest man in Zusammenhang mit Lykke Li oft von der "neuen Madonna". Das Problem ist bloß, daß die Schwedin mit Mitte 20 älter aussieht, als Madonna mit fast 50 Jährchen auf dem muskelbepackten Buckel!

03: White Lies, Festival des Inrocks, Le Zénith, Paris: Junge Klone von den Killers. Aus England. Ähnlich schwülstig und bombastisch. Scheußlich!

02: Jamie Lidell, Nouveau Casino, Paris:
Wie kommt die Musikindustrie auf die Idee, daß die Jugend von heute Bock auf einen dandyhaften weißen Klon von Stevie Wonder hat? Allein schon wie der Bursche seinen kleinen Finger abspreizt, wenn er das Mikro hält, jagt mir Schweißperlen auf die Stirn! Komischerweise stehen da trotzdem viele Leute drauf. Sado-Maso Praktiken werde ich wohl nie verstehen...

01: The Killers, Highfield Festival: Schon nach dem von vielen hochgelobten ersten Album Hot Fuss, habe ich meine Abneigung gegen die großspurigen Schmalzbubis und ihren kitschigen 80 ies Revivalsound geäußert. Heute folgen mir fast alle Musikzeitschriften und lästern im Chor gegen das aktuelle dritte Album der Nachfolger im Geiste von Bohlen und Anders. Trotzdem wurden sie als Headliner für das ansonsten gute Highfield Festival gebucht. Nur hartgesottene oder volltrunkene Zuschauer hielten sich die Ohren nicht zu, wenn Brandon Flowers seine schwülstigen Hits mit jeder Menge Pathos über dem idyllischen Stausee abfackelte.

Glückwunsch Brandon: Du hast mir das schauderhafteste Konzert des Jahres bereitet!



Samstag, 27. Dezember 2008

My Year In Lists: die fünf schlechtesten Konzerte des Jahres (Christoph)

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Die schlechtesten Konzerte des Jahres (Christoph):*

05: We Are Scientists, Rock A Field, Luxemburg: Entertainment sehr gut, Musik bis auf ein paar Ausnahmen vollkommen belanglos. Amüsiert haben mich We Are Scientists wieder einmal. Da wir aber nicht www.ansagetagebuch.de sind, gehören die Amerikaner eindeutig in meine Liste der schlechtesten Konzerte des Jahres (in der nur komplett angesehene Auftritte von Hauptgruppen sind - einige Vorgruppen hätten einen Platz in dieser Flop 5 verdient).

04: Joan As Police Woman, Haldern-Festival: Dieses Konzert gehört in die Liste der enttäuschendsten Auftritte. Von Joan As Police Woman hatte ich mir einiges versprochen, heraus kam ein langweiliger Gig ohne Höhepunkte (mein Kollege Oliver empfand die gute Joan noch etwas besser als ich in seinem Konzertbericht). Warum ich der Amerikanerin bis zum Schluß zugehört habe, weiß ich beim besten Willen nicht mehr, aber so kommt sie immerhin zu der Ehre, in dieser Hitliste aufzutauchen.

03: The Long Blondes, Luxor, Köln: die mittlerweile aufgelösten Long Blondes (sie beendeten ihre Karriere aber nicht wegen der von mir vorhergesagten Erfolglosigkeit sondern aus gesundheitlichen Gründen) waren einmal eine meiner Lieblingsbands. Frontfrau Kate Jackson war darüber hinaus kurzfristig eine der coolsten Indiemusikfrauen. Allerdings (und das ist der letzte Superlativ) verlor die Gruppe auch in Rekordzeit jeden Glanz und Reiz. Bei ihrem Auftritt im Luxor langweilte ich mich enorm. Und ich ersehnte bei den meisten Liedern herbei, daß sie vorbei sein würden. Also genau das, was man sich von einem Konzertabend erhofft. Das war nichts - und wie mir viele andere Long Blondes Konzertgänger berichteten war dieses Nichts nicht die Ausnahme. Die Band war nur in lichten Momenten live gut. Dieser für mich letzte war mehr (fürchter)lich als licht.

02: Robyn, Gebäude 9, Köln: Mein erstes Konzert des Jahres 2008 bescherte mir gleich eine ungeahnt schreckliche Künstlerin: die Schwedin Robyn, die Headlinerin eines Intro Intims war. Robyn sollte im Laufe des Jahres oft in der Musikpresse vorkommen, und das nicht nur, weil sie Madonna auf deren Welttour supportete. Ich wurde also sehr oft an dieses fiese Konzert erinnert, das glücklicherweise nicht symbolhaft für das Musikjahr 2008 war. 2009 werde ich mein erstes Konzert sorgfältiger aussuchen!

01: Kate Nash, Haldern-Festival: Da kam nichts ran! Hätte ich mich während Kates Auftritt in Haldern nicht so gut unterhalten (unterhalten, nicht unterhalten gefühlt), hätte ich den Festivalplatz wohl schon während Mariella verlassen. Meine Güte, war das scheußlich! Aber auch der Rest ihres Programms hob sich davon wenig ab. War schon mein erstes Konzert von ihr im Dezember 2007 ziemlich enttäuschend, war dies nur noch fürchterlich. Kate Nash hat mir eines meiner liebsten Poplieder mit Foundations bereitet (und einen der schönsten Albumtitel - Made Of Bricks) aber noch kein gutes Konzert, sondern eines, das ok war und zwei schreckliche Festivalauftritte - und Haldern war der Tief- und Schlußpunkt. I wish you couldn't figure me out, but you always wanna know what I was about.




Freitag, 19. Dezember 2008

Los Campesinos! & Sky Larkin, Paris, 18.12.08

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Konzert: Los Campesinos! & Sky Larkin
Ort: la Maroquinerie, Paris (Inrocks Indie Club)
Datum: 18.12.2008
Zuschauer: nicht ausverkauft
Konzertdauer: Sky Larkin ca. 45 Minuten, Los Campesinos! genau 1 Stunde



Weihnachten das Fest der Liebe, des Friedes, der Familie. Ein besinnliche Zeit, die oft gar nicht so leicht zu ertragen ist, weil man über viele Dinge reflektiert, die man im Laufe des Jahres verdrängt hat.

Im kollektiven Kosumrausch (Weltwirtschaftskrise? War da was? Alle Läden sind proppevoll und die Leute schleppen bergeweise Pakete nach Hause, auch ich!) wird man in Paris vor den Türen der Läden z.B. auf unangenehme Weise daran erinnert, daß es viele Leute gibt, denen es wirklich hundsmiserabel geht. Von den Obdachlosen bzw. Clochards, poltisch korrekt SDF (sans domicile fixe= ohne festen Wohnsitz) genannt, spreche ich. Sie liegen in Schlafsäcken vor den Eingängen und hoffen auf milde Gaben. Das versetzt mir immer einen Stich ins Herz, weil ich weiß, daß eine Geldspende umgehend in eine Flasche Schnaps umgetauscht würde. Der nächste Wirtschaftsaufschwung - wenn er denn kommt - wird definitiv an ihnen vorbeigehen! Paris, die Stadt der Liebe und des Lichts (Paris, la ville lumière) kann so herzlos und düster sein!

Nach erledigten Weihnachtseinkäufen ging ich deshalb mit gemischten Gefühlen in die Maroquinerie. Die Rue Boyer, in der der Laden liegt, ist keine Glitzergegend. Das Viertel ist eher einfach und für Pariser Verhältnisse recht arm, sprüht aber vor Kreativität. Neben der Maroquinerie liegt gleich das Kultuzentrum La Bellevilloise, in dem auch ab und zu Konzerte stattfinden und die Bar La Feline, Anlaufstelle für Pariser Nachwuchsrockbands, ist auch nur einen Katzensprung entfernt.

Und die Maroquinerie selbst hat nicht nur den Konzertraum im Keller zu bieten. Man kann auch oben in einem ansprechend hergerichteten Restaurant essen, hinterher an der Bar mit den Bandmitgliedern plaudern und andere interessante und musikbegeisterte Leute kennenlernen. Es gibt auch eine heimelige Terrasse, aber die ist natürlich im Sommer attraktiver, obwohl sich selbst im Winter Leute unter die Heizstrahler hängen, um draußen zu qualmen.

Was ich erst seit kurzem weiß: In dem Komplex wird auch kreativ gearbeitet. Die Büroräume des vorzüglichen Labels Fargo befinden sich hier und die Jungs und Mädels, die für Fargo tätig sind, tun alles, um glänzende Künstler wie Alela Diane, J. Tillman (Soloprojekt des Drummers der Fleet Foxes), oder Alamo Race Track so gut wie möglich zu betreuen.

Heute ging es aber nicht um einen Labelabend von Fargo, sondern von Wichita aus England. Gleich vier ihrer Artisten sollten heute abend auftreten und zwar Lovvers, Those Dancing Days, Sky Larkin und Los Campesinos!

Those Dancing Days glänzten aber durch Abwesenheit und Lovvers bekam ich nicht mehr mit. Nicht schlimm, denn nach so vielen 2008 absolvierten Konzerten ist die Aufnahmefähigkeit logischerweise begrenzt. Und die zwei verbliebenen Bands versprachen auch noch einen gelungen Konzertabend...

Von Sky Larkin hatte mir Christoph schon oft vorgeschwärmt. Immer wenn ich ihn in den letzten Wochen am Telefon hatte, kam er irgendwann auf die junge Bands aus Leeds zu sprechen. "Habe jetzt Karten für Sky Larkin gebucht", erzählte er mir z.B. vor ein paar Monaten. Als ich verwundert nachprüfte, ob denn das Trio bereits Headliner für eigene Clubkonzerte in Deutschland sei, erfur ich, daß sie lediglich im Vorprogramm von Conor Oberst und seiner Mystic Valley Band auftraten. Hinterher schrieb er mir begeistert eine E- Mail: Sky Larkin waren großartig, Conor hingegen laaaaaangweilig!

Auch ich bekam in Paris die Gelegenheit die gleiche Kombination - Sky Larkin und Conor Oberst - zu sehen. Allerdings verpasst ich den Auftritt der Engländer trotz der Lobhudelungen von Christoph. Ehrlich gesagt: das war mir piepegal! Gerade in Frankreich werden Vorbands nämlich oft mit Desinteresse bestraft, was dazu führt, daß ich mich in beiden möglichen Fällen ärgere: Entweder die Vorgruppe ist wirklich mies und wird zu recht ignoriert und ich frage mich, warum ich für die Typen wichtige Lebenszeit vergeude, oder aber die Vorgruppe ist gut, bekommt aber kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Dann stört mich das Verhalten der Zuschauer. Eine klassische Lose/Lose Situation so etwas!

Heute war die Ausgangslage aber anders. Bei den sogenannten Inrocks Indie Clubs in der Maroquinerie gibt es keine Vor- und Hauptgruppe im herkommlichen Sinne. Zwar bekommt die Band, die als letzte ranmuß, am meisten Spielzweit eingeräumt, aber diese unterscheidet sich nur unwesentlich von derjeneigen der vorletzten Band. Im heutigen Fall haben Los Campesinos! beispielsweise nur gut 10 - 15 länger als Sky Larkin gespielt.

Und das Trio aus Leeds nutzte ihre Dreiviertelstunde wirklich konsequent. Mit Karacho und ohne wirkliche Verschnaufpausen polterten sie durch ihr fetziges und lärmumtostes Set und sammelten mit ihrem natürlichen Charme bei mir ordentlich Pluspunkte. Sängerin und Gitarristin Katie hatte für den Abend ein besonders ausgefallenes Bühnenoutfit gewählt. Die dauernd lächelnde Frontlady trug nämlich ein grünes Filzkleid im Stile von Robin Hood, inklusive Herzchen und güldenem Lametta! Auf ihrem Kopf hatte sie ein drolliges Käppi platziert, das man so ähnlich von Hofnarren her kennt. Auch die Fuß- und Beinbekleidung war außergewöhnlich. Rot-grüne Ringelsöckchen kombinierte sie mit stylischen silberfarbenen Sneakers von Puma. Ihr rotschöpfiger Drummer machte es sich da leichter. Jeans, nackter Oberkörper, Weihnachtsmann-Zipfelmütze und ein weißer Rauschebart waren sein Dresscode. Nur der Basser machte bei dieser Maskerade nicht mit, er verzichtete gänzlich auf solchen Schnickschnack und war auch sonst eher unauffällig. Die Show gehörte dem Girl und dem explosiven Drummer mit seinem Mützchen also fast ganz alleine. Katie hatte neben ihrem tollen Dress auch eine schöne Stimme in die Waagschale zu werfen. Sie bewegte sich irgendwo zwischen Björk und jungen Rockröhren von Neo- New Wave Bands. Eine charmantes und fetziges Girl!

Die gespielten Lieder kannte ich vorher nicht, aber das war auch nicht weiter schlimm, denn heute ging es hauptsächlich darum, das Jahr ordentlich ausklingen zu lassen und nicht zu sehr trüben oder ernsten Gedanken nachzuhängen. Christoph hat sicherlich zu den einzelnen Songs in seinen Reviews auch schon eine Menge erzählt. Ich beschränke mich somit auf den Verweis an den Kollegen. Allerdings gab es heute ein Weihnachtsspecial: Bei dem angekündigten Christmas Song handelte es sich witzigerwiese um... Last Christmas von Wham! Wham, igitt! Die mochte ich noch nie, aber ich kann mich noch sehr gut an das Lied erinnern, das jedes Weihnachten wieder ausgraben wird und auch das (eigentlich gar nicht so schlechte) Video ( hier gucken) mit der Feier in einer verschneiten Berghütte ist bei mir noch präsent.

Und was soll ich sagen? In der Version von Sky Larkin war das Lied wirklich gut! Der Schmalz und der klebrige Zuckerguß, der dem Original anhaftete, wurde kurzerhand durch einen schrägen Basslauf und eine heulende Giatrre ersetzt. Und es sang auch nicht George Michael (Gott sei Dank!) sondern Katie. Frohe Weinhachten!

Witzige Szene zum Abschluss: Drummer Nestor Matthews hatte sich dermaßen verausgabt, daß er minutenlang geschlaucht am Boden liegen blieb!

Aber Nestor sollte nicht der einzige Schlagzeuger des Abends bleiben, der im Weihnachtsmanngewand hinter seiner Schießbude agierte. Lustigerweise hatte sich nämlich auch Olli Campesinos einen weißen Bart umgehangen und ebenfalls eine rote Zipfelmütze aufgesetzt (ob das die gleichen waren und sie in der Kabine einfach nur getauscht hatten?).

Als erste der Campesinos! Familie erschien aber Ellen. Wow, sah die scharf aus! Rote Strähnchen peppten ihren Blondschopf auf und ihren aufregenden Körper hatte sie in ein rot-weiß gepunktetes Sixties-Kleid gehüllt. Dazu trug sie schwarz-weiße Pumps und selbst der Bass war farblich abgestimmt. Was ich von meiner Position aus nicht sah: Ellen hat ein Zungenpiercing! Als ich mich nach dem Konzert auf der Terrasse der Maroquinerie ein wenig mit ihr unterhielt, sah ich es ganz deutlich. Mamma Mia!...

Im Verlaufe des Konzertes fixierten meine Augen aber ein anderes Mädel der Band und zwar Harriet, die Violinistin. Ein ganz anderer Typ als Ellen, zumindest äußerlich. Flache Ballerinas, ein blaues Samtkleid und dazu ein entzückendes Lächeln so daß ihre wundervollen grünen Augen strahlten. Ich war verliebt. Zumindest platonisch. Ein Mädchen neben mir im Publikum bemerkte, daß ich Harriet permanent abknipste und zwinkerte mir zu: "Elle es très belle, hein?" - Sie ist sehr hübsch, oder? Ich war etwas verlegen, fand aber schnell meine Fassung wieder und antwortete knapp: "Ich brauch' die Fotos für eine Musikseite, das ist alles"...

Die dritte junge Frau in der Band, die Keyboarderin und Glöckchenspielerin Aleks befand sich schließlich in dem anderen Winkel des Saales und war somit ein wenig aus meinem Blickfeld. Auch sie war wie immer herzallerliebst und sehr stilvoll. Eine Art Alexandra Maria Lara der Indie-Musikszene. In einem wunderbaren Moment zeigte sie ihr schönstes Lächeln, so daß die Sonne aufging, ansonsten schien sie aber immer ein wenig traurig und nachdenklich. Sie wirkte so blaß, dünn und auch ein wenig müde, was mir Sorgen um ihre Verfassung bereitete.

Kurzum: Für die Stunde des Konzertes war ich gleichzeitig in Ellen, Harriet und Aleks verknallt, ich glaube in Harriet am meisten! Und es halte mir jetzt auch niemand Notgeilheit oder Untreue vor. Ich spreche hier von der reinen, unschuldigen und platonischen Anziehung durch drei reizende weibliche Geschöpfe, so wie ich sie zuletzt als Grundschüler für die Lieblingsmädchen aus meiner Klasse empfunden habe...

Aber es gibt ja auch genügend männliche Wesen bei Los Campesinos! Sie sind sogar in der Überzahl, so daß sich auch die weiblichen Zuschauer in der Maroquinerie nicht beschweren konnten. Wer wohl ihr Favorit war? Ollie, der spindeldürre Drummer mit den flinken und reaktionsschnellen Armen? Oder der Doppelpack aus den beiden Gitarristen Neil (trug T-Shirt von den Parenthetical Girls) und Tom (sein T-Shirt war von Deerhoof), die oft in das gleiche Mikro schreien? Oder am Ende doch der stets gutgelaunte Sänger Gareth, der seit dem letzten Konzert in Paris wieder ein paar Pfündchen zugelegt hat, ohne jedoch wirklich dick oder punmmelig zu sein? Hmm, wäre ich eine Frau würde ich Neil nehmen. Glaube ich zumindest. Oder Tom, der spricht nämlich sogar ein kleines bißchen französisch, weil seine Mutter bekanntermaßen Französischlehererin ist, was Gareth regelmäßig in Paris schamlos ausnutzt und den armen Tom immer als Dolmetscher vorschickt. "Tom, sag' mal was, Du kannst doch französisch!" Der braunhaarige Kerl ist dann immer ganz verdutzt und stammelt sinnloses Zeug vor sich hin. Immerhin bekam er einen wichtigen Satz zustande: "Joyeux Noel" (denkt Euch bitte die Pünktchen auf dem E dazu, ich finde die Tastenkombination nicht!) - Fröhliche Weihnachten!

Aber mal ganz kurz weg von den Musikern und hin zu den Songs. Die kamen gewohnt schräg, tempogeladen und wahnsinnig laut rüber und wie immer bekamen die falschen Waliser auch hin, vor lauter Aktion einigermaßen Struktur reinzubringen. Manchmal hat man zwar den Eindruck, sie hätten zu viele Ideen auf einmal unterbringen wollen, aber am Ende passt es dann doch irgendwie. Und zu perfekt und harmonisch wollen sie ja auch gar nicht sein, ihr leicht chaotisches Spiel und der schiefe Gesang von Gareth wird letzlich immer von der lieblichen Stimme von Aleks gerettet.

Innerhalb der einzelnen Songs des Sets zogen auch schon die vier neuen Stücke recht gut, aber letztlich platzte der Knoten beim Publikum erst so richtig mit dem alten Hit You! Me! Dancing! Von da an gab es bei den Zuschauern eigentlich kein Halten mehr, die Leute hüpften wie aufgedreht umher und zauberten so eine sensationelle Stimmung herbei! Kaum einen hielt es jetzt noch an sich. Als hätten die Campesinos Lachgas versprüht und sämtliche Bewegungsblockaden bei den Parisern gelöst! Vier Lieder lang glich das Konzert somit einem Abiball nach dem 5. Liter Bier und so ließen es sich auch die Bandmitglieder nicht nehmen, ins Publikum abzutauchen. Neil wurde auf Händen getragen und selbst die schüchterne Aleks kletterte nun wie die anderen auf eine Box und sang von dort aus weiter...

Was für ein gelungener Abschluss eines ereignisreichen Konzertjahres 2008!!

An dieser Stelle möchten wir uns bei allen Lesern vielmals für ihr Interesse bedanken und von Herzen frohe Weihnachten wünschen. Schaut auch an und nach den Feiertagen immer mal wieder bei uns vorbei. Es warten nämlich noch unsere beiden Listen mit den besten Konzerten des Jahres 2008 auf euch! Stay tuned!

Danke, Merci! Frohe Weihnachten! Seid lieb zu Papi, Mami und den Geschwistern...


Setlist Los Campesinos!, La Maroquinerie, Paris:

01: Ways To Make It Through The Wall
02: The International Tweexcore Underground
03: All Your Kayfabe Friends
04: Death To Los Campesinos!
05: Miserabilia
06: This Is How You Spell, Hahaha, I Destroyed The Hopes And Drams Of A Generation Of Faux-Romantics
07: Knee Deep At ATP
08: Documented Minor Emotional Breakdown # 1
09: My Year In Lists
10: You! Me! Dancing!
11: We Are Beautiful, We Are Doomed
12: Sweet Dreams, Sweet Cheeks

13: Broken Hearts Sounds Like Breakbeats (Z)


- Fotos von Sky Larkin hier
- Mehr Fotos von Los Campesinos! hier

- Rockingparis hat ein tolles Video von Los Campesinos! gefilmt. Man sieht dort Gareth, wie er Sky Larkin, Lovvers und das ganze Label Wichita lobt und auch den Hit Sweet Dreams, Sweet Cheeks. Hier klicken, da geht die Party am Ende ab!




Mittwoch, 17. Dezember 2008

Gogol Bordello, Paris, 16.12.08

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Konzert: Gogol Bordello

Ort: Le Bataclan, Paris
Datum: 16.12.2008
Zuschauer: höchstwahrscheinlich ausverkauft!
Konzertdauer: ca. 85 Minuten



Gogol Bordello. Allein schon dieser Name!

Gogol kenne ich noch aus dem Deutschunterricht. Meine Lehrerin bestand damals darauf, daß ein Buch eines russischen Literaten durchgenommen werden müsse. Ich schlug Schuld und Sühne von Dostojewski vor, weil ein sehr guter Freund von mir das in seiner Klasse durchgenommen hatte und mir immer von Rodion Raskolnikow, der Hauptfigur des Romanes, vorschwärmte.

Die Deutschlehrerin mochte mich aber nicht sonderlich und bügelte den Vorschlag ab. Stattdessen schleimte sich ihre Lieblingsschülerin bei ihr ein und erzählte in den schillerndsten Tönen, wie gut doch Die Toten Seelen von Nikolai Gogol sei. Plötzlich leuchteten die Augen meiner Paukerin und Im Nu war die Sache entschieden. Gogol würde uns also in den kommenden Wochen beschäftigen. Worum es genau ging, weiß ich nicht mehr, ich erinnere mich aber seltsamerweise noch daran, daß ich die Taschenbuchausgabe in dem dunkelgrünen Einband häßlich fand und nicht gern darin geschmökert habe...

Mit Gogol assoziiere ich also etwas (vor allem das Wechselspiel zwischen russischer Schwermut und ausgelassener Lebensfreude, ebenso das Schelmenhafte) und auch zu Bordello fällt mir natürlich etwas ein. Aber nicht was ihr meint. Ich denke jetzt nicht an das Bordell als das Freudenhaus, sondern deute, als in Frankreich lebender Germane, den Audruck im Sinne von unglaublicher Unordnung. Wenn ein Franzose sagt: "Je dois ranger mon bordel", meint er damit, daß er mal wieder in seinem Chaos aufräumen muss.

Also verbinde ich mit dem Namen Gogol Bordello folgendes: Schwermut und Melancholie, daraus resultierender Hang zum Besäufnis, was wiederum dazu führt, daß man hinterher ausgelassen auf den Tischen tanzt und ein regelrechtes Gelage mit Wein, Weib und Gesang veranstaltet und am Ende ein riesiges Chaso, ein Bordell eben, hinterlässt.

Und ohne mich wirklich damit beschäftigt zu haben, warum sich die heute im Bataclan aufspielende Band wirklich so genannt hat, muss ich konstatieren, daß vieles von dem was ich mir da zusammengereimt habe, tatsächlich so stattgefunden hat!

Kritiker mögen ihnen vorwerfen, daß sie mit Klischees spielen und mit dieser "Masche" versuchen, Geld zu machen, aber ich denke, ein Erfolg in dieser Größenordnung ist nicht wirklich planbar und am Anfang hätte die Band um den charismatischen Leader Eugene Hütz mit Sicherheit selbst am wenigsten damit gerechnet, einmal so bekannt zu werden. Und Erfolg haben sie ohne Zweifel, denn es war so voll wie selten zuvor im Bataclan! Bei den Dirty Pretty Things und auch bei Razorlight war die Nachfrage nach Tickets in den letzten Wochen so gering, daß sogar der obere Sitzplatzbereich auf dem Balkon abgesperrt wurde, heute aber platzte der Saal aus allen Nähten! Ein hart erarbeiteter Erfolg, denn immerhin besteht die Band seit 1999 und wurde mit Sicherheit am Anfang günstig für Festivals gebucht, damit endlich mal ein wenig Stimmung aufkommt. Ich kann mir genau vorstellen, wie Veranstalter solcher Festivals sich die Hände gerieben haben, als sie sahen, daß diese komischen Gypsy Punks, die sie für einen Appel und ein Ei verpflichet hatten, das Gelände zum Beben brachten! Frei nach dem Motto "bezahl' den Chaoten da ein paar Flaschen fuseligen Rotwein und Schnaps und dann machen die sich schon für dich zum Affen! Bestimmt hat man sie anfangs belächelt und sich gedacht, daß sich die Kerle eh mit den ersten verdienten Rubeln die Birne wegsaufen und spätestens nach zwei Jahren wieder von der Bildfläche verschwinden. Aber das Gegenteil ist der Fall! Inzwischen steht sogar Madonna höchstpersönlich auf den wie einen Wikinger aussehenden Rotschopf Eugene Hütz! Und wenn sich eine solch professionelle und kühl rechnende Künstlerin mit so einem Kerl auf der Bühne blicken lässt, dann weiß sie haargenau, daß sie damit ihre Credibility (beschissener Ausdruck, passt aber hier!) beim Indiepublikum verbessern und noch mehr Zaster einfahren kann. Eugene Hütz wird es recht sein, der Typ ist ja auch als Schauspieler schon in Erscheinung getreten und ihm macht es mit Sicherheit nichts aus, der eitlen Diva so nahe zu sein, daß er ihr Luxusparfüm erschnüffeln kann.

Unter seine roten Achselhaare hätte ich allerdings nach dem heutigen Konzert nicht gerne meine Nase gesteckt! Der Typ hat nämlich geschwitzt wie ein Iltis, was daran lag, daß er fast ein Fußballspiel lang wie ein Geistesgestörter über die Bühne gewirbelt ist! Wahnsinn wie der Kerl sich verausgabt hat, so etwas sieht man ganz selten! Ein Hansdampf in allen Gassen ist das nämlich dieser Eugene und ein glänzender Entertainer obendrein. Seine Performance hatte auch etwas von den glorreichen deutschen Fuballrecken aus den 70er und frühen 80er Jahren. Typen, die noch die Ärmel hochgekrempelt haben und am Ende ohne Schienbeinschoner spielten. Kerle, die wenn es hart auf hart kam, nicht davor zurückschreckten, den Gegner zu foulen oder zumindest hart ranzunehmen. Namen wie Paul Breitner, Horst Hrubesch, oder Peter Briegel kamen mir in den Sinn, aber am Ende dachte ich im Zusammenhang mit Eugene fast auschließlich an Toni Schuhmacher. Prolliger Mantafahrer-Schnauzbart und eine lange, lockige Matte auf dem Kopf, ja, genau so sah Toni damals aus. Unglaublich wie er den kleinen Franzosen Battiston damals mit diesem Beckencheck unsanft zu Fall gebracht hat, so daß dieser einen Kieferbruch und noch einige andere Blessuren erlitt! Die Franzosen nehmen uns diese Geschichte immer noch übel. (Hier die Szene in einem Doku-Youtube-Video) Schuhmacher, die Verkörperung des brutalen, grobschlächtigen Deutschen, der den kleinen, technisch versierten Franzmann auf übelste Weise ummetzelt. Gut, daß die Pariser im Bataclan nicht an Schuhmacher denken mussten, was auch daran lag, das viele einfach zu jung waren, um sich an ein Spiel zu erinnern, daß mir im Jahre 1982 den Atem stocken ließ...

Aber Toni war ja eigentlich kein unfairer Spieler, sondern ein sehr engagierter und bis in die lockigen Haarspitzen motivierter Keeper, wie wir ihn mit Olli Kahn erneut erlebt haben. Und genau wie Toni damls war Eugene heute mit Leib und Seel bei der Sache! Er rockte neunzig Minuten wie Hölle, spielte Kick and Rush, um noch einmal mit einem Vergleich aus der Fußballersprache zu kommen.

Schon beim allerersten Lied, war die Stimmung so euphorisch und ausgelassen, daß Crowdsurfer über die Hände der Meute glitten und den bulligen Ordnern Schweißperlen auf die Stirne trieben. Eine schweißtreibende Sache für alle Beteiligten, denn die geschätzte bzw. gefühlte Temperatur in dem Saal dürfte bei 50 Grad Celsius gelegen haben. Schnell fiel deshalb bei Eugene die Oberbekleidung und schon nach ein paar sensationell gut aufgenommenen Songs fiel das Hemdchen und gab den Blick auf einen sehr dünnen, aber auch unglaublich durchtrainierten Oberkörper frei. Physisch erinnerte Spargeltarzan Eugene deshalb eher an Rockstars aus den 70 ern wie z.B. Mick Jagger oder Jimi Hendrix, die ebenfalls spindeldürr waren. Namen, die auch von Gogol Bordello als Einfluß genannt werden. Der Aufkleber auf der Akustikgitarre des Frontmannes verriet aber noch eine andere Referenzband: The Ramones! Musikalische Wurzeln aus den Glanzzeiten des Rock und des Punk, zu denen sich auch noch die ganzen slawischen Elemente gesellen. Die Fiedel, gespielt von einem grauhaarigen Typen mit urkomischer Mimik und Gestik war eine sehr wichtige Komponente, aber auch das Akkordeon gab dem Ganzen seine spezielle Note. Hinzu kanem dann noch Saxofon, ein polternder Bass und eine elektrische Gitarre und fertig war der Punk englisch-amerikanischer Prägung mit Zigeunersoße! Musikalisch wertlos wurde es dadurch aber freilich nicht! Zwar hatte man nach kurzer Zeit den Eindruck, daß es völlig egal war, welches Lied gerade gespielt wurde, da jeder einzelne Song eben granatenmäßig abräumte, aber man muß Gogol Bordello zumindest ein Händchen für eingängige Melodien und Refrains, die sich bestens zum lauten Mitgröhlen eignen, attestieren. Dogs Were Barking war zum Beipiel großartig, aber auch Sachen wie Mishto! oder der glänzende Abschluß mit Baro Foro zogen gewaltig. Die Band hätte dabei jedes Lied nach Belieben verlängern oder abkürzen können. Immer, wenn man dachte, ein Stück sei gerade beendet worden, setzte erneut die Fiedel ein und die Gruppe galoppierte los wie ein Rennpferd, dem man die Sporen gegeben hat. Szenisch erinnerte das dann manchmal an einen wilden Ritt mit einer imaginären Kutsche. Eugene Hütz schwebte irgendwie über den anderen Musikern drüber und trieb eine Art Viergespann neben sich her.

Viel zum Gelingen des Spektakels trugen auch die beiden wunderschönen Trommlerinnen bei. Aufgemacht wie Cheerleader (oder Kellnerinnen bei Hooters, ganz wie man will!) versprühten sie mit ihren knappen Hotpants und den überaus knackigen Hinterteilen jede Menge Sexappeal und hielten sowohl die Jungs in der Band als auch die Männer im Publikum bei Laune. Aber auch ohne diese Bunnies hätte jeder männliche Zuschauer seinen Spaß gehabt, denn sich den gesamten Winterfrust von der Seele zu schreien, tat auch einmal richtig gut!

Bei der ersten Zugabe Start Wearing Purple gröhlten wie zum Beweis meiner Worte alle lauthals den "Lalala-Refrain" mit. Im Grunde genommen hätten die in New York lebenden Gogols es damit beenden können, denn sie hatten auch so schon auf ganzer Linie abgeräumt. Weil sie aber noch genug Energie und Spielfreude hatten, setzten sie immer noch einen obendrauf. Am Ende trommelte Eugen wie ein Derwisch auf einen bemitleidenswerten roten Eimer drauf und irgendwann flog auch die Rotweinfalsche, die der Heißsporn zuvor immer in der Hand gehalten hatte in hohem Bogen durch die Luft. Der Gerstensaft spritzte in alle Richtungen und nun endlich war das Werk vollbracht!

Um an die Setlist zu gelangen, musste ich mich schließlich an zahlreichen schweißgebadeten Leibern vorbeischlängeln. Die meisten Leute sahen aus, als seien sie mit ihren ganzen Klamotten endlos lange Zeit in einer Sauna verblieben. Aber wie das nach einem Saunagang nun einmal so ist: Hinterher fühlt man sich großartig und innerlich gereinigt!

So war es auch heute! Danke Gogol Bordello!!!


Setlist Gogol Bordello, Le Bataclan, Paris:

01: Illumination
02: Ultimate
03: Not A Crime
04: Dogs Were Barking
05: Wonderlust King
06: Mishto!
07: Tribal Connection
08: 60 Revolutions
09: American Wedding
10: Sacred Darling
11: Baro Foro

12: Start Wearing Purple
13: Cynic
14: Mala Vida
15: Think Locally, Fuck Globally.


Links:

- Guckt Euch unbedingt die Fotos an! Da sind so viele irre Sachen auf der Bühne passiert. Selten hat die Knipserei soviel Spaß gemacht!

- Auch Christoph bloggte bereits über ein äußerst wildes Konzert von Gogol Bordello. Seinen Bericht aus Köln von Ende 2007 findet ihr hier





 

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