Donnerstag, 16. September 2021

Gudruns Konzerttipps: Hemmersdorf Pop Festival

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Konzerte und Festivals insbesondere muss man ja derzeit mit der Lupe suchen. Nach der Freude darüber, dass in Mannheim das 10. Maifeld Derby und in Dresden das 10. Sound of Bronkow stattfinden konnten, gibt es nun gute Neuigkeiten aus dem Dreiländereck um Hemmersdorf: Das Hemmersdorf Pop Festival findet vom 14.-16. Oktober statt!
 

Hemmersdorf liegt unmittelbar auf der Grenze zu Frankreich und unweit von Luxemburg auf dem platten Land im Saarland. Die Macher selbst sagen:

Unsere Ziele …
… sind Magische Momente zu schaffen und internationale Künstler auf höchstem Niveau in besonderem dörflichen Ambiente zu präsentieren.
Künstler, die man sonst nur in den Metropolen oder bei Festivals fernab der Region Saarland, erleben kann.
 

Das gelingt dieses Jahr gewiss, z.B. miteinem Ausflug zur Eröffnung nach Guerstling und den folgenden Künstler*innen:
 
Simon Goff
Thala
Douglas Dare
Trouble Boy
Chemikal Underground
Ajimal
Anna Leone
 
Aus unserem Archiv:
Douglas Dare, Eindhoven, 07.02.14
Douglas Dare, Wiesbaden, 22.05.13 



Mittwoch, 8. September 2021

Maifeld Derby 2021, Mannheim, 03.-05.09.2021

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Konzert: Maifeld Derby 2021
Ort: Mannheim Reitstadion
Datum: 03.-05.09.2021
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: täglich ca. 1.500


„Der nächste Song handelt von Spaghetti, denn Spaghetti sind ziemlich toll“...Mit dieser liebenswerten Einleitung zu ihrer neuen Single bringt die luxemburgische Künstlerin C`est Karma, das positives Lebensgefühl des Wochenendes auf den Punkt. 


„Toll“ sind nämlich auch Festivals und so langsam nimmt die Branche wieder Fahrt auf. Der Weg zur Jubiläumsausgabe des „Maifeld Derby“ (wenn auch unter Corona- Bedingungen) glich eher einem 3-fachen Ochser als einer flüssigen Dressur (um mal bei den beliebten Pferdevergleichen zu bleiben). Verschiebungen, Absagen, Crowdfunding und andere Hilfen führten aber am Ende doch zum Ziel. Das Festival konnte also, wenn auch mit extrem kurzer Vorlaufzeit, stattfinden. 

Not macht erfinderisch; großes Palastzelt raus, Stühle und neue Bühne am Reitplatz rein. Viel war von den notwendigen Corona-Maßnahmen durch das straffe Programm und die clevere Umsetzung zum Glück nicht mehr zu spüren. Lediglich außerhalb des Sitzplatzes war noch eine Maske notwendig. Ansonsten galten die üblichen 3G-Regeln und das Einloggen mit Luca und Sogar Camping war möglich. Musikalisch gab es viel zu erleben. 

Das Maifeld Derby steht seit Jahren für musikalische Breite. Stilgrenzen werden gedehnt, „Scheuklappen“ gibt es nicht. 

Auffällig waren in diesem Jahr Bands und Künstler: innen, die nah am deutschen Schlager musizieren. Edwin Rosen und Dagobert wagen den Spagat, bringen aber dafür auch schon am Nachmittag das jeweils zahlreiche Publikum zum Tanzen (natürlich nur am eigenen Platz). 


Der Sound von Sofia Portanet ist da variabler. Zwischen 80er Pop, französischem Chanson und rockigeren Tönen zeigt sie, ebenfalls am Freitag, einen starken Auftritt. Genau wie Alex Mayr auf der zweiten, kleineren Biergarten-Bühne. Ihre im Studio mit tollem Wall-of Sound eingespielten Songs führt sie hier in intimeren, etwas schrofferen Tönen auf. Lediglich mit Bass und Schlagzeug als Begleitung verlieren die Stücke aber fast nichts von ihrer traumhaften Leichtigkeit. Besonders „Geisterbahn“ gewinnt live nochmal an Intensität. 



Weitere Gewinner des Freitags sind Schubsen aus Nürnberg mit ihrem charismatischen Frontmann Robert Krupar und punkigen Klänge sowie natürlich Cari Cari aus Österreich. Die beiden überraschen die Zuschauer mit einem elektrischen Didgeridoo und staubigen Wüstensounds (a la Tarantino) und machen den Reitplatz bei praller Sonne zur Westernstadt. 


Lewsberg aus den Niederlanden dagegen haben ihren Sound etwas verändert. Geige statt Schlagzeug macht die Songs etwas ruhiger und der brachiale Sound der Hauptbühne, auf der Drangsal seine rote Latexmaske zur Schau stellt, macht es nicht leichter ihnen zu folgen. 



Am Samstag überzeugt die Hauptbühne dann mit vier starken Auftritten: Zunächst Anika , die betont unterkühlt, mit bewusst unverständlichen Ansagen, der Sonne trotzt. Am Bass brilliert Jil März von der Band Gurr . Danach Sophia Kennedy mit Songs ihres starken, neuen Albums „Monsters“ und einer fantastischen Ausstrahlung, gefolgt von den gefeierten Efterklang , die Hit an Hit reihen. Sänger Caspar Clausen bekommt das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht, soviel Lust hat die Band, wieder auf der Bühne zu stehen. Ein bewegender Auftritt, der beide Seiten strahlend zurücklässt. 



Headliner am Samstag ist dann noch Sophie Hunger , der man in diesem Jahr als Konzertgänger wohl nur schwer entkommen kann. Sie verwandelt ihre Songs von Tour zu Tour mit wechselnder Besetzung ihrer Musiker: innen immer wieder neu. Dieses Mal sind gleich 5 weitere Sänger: innen dabei und schaffen ein wohlige Atmosphäre zwischen Musical und Gospel. Echte Emotionalität soll hier in jeder Phase kreiert werden, mich packt es an diesem Abend leider nicht.



​Am Sonntag wird es dann noch heißer. Zur Mittagszeit bleiben viele Zuschauer auf den Rängen der überdachten Tribüne, was ein großes Loch zwischen Bühne und Rängen erzeugt. Die oben bereits erwähnte C’est Karma bleibt trotzdem cool, auch wenn ihr Laptop mit Sonnenstich aufgibt und sich alles gegen Sie zu verschwören scheint. Ihre Songs sind großartig und hoffentlich hat Sie in naher Zukunft mehr Glück, sich bei großen Festivals zu beweisen.


Erste Jubelrufe und wilde Tanzeinlagen folgen dann bei Dagobert , der hat netterweise seinen Freund Kai Shanghai dabei, dessen einsamer Hit „Ananas“ zum Running Gag des Tages wird. Im Biergarten schwitzen drei junge Bands aus Österreich hintereinander: Culk , Dives und Oehl


Danach senkt sich die Sonne über dem Reitplatz und das große Finale steht an. Besser hätte der Booking-Gott es nicht planen können. De Wolff aus den Niederlanden lassen endlich auch mal die Gitarren krachen. Ähnlich wie bei den Hives stehen hier nicht die Songs, sondern die Performance im Vordergrund. Und die ist, vom roten Cord-Anzug des Sängers bis zum Gitarrensolo, das hinter dem Rücken gespielt wird, perfekt. 


Und dann sind da noch The Notwist , die dem Ganzen die musikalische Absolution erteilen. In einem wilden Ritt durch die Bandgeschichte, erzeugen sie einen Sog aus Sounds, Licht und Melodien, denen sonst wirklich nur Radiohead oder LCD-Soundsystem so auf die Bühne bringen. 


Ein wirklich würdiger Abschluss eines tollen Wochenendes, das mit dem ruhigen und bezaubernden „Consequence“ ein Ende findet. Für das nächste Jahr wird laut Veranstalter schon fleißig am Line-Up gebastelt. Bald soll es bereits Infos zum Ticketverkauf für 2022 geben. Die Vorfreude steigt bereits. 

Alle Fotos: Michael Graef

















 


Samstag, 21. August 2021

Tocotronic, Trier, 20.08.21

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Konzert: Tocotronic - Let there be Tocotronic (The Hamburg years)
Ort: Arena Vorplatz, Trier
Datum: 20.08.2021
Dauer: ca. 105 min
Zuschauer: nicht ausverkauft




Liebes Tagebuch,

heute bin ich recht gut ausgeschlafen aufgestanden und nach Trier gefahren. Trier schien mir ein guter Ort für eines der Hamburg years Konzerte von Tocotronic zu sein, denn dort habe ich während des Studiums zum ersten mal Tocotronic-Lieder gehört und leise mitgesungen habe, wenn ich an den Jongleuren vor der Mensa vorbeigegangen bin. 

Das ist irrsinnig lange her, damals gab es noch keine Arena, Konzerte fanden im Exhaus statt. Oder in Köln. Das größte kulturelle Spektakel in Trier seit Abzug der Römer hatte ich damals dummerweise verpasst. Prince spielte 1992 im Moselstadion, die Tickets dafür waren mir viel zu teuer gewesen (55 DM). 


Als ich mein Ticket für Tocotronic (36,90 €) gekauft habe, war natürlich überhaupt nicht abzusehen, ob, wann und wie das Konzert stattfinden würde. Daran haben wir uns in den vergangenen Jahren gewöhnen müssen. Da ich zweimal geimpft bin und vor einigen Wochen meine ersten beiden Konzerte seit Corona-Beginn gesehen habe, erschien mir ein erstes großes Ding im Freien nicht verkehrt zu sein. Im Sommer letzten Jahres war das für mich vollkommen unattraktiv. Jetzt gibt es hohe Impfquoten und durchdachte Sicherheitskonzepte, warum also nicht! 

Ich war früh da, mein Konzerttiming funktioniert noch nicht wieder. Weil der örtliche Veranstalter (der damals bei Prince auch schon dabei war) auf Anfragen, was man als Gast zu beachten hat, nicht reagiert hat - jedenfalls nicht vor der letzten Zugabe* - wusste ich nicht, wie lange die Überprüfung von Impfstatus oder Tests und der Austausch der Steh- in Sitzplatztickets dauern würde. Die Organisation des Kartentauschs war perfekt. Für uns Stehplatzinhaber waren die ersten Sitzreihen reserviert. Später im Vorverkauf gab es wohl nur noch Sitzplätze mit festen Nummern. Ich war als dritte Gruppe da, also saß ich in der ersten Reihe leicht links vom Sänger. Die Corona-Checks waren zwar auch pragmatisch gelöst, waren aber auch aus meiner Sicht fragwürdig. Es gab nämlich keine. Keines der Gs wurde überprüft, auf Banden stand aber, daß man mit Symptomen nicht reindürfe. Nun denn. Grund für den laxen Umgang war wohl die niedrige Inzidenz in Trier. Daß sicher ein Großteil des Publikums nicht aus Trier oder Trier-Land kam, spielt dann eben keine Rolle. 




Um 19:15 Uhr ging es vorgruppenfrei los. "Wir spielen für euch Lieder aus den Jahren 1993 bis 2003 und zwar in chronologischer Reihenfolge." Also Stücke der ersten sechs Platten. "Chronologisch" war dabei als albenchronologisch zu verstehen, also in der Reihenfolge, in der sie auf den Platten sind, vom ersten Lied bis zu den Zugaben. Ich mag so etwas sehr! Nach Neues vom Trickser (letztes Lied, letzte Platte Hamburg years) kamen noch zwei Ausnahme-Zugaben, Hoffnung, die 2020er Single und Letztes Jahr im Sommer.

Natürlich war das Konzert brillant. Was könnte bei der Band und der Setlist schiefgehen? Der Klang war eine Spur breiig, aber hey, es findet wieder Livemusik statt! Auch an der Liedauswahl könnte man mäkeln, wenn man umbedingt mäkeln möchte. Die perfekte Liveshow der Hamburg years wären ohnehin drei Abende à zwei Alben gewesen (die Sparks haben das in London vor einigen Jahren gemacht und an 20+ Abenden jedes Album komplett gespielt, The Divine Comedy machen das irgendwann nach Corona auch - Tickets liegen hier). Aber als Auswahl taugten die 22 Lieder perfekt!

Dirk von Lowtzow schien gut gelaunt. Er hielt uns unterwegs immer wieder auf dem Laufenden, sagte wo wir uns gerade befanden ("wir sind jetzt im Jahr 1999" oder "wir kommen jetzt zum ersten Lied, das wir als Tocotronic geschrieben haben, glücklicherweise gleich eines der besten Stücke aller Zeiten! Die Idee ist gut, die Welt noch nicht bereit"), dirigierte viel, was ich anfangs als Aufforderung verstand, aufzustehen. Bei einem der letzten Konzerte hatte die Band aber wohl darauf hinweisen müssen, daß das Publikum sich wieder setzen müsse. 

Auch wenn Konzerte im Sitzen die Pest sind (Seuchenvergleiche aber auch), haben sie einen Vorteil: das Publikum ist aufmerksamer. Das dämliche Quatschen mit dem Nachbarn, das noch dämlichere Zusammenschlagen von Flaschen vor jedem Schluck waren nicht zu hören. Wie bei Fußballgeisterspielen hört man plötzlich Dinge, die sonst untergehen. Hier waren es ein paar schöne Reaktionen des Publikums. Dirks "wir spielen jetzt einen postmodernen Song" kommentierte jemand mit "die sind doch alle postmodern!" "Ja, scheiße!" Oder - mein Liebling - nach der Ansage "es folgt ein selten gespielter Protestsong" ein von Herzen kommendes "oh!"

Mehr kann ich mir ein Konzert im Sitzen aber nicht schönreden. In einem Club oder auf einer matschigen Wiese stehend hätte ich den Auftritt geliebt. So war es ein DVD-Abend auf einem unbequemen Stuhl. Das coronabedingte Konzept Großkonzert sitzend funktioniert bei mir nicht. Oder richtiger: ich funktioniere da nicht. Band, Songs, Wetter, Bandlaune, Publikum, Organisation (von der 3G-Sache und der Kommunikation abgesehen), alles perfekt! An mir ging das aber leider komplett vorbei. Wie Prince 1992. 

Setlist Tocotronic, The Hamburg years, Trier:

01: Freiburg 
02: Digital ist besser 
03: Drüben auf dem Hügel 
04: Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit 
05: Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein 
06: Du bist ganz schön bedient 
07: Michael Ende, du hast mein Leben zerstört 
08: Die Welt kann mich nicht mehr verstehen 
09: Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst 
10: Nach Bahrenfeld im Bus 
11: Sie wollen uns erzählen 
12: Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen 
13: Let there be rock 
14: Die neue Seltsamkeit 
15: Jackpot 
16: Die Grenzen des guten Geschmacks 2 
17: Jenseits des Kanals 
18: Das Geschenk 

19: This boy is Tocotronic (Z) 
20: Hi freaks (Z) 
21: Neues vom Trickser (Z) 

22: Hoffnung (Z) 

23: Letztes Jahr im Sommer (Z)

* Das Antwortmail kam um 21:15.








Dienstag, 17. August 2021

Haldern Pop Festival, Rees-Haldern, 12.-14.08.21

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Festival: Haldern Pop Festival
Ort: Rees-Haldern
Datum: 12.-14.08.2021
Zuschauer: diverse Orte mit ca. 100 Zuschauern (ausverkauft)


„Ein Festival erfindet sich neu…“ Ehrlich gesagt habe ich selber beim Einpacken der seit zwei Jahren Corona bedingt verstaubten Campingsachen nicht daran geglaubt. Ein Festival soll stattfinden: mit Zeltplatz, verschiedenen Bühnen und drei Tagen Programm. Schon oft stand das Haldern Pop Festival vor fast unlösbaren Aufgaben, aber der diesjährige Entwurf dürfte noch lange nachhallen. 


Problem: Es gibt kaum Tickets…viele alteingesessene Reisegruppen können daher nur zu wenigen Konzerten oder einzelnen Tagen versprengt anreisen. Am Ende liegt aber auch darin eine weise Entscheidung. Das Haldern Pop findet nämlich wirklich statt und die ganze Vorbereitung verpufft zumindest nicht in einer der vielen anderen, kurzfristigen Absagen. 

Natürlich waren daher in diesem Jahr keine „großen“ Headliner zu erwarten, und so verschob sich der Fokus noch einmal in eine andere Richtung. Die Idee, Menschen mit Fahrrädern und Wanderungen durch die Natur im Stundentakt zu kleinen Bühnen zu begleiten, war einfach wundervoll. Alles, was hier sonst schon immer intimer, exklusiver und ehrlicher wirkte, wurde noch einmal verdichtet. 

Durch die vom Veranstalter sonst auch schon oft geforderte Entschleunigung konnte man in diesem Jahr, wie unter der Lupe der Asterix-Landkarte, einem kleinen Dorf bei seiner Leidenschaft zusehen, Menschen, Kultur und Natur in einer perfekten Symbiose zu vereinen. 


Und so sah man immer wieder strahlende und fröhlich plaudernde Menschengruppen durch das Dorf ziehen. Was auf dem Papier noch wie eine Spinnerei anmutete ( zum Beispiel: eine 10 Stunden dauernde Wanderung mit vier Bands), erwies sich als zwischenmenschliches Highlight mit kulturellen Höhepunkten.

In den Nächten klangen die Abende in privaten Gärten aus. Es wurde spontan weiter musiziert, Freundschaften wurden geschlossen und noch viel mehr als sonst war das Dorf und seine Bewohner der heimliche Headliner.

Dazu gab es eine Bühne am Marktplatz vor der Pop-Bar und viele Einzelkonzerte in der Kirche, dem einzigen auch sonst genutzten Spielort.

Diese Ausgabe wird als ein Meilenstein für dieses Festival in Erinnerung bleiben. Weil sie gerade nicht an das „Höher, Schneller, Weiter“ anderer Veranstaltungen anschließt, bei denen im Tagestakt Bands durch Strandkorbkonzerte gepeitscht werden.

Vielleicht lässt sich Einiges vom diesjährigen Konzept auch in den folgenden Jahren umsetzen, wenn hoffentlich wieder größere Konzepte erlaubt sind…



Und jetzt zum Programm:

Ich hatte mich für den Marktplatz als Homebase entschieden. Hier traten jeden Tag vier Bands auf. Man saß an Biergarnituren und bekam sehr bequem und schnell seine Getränke über eine APP oder Handzeichen am Tisch serviert.


Der Donnerstag beginnt um 16:00 Uhr und schon sind fast alle, der wenigen, verfügbaren Plätze besetzt, als die Show der Franzosen Faux Real beginnt. Ein wilder Mix aus Performance-Art, Glam-Rock und Halbplayback. Zum Glück nehmen sich die beiden Brüder aber nicht allzu ernst und haben erstaunliche Pop-Perlen im Programm, die durchaus auch im Hitradio landen könnten. Die Showelemente sind dagegen nicht ganz jugendfrei, die Choreografie aber durchaus beeindruckend.

Nicht überzeugen können mich im Anschluss Johnny Mafia (ebenfalls aus Frankreich). Zu gewollt wirkt der Mix aus Green Day, Nirvana und Weezer und mir fehlt das gewisse Extra, das Bands beim Haldern Pop sonst auszeichnet.


Langsam wird es dunkel und es folgen zwei großartige Konzerte, die beide (so unterschiedlich sie sind) in einem kleinen Rahmen ein echter Genuss waren. Zunächst die japanischen Psy-Rocker von Kikagaku Moyo, eine Band die sowohl die ruhigen als auch die orkanartigen Böen beherrscht. Perfekt eingespielt und mit einem riesigen Back-Katalog am Merch als erfahrene Live-Band leicht erkennbar, füllen sie ihre lange Spielzeit mühelos bis zum Finale. Die Band beginnt gerade erst ihre Europa-Tour und ist sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden noch zu bewundern…


Danach räumen die finnischen The Holy den Platz professionell ab. Auch hier wähnt man sich vor der normalen Hauptbühne, so druckvoll und gut klingt die Band. Manches wirkt schon zu perfekt abgemischt, aber das Publikum ist jetzt in Partylaune und hier gibt es melodiöse Hits zum Tanzen (natürlich am Tisch). Ich denke, diese Band sehen wir in 2022 am Niederrhein wieder.


Am Freitag dann eine böse Überraschung… Einige Bands haben sehr kurzfristig abgesagt und so wird der eh schon riesige, organisatorische Aufwand mit den diversen Spielstätten nochmal durcheinandergewirbelt.

Auf dem Markt beginnen daher die Newcomer Oh Alien aus Österreich, die ihren ersten Festivalgig überhaupt spielen. Hier gingen die Meinungen sehr auseinander. Mir war das Ganze etwas zu verkopft und die nicht zu leugnende Mischung aus Alt-J und London Grammar zu bemüht. Meine Tischnachbarn sahen das anders, wahrscheinlich hatten sie recht.

International Music haben für meinen Geschmack die bisher beste deutschsprachige Platte des Jahres veröffentlicht. „Ententraum“ ist ein Gesamtkunstwerk, ohne anstrengend zu sein. Es bietet Momente der abstrusen Kunst und echte Hits wie „Zucker“ oder „Fürst von Metternich“. Auf der Bühne sind sie nur zu dritt und spielen das Ganze etwas straighter und rockiger. Sie sind zurecht für den popNRW Preis nominiert und Tocotronic-artige Parolen wie „Raus aus dem Zoo und rein ins Geschäft“ wurden vom Publikum schon jetzt laut skandiert.


In der Kirche erwartet mich dann vielleicht der Auftritt mit den höchsten Erwartungen: Dirty Projectors mit den Streichern und Waldhörnern von stargaze und ihrem Mastermind/Dirigenten Andre de Ridder. Immer wieder stellt er hier in Haldern außergewöhnliche Projekte auf die Beine. Schwerpunkt des Sets liegt auf dem 5 EP Projekt, einige Songs spielt Dave aber auch solo an der Gitarre. Ansonsten lauscht er selbst andächtig und bewegt den Interpretationen seines eigenen Werks. Ein inspirierendes Konzert, das einem wieder Lust auf den Backkatalog dieses oft unterschätzten Künstlers macht.





Danach geht es wieder zurück auf den Marktplatz, Klaus Fiehe (1Live) ist plötzlich auch vor Ort und lässt es sich natürlich nicht entgehen, seine Lieblinge von Trupa Trupa aus Polen selber anzukündigen. Leider startet die Band mit einigen sperrigen Songs und ist als letzter Act des Abends für einige nicht die perfekte Besetzung, aber in Haldern ist die Variation nun mal Programm. Am Ende wäre ein Tausch mit den davor in Party-Laune feiernden Catastrophe sicher logischer gewesen, aber vielleicht standen dem ja auch organisatorische Probleme im Weg.

Nachts auf dem Zeltplatz machen begeisterte Erzählungen die Runde, jeder hatte ein komplett anderes Festival erlebt…Einige Legenden wurden gestrickt, man hörte von Konzerten in Apfelhainen und Scheunen, auf Lichtungen und in Vorgärten. Es klang, als wäre das Dorf endgültig ein magischer Ort für Konzertbesucher geworden, einige erwägten bereits umzuziehen und befragten die gastgebenden Gartenbesitzer nach den derzeitigen Immobilienpreisen.

Auch der Samstag präsentierte sich mit perfektem Wetter, sicherlich auch ein Grund für die anhaltend gute Laune. Ich starte in der Kirche bei Antje Schomaker. Ohne große Erwartungen entwickelt sich ein sehr schönes Set. Antje spielt alleine, mal am Flügel, mal an der Gitarre. Obwohl ihr Ansatz oft sehr poppig und leicht daherkommt, schwingen in den Texten doch eher ernste Themen mit. Sie beherrscht das Spiel mit dem Publikum perfekt, ist in fast unbändiger Plauderlaune und wirkt sowohl stimmlich als auch mit ihrer extrem offenen Art sehr sympathisch.


Für „Black Country, New Road“, die leider ebenfalls absagten, konnte kurzfristig fast gleichwertiger Ersatz gefunden werden, zumindest musikalisch: Rats on Rafts aus den Niederlanden spielen ebenfalls eine Form von Art-Rock/Post Punk der oft Vergleiche zu den Talking Heads zuließ. Ein kraftvolles, gewollt mürrisches Set ohne Ansagen und Zugaben.


Erstaunlicherweise funktioniert Hip-Hop/Rap beim Haldern in den letzten Jahren immer besonders gut. Eigentlich unverständlich, wenn man auf die Hüsker Dü/Pavement T-Shirt Fraktion im Publikum schaut. Sie scheint die Ausnahme der Regel zu sein, diese extrem andere Art (auch mit den Zuschauern zu kommunizieren), die hier selbst Tanzmuffel von der Bierbank holt. Denise Chaila schafft dies mühelos. Ein DJ und zwei MC`s begleiten die Irin mit sambischen Wurzeln bei ihrem Auftritt. Für viele ist sie das Highlight des kompletten Wochenendes und hat mit Chaila und 061 zwei echte Hits im Gepäck, die noch Großes versprechen. Auch hier wäre ein Wiedersehen 2022 auf der Hauptbühne sicher eine Option.


Danach wird die Bühne auf jedem Quadratzentimeter mit einer endlosen Anzahl von Instrumenten bestückt. Andre de Ridder bittet nochmal zum Tanz, ein Liederabend aus drei Auftritten beschließt das Festival. Die größte Überraschung gleich zu Beginn: Wer sich schon gefragt hatte, warum Iceage auf der offiziellen Playlist des Festivals vertreten waren, bekam jetzt Klarheit: Sänger Elias Bender Ronnenfelt ist anwesend und hat mit dem Orchester ein Best-Of seiner eigentlichen Band einstudiert. Die Version des kräftigen Rockers „Vandetta“ vom aktuellen Album gerät zum Triumph, in Ridders Arrangement mit Pauke, Streichern und Saxophon.

Im Anschluss spielen noch All the Luck in the World ein paar Hits und der frische Hip-Hop von Stockdale präsentiert ein kurzes, aufregendes Set.

Drei nicht für möglich gehaltene Tage sind vorüber.


Wer so viel Liebe, Mut und Energie in seinen Traum von einem Festival investiert, musste belohnt werden. Sehr traurig, dass diesem Traum nur so Wenige folgen durften. „Spread the word...“ und bis zum nächsten Jahr im (gallischen) Lindendorf des guten Geschmacks.

alle Fotos: Denis Schinner



Donnerstag, 5. August 2021

Heimspiel Knyphausen, Eltville-Erbach, 29.07. - 01.08.21

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Festival: Heimspiel Knyphausen 2021
Ort: Draiser Hof, Eltville-Erbach
Datum: 29.07. - 01.08.2021
Zuschauer: 300 bis 500





Alles auf Anfang! Alles Neu!
- von Denis Schinner - 

Vier Tage. Zwei Bands je Tag. Maximal 500 Besucher. Alle sitzen. Wo soll dass alles noch ein Festivalfeeling entwickeln lassen? Und doch stellt sich (Vor)Freude ein. Bilder vom Aufbau der, zugegebenermaßen recht klein wirkenden, Bühne, das LineUp wird Spaß machen, freies und nicht vorzubestellendes Catering, ein kleines Rahmenprogramm und Wein, Wein, Wein…Irgendwie doch vieles wie früher. Ein kurzer Plausch mit Frederick, Benjamin, Stefan und Anna über die Vorbereitungen und ein paar Eckdaten. Es ist nicht ausverkauft. Für Donnerstag und Sonntag ist noch die Abendkasse geöffnet. Sicherlich ein Resultat der coronabedingten Umstellungen. Die Leute werden sich erst langsam wieder auf Menschenansammlungen einlassen können. Das Heimspiel dauert dieses Jahr vier Tage und Kinder zahlen erstmals den vollen Preis, aufgrund der Vorgaben des Gesundheitsamtes. Denn jede Person zählt. Das hat alles Konsequenzen. Aber die Branche muss starten und jedes wiedererwachende Festival versprüht Hoffnung, auch für diejenigen Macher und Organisatoren, die aus den unterschiedlichsten Gründen noch nicht wieder starten können oder dürfen. 

Tag 1 - Es startet noch entspannter als erwartet. Am Donnerstag waren nur ca. 300 Besucher über den VVK auf dem Gelände. Feste Platzierungen über markierte Tische und Bänke mit ausreichend Abstand sollen die Einhaltung der aktuell in Hessen geltenden Coronaregeln mit absichern. Dazu komplette Registrierung aller vor Ort. Nichts was störend wirkt. Nein, absolut nicht. Die Organisatoren vor Ort haben ganz Arbeit geleistet um ein möglichst unbeschwertes Festivalerleben möglich zu machen. Hut ab! 



Stefanie Shrnk
- dunkelschöner Sound mit Texten voller Schwermut…allein sein ist auch blöd aber zusammen fällt irgendwie auch noch schwer… Und wenn es dann doch noch möglich ist, sich auf der ohnehin kleinen Bühne sich nochmal zu verdichten, dann spricht das für, Ja wofür eigentlich? Der Sound und die Textur passten doch sehr zum Auftakt. Irgendwie tastend, irgendwie unsicher, irgendwie etwas wankelmütig. Steine im Schuh, schmerzende Knie, Wimpern im Auge - wann kommt der Flow zurück? Spucky Action und die Katze von Jesus… manchmal etwas verwirrende Texte, man muss dran bleiben im zu folgen. Geht sitzend fast gut. Zur Zugabe ergänzt endlich eine Gitarre den Sound und es wird leichter und heller. Die Überleitung zum Hauptact des 1. Tages, die Höchste Eisenbahn, mit denen Stefanie vor zwei Jahren zusammen noch auf Tour waren, gelingt nun doch unproblematisch. 



Die Höchste Eisenbahn - Die sommerlichen Festivalgefühle steigern sich beinahe ins fahrlässig Unermessliche, als das Kollektiv anspielt. Abstände verschwimmen kurzzeitig, die Masken fallen und pure Gesichtsnacktheit offenbart sich bei dieser absolut unterbewerten Band! Der ein oder andere spielerische Patzer wird selbstkritisch zwinkernd aufs Homeoffice geschoben. Aber die Kapelle feiert sich und den Abend und alle feiern mit! Erlösend! 

Tag 2 - der Tag startet tiefenentspannt auf der Campingwiese am Weingut. Noch keine 10 Mobile sind am Morgen vor Ort. Kein Gedränge an der Dusche. Alle gechillt! Also ein wenig den Rhein auf und ab. Irgendwo auf einen leichten Riesling einkehren und es sich gut gehen lasse. Auf dem Weg zur 16:00 Uhr Weinprobe dann noch ein bisschen Soundcheck von Gisbert & Kai lauschen und dabei feststellen, dass just auch Texte von Schubert eingespielt werden, die früher mal in der Schule zelebriert wurden. Dejavue quasi… 

Die kleine aber feine Weinprobe führt über vier Stationen mit vier Weinen durch die Geschichte des Gutes und des produzierten Weines. Zweimal an dem Wochenende führt die Weinprobe einen kleinen Kreis von Interessierten an Reben, Trauben, Kessel und Tank, Gährung und Reife heran. Diese netten kleinen Rahmenprogrammpubkte haben sich in all den Jahren des Heimspiels bewährt und wären unter normalen Umständen sicherlich üppiger ausgefallen. So aber - Lieben Dank an Stefan für die Führung und an Eila für die kunstvolle Öffnung der Flaschen! 

Die nun schon erprobte Platzzuordnung schafft weitere Entspanntheit. Des Deutschen liebste Beschäftigung im Urlaub, das Ausbreiten von Handtüchern auf Plätzen, Liegen oder Picknickdecken entfällt hier gänzlich. Alle 500 Besucher:innen (ausverkauft) schlendern entspannt durch die Reihen und suchen ihre gebuchten Tischnummern… 



Ole - Ich wünsche Dir alles Gute und viele Tage am Meer! Was braucht es mehr? Außer vielleicht ein Piano und einen Oli Schulz, der das Tape rauskramt und Gisbert nahe ans Ohr legt. Ein wunderbares leises, lautes, vor allem tiefes Konzert zum Mitlauschen und um dem Rauschen des Meeres hinterherzuhören. Danke! 



Gisbert zu Knyphausen & Kai Schuhmacher - das Schubert Programm, entstanden nach einer Anfrage vo Kai vor rund zwei Jahren, passte sicherlich in die Zeit. Himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt. So lässt sich sicherlich die Romantik treffend zusammenfassen. Opulent im Wort und mit dem Arrangement auch opulent im Spiel. Das gesamte Programm, mit Flügel, Streichern, Posaune, E-Gitarre und Drums begleitet, zeichnet das ständige Auf- und Ab zu Schuberts Lebzeiten und transportiert in die Neuzeit. Unterbrochen wird das Set durch etliche bekannte Stücke von Gisbert, zu denen das Publikum Platz immer wieder verlässt und tanzen möchte. Und so reagiert auch das Publikum entsprechend. Mal jauchzend - mal (zu Tode) betrübt. Mal sitzend - mal tanzend! Und man fragt sich, ob der Abend nicht doch noch mehr Leichtigkeit gebraucht hätte. 

Tag 3 - Seepferdchenprüfung. Auf ins Freibad! Bis zum Abend mit erneut 500 Besucher:innen ist viel Zeit und somit erreicht das Entspannungslevel ungekannte Tiefen. Überhaupt entwickelt sich dieses Festival zum entspanntestes Festival ever! 



Ätna - nach deren krankheitsbedingter Absage, wir waren wirklich untröstlich 😢, schickte sich mit Finn Ronsdorf einer an, die Festivalherzen zu erobern, den bislang nur Kenner oder Besucher des letzten ENES kennen mochten. Stimmlich herausragend, eröffnete er dem Publikum 45 Minuten zwischen Staunen, Schmunzeln und absoluter Gebanntheit. Sicherlich viel mehr als nur ein Ersatz!
 


Sophie Hunger - wie gewohnt mehrsprachig zieht die Schweizerin Ihr Publikum vom ersten Akkord an in Ihren Bann. Das neue Album Halluzinationen spielt sie in der Aufnahmebesetzung mit ihr an der Gitarre, Julian Satorius an den Drums, dazu Piano, Horn und fünf Sänger:innen um Marc Beriybill (Cliffs) im Back - der Zauberchor, am Stück und leitet zum Schluss mit dem Codewort „HOPE“ über in die Realität der Neuzeit. Sie schlägt sofort eine Brücke zu jedem, zu jeder Einzelnen im Publikum und genießt dabei die Präsenz. Nichts wird dem Zufall überlassen, neben dem obligatorischen Gitarrenwechsel, werden selbst die Becken an den Drums getauscht um andere Klangfarben erzeugen zu können, sprachlicher Wechsel, mal zart, mal wild und abrupt. Die Backupsingers mal ausgestellt, mal im Vordergrund wenn sich Sophie ans Piano setzt und die Sicht freigibt. 



Der Abend klingt aus mit einer wunderschönen Playlist, tönend aus einer vermeintlich herren-, oder damenlosen Tasche auf einer Weinzeltgarnitur. Es wird (mit Abstand) getanzt und da ist es wieder, das Gefühl der Leichtigkeit und des zu Hause seins. Danke den/derunbekannten Playlistersteller:in! 

Tag 4 - Nun doch etwas geschafft von den vorangegangenen Tagen, glücklicherweise ohne Ausfälle, was durchaus mit der Qualität der probierten Weine zu tun haben dürfte, geht es auf die Zielgeraden. Shopping in der Vinothek, noch ein Café in der Strandbar und ein wenig Soundchecklauscherei bei den wunderbaren Black Sea Dahu. WoMo abfahrbereit richten und auf zum legendären Tisch 32 mit neu gewonnen Musikfreunden aus Magdeburg und Darmstadt. Die feste Zuordnung der Tische und Plätze hätte auch ins Auge gehen können. Danke an Stefanie & Matthias, Petruna & Hanno, Helena oder Michael für die sehr kurzweilige Zeit und den gemeinsamen Spaß! 



Lúisa - feinster Indiepop aus Hamburg. Bereits das zweite Mal nach 2017 beim Heimspiel, damals noch solo, heute von Matze am Bass und Lasse an den Drums unterstützt. Lieder vom Kommen, Bleiben und Gehen. Mal als Chanson getarnt, mal kraftvoll tanzbar. Schöööön! 


Black Sea Dahu - Mein ganz persönliches Finale. Die Züricher Band um die drei Geschwister liefern seit Jahren wirklich, wirklich grandiose Konzerte ab. Dabei nehmen sie die Zuhören mit in ungeahnte Tiefen und tauchen mit ihnen ganz ein in das komplette Gefühlsspektrum. Das Ganze wird sorgfältig und dicht arrangiert mit einem hörbaren Verständnis für das Ganze. Die Zugaben beziehen alle mit ein. Die Bühne wird ins Dunkel gelegt, eine Passage mit dem Publikum wird eingeübt und die Band und die Musik verschmelzen mit dem gesamten Festival. Eine weitere Zugabe wird ohne Probe gespielt. Dass dies möglich wird, zeigt die ganze Qualität von Black Sea Dahu. Denn der Song erscheint erst in rund zwei Monaten ;) 




Was bleibt am Ende? Mich beschleicht das Gefühl einiges gerne in die „neue“ Festivalzeit mit hinübernehmen zu wollen. Weniger Besucher, mehr Platz, Genuss und Qualität, überhaupt mehr Qualität bei begrenzter Quantität! Und ich bemerke bei mir eine Veränderung dahingehend, dass ich Konzertbesuche wohl zukünftig eher nach Orten wähle und nicht mehr nur ausschließlich nach den Bands. So könnten sich die Orte mit den besten Konzepten durchsetzen. Konzepte die Sicherheit und Unbeschwertheit fördern und nicht noch den letzten Euro herausholen müssen. Eben Orte wie das Weingut Baron Knyphausen! Mein Dank gilt Frederick, Benjamin, Stefan, Anna und all den nicht genannten Macher:innen dieses famosen kleinen, feinen Festivals! See you I’m nächsten Jahr! Es war wunderbar! Fühlt Euch gedrückt! Die ganze Galerie in Kürze auf www.desc-photography.com




Dienstag, 22. Juni 2021

Masha Qrella, Offenbach, 18.06.21

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Konzert: Masha Qrella
Ort: Hafen 2, Offenbach
Datum: 18.06.2021
Dauer: Masha Qrella 80 min, Scotch & Water knapp 55 min
Zuschauer: ca. 120


Vor 468 Tagen habe ich zuletzt jemandem die Hand geschüttelt. Mein letztes Konzert war bis Freitag noch etwas länger her: 478 Tage. Als ich Ende Februar 2020 bei Ash im Gebäude 9 in Köln war, sprachen wir noch sehr abstrakt über den Corona-Ausbruch in China. Damals waren Gürteltiere als mögliche Überträger das Gesprächsthema. Die Epidemie kam erst in den Tagen nach meinem Ash-Konzert richtig in unserem Bewußtsein an. Am nächsten Tag wurde der Hotspot Heinsberg bekannt, zwei Wochen später erklärte die WHO den Pandemiefall. Bei mir begann das, was die meisten von uns vermutlich seit März 2020 erlebt haben: der Ausnahmezustand im Kopf. Wie schützt man sich und sein Umfeld vor dieser Krankheit, was passiert mit dem Job, wie schlimm wird die Wirtschaftskrise, die zwangsläufig kommen würde? 

Konzerte ließ dieser Kopf keine zu. Ein Konzert macht mir nur dann Spaß - Achtung, Plattitüde! - wenn ich mich fallen lassen kann, mich auf die Musik einlassen kann und währenddessen nicht dumm rumgrübele.* Ash blieb daher mein sechstes und letztes Konzert 2020. Jedenfalls mein letztes ohne Computer zwischen mir und der Musik. Vermisst habe ich Konzerte in den vergangenen anderthalb Jahren nicht. Erstaunlich, daß ich einmal sowas schreibe. Mein Vorsatz war aber immer, fünf Konzerte in der ersten Woche zu sehen, "wenn es wieder geht."

"Wenn es wieder geht" ist komplizierter als gedacht. Indoor-Konzerte, Touren von Bands aus Übersee (und - verstärkt durch den Brexit-Irrsinn - aus Großbritannien) sind noch nicht vorstellbar, meine Lust auf Strandkorb-Konzerte auch nicht. Aber als die Frage eines Freunds kam, ob ich mit zu Masha Qrella zum Hafen 2 nach Offenbach kommen wolle, wolte ich unbedingt, es fühlte sich ok an.

Wir kamen gerade pünktlich zum geplanten Beginn der Vorgruppe an. Corona-Tests, die Luca-App oder Impfnachweise waren nicht verlangt. Da im Anschluß an das Konzert ein (ausverkaufter) Film gezeigt werden sollte und die Kino-Leute zum großen Teil schon da waren, wunderte ich mich darüber sehr. 

Wir Konzert-Menschen verteilten uns unten vor der Sommerbühne und oben am Hang. Es waren bei Masha Qrella sicher 120 Leute da (meine Fähigkeit, Mengen zu schätzen, habe ich allerdings leider während Corona nicht verbessert). 


Um kurz nach halb acht begann die Hamburger Band Scotch & Water ein Support-Set. Irgendwo hatte ich vorher etwas von Folk gelesen und meine Scheuklappen vorsorglich hochgefahren. Je schneller die Lieder (und die Gitarren) aber waren, umso dreampopiger war das Programm. Selbst die Mandoline (?) versaute es mir nicht. Und wenn ich einer Vorgruppe 55 Minuten lang interessiert zuhöre, liegt das nicht an meiner in den letzten Monaten gestiegenen Toleranz, die ist unverändert, fürchte ich. Die Band war also wohl unterhaltsam. Am Nachmittag hatte ich kurz Still Corners gehört (die ich auch schon im Hafen 2 gesehen hatte). Ich weiß nicht, ob mir die Assoziation auch ohne gekommen wäre, aber ab und zu erinnerten mich Scotch & Water (oder "Whiskey & Water", wie Masha sie nannte), ganz besonders ihre schnell gespielten Gitarren an die Dreampop-Band.

Als es dann fast 30 Minuten später als angekündigt mit der Hauptgruppe losging, wurden wir nervös. Nicht wegen der fehlenden Pünktlichkeit. Für 21:45 Uhr war aber vor der Bühne das Kino angekündigt, blieben also 45 Minuten incl. Leinwandumbaus für Masha. "Wann geht die Sonne heute unter? So lange spielt sie auf jeden Fall!" - "Ja, schon... aber 21:43 Uhr..."

Die Berlinerin hat bereits im Februar eines meiner liebsten Alben des Jahres veröffentlicht. Auf Woanders vertont Masha Texte des Berliner Schriftstellers und Lyrikers Thomas Brasch. Dessen Werk hatte Masha - wenn ich es richtig in Erinnerung habe - durch ein Buch von Braschs Schwester Marion über ihre Künstlerfamilie kennengelernt. Der Vater den beiden war in der DDR stellvertretender Kulturminister. Thomas Brasch stellte nach der Aussiedelung Wolf Biermanns einen Antrag auf Ausreise aus der DDR und zog nach Westberlin.


Die lyrischen Texte, die wundervollen Melodien und Mashas Stimme machen jedes der Lieder zu einem Kunstwerk. "Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber wo ich bin will ich nicht bleiben, aber die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber wo ich sterbe, da will ich nicht hin: Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin." Bei einigen der Stücke hat Masha Gastsänger. Mein Liebling ist dabei Meer mit Dirk von Lowtzow, besonders bemerkenswert ist auch Maschinen mit Andreas Spechtl von der Gruppe Ja, Panik. Bei einem einmaligen Konzert 2019 in Berlin waren die Gastsänger gemeinsam mit Masha auf der Bühne. Daß das in Offenbach nicht so wäre, wussten wir. Wie Masha Qrella mit ihren beiden Begleitern Robert Kretschmar (Schlagzeug) und Andreas   Bonkowski** (Percussion und Synthesizer) die Duette vortragen würden, nicht. Sie löste es pragmatisch. Mal sangen die Männer, mal (27. September - eigentlich kein Duett) kam eine leise zweite Stimme vom Band. Meer fehlte leider im Set.

Die drei fingen mit dem wunderschönen Ticket to my heart von Mashas letzten Album vor Woanders (Keys) an. "Aber eigentlich wollen wir euch neue Lieder vorstellen!" Ich glaube, Masha wollte da noch mehr erklären, wurde aber vom Auftrittsort abgelenkt. "Die Fahrgeräte stehlen einem die Show!" Die Fahrgeräte waren allerlei Bötchen, die im Offenbacher Hafen rumschipperten. Mein Liebling war der große Pott, auf dem elegant gekleidete Menschen Geburtstag oder Hochzeit feierten. Es hätte viel zu sehen gegeben, wir wollten aber ja vor allem hören und kamen da noch deutlich mehr auf unsere Kosten. 

Zwischen den Stücken von Woanders streute Masha immer wieder Stücke (vor allem) von Keys ein. Weil ich Woanders so oft gehört habe, sind die deutschsprachigen Lieder schon wie alte Bekannte. Es wechselte also bloß ab und zu die Sprache in einem sehr homogenen, vor allem homogen guten Set. Meine Lieblinge live waren etwa Pale days, Maschinen (mit wahnsinnig gutem Dancebeat) oder Geister

Neben den Fahr- gab es auch Fluggeräte zu sehen. "Mich hat gerade eine Hornisse angegriffen!" sagte Andreas irgendwann. "Unsinn! Das sind Junikäfer!" (Robert). Das sind die, die dich preisen wollen, weil sie glauben, du seist klüger als sie, denn sie sind, glauben sie, Staub und du bist der Wind. 

* außer über Sachen wie Konzertfrisuren
** ?

Setlist Masha Qrella, Hafen 2, Offenbach:

01: Ticket to my heart
02: Bleiben
03: Blaudunkel
04: Geister
05: Maschinen
06: 27. September
07: Girl
08: Keys
09: Wind
10: Haut
11: Hure
12: Woanders
13: Pale days

14: Sicily (Z)
15: Don't stop the dance (Z)



 

Konzerttagebuch © 2010

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