Konzert: Nils Frahm
Ort: Le Café de la Danse, Paris
Datum: 17.02.2012
Zuschauer: gut besuchte Veranstaltung, etwa 350
Konzertdauer: Nils Frahm: 90 Minuten
Meine neue Hausärztin meint, ich sei viel zu fett. Um ihre These zu belegen, hat sie mich in ihrer verfluchten Praxis auf eine neumodische Wage genötigt und jubilierend festgestellt, daß Zahlen nicht lügen können. Ich hätte dem ehrgeizigen Klappergestell von Ärztin gerne gesagt, daß wir Deutsche halt fast alle gut beieinander sind, war aber zu demoralisiert und zu überrascht, um mich angemessen zu verteidigen. Blöde Pissnelke! Ich war so eingeschüchtert, daß ich den ganzen Tag über kaum etwas aß und mit höchstens halbvollem Magen um 20 Uhr 20 im Café de la Danse erschien.
Zu meiner Enttäuschung erfuhr ich, daß die Belgier Sleeping Dog schon fertig hatten, weil sie bereits um 19 uhr 45 aufs Publikum gehetzt worden waren. Dabei hätte ich die so gerne gesehen! Den Amerikaner L.D. Brown aka Grey Reverend wiederum hätte ich mir gerne erspart. Der sehr sympatische und witzige Bursche (ein unbekannter Bruder von Tennis-As Gael Monfils?) langweilte mit seinem trockenen Singer/Songwriter-Folk ungemein und spielte überdies noch endlos lange. Mein Magen hatte sich inzwischen gänzlich geleert und eigentlich hatte ich jetzt eher Lust, einen großen Teller Nudeln zu verputzen, als Pianoklängen zu lauschen, wie schön sie auch sein mochten.
Aber da musste ich jetzt durch. Nils Frahm unterdessen nutzte die Umbaupause, um im Dunklen im hinteren Teil der Bühne auf dem Boden liegend zu dösen. Das Leben auf Tour ist anstrengend und wie er später erklärte, war er zudem durch einen großen Konsum von Schmerzmitteln benebelt. Er war am Vortag beim Zahnarzt (man sollte halt nie zum Arzt gehen, vor allem nicht in Frankreich!) gewesen und davon noch ganz durch den Wind. Dann wunderte er sich über den starken Zuschaueranstrom ("normally I play in Paris in front of 30-40 people"), mutmaßte, daß dies an der Session mit der Blogothèque gelegen haben möge und widmete konsequenterweise der Videomaffia (ein Scherz, ich mag die verfluchten Blogothekler) den ersten Song.
Von nun an war schwelgen, schwärmen, träumen, langweilen von und mit Nils Frahm angesagt. Fast 90 Minuten lang beschoss uns der knapp 30 jährige Deutsche mit seinen gefühlvollen Pianoballaden, kämpfte, schwitzte, wütete hinter seinem Flügel, bevor er aufstand und sich an dem seitlich aufgebauten Fender Rhoses und einem schwarzen Kasten mit Knöpfchen zu schaffen machte. Von dort an wurde es wesentlich experimenteller, nachdem der erste Teil klassische Klaviermusik war, wie man sie fast in der Berliner Philharmonie hören könnte. Kein Mensch im Publikum muckte und wenn nach einer gefühlten Ewigkeit mal ein Lied endgültig verklungen war, brandete wilder Beifall auf. Vielleicht wollten sich die Leute durch ihr Geklatsche wachhalten, möglicherweise waren sie aber wirklich so begeistert. Damals in meiner Studentenzeit in Berlin war das bei Konzerten von Claudio Abbado ähnlich. Immer wieder sah ich Leute tief schlafen, mitunter laut schnarchend (ohne Scheiß!), bevor sie plötzlich aus heiterem Himmel aufwachten und klaschten wie die Gestörten.
Ich persönlich war heute von der atemberaubenden Schönheit des Vortrages von Nils benebelt, führte meine Benebeltheit aber auch auf meinen saumäßigen Hunger zurück. Was hätte ich jetzt dafür gegeben, in ein kleines nettes Restaurant zu gehen und genüßlich zu speisen! Außerdem tat mir mein Arsch vom Sitzen auf der verfluchten Treppenstufe weh und meine Füße waren zudem eingeschlafen. Ich musste aufstehen, mich lockern, ein paar Gymnastikübungen machen. Wie lange dauert es noch? Erinnerungen an Autofahrten als Kleinkind mit den Eltern wurden wach." Mama, wie lange dauert es noch? Mama, sind wir denn gleich da?"
Aber ich hielt durch, obwohl ich mir nichts sehnlicher gewünscht hätte, als auf meinem Bett zu Hause zu liegen und eine CD von Nils Frahm zu hören, welche auch immer, sie sind alle wundervoll. Am Ende kam noch Martin Dingenskirchen* als zweiter Pianist hinzu und nun klimperten die beiden Deutschen Rücken an Rücken, Seite an Seite. Heftiger Beifall war der Lohn ihrer Mühen. Dann war Schluß. Vorerst. Frahm wurde nämlich noch zu einer Zugabe zurückgeklatscht und diese fiel mit Ambre wirklich entzückend aus. Welch unverschämt betörende kleine Pianomelodie, wirklich traumhaft!
Die CDs verkauften sich am Merch schließlich wie die warmen Semmeln. Nils unterhielt sich mit jedem Fan nett, signierte, malte kleine Kätzchen auf CDs und erklärte auf meine Nachfrage hin, daß er keine Setlist gehabt habe. Vieles sei improvisiert gewesen, allerdings gab es jeweils ein Lied von The Bells (Said And Done), eines von Wintermusik (eben Ambre), 2 oder 3 von Felt (darunter Snippet, More und Unter).
Ein großes Talent (ein Genie?, das vermag ich nicht zu beurteilen!) der Nils und angenehm bescheiden und zugänglich geblieben. Beim nächsten Mal komme ich aber mit vollem Bauch zu seinem Konzert. Auf mein Gewicht, das ich dann auf die verfluchte Waage bringe, sei hiermit geschissen!
Aus unserem Archiv:
Nils Frahm, Haldern, 14.08.10
Nils Frahm, Frankfurt, 06.08.10
* Martin Heyne
5 Kommentare :
manchmal versuche ich es ja auch, den leser zu einem kommentar zu provozieren.
hier und heute ist es dir auf jeden fall gelungen! ich habe sehr über deine ärztin lachen müssen! das kachektische gestell vor dir aufgebaut und wie sie dir ganz kraftlos ihre meinung ins gesicht haucht! du hättest nur zurück pusten müssen, dann wäre sie davon geflogen und du hättest deine ruhe!
nils frahm steht im märz endlich in meinem plan! ich freu mich riesig drauf!
selten so gelacht,gut das wir keine ärzte in unserem stammbaum haben,lb g ma
na gut, ich hätte auch als dein onkel petern unterschreiben können.
Wie meinst du das Eike? Der zweite Kommentar stammt tatsächlich von meiner Mutter!
Und auf Nils Frahm kannst du dich in der Tat sehr freuen!
ich weiß, oliver. im sinne reiner verbrüderung, natürlich!
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