Konzert: David Byrne & St. Vincent
Ort: Larmer Tree Gardens (End Of The Road Festival), England
Datum: 30.08.2013
Dauer: gut 80 min
Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte dieses Konzert auch in einem Musical-Theater oder auf einem Kreuzfahrtschiff stattfinden können. St. Vincent, die (früher sehr verhutschelte) amerikanische Sängerin im Coctail-Kleidchen, David Byrne, die Musiklegende im weißen Dinnerjacket mit schwarzem Hemd und weißen Hosenträger und dazu die NDR Bigband mit zig Bläsern, die gemeinsam mit den beiden Sängern raffinierte Choreographien, die man sonst nur von amerikanischen Marching Bands in College-Football-Stadien kennt, aufführten. Klingt weder nach einem Headliner eines exzellent besetzten Indiefestivals noch nach einem guten Konzert.
Aber das war es. Wobei "gutes Konzert" der Show überhaupt nicht gerecht wird.
Ich hatte erst sehr spät gemerkt, wie sehr ich mich eigentlich auf diesen Auftritt freue. Zu viele andere Knüller - die meisten aktuellen Lieblingsbands - sind im Lineup des End Of The Road Festivals (heute Warpaint und Daughter, gestern Allo Darlin' und Savages, morgen Jens Lekman und Belle & Sebastian und zig andere). Daß diese außergewöhnliche Kooperation zwischen dem Talking Heads Sänger und der jungen Amerikanerin auch grandios zu werden versprach, kam mir erst vor ein paar Tagen in den Sinn. Daher keine Chance, das zu verpassen!
Als ich zur Woods Stage, der großen Bühne des Festivals kam, zwitscherten von Band Vogelgeräusche. Eine erste Talking Heads Verbeugung. Auf der Bühne lagen allerlei Instrumente. Posaunen, Trompeten, ein Saxophon, Gitarren und in der Mitte ein Sousaphon!
Punkt halb zehn kamen von überall Musiker, alle sehr chic gekleidet und stellten sich hinter die beiden Sänger. Elf meine ich gezählt zu haben. Bis auf einen Keyboarder und den Schlagzeuger alles Blasmusiker. "Brass attack", beschrieb Annie Clark das irgendwann.
Alle Lieder waren voll durchchoreographiert. Alle Bewegungen schienen geplant und oft geprobt. So etwas kann man schrecklich finden, mir geht das meist so. Aber selbst wenn man die offensichtliche Ironie dahinter ausblendet, hätte dies dem Konzert gestanden! Im Gegensatz zu seiner Kollegin trug David Byrne ein Headset-Mikro (so ein Dings, das Fernsehmoderatoren vor dem Mund haben). Er konnte als wandern, über die Bühne tänzeln, sich zu unser aller Freude oft zum Affen machen - und er schien das zu genießen! Bei einigen Liedern bewegten sich die Musiker in festen Figuren über die Bühne. Es erinnerte oft an die schrecklichen Folkloretänze bei olympischen Eröffnungsfeiern. Nur eben in gut.
Die Zugabe The party (ein St. Vincent Stück) mündete zum Beispiel darin, daß die (ihre Instrumente spielenden) Musiker sich walzertanzend drehten.
Das Programm ähnelte dem von vielen der letzten Auftritte. Eine solch komplett koordinierte Show erfordert das. Weil ihre gemeinsamen Konzerte in Theatern offenbar viel länger sind, gab es eine abgespeckte Festival-Version, die immer noch 80 min lang war. Die Stücke waren also die bekannte Mischung aus Solo-Liedern der beiden, gemeinsamen Titeln und Talking Heads-Songs.
Wenn das ein oder andere Lied ein wenig schwächer war, machte es all das, was auf der Bühne passierte wieder spannend. Allerdings haben gemeinsame neuere Songs es ja auch nicht leicht gegen Konkurrenten wie Wild wild life auf der gleichen Setlist. Es waren aber auch nur wenige unspannendere Stücke, die mir vielleicht auch einfach zu unvertraut sind.
Vertraut waren mir die fünf Talking Heads Songs. Ich bin zwar nicht mit dieser Band groß geworden, habe sie erst ab Naked, ihrer letzten Platte "live" miterlebt, trotzdem haben viele ihrer Lieder meine Jugend musikalisch geprägt. Viele, viele Jahre später erst Tina Weymouth und Chris Frantz als Tom Tom Club (u.a. mit Psycho Killers) zu sehen und jetzt David Byrne, ist ein schöner Zufall und war musikalisch beide Male brillant. Bei This must be the place führte David einen herrlich verrückten Ausdruckstanz auf. Wild wild life steigerte die kollektive Talking Heads Begeisterung, die in Burning down the house richtig ausbrach. Bei Road to nowhere, der zweiten Zugabe nach der Walzer-Tanz-Party, brachen alle Dämme. Jeder, wirklich jeder brüllte vom ersten Ton an mit. Atemberaubend! Jetzt kann noch kommen, was wolle. Den einen weltbewegenden Moment hatte das Festival schon. Und das Jahr!
Mein Vorfreude-Alarm hatte recht. Das Konzert war fabelhaft! Und natürlich war das vollkommen zurecht einer der drei Headliner! Sigur Rós werden sich heute sehr strecken müssen, um auch nur annähernd an die Blasmusik-Polonaisen von Annie und David ranzukommen!
Bei aller Brillanz stachen zwei Sachen noch heraus. Als die Band zur Zugabe erschien, kamen sie nicht alle gleichzeitig. Einer der Musiker nach dem anderen kam zurück auf die Bühne und spielte den immer gleichen Ton, der durch die wachsende Zahl der Blasinstrumente immer fetter wurde aber auch monoton (haha) blieb. Das war das Intro zu The party - und es war wundervoll!
Nach Road to nowhere, das weitestgehend als Polonaise aufgeführt wurde, ging die Band auch so von der Bühne und spielte instrumental weiter. Man hörte also die immer leiser werdende Musik aus dem Hintergrund. Ich bin sicher, sie haben bis in den Bus weitergespielt.
Zwischendurch hatte es fies und kalt geregnet und mich ein dämlicher Kleinkünstler, der doofe farbverändernde Kugeln an Schnüren durch die Luft drehte, was ich im Augenwinkel sah, genervt. Aber das prallte alles an dem großen Spektakel vorne ab!
Setlist David Byrne & St. Vincent, End Of The Road Festival:
01: Who
02: Weekend in the dust
03: Strange overtones (David Byrne & Brian Eno)
04: Marrow (St. Vincent)
05: This must be the place (Talking Heads)
06: The forest awakes
07: Like humans do (David Byrne)
08: Lightning
09: Wild wild life (Talking Heads)
10: Cheerleader (St. Vincent)
11: Lazy (David Byrne)
12: I should watch TV
13: Northern lights (St. Vincent)
14: The one who broke your heart
15: Cruel (St. Vincent)
16: Burning down the house (Talking Heads)
17: The party (St. Vincent) (Z)
18: Road to nowhere (Talking Heads) (Z)
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