Dienstag, 2. Oktober 2007

Anna Ternheim, Paris, 01.10.07


Konzert: Anna Ternheim
Ort: Maison de Radio France , Paris (Black Session 270 France Inter)
Datum: 01.10.2007
Zuschauer: vollbesetzte Ränge


Wer der Lobeshymen auf Anna Ternheim auf diesem Blog überdrüssig ist, möge jetzt seine Lektüre beenden, man sollte schließlich niemandem seinen eigenen Geschmack aufdrängen.

Diejenigen aber, die wie wir von Anna auch nach dem dritten Konzert innerhalb kurzer Zeit noch immer nicht gelangweilt sind, sind herzlich eingeladen weiterzulesen. Zumal Fräulein Ternheim immer für Überraschungen gut ist, aber dazu etwas später...

Ein Konzert in einer Radioanstalt, auch für mich alten Konzerthasen ein Novum und daß ich die Spielregeln bei France Inter noch nicht kannte, sollte sich dann auch prompt rächen. Als ich zusammen mit meiner Frau und ein paar anderen Schechtinformierten nämlich in das riesige Gebäude vom Maison de Radio France eintrat, wurden wir vom Sicherheitspersonal darauf aufmerksam gemacht, daß wir viel zu früh seien, die Sendung werde erst um 22 Uhr aufgezeichnet und frühestens um 21 Uhr sei Einlaß, auch wenn im Internet 19 Uhr 30 als Beginn vermerkt gewesen sei. Tja, was macht man dann um halb acht im 16.Arrondissement von Paris, einem Viertel, das wirklich nicht dafür bekannt ist, besonders zu rocken? Nun, man schlägt die Zeit in einem Café tot und dies taten wir auch dann. Um 9 Uhr waren wir dann zurück und warteten zusammen mit einem Publikum, das man in die Schublade "Normalo", oder Öko" einordnen könnte (habe in Paris selten so viele sogenannte Entchenschuhe gesehen, eigentlich ein Relikt aus den 80ern und dann auch noch die tätowierte Friedenstaube auf dem Handrücken eines Mädchens...) auf Einlaß in den eigentlichen Konzertsaal "Studio 106". Durch zum Teil enge Flure, auf denen ein Schild "Damentoilette" verkündete, ging es dann kurz vor zehn endlich rein ins Studio. Hier konnte man es sich dann auf recht bequemen Sitzen gemütlich machen, die Dinger hatten sogar erfreulicherweise eine Rückenlehne aufzuweisen. Moderator Bernard Lenoir kündigte kurz den Gast des heutigen Abends an, sprach von einer charmanten Künstlerin, deren Werk er zwar nicht besonders kenne, sich aber habe sagen lassen, daß sie in Schweden ein Megastar und musikalisch unter Folk und Pop einzuordnen sei.

Das war zwar ehrlich , sprach aber nicht unbedingt für die musikalischen Fachkenntnisse von Herrn Lenoir, denn Anna Ternheim ist schon vorher desöfteren in Paris aufgetreten und dürfte eigentlich auch hier bekannt sein.

Und dann kam sie endlich hereinspaziert, meine, unsere Anna! Jeder, der sie als Künstlerin und Persönlichkeit schätzt, möchte sicherlich gern einen klitzekleinen Teil von ihr für sich haben. Und einen gewissen Teil ihres Lebens gibt sie auch Abend für Abend preis, durch ihre oft traurigen, meistens autobiographischen Lieder, ihr zauberhaftes Lächeln und ihr natürlich-symphatisches Wesen. Wer aber glaubt, sie aufgrund von zwei Alben und ein paar Anekdoten tatsächlich zu kennen, täuscht sich freilich. Jeder Singer/Songwriter erzählt nur soviel von sich wie er möchte, da mag die Atmosphäre bei den jeweiligen Konzerten noch so intim und feirlich sein. Die Schwedin ist da mit Sicherheit keine Ausnahme und das ist nur allzu verständlich, schließlich möchte auch sie ihre Privat-und Intimsphäre waren. Insofern empfand ich es als etwas irritierend, daß sich ein Herr gleich nach dem ersten Lied "Better Be" von seinem Sitz erhob und sich als einziger in den "Graben" zwischen Bühne und den ersten Sitzreihen stellte, möglicherweise um Anna etwas näher zu sein. Er verharrte übrigens während des gesamten Auftritts an dieser Stelle, während alle anderen Gäste aus einer gewissen Distanz das Konzert sitzenderweise verfolgten. Ich selbst hatte es mir in der zweiten Sitzreihe bequem gemacht und lauschte der schönen Stimme und dem gefühlvollen Gitarrespiel der Blondine. Zunächst war das rein akkustisch, aber zu meiner völligen Überraschung kündigte die Sängerin an, daß gleich ihre Band hinzustoßen würde, um sie zu begleiten. In dieser Form ein Novum in Frankreich, auch wenn bereits beim Konzert im Point FmR im Mai der Schlagzeuger und der bärtige Keyboarder mit dabei waren. "China Girl", ein Lied von dem sie als Kind glaubte, daß es von einer Frau gesungen würde, spielte sie noch alleine, aber bei "Bridges" kam dann eine vierköpfige rein männliche Band hinzu, neben den mir bereits bekannten Musikern auch noch ein Gitarrist, den sie als Staffan vorstellte und der heute sehr traurig gewesen sei, weil er seine Gitarre runiert hatte (aber getröstet werden konnte, weil man ihm eine neue besorgt habe...) und ein Bassist, dessen Namen ich leider nicht verstanden habe. Die Vorstellung ihrer Bandmitglieder nahm die Schwedin übrigens auf französisch vor, die intelligente junge Dame spricht nämlich mehrere Sprachen fließend. Auch einige Anekdoten erzählte sie in Landessprache und schlug sich hierbei beachtlich. Nur manchmal war sie nicht ganz sicher, wußte z.b. nicht, ob es le, oder la guitare heißt (la wäre richtig), oder zog sich in kniffligen Situationen mit ihrem perfekten Englisch aus der Affäre. Manchmal waren ihre Geschichten ziemlich amüsant, bei der Ankündigung von "A Tribute To Linn" hingegen extrem traurig. "Dieses Lied handelt von einer sehr guten Freundin, c'est une chanson très triste, mais belle quand même", ließ sie wissen. Die in dem Stück vorkommende Liedzeile "Today you should turn 25" ließ mich erschaudern, ihre Freundin Linn war wohl gestorben, anders kann ich das Lied nicht deuten. Ich mußte schwer schlucken, hatte vorher nie wirklich über den Text des Liedes nachgedacht. Zum Glück bewahrte mich dann das unglaublich rockig dargebotene "One To Blame" davor, in Melancholie zu versinken. Der kahlköpfige Schlagzeuger Andreas (O-Ton Anna: "he is always screaming, i'm always crying, when something turns wrong") vermöbelte hierbei sein Drumset nach allen Regeln der Kunst. Der Traum der Schwedin, einmal in einer richtigen Rockband zu spielen, er wurde wahr, zumindest zeitweise. Bei "No Subtle Man" dominierte aber wieder spärliche Instrumentierung. Trotzdem, hier und heute wurde manchmal richtig in die Saiten gegriffen, auch das auf Zuruf gespielte "Shoreline" und "Today Is A Good Day" rockten ganz gewaltig, vor allem gegen Ende. Das brachte Anna zum Tanzen und einmal gar dazu, in die Knie zu gehen und theatralisch auf den Boden zu sinken. So etwas hatte ich bei der Schwedin nie zuvor gesehen, toll war das!

Wie ich schon eingangs sagte, Fräulein Ternheim weiß halt immer zu überraschen, kein Konzert gleicht dem anderen, Lieder werden oft kurzfristig ganz anders interpretiert als bei vorigen Auftritten. So habe ich dann auch heute wieder einen ganz wundervollen Abend mit einer außergewöhnlichen Künstlerin erlebt, die sich sogar noch zu zwei Zugaben herausklatschen ließ.

Setlist Anna Ternheim, France Inter, Paris:

01: Better Be
02: China Girl (David Bowie Cover)
03: Bridges
04: Girl Laying Down
05: Bring Down Like I
06: Tribute To Linn
07: One To Blame
08: No Subtle Man
09: Lover's Dream
10: Let The Bells Ring
11: To Be Gone
12: Shoreline (Broder Daniels Cover)
13: Today Is Such A Good Day
14: My Secret
15: Halfway To Five Points

16: A Voice To Calm You Down (a cappella)
17: Elegi (Lars Winnerbäck Cover)



1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

klingt nach einem tollen konzert :)
Weiß irgendwer Wann das ganze Konzert gesendet wird?

 

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