Freitag, 30. August 2019

alinae lumr Tag 1, Storkow, 23.08.19

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1. Tag Alínae Lumr Festival - meine Auswahl
  John Moods 45 min
  Kliffs 45 min
  Charlotte Brandi 60 min
Ort: Storkow (Mark)
Datum:  23. August 2019



Im Vorausblick auf das Alínae Lumr Festival hatte ich schon von den besonderen Orten geschwärmt an denen meine Lieblingsmusik in Storkow dargeboten wird. Mit den Worten der Organisator*innen gesprochen: "alínæ lumr lädt ein zu einem ereignisreichen Urlaub auf dem Land. Auf der Burg, am Marktplatz, den Hinterhöfen, der Altstadtkirche, auf versteckten Wiesen und am See wartet ein sorgfältig kuratiertes Musik- und Kulturprogramm und die charmante Altstadt Storkow auf euch. Festivalbüro ist eure erste Station – hier könnt ihr euch eure Bändchen und ein Lächeln abholen."
 

Leider hatte ich in der Woche zuvor heftigst Streit mit meinem Rücken und deshalb auch einige kurze Nächte. So musste ich mein Musikprogramm ein wenig abkürzen und z.B. das mitternächtliche Konzert von Sophie Hunger weglassen.


Aber beginnend mit dem Lächeln im Festivalbüro am Markt hatte ich einen phantastischen ersten Tag. Auf dem Markt war noch der Aufbau der Essstände im Gange als das erste Konzert dort begann. Rückenfreundlich genoss ich es auf den Stühlen des Fair-Kaufladens bei einem schönen Tee (der selbstverständlich auch mit einem Lächeln serviert worden war). Im Rahmen des für mich nun schon dritten Besuches in Storkow fühlte es sich wie eine lieb gewordene Tradition an, dort jeden Tag einmal herein zu schauen. Das Konzert von John Moods war jedoch eher wenig mitreißend für mich.


Mein immer noch still in meinem Herzen hell leuchtender Höhepunkt war dann gleich anschließend das Konzert von Kliffs am Mühlenfließ. Hier stimmte einfach alles: ein ganz aufmerksames Publikum, das freundliche Grün ringsherum, die Abendsonne, das sympathische Duo auf der Bühne und die Musik. Und was ich an Festivals besonders toll finde: wenn sich auch Musizierende, die später erst dran sind (oder hier gar nicht auftreten), ins Publikum mischen.


Manches aus dem Set von Kliffs war mir vom im Frühjahr veröffentlichten EP schon recht vertraut und es gab auch Musik, die ich vor einem Jahr in Dresden - noch unter dem Namen Mark Berube - live von ihnen gehört hatte. Allerdings gab es auch Experiment mit ganz neuer Musik und die damit verbundene Nervosität auf der Bühne. Es ist immer ein bisschen wie ein großes Lob ans Publikum, wenn so etwas gewagt wird.


Besonders mochte ich diesmal Beyond my control, das diese phantastische Leichtigkeit des Sommertages wunderbar einfing und quasi die Essenz des Konzerts zusammenfasste. Aber auch Mississippi Prom mit der ausführlichen Geschichte dazu geht mir immer noch durch den Kopf. Bevor es für mich zum Burghof weiterging, gab es noch ein paar nette Begegnungen und Umarmungen von lieben Menschen. Es ist immer noch so wunderbar überraschend, wie sich aufgrund von Musik "meine Leute" aus nah und fern auf den Weg machen.


In der Burg hörte ich noch die letzten 10 Minuten von Night repair, die von etwa 20 Enthusiasten ordentlich abgefeiert wurden. Innerlich feierte ich dabei vor allem ab, wie unterschiedlich die Musik klingt, die für das Festival eingeladen worden war. 


Die Bühne im Burghof war schon für das Konzert von Sophie Hunger vorbereitet und ordentlich "voll gestellt", aber vorn in der Mitte fand Charlotte Brandi mit ihrem Trio Platz und spielte vor einem freundlich mitgehenden Publikum auf. Die Musik von der Burg hört man an vielen Orten im Ort mit und sie pulsiert durch interessante Echos immer wieder aus irreführenden Richtungen. Dieses lustige Hopsen durch den stillen Ort in der Mark stellte ich mir vor als ich dem Set lauschte.



Mit der untergehenden Sonne ging es dann für mich zurück ins Quartier - nicht ohne noch anderen lieben Leuten in die Arme zu laufen. Ich war auch nach dem verkürzten Tag randvoll mit wunderschönen Erlebnissen und einem still leuchtenden Glück im Herzen.

 


Aus unserem Archiv:
Berichte von 2016: Tag, 1, 2
Berichte von 2015: Tag 1, 2, 3


Donnerstag, 29. August 2019

Vorfreude auf das Sound of Bronkow 30.8.-1.9. in Dresden

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Die alljährliche innige Vorfreude auf das Sound of Bronkow Musikfestival am Societätstheater in Dresden ist mein mir sehr lieb gewordener spätsommerlicher Luxus und vertreibt mir schon das neunte Jahr die Trauer darüber, dass der Sommer nun bald vorbei ist.


Es war 2011 das erste Festival auf das ich mich gewagt habe und ist seitdem meine Referenz wenn ich beschreiben soll, wie ich mir das ideale Musikfestival vorstelle. Hier stimmt für mich alles: die Musik, die Orte, die Leuten hinter den Verkaufsständen. Und dieses Jahr wird wohl auch das Wetter wieder einen guten Teil dazu beitragen, dass es ein rundum schönes Wochenende wird. 


Der Zeitplan steht.

Ich freue mir schon ein Loch in Bauch darüber, Garda und Kliffs wieder zu erleben. Wen treffe ich denn vor Ort neben den "üblichen Verdächtigen"?

Bands:
  Altameda (CAN)   
  AWKWARD i (NL)   
  Bernhard Eder (AT)   
  Daniel Norgren (SWE)   
  Debbi Love (CZ)   
  Dylan LeBlanc 
  Freschard and Stanley Brinks (F)
  Garda (D)
  Kliffs (CAN)    
  Moritz Krämer & Francesco Wilking (D)

  Pauls Jets (AT)   
  Peach Pyramid (CAN)   
  Samana (UK)   
  Sea of Love (D)    

  Soft Grid (D)    
  Spinning Coin (UK)    
  Standard Crow Behavior (DE)    
  Surprise Act (???)    
  Swutscher (D) 
  Tho(ma)s Henley (UK)
  Vögel die Erde essen (D)    


Aus unserem Archiv:
Sound of Bronkow 2016 Tag 12 und 3  
Sound of Bronkow 2015 Tag 2 
Sound of Bronkow 2015 Tag 1
Sound of Bronkow 2014 Tag 3
Sound of Bronkow 2014 Tag 2
Sound of Bronkow 2014 Tag 1
Sound of Bronkow 2013 Tag 3
Sound of Bronkow 2013 Tag 2
Sound of Bronkow 2013 Tag 1
Sound of Bronkow 2012 Tag 3
Sound of Bronkow 2012 Tag 2
Sound of Bronkow 2012 Tag 1


Mittwoch, 28. August 2019

Lowlands Festival 2019, Biddinghuizen, 16.08.-18.08.2019

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Konzert: Lowlands Festival 2019
Ort: Biddinghuizen
Datum: 16.08.-18.08.2019
Dauer: 3-4 Tage
Zuschauer: 55.000 ausverkauft


Drei Tage Lowlands Festival können sich anfühlen wie drei Wochen Urlaub oder wie drei Tage mit üblen Überstunden. Eigentlich sind es ja mittlerweile sogar vier Tage. Der Donnerstag startet seit letztem Jahr mit 30.000 leihbaren Funkkopfhörern und lädt zur wahrscheinlich größten "Silentdisco" der Welt.

Aber auch dieser Superlativ ist nur einer unter unzähligen Veranstaltungspunkten an diesem Wochenende. Diesmal war sogar der niederländische Premierminister Mark Rutte bei einer der morgendlichen Talkrunden dabei, nur um mal die Bedeutung des Festivals für die kulturelle Szene der Niederlande zu verdeutlichen. 


Im Kinozelt eine Vorpremiere des "Maradona"-Films, eine riesige Gay-Disco (Adonis), ein 24hour Gelände incl. Überdachung, Gastro und DJ`s von Donnerstag bis Montag 11:00 Uhr. Langeweile kann einfach nicht aufkommen. 

Das Konzerttagebuch ist aber nicht dem Lifestyle verpflichtet, sondern der Musik. Und dafür gibt es immerhin auch noch mindestens sechs Bühnen parallel zu betrachten. Das diesjährige Musikprogramm war deutlich band-orientierter als in den Vorjahren. Nichts desto trotz wird das Nachtprogramm mit seinen diversen DJ`s immer ein fester Bestandteil des Festivals bleiben. 


Am Freitag trifft man bereits alte Bekannte an jeder Ecke: Slaves und Fontaines D.C. wie bereits in den letzten Wochen auf anderen Festivals in rauer, guter Spiellaune. Die Fontaines aber auch hier wieder mit genau dem gleichen Set in gleicher Reihenfolge. Etwas gelangweilt wirkt das mittlerweile und auch hier erreichen sie zwar das Publikum, aber nicht annähernd die auf dem Zeitplan anvisierte Spielzeit. 


Danach die hier unvermeidlichen, bösen Überschneidungen. Ziggy Marley hätte ich zu gerne mitgenommen, aber The Good,The Bad & the Queen haben Vorrang. Zurecht, wie sich später herausstellen sollte. Kündigte Sänger Damon Albarn doch noch während des Sets an, dies sei der letzte Auftritt der Band. (Ob bei dieser Tour oder für immer ließ er hier noch offen). Ein sehr schöner Auftritt mit Streichern und tollem Bühnenbild (Stichwort: Gauklerromantik). 


Dann weiter zu Royal Blood, die zwar immer noch kein neues Album, dafür aber jetzt zwei Sängerinnen und wenigstens einige neue Stücke präsentierten. Wie immer ein klassischer Stimmungsmacher die Beiden, da kann man als Booker einfach nichts falsch machen. Danach bekommen De Staat vom Veranstalter ihren Ritterschlag. Da "The Prodigy" ja absagen mussten, darf die Band mit einer großen, im Voraus extra geplanten Headlinershow den Abend auf der Hauptbühne beschließen. Das bekannte "Firestarter" Cover macht den Anfang, der Rest ist so gar nicht mein Ding, aber die Einheimischen sind begeistert. 

Der Samstag steht zunächst ganz im Zeichen von Billie Eilish (Billie Eilish - Lowlands 2019). Schon bei Dermot Kennedy sind die Fans des jungen Superstars bereits an Haarfarbe und Silberschmuck von weitem erkennbar. Einen solchen Kult kann der Ire leider nicht entfachen. Obwohl er einer der wenigen Singer-Songwriter ist, der sogar im Formatradio seinen Stammplatz gefunden hat, wirkt die Show sehr träge und uninspiriert. Es gibt eigentlich nur eine Stimmungslage. Die mag zwar zum einsetzenden Landregen außerhalb des Zelts passen, ist aber bis auf die markante Stimme nicht weiter erwähnenswert. Da haben "Glen Hansard" oder "Damien Rice" ein ganz anderes Kaliber. Sowohl was die Show als auch die Songs angeht. 


Durch den Besuch bei Billie verpasse ich leider The Vaccines und (besonders schade) auch Sharon van Etten, die tragischerweise genau am anderen Ende des riesigen Areals auftritt. 

Für viele geht der Tag jetzt erst richtig los: Paul Kalkbrenner (um 17:30 Uhr ?!), Jan Hopkins, Anderson.Paak und die Abbruchshow von Idles sind mir allesamt bekannt, bieten aber wenig Neues. Der Abend hält aber dann noch einen einsamen Höhepunkt bereit. Da ich Giorgio Moroder mit seiner Diskoshow bereits in Essen Giorgio Moroder - Essen und Düsseldorf bewundern durfte, entscheide ich mich ein weiteres Mal für The National, es sollte sich lohnen. 

Es gibt ja Abende, da sind The National gut, manchmal sehr gut. Was die Band aber heute abliefert, ist nicht weniger als brillant. Vom ersten Song an ergibt sich eine unglaubliche Energie, sowohl vor als auch auf der Bühne. Und wieder einmal spüre ich, warum ich Festivals so gerne besuche. Diese Stimmung wäre auf einem normalen Konzert einfach nicht möglich.


Matt nimmt die Energie sofort auf, spielt mit dem Publikum, ist bester Laune und taucht gleich ab, um am ca. 150m entfernten Bierstand außerhalb des Zeltes mit Fans anzustoßen. Später fährt er auf dem Kamerawagen spazieren, erzählt wirre Stories und kündigt Sängerinnen an, die gar nicht da sind. Also einfach alles toll. 


Aber nie ist er "drüber", bekommt alle Einsätze noch voll mit und ruiniert damit nicht die Show, wie es sonst manchmal passiert. Und obwohl mit Kate Stables (von This is the Kit) heute nur eine Sängerin dabei ist, gelingen die Songs des neuen Albums traumhaft. Als neues Ende beschließt heute eine fast 10-minütige Version von "About Today" den Abend. "It was a blast" schreit Berninger immer wieder, nimmt eine weiter Flasche Wein, öffnet sie in der ersten Reihe und will gar nicht mehr hinter die Bühne. Woher nimmt die Band nur diese Energie: Abend für Abend, Jahr für Jahr.


Nach Yoga, Karaoke und anderen Spielereien geht es am Sonntag mittag sofort wieder los. Diesmal um 12.00 Uhr mit der liebevollen Julia Jacklin. Deren sehr getragenes Programm wäre zu späterer Stunde auch sicher im ganzen Kirmestrubel des Festivals untergegangen. Mein Lieblingssong "Don`t know how to keep loving you" Julia Jacklin - Session kommt überraschenderweise bereits ziemlich am Anfang dafür endet die Show heute mit "Pressure to party" und "Head alone". 


Danach ein bemerkenswerter holländischer Newcomer. Tamino spielt sehr verkopfte aber auch melodische Balladen, tieftraurig und emotional. Leider heute ohne "Colin Greenwood" von Radiohead am Bass, der ihn sonst schon öfter begleitet hatte. Ein Name von dem man noch hören wird. Besonders "Habibi" Tamino - Session am Schluss verbreitet echte Gänsehautstimmung am frühen Nachmittag. 


Und wieder viele alte Bekannte: Whitney, Sea Girls, Bear`s Den, Loyle Carner und James Blake. Franz Ferdinand haben dann auf der Hauptbühne ihren großen Auftritt und ein wenig Glück. Außer dem 80er Berlin Retro-Technogebolze von Modeselektor gibt es gerade wenig Konkurrenz und so zünden die alten Hits vor einer Riesenkulisse. 


Die Meisten bleiben direkt stehen, denn alle wollen natürlich einen Blick auf A$AP Rocky werfen, der so ziemlich direkt aus dem Gerichtssaal in Schweden auf die Bühne springt. Seine Stories mögen andere kommentieren, musikalisch ist seine Show auf Top-Niveau, sogar einen Gastauftritt beim späteren Headliner Tame Impala lässt er sich nicht nehmen. 

Ich aber schaue noch kurz bei Thomas Azier vorbei, dessen tolle Alben mich überzeugen. Heute ist aber seine Liveband mit zuviel 80er-Jahre Bombast überladen, da gehe ich doch lieber gleich rüber zum Original: New Order spielen zum ersten Mal seit 1985 !! (kein Witz) in den Niederlanden, und entsprechend ist auch die Stimmung. 


Ein Hit jagt den nächsten und um mich herum stehen Menschen zwischen 13 und 63 Jahren, einige weinen zu "Transmission", andere tanzen  zu "True Faith" oder träumen bei "Bizarre Love Triangle" vor sich hin. Es ist eine bezaubernde Retroshow, bei der New Order alles richtig machen. Hier erwartet keiner neue Kunststücke oder alternative Versionen, es soll so klingen wie immer. Gut das ich parallel spielenden Black Midi schon beim "Haldern Pop" gesehen hatte, so konnte ich diese Show ruhigen Gewissens als Abschluss genießen. 


Was bleibt ist ein Lowlands der großen Namen. Was früher ein Schaulaufen für Newcomer war, ist heute ein völlig anderes Festival. Immer noch sehr überzeugend, besonders in Organisation und Atmosphäre, sollte man ein Mal diese eigens errichtete "Stadt" auf dem Polder gespürt und gesehen haben.


Da das Aftermovie von 2019 noch nicht fertig zu sein scheint, hier die Eindrücke aus 2018 Lowlands Aftermovie 2018 

Fotos: Michael Graef 


Donnerstag, 22. August 2019

Billie Eilish, Lowlands Festival 2019, Biddinghuizen

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Konzert: Billie Eilish
Ort: Lowlands Festival 2019
Datum: 18.08.2019
Dauer: 60 min
Zuschauer: ca. 40.000



Wenn an einem Samstagnachmittag um 15:30 Uhr fast 40.000 Menschen zusammenkommen, geht es fast immer um Fußball. Heute ist das anders. Billie Eilish hat sich angekündigt, und fast alle haben sich zeitig auf das Gelände begeben. 



Nur circa ein Drittel der Zuschauer bleibt unter der gewaltigen Hangarkonstruktion der Hauptbühne des Lowlands Festivals trocken, die anderen werden trotz des einsetzenden, heftigen Landregens nicht ihre Plätze verlassen. Das sagt schon viel über eine erst 17-jährige Künstlerin, die es geschafft hat, in einem Jahr berühmter zu werden, als andere in einem Jahrzehnt. 

Cool betritt sie die spartanische Bühne, nur ihr Bruder an Keyboard und Gitarre und ein Schlagzeuger werden sie in der nächsten Stunde begleiten. Sie trägt einen Phantasie-Hosenanzug in den Farben neon-grün und schwarz, extrem lange Fingernägel und dicke schwarze Sneaker. Dazu flackern wenig erschreckende Zeichentrickanimationen a la "Nightmare before Christmas" über den riesigen Screen im Hintergrund. 



Das Management wollte an diesem frühen Auftritt am Nachmittag (der bei der Buchung im letzten Jahr noch gerechtfertigt war) festhalten. Es scheint, als wolle man dem ganzen Hype doch nicht mit Godzilla großen Schritten folgen. Als Headliner kann Billie Eilish in den nächsten Jahren ja noch jederzeit wiederkommen. Vielleicht ist diese Entscheidung auch richtig. 

Denn nach dem starken "Bad Guy" wird klar, selbst die eine Stunde wird nur mit einigen Tricks auf einem hohem Emotionslevel gehalten. Zu fast jedem Song gibt es eine eigene "Choreografie". Mal springt Billie wie ein Derwisch, im nächsten Song liegt sie auf der Bühne, später dann kommt der von Bodyguards im Voraus sorgfältig geplante Gang durch den Korridor im "Front of Stage" Bereich. 



Was aber auch auffällt: Die Stimme von Billie Eilish stemmt fast das komplette Konzert alleine. Dazu kommt eine Bühnenpräsenz, die einen wirklich gefangen nimmt. Die leuchtenden Augen der Hardcore-Fans sind also durchaus nachvollziehbar. Keiner wird nach diesem Konzert behaupten, Billie Eilish wäre ein One-Hit-Wonder. 

Wer die Performance von "When the party`s over" gesehen hat, (Billie bittet alle, die Handys ruhen zu lassen und singt den Song alleine auf einem Barhocker sitzend) könnte das Festival eigentlich sofort verlassen. Etwas ergreifenderes wird es an diesem Wochenende nicht mehr geben. 

Bei der Schlußnummer "Bury a friend" dürfen dann nochmal die Emotionen offen ausgelebt werden, bevor Billie als erste hinter der Bühne verschwindet.



"I could lie, say I like it like that, like it like that." Das ist nicht notwendig, dazu hat Billie Eilish zu viel Talent. 


Fotos: Michael Graef/
Dirk Langen

Mittwoch, 21. August 2019

Ladytron, Stockholm, 31.05.19

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Konzert: Ladytron
Ort: Kraken, Stockholm
Datum: 31.05.2019
Dauer: gut 80 min
Zuschauer: vielleicht 500

 

Es ist irgendein einfacher psychologischer Effekt, daß die Dinge, die schwer zu bekommen sind, besonders attraktiv erscheinen. Da ich mich von solchen miesen Spielchen nicht austricksen lasse, war mir schon bewußt, daß ein großer Teil meiner Vorfreude auf Ladytron von der Knappheit bestimmt wurde. Es ist zehn Jahre her, daß die Band aus Liverpool zuletzt in Köln gespielt hat. Zwar gab es im vergangenen Herbst eine Tour in Großbritannien, für die ich Karten hatte, es funktionierte aber nicht. Das ist der Katalysator der Knappheit. Wenn etwas schon da war, aber wieder weggenommen wird, ist der Wunsch danach umso größer. 

Über all diesen wirren Kram hatte ich ausgiebig nachdenken können, als ich vor der Tür des Kraken in Stockholm darauf wartete, daß der Einlass beginnen würde. Auf Ticket und Website stand 20 Uhr, ob Beginn oder Einlass war nicht auszumachen. Um kurz vor acht warteten eine Menge Menschen vor der unbeschrifteten Club-Tür. Das Kraken ist in der Nähe der Multifunktionshalle Globen und kommt komplett ohne Hinweis-Schilder aus. Es dauerte eine Weile, bis man uns mitteilte, daß es das erste Konzert der Tour sei und Ladytron gerade noch soundcheckten. Als den Kraken-Leute klar wurde, daß aus "in ein paar Minuten" locker eine Stunde wurde, bekamen wir alle einen Roulette-Jeton in die Hand gedrückt, der ein Getränk bedeutete (bei den Alkoholpreisen in Schweden eine sehr großzügige Geste).

Das Kraken ist ein sehr stylisher aber auch ein wenig merkwürdiger Club. Er ist - so wirkt es - ins Erdgeschoß eines normalen Bürogebäudes gepackt worden. Es gibt Fensterfronten und ganz viele Winkel, aus denen man die Bühne nicht sieht. Die Fläche des Clubs ist riesig, vermutlich für 1.000 Zuschauer ausgelegt, ein guter Teil von denen sähe dann aber nichts. 

Ladytron haben bewegte Jahre hinter sich. Das Nachfolgealbum von Gravity the Seducer sollte ursprünglich bereits 2013 erscheinen, wurde aber erst 2018 konkreter, als die Band aus Liverpool ankündigte, ihre sechste Platte über PledgeMusic zu finanzieren. Die Finanzierungsziele wurden schnell erreicht, erste Teile der Pakete ausgeliefert. Bei mir steckte da schon ein wenig der Wurm drin. Die erste Single The animals, die Teil meines Bundles war, erreichte mich nie. Irgendwann kam die Single The island und mit ihr der Hinweis, daß es die zweite Auskopplung sei. Nach Nachfrage beim Logistikdienstleister von PledgeMusik versicherte der mir, The animals neu rauszuschicken. Ich erhielt noch einmal The island. Also schrieb ich ein neues mail, fragte, ob ich die doppelte Single zurückschicken solle und bekam kurz danach ein Päckchen mit... The island (3). Die Geschichte ist pointenlos, denn eine Woche später kam auch The animal endlich an. 

Ob ich damit eine Mitschuld am Zusammenbruch von PledgeMusik habe, weiß ich nicht. Kurz vor dem geplanten Veröffentlichungstermin von Ladytron erklärte der kräftig wackelnde Finanzierer, man stehe in Verhandlungen mit der Musikindustrie, bald sei wieder alles prima. Am 1. Februar erschien das Album (auch Ladytron) dann digital bei PledgeMusic. Vor dem Versand (und in manchen Fällen der Produktion) der anderen Teile der von Fans gekauften und bezahlten Pakete brach PledgeMusic aber zusammen. Eine Woche nach der Veröffentlichung schrieb die Band ihre Fans an und teilte mit, daß sie erfahren habe, daß kein Versand mehr stattgefunden habe. Platten und Merch lagen in einem Versandhaus, der Dienstleister von PledgeMusic hatte auch kein Geld mehr bekommen.*

Stockholm...


Gegen 22 Uhr kam eine einzelne Frau auf die komplett von Keyboards und Synthesizern vollgestopfte Bühne. Roya aus Stockholm hatte den swedischen Indiemusik-Preis fürs Synthie-Album des Jahres gewonnen, langweilte mich aber ein wenig, obwohl sie nur 22 Minuten zu Liedern vom Band sang. 

Um kurz nach elf wurde es ganz dunkel, das sollte bis auf einzelne Lichtblitze so bleiben. Ladytron kamen mit zwei Verstärkungen auf die Bühne, einem Drummer und der Glasgower Musikerin Sarah J Stanley (HQFU), die schon in Helen Marnies Band gespielt hatte. 

Diese "Lichtblitze" waren Videoanimationen, die auf die Band projeziert wurden und die die einzige Bühnenbeleuchtung blieben. Dadurch hatten die beiden Sängerinnen Helen und Mira immer wieder große Schatten im Gesicht, ihre Kollegin und die drei Männer hinten waren meist komplett schattig. Zur kühlen elektronischen Musik von Ladytron passte diese einfache aber wirkungsvolle Nicht-Ausleuchtung perfekt, für Fotografen war es aber wohl kein so toller Abend.


Weil es so lange her ist, daß ich Ladytron einmal gesehen hatte, war ich gespannt, wie sehr mich die Musik, die ich auf Platte so liebe, live packen würde. Sie tat - und wie! Abseits der Lieder gibt es keinerlei Entertainment, keine großen Ansagen. Aber warum auch? Auf den sechs Alben der Liverpooler sind so viele Hits, da sind keine Ablenkungen nötig.

Natürlich spielte die Band vor allem Stücke von der aktuellen Platte Ladytron. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich die mir erschlossen hatte, mittlerweile bin ich riesiger Fan und halte sie für gleichwertig den Vorgängern gegenüber. Dadurch entstand nie dieses Gefühl, daß es jetzt mal gut mit neuem Kram sei und ruhig ein paar alte Lieblinge kommen könnten. Die vier Singles der aktuellen Platte (The animals, The island (3)) sind eh Hits, vor allem The animals liebe ich abgöttisch. 

Irgendwann nach knapp einer Stunde Konzert kündigte Helen ein weiteres neues Lied an. You've changed sollte das letzte Stück vom aktuellen Album sein. Der Rest sollte ein fast schon protziges Best-of werden. White elephant von Gravity the Seducer, dann Discotraxx (leider das einzige Stück von Debüt 604 - vielleicht könnte die Band deren 20. Geburtstag 2021 feiern?) und als Zugaben White gold, Seventeen und Destroy everything you touch. Wenn man so wenige Konzerte wie ich dieses Jahr sieht, ist es ein wenig albern, über Top-10s nachzudenken. Ladytron spielten aber definitiv ein Konzert, an das ich mich lange erinnern werde. Und das dazu führte, daß ich mich unendlich ärgere, nicht im vergangenen Herbst meinen Fanboy-Pflichten nachgekommen zu sein! Kommt nicht wieder vor!

Setlist Ladytron, Kraken, Stockholm:

01: Black cat
02: The island
03: Ghosts
04: Soft power
05: The animals
06: Paper highways
07: Deadzone
08: Runaway
09: Far from home
10: Fighting in built up areas
11: International dateline
12: You've changed
13: White elephant
14: Discotraxx

15: White gold (Z)
16: Seventeen (Z)
17: Destroy everything you touch (Z) 

Links:

- Ladytron, Köln, 15.10.08




* Erst Monate später sollten Ladytron dieses Problem lösen, indem sie ihre Fans baten, noch einmal Porto zu zahlen, nachdem die Frage des Eigentums der eingelagerten Produkte geklärt war. Mein Vinyl (und CD und Kassette) kamen dieser Tage bei mir an. Die ebenfalls angekündigte DVD des Konzerts im Astoria, das auf Vinyl erschienen ist, wurde von PledgeMusic nie produziert.




Donnerstag, 15. August 2019

Haldern Pop Festival 2019

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Konzert: Haldern Pop Festival 2019
Ort: Rees/Haldern
Datum: 08.08.-10.08.2019
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ca.7000 ausverkauft



Was für eine großartige Ausgabe des Haldern Pop Festivals in diesem Jahr. Nach gefühlt 2-3 etwas schwächeren Jahren, und immer mehr Konkurrenz durch ähnliche Veranstaltungen hat die "alte Dame" Haldern Pop in drei Tagen zu alter, voller Kraft gefunden. 

Mehr noch, durch die jetzt schon bestätigten Absagen des "Open Source Festials", dem "Maifeld Derby" und des "Summers Tail Festivals", wird das Alleinstellungsmerkmal dieser Traditionsveranstaltung wieder gestärkt. 

Doch auch ohne diese schmerzlichen Absagen konnte man wahrnehmen, wie sich der Wind auf dem Zeltplatz drehte (Der echte Wind war am Samstag ein anderes Problem). Noch nie sah ich so viele begeisterte Freunde von diversen Konzerten schwärmen, schon mittags wurde plötzlich zum Spiegelzelt oder der Pop Bar aufgebrochen, früher oft undenkbar. 

In dieser bestechenden Form wird das Haldern Pop nach mittlerweile 36 Ausgaben fast zum "Last man standing" in der deutschen Festivalszene, zurecht. 

Dabei gab es doch am Donnerstag immer schon so viel mehr zu erleben als perfekte Grillwürste und noch kaltes Bier. Die Kirche spielt zum Tanz auf, na ja Haldern wäre nicht Haldern, wenn es nicht auch etwas sperrig werden würde: Jeremy Dutcher, in seiner Heimat Kanada mit diversen Musikpreisen ausgezeichnet, bot nicht nur Musik, sondern brachte durch antike Samples von Tonaufnahmen auch die ganz alte Zeit zurück in das Gotteshaus. 



Auf der Hauptbühne eröffnete wenig später Durand Jonas mit feinstem Soul, der uns auch in den weiteren Tagen immer wieder hier und da begegnen würde. Danach spaltete sich die Reisegruppe: Straßenmusiker singalong mit Publikumsanimation durch Gerry Cinnamon, oder die verrückten Derwische von The Chats im Niederrheinzelt (ja, es gab dieses Jahr noch ein siebte Bühne), oder der neue Hype aus England: Black Midi im Spiegelzelt.

Für mich war die Entscheidung klar. Und auch wenn ich das Gefühl hatte, die Band weiß selber nicht genau, was sie da gerade aufführt. Black Midi sind live ein Ereignis. Zu Hause auf dem Sofa ist diese Musik für viele sicher kaum vorstellbar, hier aber peitschten Riffs und Rhythmuswechsel durch das Zelt, ein 50-minütiger Trip, der einen wechselweise Pogo oder Walzer tanzen ließ. Ab und zu nur gab es eine Art Gesang, meistens waren es mehr stumpfe Schreie, die da durch Mikro schallten, ein verstörender Auftritt. 



Andere Klänge beim Ausgang dann von der Mainstage. Kadaver, die bisher wohl einzige Band die in "Wacken" und auf dem Haldern Pop gespielt hat, zelebrieren ihren intensiven Rock, der auch hier überraschend gut angenommen wird. Das mir völlig unbekannte Robocobra Quartet bot danach innovativen Fusion-Jazz, der oft fordernd, aber trotzdem melodisch daher kam und die Zuschauer positiv verwirrte. 





Die beiden letzten Bands des Abends boten dann Anlass zu großen, oft schon etwas bierseligen Diskussionen. Secret Act Giant Rooks und der Schweizer Faber sind halt nicht jedermanns Sache. Und jeder hatte seine eigene Meinung. Einerseits der schon fast zu perfekte Pop der Giant Rooks, die aber immer noch nicht einmal ein Album vorweisen können. Daneben die oft schwer erträgliche Pennäler Lyrik von Faber, dessen Band aber auf ganzer Linie überzeugen konnte. 



Dazwischen konnte sogar Haldern untypisch das Tanzbein geschwungen werden. DJ Tereza übernahm das sich schnell füllende, aber etwas schmucklose Niederrheinzelt im Sturm. Als wäre das alles noch nicht genug an musikalischer Bandbreite für den ersten Tag, gab es dann noch ein Highlight im Spiegelzelt. 



Das Moka Efti Orchestra hätte natürlich auch locker die Hauptbühne bespielen können, aber wie genial wirkte dieses Setting im romantischen Zelt. Jeder Musiker hatte wohl weniger Platz als die hoffentlich glücklichen Kühe im Halderner Stall, aber die Atmosphäre mit schon vorhandener Bettschwere war der perfekte Ausklang eines ersten Festivaltags. 

Der Freitag startet mit kühlem Regen und vermiest einem den frühen Aufbruch ins Dorf zum jährlichen Plausch vor der Pop Bar, den ersten musikalischen Eindrücken sowie dem Pflichtkauf beim Bäcker: Pflaumenstreusel, dem leckersten seiner Art. 

Zum Glück gibt es ja wieder die Kirche, in der nach einem klassischen Intermezzo von Cantus Domus die blutjunge Australierin Alex the Astronaut alleine an ihren Gitarren aufspielt. Mit ihrer unschuldigen Art und ihrem breiten Dauergrinsen, sowie ihrer lässigen Kleidung würde man eher ein Surfergirl in ihr sehen wollen. Musikalisch ist das Ganze genauso beschwingt und melodisch. Einen Witz auf Deutsch kennt sie auch schon. Ein schöner, fröhlicher Start in den Tag, mehr aber auch nicht.

Danach sollen die Damen von Gurr beim Crowdsurfen in der Pop Bar ?! fast aus dem Fenster gefallen sein, zuzutrauen ist es ihnen. Pünktlich zurück vor der Hauptbühne folgt das nächste Ritual. Die vier Jahreszeiten erklingen (leider ohne Hein Fokker in diesem Jahr) und fast immer lohnt sich der 1. Act der Hauptbühne besonders. So auch diesmal. 



Der isländische Soulsänger Junius Meyvant betritt mit 2 jungen Bläsern die Bühne und zaubert seinen träumerischen Soulpop auf die Bühne. Das klingt beliebig und vielleicht langweilig, ist aber bei der Erscheinung und vor allem dem Songwriting von Meyvant ein Genuss. 

Whitney und Charlie Cunningham verblassen für mich danach etwas auf der Hauptbühne, Zeit für den ziemlich verrückten Auftritt von Barns Courtney im Spiegelzelt. Die Meinungen gingen hier stark auseinander. Hinter dem etwas extrovertierten Posing verstecken sich aber enorm viel Energie und eine tolle CD. Auf jeden Fall ein Kandidat für die Hauptbühne im nächsten Jahr. 



Doch alles bis dahin gesehene sollte sich am Abend noch relativieren. Musikalisch gab es wohl keinen cooleren und perfekteren Auftritt als den von Father John Misty. Es war ein perfektes Konzert, nur spontan war es natürlich keine Sekunde. Traumwandlerisch spielt seine Bigband 90 Minuten lang einen Querschnitt durch mindestens 10 Musikstile. Tex-Mex, Rock, Indie, Pop, Balladen, da bleibt kein Auge trocken. Dazu eine ganz reduzierte Lichtshow, witzige Ansagen und die Aura eines Superstars. Der Mann wird einfach von Jahr zu Jahr besser. 



Für längeres Reflektieren bleibt zunächst keine Zeit, die Fountains D.C. beginnen im Zelt schon mit ihrem Intro. Dieser Auftritt wird ebenfalls noch nachhallen. Zum einen, weil der Auftritt nur circa halb so lang dauern wird wie im Zeitplan ausgegeben, zum anderen, weil die Fountains D.C. hier ihre großartige CD in der Liveversion in feinster Fuckyou-Tradition herunterrotzen. So etwas hat man schon lange nicht mehr gesehen. Da waren die intensiven 35 Minuten wertvoll genug. Sänger Grian Chatten klammert sich das ganze Konzert an sein Feuerzeug, würdigt ansonsten keinen seiner Mitspieler eines Blickes, und stürmt nach dem letzten Song sofort aus der Zelttür um endlich seine Zigarette anzünden zu können. Solche Prioritäten muss man sich leisten können. 

Sophie Hunger`s Name erinnert mich dann daran, dass ich seit dem Pflaumenkuchen nichts mehr gegessen habe, also kurze Pause bevor der nächste musikalische Orkan hereinbricht, und es sollte ein mächtiger Sturm sein. Einer, den man auf dem Reitplatz so vielleicht noch nie erlebt hat.



Die Idles stürmen die Bühne und es gibt kein entkommen. Pogo bis zum Mischpult, Bierbecher fliegen einem um die Ohren und man wähnt sich eher beim "Ruhrpott-Rodeo" als beim beschaulichen Haldern Pop, wo sonst Picknickdecken und Kinder mit Kopfhörern ein prägendes Bild sind. Es folgen Kraftausdrücke gegen den Brexit, Gitarristen im Publikum, Schreie, ein Schlagzeuger der mich immer an einen Charakter aus "Hangover" erinnert und jede Menge Spaß. Denn eigentlich sind die Idles total harmlos. Nie ist ihre Härte wirklich aggressiv, nie ist der Sänger so brutal oder böse wie es manchmal auf der Bühne wirkt. Alles dient den Songs, und die behalten ihre Stärke in dem ganzen Chaos überraschend gut. "Mother" und "Rottweiler" sind Granaten, explodieren im Publikum und werfen die Energie wieder zurück auf die Bühne. Was für ein Auftritt. 



Da wird selbst der sonst so herbeigesehnte DJ St. Paul ausnahmsweise entbehrlich.  Wenn der Ausspruch "zum Zelt zurück taumeln" je gestimmt hat, dann an diesem Abend. 

Der letzte Tag startet dann mit starken Windböen statt Schauern. Das Wetter nimmt man in der Stadt sonst ja nie so richtig wahr. Auch mal schön sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. 

Am Samstag ist es im Dorf immer etwas ruhiger. Die Kirche wird nicht mehr bespielt und so bleibt Zeit für schöne Gespräche, bevor dann die Pictures aus Berlin die rappelvolle Pop Bar mit feinstem Brit-Pop beschallen. 

Die Band hat eine bewegte Geschichte. Sie begannen als Grungeband "Union Youth", mit großen Hoffnungen und Erwartungen wurden sie dann in die USA eingeladen, doch es kam alles anders. Dem WDR war das Ganze eine 90-minütige Dokumentation wert. Absolut sehenswert, genau wie das Konzert. Schade nur, das diese Art von Gitarrenrock zur Zeit in der Öffentlichkeit keine Resonanz findet. Warten wir auf das Oasis-Revival. 



Zu gerne hätte ich noch die US-Band Wand gesehen, aber James Leg stand schon auf der Hauptbühne bereit. Ein Stimme wie der Vater von "Tom Waits" und eine Dame am Schlagzeug die alle verzaubert. Das ganze hätte natürlich auch perfekt um 1:00 Uhr nachts in das Spiegelzelt gepasst, aber 13:00 Uhr war auch OK. Ein Cure-Cover gibt es am Schluss auch noch und berechtigte Zugabenrufe, aus der für Mittags schon sehr großen Zuschauerschar. 

Das Schauspiel der Daughters ist von der Leinwand vor dem Spiegelzelt aus bereits imposant, oder sagen wir verstörend. Sänger Alexis Marshall gibt am Ende den "Kinski" und peitscht sich selber, auf der Box stehend, mit einem Gürtel aus. Passt zum brachialen Hardcore-Sound der Band, ist aber sicher nicht jedermanns Sache. 

Danach geht es wesentlich entspannter weiter. Der, mir viel zu langweilige Pop von Kat Frankie verpufft schnell seine Wirkung, der obercoole Sound des Trios Khruangbin dagegen gar nicht. Hier wird durchgespielt. "Neil Young" sagt ja gerne "They all sound the same, it`s one song". Das gilt hier ebenfalls. Die beiden flirten und wandern über die Bühne, während das Schlagzeug fast unbemerkt bleibt. Ein Augen-und Ohrenschmaus, perfekt zur wieder erstarkten Sonne, die langsam links neben der Bühne verschwindet.

Dann wieder zwei Konzerte die spalteten: Sowohl bei der ukrainischen Rapperin Alyona Alyona als auch bei den Mädels von Haiku Hands kocht das Spiegelzelt fast über. Trotzdem packen mich beide Auftritte musikalisch nicht. 

Der soulige, und eher dem Singer/Songwriter Genre entsprungene Hip-Hop von Loyle Carner ist dagegen wesentlich anspruchsvoller. Auch hier wieder klare "Fuck-Brexit" Ausrufe von der Bühne, die Loyle als sein Wohnzimmer dekoriert hat. Sogar Fußballtrikots hängen da an großen Wänden. 



Und auch am dritten Tag kehrt der Soul dann wieder zurück ins Dorf am Niederrhein. Diesmal in seiner perfektesten Form, dem Ausnahmetalent Michael Kiwanuka. Seit seinem letzten Auftritt ist zwar kein neues Album erschienen, trotzdem präsentiert er sich nochmal gereift und verbessert und präsentiert zumindest einen neuen Song. Ein beseelter Auftritt in gleißendem Licht und perfektem Sound. Dazu zwei Damen als Backroundsängerinnen. Viele Worte zwischen den Songs findet er nicht, aber das würde hier auch nur stören. Von "Cold little heart", dem Titelsong der Serie "Big little lies" mit Nicole Kidman, zu "Love & Hate" in einer fantastischen Version von fast 10 Minuten. Ein Headliner der seinen Namen verdient hat. 

Balthazar haben es danach schwer, spielen aber einen soliden, poppigen Set der die meisten noch auf dem Reitplatz verweilen lässt, obwohl die ganz großen Emotionen schon vorbei sind. 

Wie schon eingangs beschrieben, bleiben den oft kritischen Stimmen dieses Jahr wenig Argumente. Nicht nur die holländischen Besucher, mit Sicherheit von diversen Festivals in ihrem Land verwöhnt, waren wieder voll des Lobes. 



Auch ich denke, das Haldern mit dieser Ausgabe stolz und mehr als bestärkt in die Zukunft blicken kann. Die Gäste dankten es mit einem fast vollständig gereinigtem Zeltplatzgelände. Vielleicht der einzige Ausdruck von Respekt und Dankbarkeit, den man dem Veranstalter als Zuschauer direkt spiegeln kann.

Der VVK für 2020 läuft bereits: Haldern Pop Festival 2020 Ticketshop


Fotos: Denis Schinner 


 

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