Freitag, 30. April 2010

Eagle Seagull, Paris, 29.04.10

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Konzert: Eagle Seagull
Ort: La Flèche d'or, Paris
Datum: 29.04.2010
Zuschauer: circa 200-250
Konzertdauer: etwa 1 Stunde



Der 29. April 2010, vielleicht der bislang wärmste Tag des Jahres in Paris. Und vollgepackt mit Indie-Konzerten: These New Puritans im Point FMR, She & Him im Alhambra, Editors* (mit unseren Lieblingen iliketrains als Vorgruppe!) im Olympia, Farewell Poetry (Post Punk Sensation aus Paris) in der Société de la curiosité und Eagle Seagull in der Flèche d'or. Eigentlich sollten zudem auch noch The Leisure Society in der Maroquinerie spielen, aber dieses Konzert wurde abgesagt.

Ich entschied mich schließlich für Eagle Seagull, denn die hatte ich nie zuvor gesehen. Relativ bekannt geworden durch das 2006 er Debüt-Album, waren die Amis in der Folge wieder recht schnell in Vergessenheit geraten. Aber nun sind sie mit dem neuen Opus The Year Of The How-To Book zurück und heimsen damit sehr ordentliche Kritiken ein. Ich war gespannt, ob sie mir gefallen würden. Zunächst war aber noch eine französische Garagenrock/Punkband namens Non! zu ertragen, die volles Rohr auf The Kills machten. Sie als wildes männermordendes Luder, er mit gemeinen Gitarrenriffs und höllisch lauten Distorsionen. Zum Glück sangen sie wenigstens auf französisch, so daß das Ganze zumindest ein wenig originell war. Und gelangweilt habe ich mich eigentlich nicht, denn die Sängerin hatte wirklich die coolsten Rockstarposen drauf.

Gegen 22 Uhr 30 dann endlich Eagle Seagull. Sofort fiel mein Blick auf die gleich vor mir stehende blonde Keyboarderin. Was für ein höllisch attraktives Weibsbild schon wieder! Ihrer Wirkung auf die Männer war sie sich aber natürlich vollkommen bewußt und poste das ganze Set über lasziv, nahm einen Arm hinter ihren Kopf oder legte einen verführerischen Schlafzimmerblick auf. Das blonde Gift hatte zudem ein geiles Tattoo auf dem Oberarm und mir fielen vor lauter Glotzerei fast die Augen aus dem Kopf! Den Vogel schoß sie allerdings ab, als sie Geige spielte und dabei wirkte, als sei sie bei einem Modeshooting. Ich hielt volles Rohr drauf, na klar! Aber auch der Sänger war ein Hingucker. Pfauenfedernes Stirnband, lange Lockenmähne und grün (!) lackierte Fingernägel. Ich glaube er teilt sich den Nagellack mit der Keyboarderin. Aber egal...

Komplettiert wurde die Runde durch eher unauffällige Herrschaften an Bass, Gitarre und Schlagzeug. Der gespielte Sound war deutlich elektronischer als ich das erwartet hatte. Oft sorgten gleich zwei Keyboards auf einmal für einen treibenden, tanzbaren Beat, der seine Wirkung bei den Fans in den ersten Reihen nicht verfehlte. Ich persönlich hätte mir ein wenig mehr Gitarren gwünscht, aber zumindest der Bass dröhnte und holperte rasant schnell vor sich hin. Stimmlich erinnerte Frontmann Elie Mardock an Robert "The Cure" Smith, aber natürlich auch an Win Butler, oder - mit etwas Fantasie-, an Marc "Soft Cell" Almond. Beachtlich sein Falsett, vor allem bei The Boy With A Serpent In His Heart. Er sang mindestens 95 Prozent der Texte, aber bei einem Lied durfte auch einmal die blonde Tatto-Lady Carrie Butler ran. Das Set war dem der am 26. April eingespielten Black Session sehr ähnlich. Es fanden sich darin Songs mit so kuriosen Titeln wie I Don't Know If People Have Hated Me But I Have Hated People oder I'm Sorry But I'm Beginning To Hate Your Face, die absolut größte Zugnumer kam aber mit You're The Reason Why I'm Afraid To Die gegen Ende. Melancholisch, manchmal fast kitschig und mit Arcade Fireschen Klagesängen überzogen, bevor die Post tierisch abging. Viele sangen den Refrain mit, was nicht schwer war. Eagle Seagull sind catchy wie Hölle, das müssen ihnen zumindest auch die Nichtfans zugestehen!

Das Publikum hatte seinen Spaß und bekam gegen den Applaus auch noch zwei Zugaben spendiert.

Möglicherweise gab es irgendwo anders heute in Paris ein besseres Konzert, aber Eagle Seagull waren überhaupt nicht verkehrt.
Eine Frage stellten sich aber am Ende alle: Was hatte der ehemalige Premier Minister Dominique De Villepin hier verloren?? Als das Konzert bereits zu Ende war, latschte er mit ein paar Begleiterin einmal durch den Raum Richtung Restaurant und wieder zurück...

Setlist Eagle Seagull, Paris:

01: I Don't Know If People Have Hated Me But I Have Hated People
02: Photograph
03: Thanks To All
04: I'm Sorry But I'm Beginning To Hate Your Face
05: You Can't Call Yourself A Secret
06: The Boy With A Serpent In His Heart
07: 20 000 Light Years
08: I Don't Know If It's Ignorance Or Transcendance
09: The Year Of The How-To-Book
10: Your Beauty Is A Knife I Turn On My Throat
11: You're The Reason Why I'm Afraid To Die


* Exkurs: Setlist Editors, Olympia, Paris (from Rockerparis):

01: In This Light And On This Evening
02: An End Has A Start
03: You Don't Know Love
04: Bones
05: A Life As A Ghost
06: Eat Raw Meat = Blood Drool
07: Blood
08: Escape The Nest
09: Last Day
10: Bullets
11: The Big Exit
12: The Racing Rats
13: Munich
14: Smokers Outside The Hospital Doors

15: No Sound But The Wind
16: Bricks And Mortar
17: Papillon
18: Fingers In The Factories



Donnerstag, 29. April 2010

Efterklang & Heather Woods Broderick, Paris, 28.04.10

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Konzert: Efterklang (Heather Woods Broderick)

Ort: Le Nouveau Casino
Datum: 28.04.2010
Zuschauer: nicht ganz ausverkauft
Konzertdauer: Heather Woods Broderick etwa 40 Minuten, Efterklang ungefähr 80 Minuten


Nicht das Konzert des Jahres. Waren Efterklang also deshalb gleich schlecht? - Keineswegs! Bloß, daß sie mich nun zum zweiten mal hintereinander nicht so begeistern konnten wie bei ihrem legendären Gig im Pariser Point FMR im April 2008. Und wie war Heather Woods Broderick? Herzallerliebst! Die Schwester von Peter Broderick, der wegen einer Knie OP heute nicht wie gewohnt zur Formation von Efterklang gehörte, trug ganz alleine an der Gitarre, aber unter zur Hilfenahme etlicher Loops, feine sphärische Songs vor, die stilistisch irgendwo zwischen Dream Pop und Folk lagen.

Wer es ausführlicher möchte, bitte schön:

So, diesmal war ich ordnungemäß akkrediert. Wollte ja nicht zum zweiten Mal in Folge im Nouveau Casino abgewiesen werden wie ein stinkender Fischer! Aber auch dieses Mal war das Prozedere ein wenig nervig, denn als das Mädchen an der Kasse ihre Gästeliste zückte, hielt ein bulliger Gorilla seine große Hand davor, so als wolle er verhindern, daß ich irgendeinen Namen lesen kann und mir mittels Identitätstäuschung den Zugang erschleiche. Seltsame Sitten greifen hier um sich...

Drinnen angekommen (der Sänger von Efterklang sollte die futuristische Location später witzigerweise "Batman Cage" nennen) war noch nicht allzu viel los. Es war kurz nach 20 Uhr und die bereits erschienenen Gäste warteten auf den Auftritt der inzwischen in Portland/Oregan , USA lebenden Dänin Heather Woods Broderick. Zum Glück war es nicht ganz so heiß wie dies aufgrund der deutlich gestiegenen Temperaturen draußen zu erwarten war. Ich legte dennoch meine Jacke ab, brachte mein Objektiv in Stellung und dann kam sie auch aus der Kabine gekrochen: Heather, die Schwester von Peter, dem großartigen Geiger! Sie selbst fiedelte nicht, sondern spielte einzig und allein auf einer Elektrischen. Sie war sehr zierlich und klein, aber enorm hübsch. Ein richtiges kleines Püppchen. Natürlich nur äußerlich, denn sie bot selbstredend keinen Mainstream-Zuckerpop, sondern eine Mischung aus Dream Pop und Folk. Ganz diskret drückte sie immer mal wieder Knöpfchen und trat auf Pedale , um mittels Looptechnik, gesampelte Passagen zu reproduzieren. Das gab dem Ganzen einen raumerfüllenden, schwebenden Klang, der sich über ihre schöne, naturreine Stimme legte. Mit ihrem Werk war ich allerdings nicht vertraut. Das Einzige, was ich über sie wußte, war, daß sie bei den famosen Horse Feathers mitmusiziert hat und natürlich, daß sie die Schwester von Peter Broderick ist. Die Künstlerin selbst half mir hinsichtlich ihrer Diskografie ein wenig auf die Sprünge. Da sie inzwischen in Portland/Oregan lebe und die Szene dort sehr spannend sei, habe sie an einem Sampler mitgewirkt, auf dem ein Lied von ihr, aber auch Songs anderer toller Acts aus der hippen Gegend enthalten sei. Desweiteren könne sie auch ihr Debütalbum From The Ground zum Verkauf anbieten. Von diesem Werk stammten dann natürlich auch die meisten Titel. Ich weiß nicht mehr genau, was sie gespielt hat, aber es waren definitiv ein paar der Perlen dabei, die man auf ihrer MySpace Seite genießen kann. Allein Cottonwood Bay, ein Traum oder?

Nach etwa 40 Minuten hatte Heather Woods Broderick fertig, aber ich war sicher, daß sie auch beim anschließenden Konzert von Efterklang mitwirken würde. Ich sollte recht behalten. Das süße Mädel hatte sich in der Pause umgezogen und kam mit einem sehr verführerischen Look zurück. Sie trug sexy Stiefelchen und türkisfarbene Strumpfhosen. Heiß! Die Spots waren aber leider immer auf den baumlangen Sänger Casper Clausen gerichtet. Der machte mal wieder Grinsemann und Söhne und lächelte auf Teufel komm raus. Ich glaube aber, daß das bei ihm nicht aufgesetzt ist und er einfach unglaublich nett ist. Oder hat er etwa vorher als Stewart oder der Sandwichkette Subways gearbeitet?

Begonnen wurde mit einem Doppelschlag vom neuen Album Magic Chairs und zwar Modern Drift und Alike. Leider fehlte die Geige von Peter Broderick, aber dafür war der Gesangespart wesentlich ausgeprägter als von alten Efterklang Stücken gewohnt. "There is nowhere to escape" wimmerte Casper und klang fast ein wenig wie ein anderer Skandinavier: Morten "A-ha" Harket". "Can you hear them calling" sang nun auch Heather den Refrain mit, bevor das Stück in einen instrumentalen Part abdriftete. Bei Alike sang der Hüne fast wie Chris "Coldplay" Martin aber auch wie der Typ von Alphaville und der Schlagzeugsound war sehr perkussiv. Aber vor allem: es gab eine Trompete! Ein gutes Lied, keine Frage, aber der Funke war noch nicht so richtig übergesprungen. Erst bei Mirador vom glänzenden Vorgängeralbum Parades wurde das Publikum wesentlich wacher. Herrliche Glöcken und Laptopgeplucker zu Beginn, ein gehauchter wolkenverhangener Gesang und Pauken und Trompeter im weiteren Verlauf machten deutlich, daß es wohl schwer sein wird das Album Parades und seine darauf enthalteten Hits zu toppen. Auch an das etwas später gespielte Caravan kam kaum etwas heran. Heroisch, verstörend schön, kraftvoll und elegant dieser Kracher! Nörgler wettern ohnehin gegen das neue Album Magic Chairs. Es sei zu poppig, zu wenig mutig und experimentell und fast kommerziell ausgefallen. Richtig ist, daß die neuen Stücke deutlich näher an konventionellen Songstrukturen orientiert sind, was man bei Modern Drift noch einmal gut sehen konnte. Wesentlich mehr Gesang als früher, einprägsamer und ohne große Brüche. Schön ist es trotzdem, gönnen wir Efterklang doch einmal ein Lied, das theoretisch im Radio laufen könnte. Jede Band braucht früher oder später einen Hit und Modern Drift hat die Qualitäten hierzu. Besser gefällt mir aber nach wie vor Cutting Ice To Snow, welches den offiziellen Teil wunderbar abschloß. Einzigartig, wie sich das Lied ganz langsam heranpirscht, nach ultralahmen Beginn immer dichter und dramatischer wird und gen Himmel strebt. Allein für Cutting Ice To Snow hatte es sich gelohnt, hier und heute dabei zu sein! Aber es gab ja sogar noch Zugaben, darunter eine B-Seite , die erstaunlich gut war und einen noisigen, fulminanten Abgang.

Ein gutes Konzert!


Setlist Efterklang, Nouveau Casino, Paris:

01: Full Moon
02: Alike
03: I Was Playing Drums
04: Mirador
05. Step Aside
06: Caravan
07: Blowing Lungs Like Bubbles
08: Harmonics
09: Raincoats
10: Modern Drift
11: Cutting Ice To Snow

12: Mirror Mirror
13: The Soft Beating
14: Me Me Me The Brick House

Konzerttermine von Heather Woods Broderick (ohne Gewähr):

29.04.2010: Grand Mix, Tourcoing
30.04.2010: VIP, Saint Nazaire
01.05.2010: Centrifugeuse, Pau
02.05.2010: La (2) de Apolo, Barcelona
04.05.2010: Init, Rom
06.05.2010: 1. Stock, Basel
11.05.2010: Gebäude 9, Köln

12.05.2010: Knust, Hamburg
13.05.2010: Rotown, Rotterdam
14.05.2010: Doornroosje, Nijmegen


Deutsche Konzerttermine von Efterklang (ohne Gewähr):

07.05.2010: Theater Freiburg, Freiburg
08.05.2010: Astra Kulturhaus, Friction Festival, Berlin
11.05.2010: Gebäude 9, Köln
12.05.2010: Knust, Hamburg
29.05.2010: Immergut Festival, Neustrelitz
14.08.2010: Haldern Pop Festival, Rees-Haldern


Tolle Fotos von diesem Konzert bei Robert Gil: Heather Woods Broderick, Efterklang

Aus unserem Archiv:

Efterklang, Paris, 03.10.09
Efterklang, Paris, 07.04.08




Mittwoch, 28. April 2010

Konzertankündigung Meursault

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Konzertankündigung Meursault
Orte & Daten: siehe unten


Manchmal gehen einem die feinsten Bands durch die Lappen. So geschehen bei der schottischen Band mit dem französischen Namen Meursault. Ungemein warmherzige, harmonische und ausgewogene Folkmusik machen die vier Burschen und waren mit ihren Songs im Gepäck auf Tour durchs europäische Festland. Am 21. und 22. April beehrten sie ohne mein Wissen Paris (Scopitone & Pop In), am 24. April spielten sie in Offenbach auf (Hafen 2) und am 25. waren sie im Rationaltheater in München zu Gast. Wer von unseren Lesern hat das Quartett aus Edinburgh gesehen? Wie waren sie? Es gibt noch ein paar kleine Chancen sie zu erwischen.

Resttourdaten von Meursault (ohne Gewähr):

04.05.2010: Giraf Café, Straßburg
05.05.2010: Molodoi, Straßburg
06.05.2010: Silber, Hamburg
21.05.2010: Sneaky Pete's, Edinburgh
11.06.2010. Barden's Boudoir , London

- prima Portrait der Band Meursault auf dem Klienicum, klick!



Barzin, Paris, 27.04.10

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Konzert: Barzin

Ort: L'Espace B, Paris

Datum: 27.04.2010
Zuschauer: etwa 50
Konzertdauer. ungefähr 1 Stunde


Kennt hier jemand Barzin? Ja? Nein? Ist keine Mischung aus Benzin und Marzipan, sondern ein fabelhafter kanadischer Singer/Songwriter, der heute zusammen mit seiner Band ein wunderschönes Konzert aufs Parkett gelegt hat. Nicht nur Kultblogger Vincent Moon (La Blogothèque), der im Publikum weilte, sondern auch ich und die anderen Gäste, waren von den kontemplativen Songs des sympathischen Musikers sehr angetan.

Wer es gerne ausführlicher möchte, bitte schön:

Gerne bemühen Musikjournalisten klischeehafte Ausdrücke, um den jeweiligen Stil eines Künstlers zu beschreiben. Rotweinmusik, Kaminfeuermusik, perfekt für den Herbst, oder - ganz schlimm: Kuschelrock (hilfe!), all diese Floskeln hat jeder schon einmal im Musikexpress, der Spex, oder im deutschen Rolling Stone gelesen. Dog shit! Aber irgendwie passen diese Kategorisierungen oft erstaunlich gut und jeder weiß sofort was gemeint ist. Der Kanadier Barzin macht, nun ja ... Rotweinmusik, die man an einem kühlen Herbstabend prima vor dem flackernden Kamin anhören und zu der man mit seiner Geliebten herrlich kuscheln kann. Ähem, ja. Nennen wir es lieber Slowcore. Diesen Ausdruck liest man häufig im Zusammenhang mit Barzin. Slowcore, was is'n das? Das Gegenteil von Hardcore? Hmm, vielleicht. Meint aber sicherlich, daß die Lieder des Kanadiers saumäßig langsam und melancholisch sind. Chokebore= Sadcore, Barzin= Slowcore, passt schon irgendwie. Wer auf Slayer steht, ist bei Barzin sicherlich fehl am Platze. Die Songs plätschern nämlich in Zeitlupe (Slowmotion) dahin und man hat reichlich Zeit, sein Rotweinglas auszudrinken. Genau die richtige Musik für einen permanent getriebenden und rastlosen Menschen wie mich also. Ich hetzte mich ab wie so ein Weltmeister, um pünktlich im Espace B zu erscheinen. Ich war nämlich vorher im Café de la Danse bei Lightspeed Champion und musste mich mächtig sputen, um gegen 22 Uhr 15 einzutreffen. Ich schaffte die Punktlandung und kam genau pünktlich zum ersten Song. Einige Leute lungerten schon wieder auf dem Fußboden rum, eine Angewohnheit, die ich nicht besonders schätze, aber tanzbar war die Musik, die da vorne gespielt wurde nunmal nicht. Am Besten hätte man sie in einem bequemen Ohrensessel genoßen. Mit einem Glas Rotwein in der Hand, versteht sich. Aber auch ganz ohne ein Gläschen Bordeaux und eine weiche Rückenlehne verfehlte der sentimentale Stoff seine Wirkung nicht. Ungemein erlesen, harmonisch und fein, was Barzin und seine drei Begleitmusiker da ablieferten. Es gab eine Pedal Steel, ein Akkordeon und ein Xylophon, um die knisternde Atmosphäre zu erzeugen. Traumhaft war das. Kein schiefer Ton, keine falsche Note, kein Knarzen störte den Wohlklang. Ich schwebte dahin, ließ mich gleiten und war schwer angetan, von dem bildschönen Seelentröster Let's Go Driving. Wow, fast wie bei Sparklehorse, so als würde man von der sanften Stimme in Watte eingepackt! Und da Mark Linkous nun einmal leider seinem Leben ein Ende gesetzt hat, freut man sich, daß es würdige Nachfolger wie Barzin gibt. Jedes einzelne Lied war ein Hochgenuß erster Güte, so daß es schwer fällt, besondere Schmankerl herauszupicken. Vielleicht sollte man Past All Concerns besonders erwähnen: "I followed you to your room you took your clothes off", das nenne ich einen Text, der Lust gibt! Kein Wunder, daß die Lyrics nur gehaucht werden, man kann das Knistern förmlich spüren. Auf diese Weise wandelte der Kanadier mit uns fast eine Stunde lang durch eine Wolke aus (nicht zu süßer) Zuckerwatte und meinte am Ende mit einem Augenzwinkern: "This is our last song, it's our rock song." Laut war die Nummer natürlich trotzdem nicht, aber wir hatten ja Rotweinmusik bestellt, you know? Den Rausch wollten natürlich alle Anwesenden noch ein wenig verlängern und Blogger-und Filmergott Vincent Moon höchstpersönlich wünschte sich Leaving Time. Eine Schmonzette wie aus dem Lehrbuch, die heftig auf die Tränendrüse drückte und auch die Songzeile: "I'll paint for you something blue" enthielt. Witzig war, daß Barzin erwähnte, daß Vincent in seinem Videoclip extra eine besonders hübsche Frau ausgesucht hatte, um das Stück zu illustrieren. Nach einer weiteren Zugabe war Schluß und wie auf Federn schwebte ich berauscht (nicht vom Rotwein, hatte ja keinen gesoffen!) aus dem Espace B, zwei frisch erworbene CDs des Künstlers unter dem Arm, um mich zu Hause von seinen Balladen in den Schlaf wiegen zu lassen.

Setlist Barzin, Espace B, Paris:

01. Queen Jane
02: In The Morning
03: Let's Go Driving
04: Oh Lover
05: If I'm Bleeding Now
06: Past All Concerns
07: I Couldn't Find The City
08: Fucked Up
09: Lover In The Dark

10: Leaving Time
11: ?



Lightspeed Champion & Kurran and The Wolfnotes Paris, 27.04.10

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Konzert: Lightspeed Champion & Kurran and The Wolfnotes

Ort: Le Café de la danse, Paris
Datum: 27.04.2010
Zuschauer: nicht ganz ausverkauft, etwa 400



Eigentlich wäre ich heute gerne mit Christoph's Tasche aufgelaufen. Auf der steht nämlich: "Ich bin nur wegen der Vorgruppe hier." In der Tat interessierten mich die aufstrebenden Engländer Kurran and The Wolfnotes vorher mehr als Lightspeed Champion. Devonté Hynes hatte ich in den vergangenen Jahren schon mehrfach gesehen, aber so richtig überzeugt hat er mich nie. Anders heute. Von Beginn an machte er mit seiner dreiköpfigen Begleitband viel Dampf, traf im Gegensatz zu früher fast jeden Ton und spielte vor allem fabelhaft Gitarre. Das Set hatte Schwung, war abwechslungsreich und gespickt mit herrlichen Melodien. Launemachender Power Pop, der mich in den besten Momenten an die Strokes erinnerte. Stärkstes Stück von den neuen Liedern: Madame C´Van Damme, ein luftig leichter 60ies Pop Track, der sofort ins Ohr ging ("Kill me, baby won't you kill me").

Aber auch die Vorgruppe hat mich nicht enttäuscht. Beim Anhören der Songs von Kurran and The Wolfnotes auf MySpace fühlte ich mich phasenweise an die Smiths erinnert, was nicht weiter wundert, wenn man weiß, daß Stephen Street die Single What A Bitch produziert hat. Im Konzert allerdings klang das Ganze eher nach US-Collegerock à la Guided By Voices, Pedro The Lion oder Rogue Wave. Straight und schnörkellos, aber sehr frisch und berauschend. Fanden wohl auch viele andere Zuschauer, denn die selbstgebrannten EP's, die die Band von der Bühne aus für 5 Euro verkaufte, gingen weg wie die warmen Semmeln.

Ingesamt ein super Abend. Demnächst mehr Details hierzu!

Setlist Lightspeed Champion, Café de la danse, Paris:

01: Marlene
02: Midnight Surprise
03: Galaxy Of The Lost
04: Romart
05: Tell Me What It's worth
06: Straight
07: Faculty Of Fears
08: Madame van Damme
09: Middle Of The Dark
10: Heavy Purple
11: Sweetheart

Aus unserem Archiv:

Lightspeed Champion, Paris, 15.05.08
Lightspeed Champion, Paris, 09.11.07




Dienstag, 27. April 2010

Crystal Castles, Melt! Festival, 17.07.09

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Konzert: Crystal Castles

Ort: Melt! Festival Gräfenheinichen
Datum: 17.07.2009
Zuschauer: tausende
Konzertdauer: etwa 45-50 Minuten



Eigentlich wollte ich ja wie gewohnt einen topaktuellen Bericht abliefern. Aber ich kam in das verflixte Nouveau Casino am heutigen 26. April leider nicht rein. Das Konzert von Crystal Castles war seit Wochen ausverkauft und ich hatte mein Verhandlungsgeschick über- und die Genauigkeit der jungen Dame an der Kasse unterschätzt. Klar, ich hatte mich nicht um eine Akkreditierung bemüht, dachte aber, daß ich glaubhaft darstellen könne, daß ich mir für meine Konzertberichte und Fotos den Arsch aufreiße und verdiene, auf der Gästeliste zu stehen. Vor dem Nouveau Casino hingen gegen 21 Uhr nur noch ein paar Flyerverteiler und eine Gruppe junger Mädchen rum. Der Gorrilla am Eingang machte sofort deutlich, daß er niemanden ohne Karte vorbeilasse, da das Konzert ausverkauft sei. Durch Zufall kam aber gerade eine Bekannte von mir vorbei, die auch schon Konzerte hier organisiert hat. Wir unterhielten uns und dies verlieh mir vor dem Einlasser Glaubwürdigkeit. Er ließ mich passieren und ich konnte bis zum Kassenhäuschen vordringen. Höflich erkundigte ich mich, wie die Platzsituation aussähe. Zur Not würde ich auch eine Karte kaufen. "Nein, geht nicht!" schallte es mir patzig entgegen. "Und wie sieht es mit der Gästeliste aus?", setzte ich nach und zeigte auf einen dicken Stapel von unabgeholten Einladungstickets. "Davon kann ich ihnen keine geben, die Leute kommen ganz sicher alle noch!" Was für eine Erbsenzählerin! Eine echte Korinthenkackerin! Erlebt man in Frankreich eher selten, oft kann man verhandeln und auf Kulanz hoffen, zumal im konkreten Falle auch 20 Minuten später niemand mehr kam, um seinen Gästelistenplatz in Anspruch zu nehmen. Und die Show hatte inzwischen angefangen!

Ich zog also wie ein begossener Pudel ab und entschloß mich noch auf dem Rückweg, einen alten, nie geschriebenen Bericht über das Konzert von Crystal Castles beim Melt! Festival 2009 nachzureichen, denn das hatte es wirklich in sich!

Hier ist er:

Beim Melt! gibt es neben der Haupt- auch noch zahlreiche andere Bühnen. Der Auftritt der Kanadier Crystal Castles fand in einem offenen Zelt aus Glas (gibt es sowas?, ja!) statt. Denke das Ding hieß Gemini Stage. Ich war saumäßig gespannt, denn ich hatte ein früheres Pariser Konzert von Crystal Castles noch in lebhafter Erinnerung. Da ging so umfassbar der Punk ab, daß es mich glatt auf den Boden warf, als eine Wellenbewegung durchs Publikum ging. Ich war also vorgewarnt, wußte wie brutal wild das heute würde! Und es war wirklich erneut gigantisch! Die saumäßig hübsche Alice Glass wirbelte von der ersten bis zur letzten Minute wie von der Tarantel gestochen über die Bühne und baute sich in bewährter Manier direkt vor den Fans auf. Die knochige, spindeldürre Frau ist wahrlich ein Vulkan! Fast vergaß ich, daß Crystal Castles eigentlich ein Duo sind und Ethan Kath die fetzigen Beats beisteuert. Es zirpte, wummte, krachte in allen Ecken. Gebraut wurde ein teuflisches Soundgemisch aus Sirenen, pluckernden Beats und hypnotischen Samples, das mir alle Sinne raubte. "Wumm, wumm, wumm" und "zirp zirp zirp", donnerte es ohne Unterlass und die schwarzhaarige Sängerin mit dem stylishen Pagenschnitt schrie, als würde ihr ohne Narkose ein Bein amputiert. Ein wilderes Weibsbild kann man sich kaum vorstellen! Die einzige vergleichbare Frontfrau, die mir einfällt, wäre Beth Ditto. Alice Glass also eine Beth Ditto in dünn. Oder so. Schade bloß, daß man sie so selten richtig sah, denn es war stockdunkel und einzig und allein periodisch aufflackernes Weißlicht ließ einen Sekundenbruchteil lang einen Blick auf die Frontlady zu. Wie toll sie tanzte! So cool, so saulässig, so zügellos. Und ihr männlicher Mitspieler zaubert aus dem Hintergund Computer-Melodien , die man als älterer Zuschauer noch aus Atari Spielen kannte. Ich war hingerissen und das obwohl ich mit rein elektronischer Musik eigentlich nicht viel anfangen kann. Aber der Elektro-Punk von Crystal Castles hat es wirklich in sich und live bringen sie die Sache einfach überwältigend rüber. Der Hit Courtship Dating hatte zur Abwechslung sogar Text, aber was gesungen wurde, interessierte hier und heute niemanden auch nur die Bohne. Das Tempo und die Stimmung waren durchgängig sensationell, aber bei Crimewave war das Gehüpfe, Gestoße und Geschunkel im Publikum noch eine Ecke schärfer. Bei Air War wurde regelrecht Pac Man gespielt. Musikalisch versteht sich! Pbwohl ich gerne das Monster gewesen wäre, daß Alice mit Haut und Haare verschluckt. Mein absoluter Favorit des Sets war Black Panther, das so unglaublich modern und futuristisch klingt. Ein galaktischer Track, der deutlich weniger düster und aggressiver war als der Rest des Konzerts.

Insgesamt: Ein atemberaubender Gig! Danke an die junge Band aus Kanada, daß sie mir für eine knappe Stunde, die Illusion gaben, noch einmal 20 und voller Tatendrang zu sein.

Aus unserem Archiv:

Crystal Castles, Paris, 22.05.08

Link:

Photos von Crystal Castles @ Nouveau Casino, Paris bei Elodie Nelson, klick!





Sonntag, 25. April 2010

Marie-Flore & Gaspard Royant, Paris, 14.04.10

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Konzert: Marie- Flore & Gaspard Royant

Ort: Gibert Joseph, Paris
Datum: 14.04.2010
Zuschauer: 35 oder so
Konzertdauer: insgesamt eine knappe Stunde oder so


Rückblende:



Der 14.04.2010 war ein schöner Frühlingstag in Paris. Die Kirschbläume blühten herrlich rosa und die Seine glitzerte unter der Sonne. Eigentlich viel zu gutes Wetter, um in einem schnöden Plattenladen rumzuhängen. Aber schließlich spielte ja Marie-Flore und die gehört nun einmal zu meinen französischen Lieblingssängerinnen. Ich behaupte sogar von mir, sie als erster so richtig entdeckt zu haben. Ein albernes Spielchen dieses: "Ich kannte sie vor Dir und den ganzen anderen Bloggern ätschi bätschi", schon klar. Aber dennoch beteilige ich mich auch gerne an so einer Kinderkacke. Gehört irgendwie zu dem ganzen Bloggermist dazu. Wenn man für seine euphorischen Ergüsse schon keine Knete bekommt, will man wenigstens von sich behaupten, immer der Schnellste zu sein. Ich erinnere mich noch allzu gut an die Zeiten, als Marie-Flore mehrer Konzerte im Divan Du Monde vor höchstens 30 Zuschauern gegeben hat. Wahrscheinlich war ich fast der einzige Blogger, der davon Notiz nahm und berichtete, denn als ich sie kennenlernte, fragte sie sofort: "Bist Du dieser deutsche Blogger da? Ich habe zwar kein Wort verstanden, aber ich glaube dein Bericht war positiv, oder?" - Natürlich war er das, denn die samtweiche Wisperstimme von Marie-Flore und ihr Ohrwurm Empty Walls hatten es mir auf Anhieb angetan.



Inzwischen ist so einige Zeit ins Land gegangen und Ende 2009 wählten französische Blogger ihr erstes Minialbum More Than Thirty Seconds If You Please zu den besten Alben des Jahres. Aber damit nicht genug, am 7. Juli wird Marie-Flore im legendären Olympia im Vorprogramm von Coeur de Pirate auftreten! Damit ist sie bereits der vierte Künstler, den ich sehr früh in winzigen Locations entdeckt hatte, der es in diese Kultstätte schafft (ich klopfe mir gerade selbst auf die Schulter, aua!). Vorher gelang bereits The Rodeo, Mai und Kim Novak dieses Kunststück.

Dennoch ist der Weg nach oben steinig und nicht immer glamourös. So wie heute. Auftritte kurz hinter der Eingangstür in einem Plattenladen sind sicherlich nicht gerade der Kick für einen Künstler. Leute latschten rein und raus, klotzen ab und zu zufällig auf die improvisierte Bühne und hauen kurze Zeit später wieder ab. Undankbar. Umso toller, daß Marie-Flore noch nicht abgehoben ist und weiterhin alles dafür tut, sich und ihr Minalbum zu promoten. Anbiederung ist das nicht, sondern das gehört zum Alltag für Indiemusiker. Man nimmt, was kommt. Natürlich gehörten auch ihre frühen Lieder wie das wunderschöne Empty Walls, Street, Half Pas Three, oder Trapdoor wieder zum Set, aber auch neue Stücke wie Made Of Sticks oder das großartige While You Were There wurden angestimmt. Marie-Flore ist immer wieder toll, ihre Schüchternheit steht ihr nach wie vor ausgezeichnet und die wehklagende Samtstimme hat bei mir noch nie ihre Wirkung verfehlt. Auf ihrem Weg nach oben drücke ich Ihr fest die Daumen!

Anschließend trat dann noch der Folksänger Gaspard Royant auf, der eigentlich auch ein Duett (Yours) mit Marie-Flore im Programm hat, aber dieses heute unter den Tisch fallen ließ. Stattdessen spielte er andere Sachen von seiner ersten EP und die sind auch alles andere als übel. Interessierte Hörer sollten sich ruhig einmal Titel wie Grow oder All Is Truth anhören, um sich mit Gaspard vertraut zu machen. Es könnte sich lohnen! Sein stärkster Song bei MySpace ist aber Random Gospel, da klingt er fast wie die Fleet Foxes. Schön!

Aus unserem Archiv:
Marie-Flore, Paris, 10.04.2010
Marie-Flore, Paris, 03.07.09
Marie-Flore, Paris, 11.04.09
Marie-Flore, Paris, 13.01.09
Marie-Flore, Paris, 11.10.08
Marie-Flore, Paris, 17.05.08
Marie-Flore, Paris, 24.04.08
Marie-Flore, Paris, 15.02.08
Marie-Flore, Paris, 30.09.07



Maud Lübeck, Paris, 23.04.2010

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Maud Lübeck

Ort: Les Trois Baudets, Paris

Datum: 23.04.2010

Zuschauer: hmm, 100 vielleicht?

Konzertdauer: 40-45 Minuten




Leute, die sich über alle Maßen begeistern können, die über das wunderbare Gotteschenk der Euphorie verfügen, fand ich schon als kleiner Junge toll. Damals mit etwa 10 Jahren lief mir zum ersten Mal ein kalter Schauer den Rücken runter, als der Schwede Björn Borg nach verbittertem Kampf das Wimbledon Finale gegen John McEnroe gewann, vor Freude auf die Knie sank und überglücklich seinen Schlänger gen Himmel rammte. Von da an habe ich fast immer eine Gänsehaut gehabt, wenn sich Sportler auf emotionale Weise über den Sieg freuen, egal ob ich ihr Fan war oder nicht. Auch die oft weinenden unterlegenen Kontrahenten haben mich alles andere als kalt gelassen. Ungefälschte Emotionen, das ist es, was ich schätze.

Aber nicht nur im Sport, sondern auch bei der Musik geht es um starke Gefühle. Wer eingefleischter Fan von einer oder mehreren Bands bzw. Solokünstlern ist, weiß wovon ich rede. Immer wieder famos, wenn das Publikum bei Konzerten mitgeht, klatscht, schreit, oder auch vor Rührung weint. In meinen Konzertberichten versuche ich deshalb, meine Eindrücke so unverfälscht wie möglich, zu schildern. Ich schreibe so schnell es geht, damit nichts verwässert wird und ich keine Zeit habe, über das Erlebte lange zu reflektieren. Überarbeit werden die Reviews in inhaltlicher Hinsicht (fast) nie. Daß ich ab und an zu euphorisch, oder (seltener) zu bärbeißig werde, nehme ich hierbei in Kauf. Authenzität hat Vorrang vor Abwägung.

Schön, daß es auch andere Musikkritiker (falls ich ein solcher als brotloser Blogger überhaupt sein sollte) gibt, die ihren Emotionen freien Lauf lassen. JD Beauvallet von der renommierten Postille Les Inrockuptibles ist einer von diesem Schlag. Geradezu veschlungen habe ich seine himmelhochjauchzenden Ausführungen zu der Pariser Pianistin Maud Lübeck. Meine Fresse, den Kerl muß es wirklich voll erwischt haben! Maud Lübeck hat ihm wohl alle Sinne geraubt. Bis ins kleinste Detail beschreibt er in seinem Artikel, was die Dame mit ihm gefühlsmäßig anstellt. Er wirft eingangs die Frage auf, ob es in einer Gesellschaft, die die Polygamie ablehnt, duldbar sei, daß man als verheirateter Mann emotional heftig fremd flirtet. Das man an eine andere Frau (natürlich Maud Lübeck) ständig denkt, so stark, daß man unglaublich genervt ist, wenn das Telefon bimmelt, oder jemand and der Wohnungstür klopft. Dann erzählt er von den Liedern der Chanteuse. Wie sie sich langsam und feinfühlig an ihn herangepirscht haben, einer nach dem anderen. Wie sie ihn schließlich vollkommen überwältigt haben. Wie sie ihm gleichzeitig enorm gut und schrecklich weh tun. Und dies obwohl die Sängerin noch kein Album auf den Markt gebracht, ja noch nicht einmal ein Plattenlabel hat! Er vermag sich gar nicht auszudenken, welche süchtig machende Wirkung die Stücke entwickeln, wenn sie neu arrangiert werden, z.B. mittels Violinen. Seine euphorischen Ergüsse schließt JD Bauvallet mit einem Vergleich. Maud Lübeck würde bei ihm die gleichen Gefühle auslösen, wie dereinst Barbara (eine klassische französische Chanson-Sängerin). Und Lieder von Barbara hätte er seit frühester Jugend jede Woche seines ganzen Lebens gehört...

An diese Lobgesänge erinnerte ich mich wieder, als ich durch Zufall aufschnappte, daß Maud Lübeck ab dem 23. April im Trois Baudets einige Konzerte im Rahmen des Festivals Les Zéphémères geben würde. Von den liebestollen Zeilen des renommierten Kritikers angefixt, notierte ich sofort den 23. rot im meinem Kalender. Rot waren dann auch die Sessel im Trois Baudets, der austragenden Location. Umgeben von einer Frauengruppe um die 60 (wirkte fast wie ein regelmäßiges Treffen zu kulturellen Veranstaltungen) wartete ich auf den Auftritt der Lübeck. Dann wurde das Licht auf der Bühne plötzlich intensiver und eine Frau trat auf den Plan. Sie stellte sich als Maud Lübeck vor und fügte grinsend hinzu, daß sie ihre Haare blond gefärbt und ein paar Kilos zugelegt habe. War natürlich alles nur ein Gag, denn bei der Frau handelte es sich um die Ansagerin und nicht die Künstlerin. Die Pianistin selbst kam erst zwei Minuten später aus der Kabine gekrochen. In der Tat sehr schlank, fast dürr und mit brünetten Haaren, die schon einen leichten Grauton hatten. Im Laufe ihres Konzertes sprach sie nicht viel. Sie konzentrierte sich stattdessen auf ihr gefühlvolles Spiel und hatte mich damit auch ziemlich rasch weichgeklimpert. Ob JD Beauvallet recht hatte? Die erotische Säuselstimme im Stile einer Jane Birkin konnte einen wirklich high werden lassen! Hinzu kam dann noch diese typisch französische, Gainsbourg'sche Melancholie und die weltklugen , poetischen Texte. Keine Frage, da vorne ließ ein großes Talent ihren zarten Pfoten in die Tasten gleiten! Sie hatte irgendwie alles, was Franzosen schwach werden lässt. Eleganz, Fragilität, Sanftheit, zarte Schwermut. Und da ich mich dem Volk der Froschfresser und Champagnersäufer sehr verbunden fühle, bekam ich auch weiche Knie. Wo war eigentlich JD? Man berichtet, er lebe in Brighton. Schade, ich hätte gerne seinen feierlichen Blick und seine glasigen Augen gesehen. Stattdessen musste ich mich an zwei eher gelangweilten Franzmännern vorbeiarbeiten, die bräsig ihre Füße gegen die Vordersitze gestreckt hatten, so daß ich nicht durch kam. Ich wollte nämlich die Seiten wechseln, um gute Fotos von der Lübeck zu schießen. Bisher hatte ich sie nur im Profil abgelichtet, nun aber wollte ich ihr ganzes Gesicht drauf kriegen. Das gelang mir auch. Hübsche Züge hat sie. Kleine Grübchen um den Mund und die ersten Fältchen um die Augen, aber mit einem solch gütigen und intelligenten Blick ausgestattet, daß ich sie sofort ins Herz schloß. Auf Anhieb erkannte ich die belesene und hochintellektuelle Frau in ihr, die eher schlicht und schüchtern auftritt, aber weiß, was sie will: Konzerte geben und noch andere Kritiker (und natürlich auch Zuschauer) um ihre Pianistinnenfinger wickeln. Eine Karriere im Mainstream dürfte sie hingen eher nicht anstreben, aber wer weiß? Immerhin hat sie schon ein sehr hübsches Duett mit dem in Frankreich sehr bekannten Vincent Delerme (auch so ein Poet!) eingespielt, das sie heute aber ohne ihn vortrug. "Je t'aimas trop, a perdre mon bolout, a perdre mon dodo, a perde la ligne" (ich liebte dich zu sehr, so daß ich meine Arbeit verlor, meinen Schlaf und auch die Zugverbindung).

Ob ich ihr auch so verfallen war? Hmm, schau' mer mal! Das Konzert war sehr schön, aber die ungebremste und zügellose Schwärmerei überlasse ich erst einmal meinem Kollegen JD. Ich habe ja auch noch ein wenig Zeit. Maud Lübeck spielt in den nächsten Wochen und Monaten noch ein paar mal in den Trois Baudets. Ich denke, ich komme wieder! À très vite, Maud!

Schlußbemerkung: Mit Porco Rosso (ein recht kräftiger Bursche mit Brille und Gitarre + recht lustigen Texten) und Oshen (eine attraktive Lady mit beißendem Humor und einem Cover von Elliott Smith, Between The Bars) traten noch zwei weitere französische Künstler mit französischen (und ab und zu englischen) Texten auf und machten ihre Sache ebenfalls ordentlich. Ich war aber einzig und allein für Maud Lübeck gekommen, die, diesmal ohne Piano, auch noch gemeinsam ein Lied mit Oshen performte.



 

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