Donnerstag, 25. Mai 2023

Vorbericht Maifeld Derby, Mannheim, 16. - 18.06.23

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Festival: Maifeld Derby
Ort: Maimarkt-Gelände, Mannheim
Datum: 16. - 18.06.2023



Für echte Konzertnerds sind Festivals ganz sicher nicht erfunden worden. Man kann nicht alle Bands sehen, die man sehen will, das Publikum ist zu einem zum großen Teil trotz und nicht wegen der Musik da und die Toiletten sind spätestens nach ein paar Stunden nüchtern nicht zu ertragen. Da aber im Sommer Festivals die einzige Möglichkeit sind, Bands live zu sehen, muß man das hinnehmen. Ähm, nein. Muß man nicht. Denn glücklicherweise gibt es auch im Livemusik-Entwicklungsland Deutschland seit einigen Jahren Festivals, die Spaß machen und die von Menschen veranstaltet werden, die dies aus Liebe zur Musik und nicht zum Geld machen. Eine dieser Perlen ist das Maifeld Derby auf dem Maimarkt-Gelände in Mannheim, das auch mit miesem Lineup toll wäre. Aber das Lineup ist alles andere als lahm: Mit Headlinern wie Phoenix, Interpol, Warpaint, M83 und Bat For Lashes beweist das Team um Timo Kumpf wieder einmal ein extrem gutes Händchen. 


Das Gelände ist extrem angenehm für ein Festival. Das Derby findet rund um das Reitstadion in Mannheim statt. Dadurch werden dessen Tribünen integriert und bieten schattige Sitzplätze. Die Hauptbühne ist in einem Zirkuszeit untergebracht, daneben gibt es die Open Air Stage, den legendären Parcours d'Amour und das kleinere Hüttenzelt. 

Bands: 

Der Freitag startet vielversprechend mit dem Chor für Menschen, die nicht singen können. Headliner des ersten Tags ist die englische Sängerin Natasha Khan alias Bat For Lashes, ein großer Liebling unserer Seite. Daneben spielen die tollen Los Bitchos aus London, die mit ihrem Instrumental-Tarantino-Rock unfassbar spannend sind, Erregung Öffentlicher Erregung, die Postpunk-Sensation aus Hamburg / Berlin oder spannende Acts wie die aus Berlin stammende japanische Band Mitsune, Fågelle aus Schweden, auf die ich mich besonders freue. Wie facettenreich das Maifeld Derby ist, beweist auch das Booking der Punkrap-Band Death Grips aus Kalifornien, die vor Bat For Lashes angesetzt sind. Den Abend im Zelt beendet die Elektroband Overmono aus Wales. Vervollständigt wird der Freitag durch Kerala Dust (UK), Say She She (USA), Surf Curse (USA), Sevdaliza (IRN), Temmis (D), Nand (D), Zulu (USA), Mandy, Indiana (UK), Jack Botts (AUS), Agat (ISR), Kiara Mali (Ma) und eine Lesung von Tara-Louise Wittwer


Der späte Samstag wird mit den fantastischen Warpaint, Phoenix, Pisse und The Haunted Youth fast schon anstrengend gut. Warpaint sind nicht nur ein weiterer großer Liebling unserer Seite, sie sind auch eine der Bands, die auch einen Song und ein Album gleichen Namens haben, ich liebe das. Timo, wo wie bei solchen Bands sind, nächstes Jahr wieder Slowdive mit neuem Album? Warpaint habe ich 2010 vor ihrer ersten Platte zum ersten Mal und im letzten Sommer zuletzt gesehen. Die Band hat nichts an ihrer Live-Faszination eingebüßt. Mit Liedern wie Champion vom neuen Album und all den alten Hits erzeugen sie eine (uneklig-tolle) sphärische Stimmung, die perfekt zu einem lauen Sommerabend in Mannheim passt. Dass Phoenix auf der Bühne fantastisch sind, geschenkt! Parallel zu Phoenix spielt The Haunted Youth, ein Projekt aus Belgien, das mir trotz des Worts "psychedelisch" in fast allen Bandbeschreibungen, sehr gut gefällt. Schwierige Entscheidung. Den Abend eröffnen werden Viagra Boys aus Schweden. Außerdem spielen am Samstag PVA (UK), Loyle Carner (UK), Deki Alem (S), Leya (USA), Nogra Erez (ISR), Sinkane (USA), Carolin Rose (USA), Lime Garden (UK), Sorcha Richardson (IRL), Cabin On Pluto (MA), Sophia Blende (AT), Ditz (UK), Rolf Blumig (D), Hope (D), Katya (AT), Das Sterben (MA), Spoon and the Forkestra (MA).


Der Sonntag wird natürlich von Interpol überstrahlt. Die Band aus New York hat live nichts von ihrer Coolness in Sound und Auftritt verloren. Coole Coolness, nicht das, was viel zu viele für Coolness halten. Neue Interpol-Lieder sind nicht immer umwerfend, das ist aber vollkommen egal, wenn Stella, Leif oder andere Lieblinge gespielt werden! Früher am Abend spielt die französische Dreampop- (und vor allem früher Shoegaze-) Band M83 aus Frankreich (benannt nach einer Galaxie, was könnte man daran nicht lieben!). Leider parallel zu Interpol ist mit Nichtseattle eine der spannenden deutschen Künstlerinnen der letzten Zeit angesetzt. Am Sonntag freue ich mich besonders auf Sorry (London), die kein gutes Timing mit ihrer ersten Platte (veröffentlicht im März 2020), musikalisch aber ein sehr gutes Händchen haben. Weitere (vermutliche) Highlights: Cumgirl8, eine (post)punkige US-Band, Baxter Dury natürlich und die sichere Bank Dillon. Auch am Sonntag: Jungstötter (Ex-Sizarr), Tamino (BEL), Ekkstacy (CAN), Glass Beams (AUS), Florist (USA), Indigo Sparke (USA), Cinegraph (MA), Jealous (D), Suns Of Thyme (D), Uche Yara (AT), Fulu Miziki (CNG) und Listenojules (MA).


Tickets: 

Das Dreitages-Ticket kostet aktuell 175 €, die früheren Preisstufen sind ausverkauft! Es gibt Tageskarten für 75 € (Freitag), 85 € (Samstag) und 80 € (Sonntag). Der Campingplatz kostet 25 €, ein Wohnmobil-Parkplatz 30 €. Tickets gibt es hier: https://www.maifeld-derby.de/shop



Mittwoch, 10. Mai 2023

Roger Waters, Köln, 09.05.2023

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Konzert: Roger Waters
Ort: Köln -Lanxess Arena
Datum: 10.05.2023
Dauer: 140 min
Zuschauer: ca. 12.000



Einiges erinnert mich an diesem Abend an mein letztes Konzert in der großen Lanxess Arena. Arcade Fire spielten, und es galt wieder einmal Künstler und Werk zu trennen, wie sooft in diesen Tagen. Am damaligen Abend gelang es nicht, und Vieles deutete darauf hin, dass dies wieder geschehen würde.

Zuviel krude Thesen hat Waters in den letzten Jahren von sich gegeben. Sein Ego scheint so groß zu sein, das er zu allem eine Meinung hat, und diese als Wahrheit auch verkünden muss. Manchmal erinnert er mich in seiner fehlenden Impulskontrolle an Boris Palmer. Aber dazu später...

Erstmal ist auch hier die Halle längst nicht gut gefüllt. Der Oberrang ist leer. Wie sooft wird die Rechnung trotzdem aufgehen. Die Fans auf den guten Plätzen zahlen halt diesmal 297 EUR statt noch 185 EUR, wie noch bei Waters letztem Auftritt. 

Die Bühne ist gigantisch. Wer weiß, dass am Vorabend hier noch Sam Smith mit einer großen Produktion aufgetreten ist, kann es kaum fassen. In nur 12 Stunden, von 5.00 bis 17.00 Uhr wurde hier, wie von den Heinzelmännchen, ein kleines Wunder vollbracht. 


Fast der ganze Innenraum wird von der Bühne eingenommen...darüber thront, wie der Monolith aus 2001, eine kreuzförmige, unfassbar scharfe und helle Leinwand. Die Leinwand teilt die Halle noch beim ersten Song, einer komplett überarbeiteten Version von Comfortably Numb im Doomsound. Danach wird sie nach oben gezogen und gibt den Blick auf die vielköpfige Band frei.. 

Die Show ist anders, als viele Tourneen von Waters in den letzten Jahren...Die großen Hits kommen jeweils zu Beginn der ersten und zweiten Hälfte, der Zugabenteil wird nur aus "Balladen" bestehen. Und noch etwas ist an diesem Abend bemerkenswert. Waters ist ruhig, besonnen, spricht viel zum Publikum und verfällt nicht in Tiraden. 

Eigentlich wäre es doch viel einfacher, sich vor seinen Fans für seine Ansichten feiern zu lassen. Klar, auf der Leinwand ist viel zu sehen. Allerdings auch hier wenig bis nichts, was über einen normalen Diskurs hinaus gehen würde. Immer wieder bedankt er sich, spricht über beide Demonstrationen, für und gegen ihn hier in Köln. 


Und dann sammelt er seine Band immer wieder an einer echten Bar auf der Bühne um nach den überbordenden Floyd Songs auch wieder sehr intime Momente am Piano zu kreieren. 

Und so bleibt man, wie bei Boris Palmer, auch hier etwas ratlos zurück. Warum in Interviews und öffentlichen Diskussionen immer diese Provokationen erfolgen müssen, bleibt unklar. Beide haben anscheinend zwei Gesichter, und eines davon ist nicht zu entschuldigen. 

Roger Waters ist 79 Jahre alt. Ich würde mich freuen, er würde mehr zu seinem Heimatland England sagen, als zu allen ungelösten Konflikten in der Welt.


Seine Musik steht an diesem Abend allerdings wieder da, wie die riesige Leinwand in der Halle. Als unzerstörbarer Monolith. 

Interessant vlt. auch nochmal die älteren Konzertberichte im Wandel der Zeit:

Roger Waters, Köln, 11.06.18
Roger Waters, Düsseldorf, 06.09.13



Mittwoch, 30. November 2022

Anna Shevchenko, Karlsruhe, 28.11.22

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Konzert: Anna Schevchenko
Ort: Europaviertel in Karlsruhe
Datum: 28. November 2022
Dauer:  60 min
Zuschauer: 18

 
Oft ist es eine Aneinanderreihung von Zufällen, die Menschen zusammenbringt. Seit April wohnt Nataliia bei uns. Sie kam aus Dnepro (Ukraine), als dort im Februar die ersten Bomben fielen. Einmal wurde sie an einer Straßenbahnhaltestelle von einer Frau nach dem Weg gefragt. Nataliia verstand noch kein Deutsch und musste abwinken. Irgendwie haben die beiden Frauen dann herausgefunden, dass beide aus derselben Stadt kommen. Nun sind sie Freundinnen und durch Nataliia durften auch wir Anna kennenlernen. Auf Nataliias Geburtstag hat Anna spontan ihr jüngstes Stück gespielt und das hat uns so inspiriert dass wir sie unbedingt nochmal hören wollten. Und so kam es dann auch.

Anna Shevchenko kam 2007 nach Deutschland. Bis 2010 musizierte sie mit dem "Raduga Jazz Trio" und war im Jahr 2011 als "Duett Muset" mit der Interpretation von klassischen Highlights der Musik bei verschiedenen Konzerten zu hören. Im Jahr 2012 hat Anna in Karlsruhe die Musikschule ANNAVIO gegründet. Obwohl Annas erstes Instrument ist die Violine ist, hat sie sich für diesen Abend für ein Klavierkonzert entschieden. Klavier ist für sie mit den vielen Akkorden wie ein Orchester. Alle Werke waren ihre eigenen Kompositionen - es gibt noch keine
offiziellen Tonaufzeichnungen und auch noch keine Noten. Aber es gibt zu jedem Werk eine kleine Geschichte:

1. ohne Titel - Die neueste Komposition, der Titel muss sich noch finden.

2. So ein schöner Tag - Es ist alles gelungen, man ist glücklich und frei, man spürt die Leichtigkeit
 

3. Dämmerung - etwas tiefer, langsamer und dunkler
4. Liebesgeschichte
5. Träumerei
6. Fahrradfahrt zum Strand - Die Musik erzählt, was man alles erleben kann, wenn man mit dem Fahrrad zum See oder zum Meer fährt, es gibt Gefahren, aber Anna will zeigen es ist alles gut, man hört die Bäume im Wind, sieht die Berge
 
7. Am Meer - Man geniesst den weißen Strand, türkisblaues Wasser mit wunderschönen Tieren ... d dur ohne cis...

8. Glücksgefühl - Ruhig, hell, positiv, von Herzen

9. Sommerregen - Mit der Musik hören wir ein Quietschen, es ist ungewollt und kommt von der Pedale
 
 
10. Feuerwerk - Das Quietschen geht nicht weg. Aber es gibt auch Konzerte mit Orchester und Staubsauger, wir hatten auch schon eine singende Säge in unserem Wohnzimmer. Warum nicht.
 
11. Spieluhrmelodie - Anna hatte mal den Auftrag, ein Jingle zu komponieren. Daraus entstand die Idee dieses Stücks, das mit starken Bässen den Raum füllt.

12. Computerspiel - Der Titel entstand erst, als das Stück schon fertig komponiert war. Es erinnert etwas an die elektronischen Klänge der frühen Computerspiele. 

13. Weihnachtsgeschichten - Ein Chor in einer Kirche, dann Schaufenster, ein Mädchen steht davor und sieht etwas, was sie sich sehnlichst wünscht und dann zu Weihnachten geht ihr Wunsch in Erfüllung.

14. Weihnachtslied - Für Anna ist Weihnachten so wie es in Deutschland üblich ist, wie ein Kindheitstraum. Vorsicht, Anna hatte mit diesem Stück schon Zuhörer zum Weinen gebracht.

15. Weltreise - Die Musik beginnt melancholisch, wird mit einem Flamenco impulsiv, dann wird es orientalisch, dann ein Zitat aus dem Chinesischen, dann Elemente aus einem russischen Kriegslied, den Schluss mit ukrainischer Hymne hat Anna erst später hinzugefügt, es ist ein Ende mit Fragezeichen.

16. Hoffnung -  sie stirbt zuletzt
17. Alles wird gut - Zugabe

Anna hat uns an diesem Abend in ihre musikalische Welt mitgenommen und verzaubert. Nach ihrem Konzert waren wir berührt, inspiriert und gut gelaunt.




Montag, 19. September 2022

Arcade Fire, Köln, 14.09.22

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Konzert: Arcade Fire
Ort: Lanxess Arena
Datum: 14.09.2022
Dauer: 105 min.
Zuschauer: ca. 4.500



Win Butler steht am Rand der Bühne. Er sieht müde, etwas alt und etwas lächerlich aus, bekleidet mit einer schwarzen Lederweste, grüner Jogginghose und seinen gefärbten Haaren. Er lächelt, aber es ist kein befreites Lachen. Nichts an diesem Abend will zusammenpassen. 

Arcade Fire treten an diesem Abend in der Lanxess Arena in Köln auf, und schon die Vorzeichen waren bedenklich. Völlig überzogene Ticketpreise von (im Schnitt 80 EUR), dazu eine recht schwache, neue Platte, eine viel zu große Konzerthalle und die Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe gegen den Sänger standen im Raum. 

Daher entschied ich mich auch erst am Nachmittag für einen spontanen Konzertbesuch, Tickets zu Dumpingpreisen gab es vor der Tür genug. Aber schon beim Betreten der, bis zum Ende nicht mehr erleuchteten Halle, wird klar: Das wird kein normaler Konzertabend. 


Selbst der Unterrang und der Innenraum sind nur halb gefüllt, im Oberrang verkaufte Tickets wurden umplatziert. Positiv geschätzt ist die Arena nur zu einem ¼ gefüllt. Die B-Stage liegt verlassen am Ende der Halle. Die netterweise darin integrierten Bars sind verweist. Freunde aus Haiti (Boukman Eksperyans) bestreiten nach dem Rückzug von Feist als Support das Vorprogramm. Danach versucht noch ein DJ sein Glück. 

Hier kulminert an einem Abend so ziemlich alles, was zurzeit in der Branche schiefläuft. Die vielfältigen Probleme wurden ja bereits in großen Artikeln fast aller Magazine beschrieben. Aber wer hat Schuld? Und was ist die Lösung? 

Jahrelang ging es der Veranstaltungs- und Konzertbranche sehr gut. Ein Ende des Aufschwungs war nicht in Sicht. Das Geld, früher in Tonträger investiert, wurde gerne für Live-Erlebnisse ausgegeben. Doch jetzt zeigt sich das Ende der Fahnenstange. Tickets aus vergangenen Jahren kleben noch ungenutzt am Kühlschrank, Festivals locken mit fast allen großen Namen und Clubs (zumindest in Köln) verschrecken immer mehr Konzertbesucher mit Renovierungsstau. Von „Youtube“ und "Gratis"-Streams fast aller Festivals im Netz ganz zu schweigen. 

Als Arcade Fire dann die Bühne betreten, ergibt sich leider direkt das nächste Problem. Eine so spärlich gefüllte Lanxess Arena klingt leider, als würden „The Prodigy“ in einer Wellblechhütte auftreten. Als die Band zur B-Stage wechselt wird der Sound noch diffuser, dazu ist es (zumindest direkt vor der Bühne) auch noch viel zu leise. 


Dabei sind sie alle da, die großartigen Songs, aber sie verbreiten an diesem Abend keinen Zauber. Erst bei „The Surburbs“ und dem, auf dieser Tour zum ersten Mal gespielten „Normal Person“ gibt es kleine Höhepunkte, die auch nur annähernd an frühere Tourneen heranreichen. Und daran muss sich leider jede Band irgendwann messen lassen, wenn die Preise immer steigen und die Hallen immer größer werden. Die Fallhöhe ist bei einer bisher so großartigen Liveband leider etwas höher. 

Die Show ist passend, aber auch in keiner Weise etwas Besonders für eine so große Arena. Der gespannte Arch/Regenbogen dient nur als Projektionsfläche und die beiden viel zu dunklen Screens neben der Bühne zeigen verwackelte Bilder einer Handkamera. 

Dabei ist die Stimmung gut. Viele scheinen sich sehr auf den Auftritt gefreut zu haben, die Band hat ja auch schon in den Jahren vor Corona eher selten in Deutschland gespielt. Warum aber dann zwei der besten Versionen des Abends, das neue „The Lightning“ und der crowd pleaser „Rebellion“ 50 Meter entfernt auf der kleinen Bühne präsentiert werden, es bleibt ein Geheimnis. 


Bei vielen Songs steht und performt Regine mit ihrem Mann  auf zwei Podesten am vorderen Bühnenrand. Bei „Put your money on me“ und der eher überraschenden Zugabe „Sprawl“ übernimmt Sie komplett das Kommando. Sie bahnt sich ihren Weg durch die Zuschauer und tanzt unter dem gigantischen Mirrorball alleine auf der B-Stage. Ein schöner Moment. 

Tracks der neuen Platte „WE“ spielen an diesem Abend kaum eine Rolle, dafür entführen die letzten Songs des Sets in eine große Diskothek mit Live-Musik. Die langen Versionen „Here comes the night time“ und „Everything now“ schaffen eine gelöste Stimmung zum Ende und lassen die eher schwachen, im Set vorher etwas untergegangen, großen Hits vergessen. 


Dann erhellt sich die Arena zum ersten Mal an diesem Abend. Auf dem Weg zum Ausgang komme ich am Merch-Stand vorbei. Hier gibt es weiße Socken mit „WE“-Aufdruck für 15 EUR und einen Jutebeutel der Band für 25 EUR, während die Reinigungskräfte schon den fast leeren Umgang der Arena säubern. 

Ein verlorener Abend.




Mittwoch, 17. August 2022

Haldern Pop Festival 2022

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Konzert: Haldern Pop Festival 2022
Ort: Haldern
Datum: 11.-13.08.22
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: fast ausverkauft



Die Zeiten ändern sich. Wenn dies sogar bis zum Haldern Pop Festival durchdringt, kommt keiner mehr daran vorbei. 

War das Festival zwar in Sachen Line-Up schon lange Vorreiter, dauerten Entwicklungen an der Organisation schonmal etwas länger. Schlimm war das nie, schließlich stand ja an allen Ecken und Enden immer das Persönliche beim Haldern Pop im Vordergrund. Dieses Jahr gab es also viel Neues zu entdecken. 

Durch die Corona-Pause und der letztjährigen, „kleinen“ Ausgabe war wohl Zeit und Willen genug da, die Dinge anzugehen. Der „Pop-Taler“ ist Geschichte, eine APP oder alternative Prepaidkarten erleichtern das ansonsten schwere Portmonee der Vorjahre und auch der Zeitplan und die Bandinfos sind digital verfügbar. 


Auf eine Änderung hatten die Macher wohl hoffentlich keinen direkten Einfluss. Waren früher Gummistiefel und Regenjacke Pflichtausstattung und wurden aus Routine sogar an sonnigen Tagen getragen, sollte man mittlerweile dringend über den Kauf eines etwas hochpreisigeren Pavillons für den Sonnenschutz nachdenken. Er wird in den nächsten Jahren wohl immer wichtiger. 

Die Sonne brannte an allen Tagen unerbittlich bis in die späten Abendstunden. Das Festival wollte daher noch mehr als sonst „erarbeitet“ werden. Aber es sollte sich bei dieser Ausgabe besonders lohnen. Sieht man in anderen Line-Ups fettgedruckte Namen und Bandlogos, die den Ticketpreis rechtfertigen sollen, geht das Haldern auch hier bewusst einen anderen Weg. Alle Bands sind alphabetisch auf dem Poster angeordnet. Soll doch jeder selber herausfinden, wer seine Helden sind. Und davon gibt es bei genauerem Hinsehen sehr viele. 


Fast alle relevanten Newcomer Bands des letzten Jahres sind vertreten, auch wenn die kurzfristige Absage von Yard Act schmerzte. Husten und 1000 Robota eröffnen die neue, kleine Marktplatzbühne noch etwas verhalten, zuerst wollen ja alle alten Bekannten begrüßt werden, viele trifft man schließlich nur einmal im Jahr hier. Doch spätestens mit Wu-Lu als erstem Hauptbühnenact kommt echte Freude auf. Ein wilder Mix aus Rap und Indie peitscht von der Bühne auf das heiße Gras. 


Danach ein, bei der Hitze gewagter Abstecher zum Spiegelzeit, das entgegen aller Vorurteile, schon seit Jahren fast immer ohne Wartezeiten begehbar ist. Das gleißende Licht des Sonnenuntergangs strahlt durch die bunten Zierfenster und man wähnt sich eher in einem Wüstenzelt in Kairo, als am Niederrhein. Sports Team, vor drei Jahren noch eher ein Pavement-Klon, spielen mittlerweile breitbeinigen Rock mit Indie-Attitüde. Sänger Alex Rice springt daher gerne auch schonmal mit nacktem Oberkörper in die Menge und trägt sehr zur Unterhaltung bei. In England schon eine große Nummer, bleibt hier aber noch Potential nach oben.

Danach zwei weitere Acts auf der Hauptbühne, die Viele feierten, mich aber leider nicht berührten. Sons of Kemet sind ohne Frage ein besondere Band und natürlich auch besondere Musiker, aber Emotionen kann ich hier genauso wenig empfinden, wie bei dem zwar sehr schönen, aber auch etwas dahin gehuschten Auftritt von Nilüfer Yanya. Die Geschmäcker sind halt verschieden, und Auswahl gibt es ja vor Ort wahrlich genug. 


Daher wieder der fliegende Wechsel in das Zelt, wo nach den recht überzeugenden Newcomern von Geese noch ein besonderes Highlight anstand. Dry Cleaning, innerhalb weniger Monat vom flüsternden Geheimtipp zum „next big thing“ geworden, passen perfekt in den Nachtslot von 2.00 bis 3.00 Uhr morgens. Eine eigentlich „unmögliche“ Band, von der ich gerne wissen würde, wo die Musiker sich gefunden haben. Da ist einerseits die extrem charismatische Sängerin Florence Cleopatra Shaw, die mit „toten“ Augen, aber live auch oft lächelnd ins Publikum starrt. Ein Bassist mit wehendem Haar und Bühnenventilator, dazu ein Fäuste ballender Gitarrist mit riesigem Schnauzbart und ein unscheinbarer Indie-Drummer. Zusammen spielen sie einen betörenden Indierock, wie man ihn lange vermisst hat. Oder wie das Haldern Pop selber schrieb: „Eine skurrile Sinneserfahrung.“ Großartig. 

Der Freitag beginnt für viele mit einem Sprung in den nahen Badesee. Viel bringt das nicht. Spätestens, als man zu Mittagszeit den Weg vom Zeltplatz zum Markt geschafft hat, brennt die Sonne wieder auf den schon geröteten Nacken. Passend dazu gibt es entspannten Indierock mit hawaiianischen Anleihen und passenden Hemden. Schöne, kleine Popperlen von Eli Smart sorgen für gute Stimmung. Überhaupt ist die Bühne hier ein voller Erfolg. Für viele, denen das Programm in der Kirche vielleicht zu speziell ist, ergibt sich eine sinnvolle Alternative doch ins Dorf zu schlendern. 


Genau, die Kirche…natürlich findet auch hier wieder ein extrem abwechslungsreiches Programm statt. Zum Beispiel die mit dem „Montreux Jazz Talent Award“ ausgezeichnete und in Belgien schon zum Star avancierte Meskerem Mees. Sie hat keine Show oder große Bühnenansagen nötig. Wie einst Tracy Chapman weiß sie nur mit ihren Songs und ihrer Ausstrahlung jedes Publikum zu begeistern. Eine besondere Empfehlung. Danach kann man zwischen einer italienischen Roadshow und einer Art Kraftwerk-Cover-Konzert von 1000 Robota mit stargaze wählen. Das kann wohl auch kein anderes Festival von sich behaupten. 

Erst dann startet die Hauptbühne mit einem lupenreinen Klon der Killers, Mid City sind im Dorf. Als Auftakt sicherlich OK, aber auch schnell wieder vergessen. Das behaupteten viele auch von dem folgenden Auftritt von Friedberg. Natürlich wirkt das auf der Bühne schon fast zu schön um wahr zu sein. Aber die Songs sind gut und extrem poppig. Sängerin Anna Friedberg erzählte von einer Supporttour in den USA mit Hot Chip. Das passte bestimmt gut zusammen. 

Das harte Doppel von Shame und Gilla Band musste dann für mich hitzebedingt leider ausfallen. Zwei Eiskaffee später wurde der Abend dann zunächst mit perfektem Soul von Curtis Harding eingeleitet, bevor es zu einem weiteren, echten Highlight kommen sollte. 

Squid begeisterten mit einer Spielfreude, die auf der Hauptbühne manchmal vermisst wurde. Ein wahnsinniger Ritt aus Elektronik, harten Gitarren und dem singenden Drummer Ollie Judges. Bis zum letzten, irrsinnigen Song zieht die Band das Tempo und die Intensität immer weiter bis ins Zeltdach, bis alles in sich zusammenfällt. Magisch. 


Verlassen wir nun kurz den kontinuierlichen Ablauf und schauen auf die beiden vermeintlichen Headliner. Anna Calvi und Kae Tempest sind eine sehr gute Wahl. Beide treten nicht zu häufig auf Festivals in Deutschland auf und beide haben ein gutes, neues Album im Gepäck. Das war es aber dann auch schon an Gemeinsamkeiten. Anna Calvi macht uns den Prince, oder den Hendrix, je nach Song. Sie kniet, liegt und wälzt sich über die Bühne, alles schreit nach riesigen Emotionen und großem Drama. Alleine, es will sich nicht übertragen. So bleibt der kühle Blues, die Einsamkeit und eine Band, die nie aus dem Dauernebel tritt. 


Ganz anders bei Kae Tempest. Kae schafft es, die ganze Bandbreite an Emotionen nicht durch Taten, sondern nur durch Worte und unbändige Präsenz zu vermitteln. 75 Minuten peitscht Kae ihre Reime und Songs ins Publikum. Man müsste kein Wort Englisch verstehen, um den Lippen Sekunde um Sekunde zu folgen. Kae Tempest ist für mich die modernste und beste kunstschaffende Person der aktuellen britischen Musikszene. Das Set beginnt, wie fast immer, mit der aktuellen Platte in voller Länge, danach erst gibt es eine Art „Best of..“ mit älteren Songs. 

Trotzdem gibt es gibt keine Brüche in diesem Set. Es ist eine Bestandsaufnahme unserer Zeit, untermalt von harten Bässen und glasklaren Höhen. Und ganz am Ende, kommt dieses Wunder von einem Song, der alle Dämme brechen lässt, wie es damals nur Glen Hansard schaffte: „Peoples faces“. Die zarte Pflanze Hoffnung ist noch vorhanden, in 5 von 75 Minuten. 


Der Feuerball „Sonne“ brennt auch am letzten Tag unerbittlich, doch der Gang ins tropische Spiegelzelt ist ohne Alternative. Chartreuse sind eine live überraschend Gitarren lastige Indieband, die mir letztes Jahr mit ihrem wirklich tollen Song „Woman, I´m crazy“ aufgefallen waren. Genau den spielen sie heute leider nicht. Aber Sängerin Harrriet Wilson sprach von einem baldigen Auftritt in der Pop-Bar in Haldern. Also eine neue Chance diese junge Band nochmal zu erleben. 

THUMPER zerlegen im Anschluss erwartungsgemäß das Zelt zu Sperrholz und Black Country, New Road erproben ausschließlich neues Material auf der Hauptbühne. 


King Hannah haben vielleicht schon jetzt mein Lieblingsalbum für dieses Jahr veröffentlicht und auch ihr Auftritt hier, ließ mich weiter schwärmen. Ja, es ist klassischer Indierock. Hier wird nichts neu erfunden, aber die Güte der Songs und die natürliche Spielfreude sind einfach beeindruckend. Und dann war es das auch schon fast wieder, aber Haldern wäre ja nicht Haldern, wenn es nicht bis zum Finale noch spannend wäre. 

DJ St. Paul übernimmt mit seinem, immer auch etwas ironischen DJ-Set (danke für den „Pass the Dutchie“-Ohrwurm) den Rausschmeißer auf der Hauptbühne, während sich Großes anbahnt. Wer noch irgendwie stehen kann, oder wie mein Freund treffend meinte, „noch eine Stunde im Tank hat“, schleppt sich zum letzten Gefecht ins Spiegelzelt, wo unter extrem professionellen Aufbau nicht weniger als die Indie-Sensation des Jahres wartet: Wet Leg spielen zum Tanz. 



Es wird ein ekstatisches Finale mit bestens aufgelegten Wet Leg. Der Gig in Köln vor ein paar Wochen konnte mich nicht wirklich begeistern, aber hier und jetzt passt einfach alles. Und so bildet „Chaise Longue“ tatsächlich den Schlusspunkt des Festivals. Was für ein Coup.
 

Das Haldern Pop hat nach der schon wunderschönen, kleinen Ausgabe im letzten Jahr nun auch in der „echten“ Ausgabe zu alter Form und Stärke zurückgefunden. Das Line-Up war exzellent, die Neuerungen wohl durchdacht und perfekt umgesetzt. Eine Instanz, für die Stillstand keine Option ist. 


 

Konzerttagebuch © 2010

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