Konzert: The Grand Opening
Ort: Ein Wohnzimmer, Stuttgart
Datum:27.11.2013
Dauer: etwa 70 Minuten
Zuschauer: fast 40
Alle Bilder: © David C. Oechsle |
Werfen wir einen kurzen Blick in unser umfangreiches Archiv, so müssen auch wir feststellen, welcher Stellenwert skandinavischen Klängen in unserem Kanon zukommt; von charismatischen Musikerinnen wie Agnes Obel (DK), Anna Ternheim (S) und Anna von Hausswolff (S) bis hin zu Bands wie den Shout Out Louds (S).
Als wichtiges Label kommt man in diesem Kontext nicht umhin tapete records aus Hamburg zu nennen, das seit seiner Gründung neben dem Schönsten der deutschen Independent-Szene auch verstärkt auf ein skandinavisches Profil setzt: Großartige Alben von Christian Kjellvander, Kristofer Åström, Lacrosse oder The Grand Opening sprechen eine deutliche Sprache. Als Carsten Friedrichs, Ex-Superpunk, Frontmann der Liga der gewöhnlichen Gentlemen und tapete-Booker, spontan anfragte, ob wir kurzfristig ein Wohnzimmerkonzert mit The Grand Opening ausrichten könnten, war eine Zusage selbstverständlich.
Wenige Wochen später steht John Roger Olsson in Socken beim Auftakt seiner kurzen Solotour vor fast 40 Zuschauern und wirkt nervös. Es ist sein Debüt in einem Wohnzimmer, noch dazu werden einige Songs zum ersten Mal vor Publikum gespielt. Gerade erst erschien sein viertes Studioalbum „Don't Look Back Into The Darkness“, das mit zehn schlichten Folk-Pop-Perlen aufwartet, die mit einem Schwermut bestechen, wie er mit dieser Leichtigkeit nur von Skandinaviern um den Finger gewickelt werden kann.
„You should come back home“, singt Olsson im ersten Stück heute Abend und ergreift die Zuschauer mit einer alles umarmenden Melancholie, während er im Holzfällerhemd vor dem großen Holzofen steht, von Kerzen beschienen, immer wieder mit geschlossenen Augen seine Texte und Lieder präsentiert.
Selten war das Publikum bei unseren Wohnzimmerkonzerten aufmerksamer. Olsson gelingt es mit leichter Hand und schüchternem Charisma die Gäste in seinen Bann zu ziehen. Zwischendurch sucht er wiederholt das Gespräch, äußert sein Problem, Ansagen zu formulieren, dass er es schätze, wenn Zuschauer stattdessen Fragen an ihn richten. Machen sie dann auch und John Roger Olsson verfällt hier und da in Plauderlaune, erzählt von seiner Verlobten, einer Italienerin, die er vor einigen Jahren im jubez in Karlsruhe (wo er am Folgetag mit Ezio spielt) kennenlernte, und der gemeinsamen, dreijährigen Tochter. Zunehmend gelöst, findet der in Stockholm lebende Anfang-Dreißiger, der eigentlich aus dem hohen Norden Schwedens stammt, Gefallen an der intimen Atmosphäre eines Wohnzimmerkonzerts. Da es sein erstes sei, spiele er heute auch ohne sein Markenzeichen, seinen Hut, an dem ihn der Vater meiner Freundin und heutige Gastgeber noch am gleichen Morgen einige hundert Kilometer von Stuttgart entfernt erkannte: Beide landeten auf dem Münchner Flughafen und lernten sich durch einen Zufall bereits zuvor kennen, ein so unerwartetes Ereignis, dass Olsson es nicht satt wird, es immer wieder zu erwähnen.
Bereits als zweites Lied, spielt der Schwede mit den schulterlangen, blonden Haaren den vielleicht bekanntesten Grand Opening-Song „Be Steady“ vom gefeierten 2010er Album „In The Midst Of Your Drama“, das es heute fast komplett zu hören gibt. 26 Songs habe er sich im Vorfeld aufgeschrieben, erzählt Olsson schon zu Beginn, um nachzuschieben, dass man keinesfalls Angst haben müsse, er würde sie heute alle spielen. Schüchternes Understatement gehört offensichtlich zu den Olsson'schen Tugenden. Als er sich an einer Stelle nicht an den Text eines Stückes erinnern kann, verlässt er unter höflichen Entschuldigungen den Raum, um auf seinem Smartphone nachzuschauen.
Wenig später glänzt er mit warmer, voluminöser Stimme und nimmt den Raum spielend für sich ein. Gänzlich unverstärkt mit akustischer Gitarre vorgetragen, zeigt sich die Klasse in den reduzierten Grundgerüsten. Erinnerten die Studioaufnahmen noch an die großen Momente im Spätwerk von Talk Talk, stellt sich Olsson nun in eine Reihe mit seinem berühmten Labelkollegen Lloyd Cole, dem er qualitativ in nichts nachsteht.
„Wenn ihr keine Freunde habt, gründet Bands. Dann habt ihr gleich vier Stück.“, mit Lebensweisheiten voller feiner Ironie hat The Grand Opening immer wieder die Lacher auf seiner Seite, zwischen all den ernsten, düsteren Liebeslieder, die den wohligen Soundtrack eines grauen Herbsttages an der Schwelle zum Winter liefern. „There Is Always Hope“, heißt es an einer Stelle, bevor der Opener des aktuellen Albums, „Blacker Than Blue“, emotional beladen jeden ergreift. Es sind Momente, in denen man seinen Nebenmann atmen hört.
„Free“, die zweite Single des Albums folgt. Schwedische Landschaftsbilder mit Wäldern und Seen entstehen vor dem inneren Auge. Anschließend entschuldigt sich Olsson, dass er fast alle guten Stücke bereits gespielt habe, nur um direkt den Gegenbeweis zu liefern. Vor „Towards Your Final Rest“ hält er die Vinyl-Ausgabe des Albums hoch. Auf dem Cover sei seine Großmutter als junge Frau auf einem Boot zu sehen. Sie selbst könne sich nicht mehr erinnern, wer das Mädchen neben ihr ist, was Olsson auf die stark eingeschränkte Sehkraft seiner Oma schiebt.
Es folgen die stärksten Minuten des Abends. Besser kann ein Wohnzimmerkonzert schwerlich sein, der schwedische Singer-Songwriter spielt minimalistische Akkorde, über die er mit zarter Stimme, rührselige Zeilen singt. Mit Kitsch hat das alles nichts zu tun, wohl aber mit einer sentimentalen Ader, wie sie nur wenige Popmusiker besitzen, ohne für peinliche Resultate zu sorgen.
Nach „Tired Eyes“ endet das Konzert zunächst, doch kehrt der Protagonist nach einer längeren Pause und zahlreichen persönlichen Bitten um Zugaben für zwei weitere Stücke in Socken vor den Ofen zurück. Der Applaus ist riesig, der Musiker, der noch nie ein Wohnzimmerkonzert zuvor spielte, arrangiert sich mit der neuen Situation, beschließt die Wohnzimmer-Saison perfekt und beschert uns eines der schönsten Konzerte des Jahres. Tack!