Sonntag, 8. Juli 2012

Edward Sharpe and the Magnetic Zeros, Köln, 07.07.12


Konzert: Edward Sharpe and the Magnetic Zeros
Ort: Kantine, Köln
Datum: 07.07.2012
Zuschauer: 1.000 (ausverkauft)
Dauer: Edward Sharpe and the Magnetic Zeros gut 90 min, Rocco DeLuca lange 35 min


Beim Les Ardentes Festival am Donnerstag in Lüttich habe ich etwas erlebt, was ich sonst so gut wie nicht kenne. Mich haben alle Konzerte nach Warpaint gelangweilt und vollkommen kalt gelassen. Ich kam mir schon wie die (bezahlten) Musikjournalisten vor, die ich immer mal wieder in intensive Gespräche an der Bar vertieft bei einem Gig gesehen habe (die aber dann selbstverständlich nicht über diesen Smalltalk sondern über das Konzert geschrieben haben). Glücklicherweise ist solche Langeweile bei mir schnell wieder weg, weil ereignislose Abende die absolute Ausnahme darstellen.

Wäre der Auftritt von Edward Sharpe and the Magnetic Zeros ein Flop gewesen, alleine die Umstände des Abends hätten das Konzert in mein Gedächtnis eingebrannt. Da war der strippende Typ direkt neben uns, dem es wohl zu warm war. Er zog nämlich plötzlich die Hose aus und guckte das Konzert in Unterhosen an. Dabei waren seine Minipli-Dauerwelle und die wilden Knutschereien mit seiner Freundin für unseren Geschmack schon verhaltensauffällig genug für die unmittelbare Publikumsnachbarschaft.

Musikalisch war es zu diesem Zeitpunkt noch genauso anstrengend. Der Kalifornier Rocco DeLuca bewies, daß 35 min sehr lange sein können. Mit seiner Resonator-Gitarre* und einer fernbedienten Bassdrum erzeugte er Bluesstücke, die meine Nerven arg strapazierten. Das war sehr unnötig, es sei denn, man steht auf Lieder über "angels" und "a heart of a devil", was ich nicht tue. Allerdings mochte ich den Text des Stücks Windows irgendwie ("there are windows in your house" ... "there are windows in your car").

Zu Edward Sharpe... hatte ich bisher kein besonderes Verhältnis. Den Auftritt der amerikanischen Truppe in Haldern 2010 hatte ich verpasst, von den beiden Platten kenne ich nur ein, zwei Stücke. Damit war ich ziemlich alleine.

Ich halte mich zwar nicht für einen besonders großen Musikfachmann (was übrigens keine Koketterie ist), bin aber in der Regel in der Lage, einzuschätzen, wie groß (zumindest grob) eine Band ist. Edward Sharp, da waren wir uns vorher sicher, ist eigentlich eine Gruppe, die in Köln in der Kneipenkategorie "Blue Shell" vor 50 bis 100 Zuschauern auftritt. Eine ausverkaufte Kantine mit textsicherem Publikum, das eine sagenhafte Stimmung schuf, überraschte mich extrem. Woher kennen die alle die Band? Und wo kommen die Leute überhaupt her? Das schien nicht das übliche Kölner Publikum aus Luxor, Gebäude 9 oder Stadtgarten zu sein. Da hüpft man nämlich nicht oft bei Liedern im Takt mit. Das zu beobachten, machte viel Spaß.

Auch auf der Bühne gab es vieles zu sehen. Edward Sharpe... Mastermind Alex Ebert wurde von zehn, machmal elf Musikern begleitet (zwei Schlagzeuge, Bass, Gitarren, Keyboards, Klavier, Trompete, Geige, Akkordeon). Es gehört wohl zum Konzept der Band, daß die Stücke von verschiedenen Musikern gesungen werden, in der Kantine war dies aber besonders nötig, da Alex kaum Stimme hatte. Der Mann mit Gurubart und langem Nachthemd über der Hose (so geht es auch) krächzte sich durch den Abend, während immer andere Musiker sangen. Mal durfte Kollegin Jade, dann der gitarrespielende Cowboy oder sein Gitarristenkollege singen. Wenn das den Zweck hatte, Alex' Stimme zu schonen, ging das Konzept nicht auf, weil der sich nicht stillstellen ließ. Er redete viel, was offenbar zum Prediger-Spiel gehört, die Stimmbänder litten dadurch sicher nicht weniger.

Ob es das war, was den Fluß des Konzertes störte, weiß ich nicht, dafür habe ich mich mit der Band bisher zu wenig beschäftigt. Die erste Stunde empfand ich als kurzweilig, danach wurde es immer mal wieder zäh. Besonders Wake my body war eine echte Prüfung! Neben If you wanna war es das schlechteste Stück des Abends (des Hauptprogramms natürlich). Irgendwann improvisierte die Band bei Wake my body nur noch rund um Klaviermelodien. Dieser Instrumentalpart ging in einen weiteren über, nur diesmal ohne Piano, bevor nach einer Viertelstunde das ursprüngliche Lied zuende gesungen wurde. Das war unnötig und nahm den Konzert ebenso den Schwung wie die vielen Brüche innerhalb der Stücke. Home war ein Beispiel dafür. Der Knüller mit dem wundervollen Pfeifen zu Beginn wurde zwischendurch mehrfach komplett ausgebremst.

Auch wenn es sicher kein sehr gutes Konzert war, war es kein Flop. Ich hätte auch ohne den hosenlosen Mann Spaß gehabt. Aber es war ein Abend mit angezogener Handbremse.

Auszüge aus der Setlist Edward Sharpe and the Magnetic Zeros, Kantine, Köln:

- Man on fire
- If you wanna
- Child
- Janglin
- Wake my body
- Home
- I will love you forever

* keine Fotos, weil die Musiker keine Kameras mit Objektiv wünschten (also nicht nur keine Kameras mit austauschbaren Objektiven, Linsen allgemein). Sagte man so am Einlass.


7 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Hallo, das waren aber doch ein paar mehr als 350 Besucher. Die Kantine war ausverkauft, der große Saal soll 1000 Besucher fassen. http://www.ksta.de/koeln-uebersicht/kult-club-20-jahre-kantine-als-ausstellung,16341264,16206406.html schöne Grüße
Tom

Christoph hat gesagt…

Danke! :-)
Menschenmengen schätzen gehört zu meinen Kernkompetenzen, merke ich immer wieder!

Anonym hat gesagt…

Die "Sharpies" sind exzellente Musiker, aber diese Predigermasche geht mir auf die Nerven :-)) Ich war übrigens NUR wegen Rocco DeLuca extra aus Berlin gekommen..man muss seinen Stil lieben, das stimmt, aber wenn man es tut, kommt man nicht mehr davon los. Geht mir seit 2005 so, diese einzigartige Stimme ist wundervoll. Ob die Kombination als support der Sharpies so glücklich war, weiß ich allerdings nicht, dafür ist er doch sehr anders :-)

Anonym hat gesagt…

rocco deluca war der reine wahnsinn, kannte ihn vorher nicht und musste mir im anschluss sofort die platte kaufen..

und edward sharpe waren sowieso der knaller. wir haben ziemlich weit vorne fotos gemacht und es hat niemanden gestört. alex hat uns auch die hand gegeben, während des fotografierens und schien keinerlei probleme damit zu haben.

es war eines der geilsten konzerte dieser art und ich kann deine bemerkungen kein bisschen nachvollziehen. es wirkt allerdings auch so, dass du im normalfall eher andere musik hörst.. vermutlich die, die eher im luxor gespielt wird.

schade, freunde von mir wollten noch spontan mitkommen und haben keine karte mehr bekommen. denen hätte es wesentlich besser als dir gefallen und es wär keine verschwendete konzertkarte gewesen..

vielleicht voher lieber über das informieren, was man sich so anschaut. das publikum hat dies vorher mehr als ausführlich getan und war grandios in stimmung und gesang..

Christoph hat gesagt…

Natürlich hat das die Band nicht gestört, daß fotografiert wurde. Das war die blöde Ausrede am Eingang, warum ich meine nicht-Spiegelreflex Kamera nicht reinnehmen durfte.

Darf man sich nur Sachen ansehen, die man abgöttisch liebt? Wie soll man dann neue Bands für sich entdecken?

Daß das Konzert wegen der Stimmprobleme keinerlei Fluß hatte, liegt ja übrigens auch nicht an meinem Musikgeschmack.

Unsere Karten hatten wir in der Nacht auf Freitag gekauft, also auch recht spontan. Mein schlechtes Gewissen, den Abend Deiner Freunde versaut zu haben, hält sich also in Grenzen :-)

Christina hat gesagt…

Musik, die eher im Luxor läuft?
Da spielen in nächster Zeit u.a. die Killerpilze (Teeniekram), Undertones (77er Punk), Torche (Irgendwasmetal), KMFDM (Industrial), Unwinding Hours (Postrock) und Kimya Dawson (Anti-Folk). Man merkt schon, in welche Musikrichtung das geht...

Guido hat gesagt…

Dieser leicht agressive Unterton mancher Kommentare überrascht schon ein wenig. Den kannte ich bisher nur aus Leserbriefen aus Musikzeitschriften, wenn die durchschnittliche Platte einer Lieblingsband punktzallmäßig schwächelte oder nicht einmal als kritikwürdig betrachtet wurde.

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates