Montag, 2. Juli 2012

Arlt & La Féline, Paris, 20.06.12


Konzert: Arlt & La Féline

Ort: L'Eglise Saint Eustache, Paris
Datum: 20.06.12
(eigentlich 21.06.2012) Zuschauer: hmm,vielleicht 250?


Ein Konzert nachts in einer Pariser Kirche ist ziemlich abgefahren, oder etwa nicht?



Und es gab nicht nur eins, sondern gleich mehrere Konzerte. Das Festival 36 h (36 Stunden) hatte in die prachtvolle Kirche St Eustache unweit von les Halles und dem Centre Pompidou geladen, und viele folgten der Einladung, schließlich war die ganze Geschichte gratis und die zahlreichen Künstler, die sich ab 14 Uhr mittags bis 5 Uhr morgens in einem wahren Konzertmarathon die Kirchtürklinke in die Hand gaben, alles andere als mies.

Nach Mitternacht standen mit Arlt und La Féline zwei Highlights aus der französischen Indiemusikszene an. Ich war zuvor beim Konzert der entzückenden Tiny Ruins im Espace B gewesen und hatte ein Taxi zur Kirche Saint Eustache genommen, weil keine U-Bahn mehr fuhr. Aber dieser Abenteuer wollte ich mir einfach nicht entgehen lassen! Um 1 Uhr nachts Arlt zu sehen, diesen Gedanken fand ich einfach zu verlockend, ja fast verboten!

Als ich in das Gotteshaus eintrat, war das Konzert schon in vollem Gange. Leise tastete ich mich heran, bis ich irgendwann ideal positioniert war. Es wurde heute keine Messe gelesen, sondern an Stelle des Altars gerockt, gefolkt und geswingt.

Wie es scheint, bemühen sich die Kirchen ein jüngeres, moderneres Gesicht abzugeben und das ist auch gut so. Ein bißchen Party vor dem kleinen Jesus kann gar nicht schaden.
Zumal Jesus sicherlich auch Fan von Arlt ist, denn er ist ja schließlich allwissend und hat somit auch einen guten Musikgeschmack.



Arlt kamen aber auch ganz ohne die Unterstützung des Erlösers aus. Durchgeknallt und engagiert wie immer zogen sie ihre sehens-und hörenswerte Show ab und spielten Chansons beider Alben. Sängerin Eloise hatte wieder mal abgefahrene Klamotten an. Unter ihrem roten Kleid trug sie geringelte Söckchen über braunen Herrenschuhen und oben, um sich vor der Kälte zu schützen, einen großen, dicken Schal. Sie ist bei den Shows immer der Hingucker, auch weil sie so ihre irre, Gedanken versunkene Blicke drauf hat und oft wirkt, als stünde sie unter Drogen oder zumindest Hypnose. Die beiden Herren der Band, Akustik- Gitarist und Sänger Sing Sing und E-Gitarrist Mocke fallen da immer etwas weniger auf, vor allem Mocke, der regelmäßig recht weit abseits sitzt, weil er erst später zu dem Duo hinzugestoßen ist. Die Konzerte von Arlt leben von dem Dialog der Stimmen von Sing Sing und Eloise, den absurden Texten (Tu M'as Encore Crêvé Un Cheval = du hast mir schon wieder ein Pferd kaputtgeritten) und den inspirierten, höchstgradig faszinierenden Gitarrenparts.

Ganz am Ende gerieten die Saiten-Instrumente geradezu in Extase, als sich nämlich bei Chien Mort, Mi Amor Sing Sing mit Mocke ein heißes Gitarren- Duell lieferte. Sings Sing war von seinem Opfertisch gestiegen und hockte mit dem Rücken zu den auf dem Boden sitzenden Zuschauern vor der Bühne, die Augen immer auf Mocke gerichtet. Eloise drehte währenddessen ein paar Runden um den Altar, die beiden Rasseln in den Händen. Eine völlig irre Szene, die ungefähr 5-10 spektakuläre Minuten dauerte. Dann war die Messe gelesen und Arlt hatten erneut ein musikalisch hochstehendes und sehr unterhaltsames Konzert geboten.

Es war bereits 2 Uhr morgens als Agnès Gayrauds alias La Féline zusammen mit ihrer männlichen Band loslegte. Noch immer waren recht viele Zuschauer zugegen, niemand wollte ins Bett. La Féline ist aber auch einfach zu toll, um sie zu verpassen! Sie vermischt auf faszinierende Weise französischen Chanson, New Wave und Elektrorock zu einem sehr eigenständigen Gebräu, das mit seiner musikalischen Schwärze perfekt zur nächtlichen Stimmung passte. Manchmal klang es, als würde Jane Birkin nun bei The Cure singen und der Kontrast aus kühlen Wavegitarren und der sinnlich warmen Stimme schoss mir sämtliche Birnen aus. Aus ihrer wundervollen schwarz-weißen Rickenbacker zupfte La Féline die melodiösesten Riffs heraus und machte mit ihrem engen schwarzen Rock und dem pffifigen Pferdeschwanz ohnehin eine spitzenmäßige Figur.

Hits wie Wolf & The Wheel und Mystery Train von der ersten EP wurden gespielt, aber auch neue, unveröffentlichte Sachen wie La Fumée dans le Ciel. Der Wechsel von englischen zu französischen Texten verlief hierbei reibungslos, schwer zu sagen, was besser klang. Für mich wäre es kein Problem, wenn La Féline ausschließlich auf französisch singen würde, aber manche Künstler und auch das Indie-Publikum in Paris haben damit so ihre Probleme, finden das altmodisch und zu sehr variétéhaft.

Wie auch immer, ich glaube hier hatten schon allein aufgrund des feierlichen Ambientes und der abenteuerlich späten Stunde alle eine gute Zeit. Für mich war aber um drei Uhr morgens dann endgültig Schluß, obwohl es in der Eglise St Eustache noch bis fünf in der Früh weiterging...

Setlist La Féline, Eglise St. Eustache, Paris

01. Rêve de verre
02. Coeur Bizarre
03. Blanc Cavalier
04. Mystery Train
05. Into the Night ( Julee Cruise cover)
06. La ligne d'Horizon
07. La Nuit du Rat
08. La Misa Criolla ( reprise liturgique)
09. La peur et le courage ( solo version)
10. Johnny remember me ( Geoff Goddard cover)
11. La Fumée dans le ciel
12. Wolf & Wheel


Aus unserem Archiv:

Arlt, Paris, 16.05.2012
Arlt, Paris, 22.04.12
La Féline, Paris, 25.02.11
La Féline, Paris, 05.11.09



 

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