Mittwoch, 4. Juli 2012

Fête de la musique chez le Cargo, Paris, 21.06.12


Konzert: Fête de la musique chez le Cargo, mit Redeye, Sir Alice & Gaspar Claus, Lidwine, Tiny Ruins, Maud Lübeck, The Dove and The Wolf, Erevan Tusk, aber ohne Jens Lekman

Ort: Innenhof von Renaud, irgendwo in Paris
Datum: 21.06.12
Zuschauer: 150




Der gute Renaud ist einer der ganz Großen der Pariser Indieszene. Seit nun schon ein paar Jahren filmt er mit seiner Videokamera die feinsten internationalen und französischen Acts für seine Seite Le Cargo, ist aber ungemein herzlich und bodenständig geblieben. Kein abgehobener Schnösel, sondern ein sehr lieber und umkomplizierter Kerl. Inzwischen ist es eine schöne Gewohnheit geworden, daß er am Tage der Fête de la Musique im Innenhof seines Mietshauses eine Party gibt, zu der er Freunde und Bekannte und tolle musikalische Gäste einlädt.

In diesem Jahr waren dies Redeye, Gaspar Claus & Sir Alice, Lidwine, Maud Lübeck, The Dove & The Wolf und Erevan Tusk. Eingeplant war ursprünglich auch der zuckerübergossene Schwede Jens Lekman, aber der war wohl ob der mittäglichen Regenfälle geschmolzen. Schade, ich hätte den Schmalz-Popper sehr gerne gesehen, aber dieses Highlight war uns Zuschauern leider nicht vergönnt. Stattdessen gab es die Ersatzfrau Tiny Ruins und für die hatte ich mich höchstpersönlich stark gemacht. Noch am Vortag hatte ich eine E-Mail an Renaud aufgesetzt und ihn inständig gebeten, Tiny Ruins in letzter Minute mit ins Line Up aufzunehmen und weil Jens ausfiel, passte das wunderbar. Wie inzwischen jeder (?!) weiß, bestehen Tiny Ruins aus der Sängerin Hollie und der Kontrabassistin Cass und die beiden Grazien aus Neuseeland waren vor der Fete noch auf unserer Terrasse vorbeigekommen und genoßen die seltsame Mischung aus Bier, Schokolade und Croissants (die auf meinem Mist gewachsen war). Gegen 19 h 30 brachen wir auf und sahen gerade eben noch den Schluß von Redeye, der mit diversen Musikern, darunter einer Violinistin, aufspielte. Kurze Zeit später hatte es sich ausgeredeyt und die improvisierte Bühne gehörte dem "blonden Gift" Sir Alice und dem hochbegabten Cellisten Gaspar Claus. Sir Alice ließ die frühe PJ Harvey raushängen und keifte sich mit ihrem französischen Akzent durch die englischen Texte. Die Stimmung der Songs war düster und angriffslustig, das Set ansprechend, aber auf Dauer etwas deprimierend.



Nun war Lidwine dran, die jeder von den Oliver Peel Sessions her kennt. Die talentierte Harfespielerin arbeitet inzwischen an ihrer zweiten EP und hatte auch neue Songs im Gepäck, die sehr vielversprechend klangen. Highlight war ein Duett mit The Rodeo, die hierzu (angeblich zum ersten Mal in ihrem Leben!) Harmonium spielte und auch Backvocals beisteuerte. Immer wieder schön, den beruhigenden und betörenden Klang einer Hafe zu hören, vor allem wenn sie von einer solch filigranen Künstlerin wie Lidwine gezupt wird. Der jungen Dame ist noch viel zuzutrauen, sie ist noch weitgehend unentdeckt, wird aber ihren Weg gehen.

Gleiches kann man natürlich auch von Tiny Ruins sagen und bei Hollie Fullbrook bin ich sogar noch optimistischer, sage ihr eine ganz rosige Zukunft und mindestens 400 er Locations voraus. Ich sehe in ihr eine der größten Singer/Songwriterinnen unserer Zeit. Sie verfügt über eine wahnsinnig schöne Stimme, poetische Texte und einen Sinn für subtile Songstrukturen, der verblüffend ist. Jedes einzelne ihrer Lieder liebe ich heiß und innig und die neuen Stücke, die nicht auf dem großartigen Album Some Where Meant For Sea drauf sind, klingen sogar noch verführerischer. Reasonable Man und She'll Be Coming Round sind zwei abolute Knüller, die zeigen, daß sie immer noch besser wird. Zusammen mit ihrer Kontrabassistin Cass spielte Hollie ein Traumset, daß mit sehr großem Beifall bedacht wurde.

Etwa 10 Minuten später klimperte die Französin Maud Lübeck gefühlvoll auf dem Piano und hauchte ihre französischen Chansons ins Mikro. Begleitet wurde sie teilweise an der Gitarre von Simon Beaudoux, den man auch von der Indierockband Exsonvaldes her kennt. Maud hatte genau wie Lidwine in der Vergangenheit eine sehr hübsche Oliver Peel Session gespielt und inzwischen ihr Debütalbum La Fabrique veröffentlicht, für das sie viel positive Kritik einheimsen konnte. Schönstes Lied in ihrem Set war heute Les Larmes Gelées, eine nahegehende Ballade mit sinnlichem Gesang.

Es war bereits dunkel geworden, als die beiden bluthungen Pariserinnen Louise und Paloma aka The Dove And The Wolf auf ihren beiden Akustikgitarren vom Leder zogen. Herrliche Harmoniegsänge und feine Melodien erfüllten den dunklen Innenhof und viele Zuschauer waren verblüfft, solche heimischen Talente zu entdecken. Louise und Paloma spielen erst seit ein paar Monaten zsuammen, werden aber von Tag zu Tag bekannter und immer häufiger gebucht. Ihre Musik erinnert an First Aid Kit und die Fleet Foxes, wirkt aber nicht kopiert, sondern sehr inspiriert und freiheitsliebend. Sie haben sogar schon einen richtigen Hit im Programm. Springtime heißt der und damit räumten sie bei dieser Fête de la Musique so richtig ab. Alle sangen begeistert den Refrain mit, so manch einer johlte gar.


Blieben die Headliner Erevan Tusk und schon nach einem Lied war klar, daß sie dieser Rolle voll und ganz gerecht wurden. Akustisch sind sie vielleicht noch stärker als elektrisch und erfreuten mit ihren berauschenden Chören, unwiderstehlichen Melodien und einer Energie und Spielfreude, die hochgradig ansteckend war. Hit reihte sich an Hit, zwei Sänger mit jeweils super Stimme wechselten sich ab und am Ende coverten sie sogar Gigantic von den Pixies. Die Stimmung hatte ihren absoluten Höhepunkt erreicht und wir alle hätten sicherlich noch stundenlang zu hören können.

Irgendwann ging aber auch diese Fête de la Musique zu Ende und nur mit Glück kam ich noch gegen halb zwei mit der U-Bahn wieder nach Hause. Nächstes Jahr gerne wieder!




* u.a. Laura Gibson, Alela Diane, Low, Sebadoh, Vic Chesnutt, Dan Mangan, First Aid Kit, Sharon van Etten, Veronica Falls, Dear Reader, Other Lives, My Brightest Diamond, Giant Sand, The Wedding Present, The Posies, Syd Matters, Nada Surf, O'Death, And Also The Trees...



 

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