Konzert:Jane Birkin
Ort:Forum am Schlosspark, Ludwigsburg
Datum:14.07.2013
Dauer:92 Minuten
Zuschauer:knapp 1000
© Michael C. Maier |
Natürlich hat sie es nicht gespielt, „Je t'aime... moi non plus“, jenes gestöhnte Liedchen, das Serge Gainsbourg ursprünglich für Brigitte Bardot schrieb, dessen Veröffentlichung Ehemann Gunter Sachs in nahezu letztem Moment zu verhindern wusste.
Also nahm es das enfant terrible mit seiner neuen Geliebten Jane Birkin erneut auf, das lustvolle Gestöhne erregte die Gemüter, erzeugte einen handfesten Skandal und machte den großen Chansonnier und die junge englische Schauspielerin zu einem der bekanntesten Paare der Welt.
Zwölf Jahre blieben sie, die England auf der Suche nach Filmangeboten nach der Trennung von John Barry, dem Komponisten der James Bond – Titelmelodie, gen Frankreich verließ, und der 18 Jahre ältere Gainsbourg zusammen, bevor sie ihm 1981 zugunsten des Regisseurs Jacques Doillon den Laufpass gab. Freundschaftlich verbunden blieben die beiden bis er 1991 starb dennoch; „Serge schrieb Lieder für mich seit ich 20 war bis zu seinem Tod“, verkündet die heute 66-jährige zärtlich während ihres rührenden Konzerts im Theatersaal des Forums am Schlosspark in der barocken Residenzstadt Ludwigsburg vor den Toren Stuttgarts. Es ist das feinfühlige, ungekünstelte Bekenntnis der Liebe ihres Lebens: Birkin ist seit 2011 mit den Liedern Gainsbourgs auf Tour, begleitet von vier klassisch ausgebildeten japanischen Musikern, mit denen sie erstmals nach dem GAU in Fukushima spielte, und die sie seitdem unterstützen.
Es ist der 14. Juli, der Tag des Sturms auf die Bastille, französischer Nationalfeiertag, an dem Jane Birkin im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele auftreten soll – als Zeichen der Verbindung zu Frankreich und als Sinnbild einer gelebten europäischen Integration.
Vor dem Forum am Schlossplatz fallen unzählige Mädchen in Cocktail- und Ballkleidern auf, junge Männer in Anzügen, ein wenig irritiert frage ich mich, ob ich mich, was den Altersdurchschnitt eines Birkin-Konzerts betrifft, nicht doch verkalkuliert habe, und wir gar nicht die jüngsten Besucher heute Abend sind. Getäuscht habe ich mich dann allerdings nicht, es findet in einem der Säle des Forums zeitgleich ein Abiball statt; vor dem richtigen Eingang wartet das typische Kulturpublikum.
Drinnen findet eine Einführungsveranstaltung statt, die kulturellen Normen eines solchen Abends werden gewahrt. Serge Gainsbourgs Chansons werden institutionell kanonisiert, zur Hochkultur erhoben – ein für popkulturelle Verhältnisse ungewöhnlicher, wenn nicht nahezu einmaliger Prozess. Anlässlich seines 20. Todestags vor zwei Jahren war es Birkin ein großes Anliegen, selbst dafür zu sorgen, das Andenken an den Vater ihrer zweiten Tochter, Charlotte Gainsbourg, einer der besten Schauspielerinnen unserer Zeit, aufrecht zu erhalten und selbst zu prägen, indem sie Lieder aus seiner gesamten Laufbahn interpretiert.
Hauchzart, fast flüsternd ist ihre Stimme bis in die Gegenwart geblieben, immer wieder klingen einzelne Töne zerbrechlich dünn, als drohten sie zu zerbersten. Schlank, ja dünn, ist Jane Birkin auch heute noch. Die weite weiße Bluse, die sie in die hochbündige, schwarze, ebenso weit geschnittene Stoffhose gesteckt hat, betont diesen Zustand geschickt. Flache Herrenschuhe trägt sie, verkörpert bis heute Androgynität und Weiblichkeit in einem.
Häufig ziert ein Lächeln das markante Gesicht, entblöst die berühmteste Zahnlücke der Welt und man weiß sofort, warum diese Frau als Sexsymbol der zweiten Hälfte der 60er, als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit gilt. In Antonionis Meisterwerk der Swingin' Sixties, „Blow Up“, war sie als nacktes Fotomodel zu sehen, wenig später kam sie mit Gainsbourg zusammen. Der hatte kurz zuvor noch eine Affäre mit Bardot, so kann man die Liaison zwischen der jungen Engländerin und dem französischen Charakterkopf heute als Paradigmenwechsel des Frauenbilds der 60er deuten.
Etwa zeitgleich erschien Twiggy auf der Bildfläche, der Frauentyp der Bardots und Monroes wurde abgelöst von dünnen, charismatischen Damen, die das ewige Mädchen verkörpern.
„Requiem pour un con“, ein bitterböses Chanson, in dem Gainsbourg mit höhnischem Lachen und zynisch ausgespuckten Worten, sein Image als Feindbild des Spießertums auf dem Punkt brachte, wird von Birkin als fragiles Gerüst gesungen.
Der sensationelle Schlagzeuger Ichiro Onoe, Violinistin Hoshiko Yamane und Takuma Sakamato an der Trompete eröffnen den Abend mit diesem Song, noch bevor Birkin mit mittellangen Haaren die Bühne betritt. Sie lässt sich auf dem Klavierhocker nieder, das Spotlicht fällt auf sie, Gesang setzt ein, tosender Szeneapplaus füllt den Saal als Hiroshi Murayama, ihr Pianist, einstimmt und eineinhalb Stunden perfekter Chansons vor den Zuschauern liegen.
Fast ein bisschen clownesk erscheinen die Bewegungen der Hauptakteurin bei „Di Doo Dah“, das sie 1973 veröffentlichte. Jane Birkin bewegt ihre Schultern hoch und runter, schwebt grazil über die Bühne, nimmt während des Konzerts immer wieder am vorderen Rand Platz, lässt die Beine baumeln.
In der Vergangenheit spielte auch Francoise Hardy Konzerte mit Gainsbourg-Songs, die Eleganz, der Einsatz, mit dem Birkin an einen der größten Künstler gedenkt, die Frankreich jemals hervorbrachte, stellt all das in Schatten.
Die enge persönliche Bindung wird an jeder Stelle deutlich, jeder Satz ist ein liebevolles Andenken. „En rire de peur d'être obligée d'en pleurer“ wird jazzig interpretiert, besonders Hiroshi Murayama, einer der profiliertesten Jazz-Pianisten und Komponisten Japans glänzt.
Obwohl mein Französisch alles andere als gut ist, kann ich die Stücke genießen, selbst wenn ich textliche Verständnischwierigkeiten haben. Eindrucksvoll gelingt es Birkin trotz begrenztem Stimmumfangs immer wieder die richtigen Emotionen zu wecken. Selten erlebte ich ein rührenderes Konzert, das in seiner schlichten Schönheit einen Platz als wertvolle Erinnerung in meinem Gedächtnis sicher hat.
Als sie schließlich nur noch vom Klavier begleitet in der Bühnenmitte steht und „Une chose entre autres“ anstimmt, hat sie mich endgültig für sich gewonnen. Ein subtiles Understatement im Hinblick auf ihr eigenes Können klingt in jedem Satz mit, immer glaubt man einen feinen französischen Akzent mitschwingen zu hören, obwohl dieser höchstens minimal ausgeprägt sein kann.
Immer wieder bedankt sich die 66-jährige für die Einladung zu einem klassisch geprägten Musikfestival, wirkt schüchtern, fast beschämt, als sie erzählt, sie habe am Vortag an gleicher Stelle ein klassisches Konzert des jungen Pianisten Igor Levit gesehen und habe regelrecht Angst davor mit einem derartig meisterhaften Musiker verglichen zu werden, da sie nur verlieren könne. Umso mehr freue sie sich, dass so viele Besucher zu ihrem Konzert gekommen seien, strahlt und offenbart noch einmal das ewige Mädchen, das in größtmöglicher Würde ohne den Hauch von Botox gealtert ist.
Ohne Frage ist „Comic Strip“, das Serge Gainsbourg einst mit Brigitte Bardot aufnahm eine der ungewöhnlichsten Perlen in der reichhaltigen Schatztruhe seines eigenen Kanons. Auch Jane Birkin inszeniert das Lied auf dieser Tour als Duett, allerdings schlüpft sie dabei nicht in die Rolle Bardots, sondern übernimmt Gainsbourgs Part. Die Comic-Sprechblasen-Geräusche „Shebam, Pow, Blopp, Wizz“ steuert Violinistin Yamane bei, die von der oberen Empore angemessen hoch kreischend, sich ihren Weg nach unten bahnt. Vereinzelt gibt es stehende Ovationen, Birkin dankt Hoshiko Yamane, der es besser gelänge die Vorstellung Serge Gainsbourgs an diesen Song umzusetzen, als es Bardot oder Birkin selbst je möglich wäre. „Wir haben immer nur so getan, Hoshiko kann es“, gibt sie auf Englisch zu verstehen, nachdem sie zu Beginn des Konzerts die Zuschauer vor die Wahl stellte, ob sie Ansagen auf Französisch oder in ihrer Muttersprache machen sollte.
Mit gen Himmel gerichteten Luftküssen im Anschluss gerät „Les amours perdues“ zur emotionalen Liebeserklärung an den über allem schwebenden Serge. Dabei habe sie das Stück gar nicht zuvor gekannt, sei von Philippe Lerichomme, ihrem künstlerischen Direktor, der auch Jahrzehnte lang mit Gainsbourg zusammenarbeitete, empfohlen worden. Mit einem „magic umbrella“, einem Schirm aus Lichterketten begibt sich Jane Birkin bei „Mon amour baiser“ durch das Publikum, geht durch die Zuschauerreihen bedankt sich bei jedem, der ihr Platz macht, während sie ein hübsches Liebeslied singt. Zurück auf der Bühne folgen stehende Ovationen, bevor mit „Ballade de Johnny Jane“ eines der bekanntesten Stücke im Gainsbourg'schen Œuvre kongenial von ihren japanischen Musikern vertont wird, die sie höflich und liebevoll in „Haine pour aime“ einzeln vorstellt und ihnen Raum für erstklassige Soli gibt.
Kurz darauf endet das reguläre Set mit „Les dessous chics“, ihrem liebsten Song ihrer großen Liebe, da dieser ihn nicht als den bösen Provokateur, sondern als den sensiblen, fragilen Feingeist zeige, der er wirklich gewesen sei.
Die Zugaben „La chanson de Prévert“ und das populäre „La gadou“ folgen, die Band verneigt sich, aus dem Auditorium werden Birkin Blumen überreicht, sie ist sichtlich gerührt. Wie auch wir, die an diesem besonderen, diesem rührseligen, wunderbar frankophilen Konzert teilhaben durften. Serge Gainsbourgs Musik wird berechtigterweise kanonisiert, eine der schönsten Frauen der Sechziger hat als Jahrzehnte lange Muse einen immensen Anteil an seinem Werk, es ist nur konsequent, dass es Jane Birkin ist, die nun 22 Jahre nach seinem Tod mit Charme und Klasse das Andenken an ihn bewahrt.
Nach dem Konzert treffen wir auf Jane Birkin am Bühnenausgang. Meine Freundin lässt sich ein Autogramm geben, ist überglücklich, als Birkin, die nun eine Brille trägt, nach ihrem Namen fragt, um daraufhin ein lächelnd gehauchtes „Katja, tu est très jolie“ nachzusetzen. Dieses Kompliment werde ich wohl niemals übertreffen können.
Setlist, Jane Birkin, Ludwigsburg:
01: Requiem pour un con
02: Tombée des nues
03: Di Doo Dah
04: En rire de peur d'être obligée d'en pleurer
05: Le Couteau dans le play
06: Con c'est con ces consequences
07: Amour des feintes
08: Vie, mort et resurrection
09: Ces petits riens
10: Une chose entre autres
11: Comic Strip
12: Les amours perdues
13: Mon amour baiser
14: Ballade des Johnny Jane
15: Fuir le bonheur de peur qu'il ne sauve
16: Haine pour amour (inklusive Bandvorstellung)
17: Les dessous chics
18: La chanson de Prévert (Z)
19: La gadou (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Jane Birkin, Dortmund, 14.02.2008
*Bei dem Foto handelt es sich um ein vom Veranstalter des Ludwigsburger Konzerts zur Verfügung gestelltes Pressebild. Die Rechte liegen bei Michael C. Maier.
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