Montag, 9. Mai 2011

Sufjan Stevens, Berlin, 07.05.11


Konzert: Sufjan Stevens & DM Stith
Ort: Admiralspalast, Berlin
Datum: 07.05.2011
Zuschauer: 1500 vielleicht?


Der herzige Inhaber des Café Nord-Sud, ein Franzose wie er im Bilderbuch steht, schaute bestürzt, als wir ihm plötzlich mitteilten, dass wir augenblicklich wegmüssten und auf die Nachspeise verzichten würden. Wir wollen gar nicht wissen, was sich der Herr dachte (Familientragödie? Revolution in der Heimat?), ebenso wenig wie die Passanten, die uns wohl für Zechpreller hielten, so rasant wie wir wegstürzten.

Was war passiert? Ein Freund hatte uns ein Sms geschrieben, dass DM Stith schon mit seinem überraschend kurzen Set fertig sei und Sufjan Steven mit dem Umbau ebenso. Das ist blöd, wenn man noch nicht im Konzertsaal ist, sondern woanders gemütlich zu Abend isst. Noch blöder allerdings, wenn man extra für Sufjan Stevens nach Berlin reist und dann vielleicht nur die Hälfte sieht.

Zum Glück liegt das Nord-Sud, hinter dem Tacheles, nicht weit vom Admiralspalast, weswegen wir kurz nach halb zehn dort eintrafen und unsere Plätze bezogen. Nach zehn Minuten war uns klar, dass der ganze Stress nicht nötig gewesen wäre, nach fünfzehn läuteten die Pausenglocken und nach zwanzig kam Sufjan Stevens auf die Bühne.

Und spielte gleich mal einen alten Song. Seven Swans wars und verdammt gut. Das Paar von mir hatte die Bedeutung von andächtiger Stille und Theateratmosphäre leider nicht ganz verinnerlicht, aber ansonsten war weit und breit ein jeder Atem anhaltend gespannt und aufgeregt. Eine ganz außerordentlich erhabene Location, dieser Admiralspalast!

Nach diesem Song, im Halbdunkel und hinter einem transparenten, schwarzen Vorhang gespielt, bedankte sich der Amerikaner und entschuldigte sich für die lange Abwesenheit in Berlin. Er hätte eine tolle Zeit untertags in der Sonne und auf seinem Fahrrad gehabt. Recht hat er, es war ein wunderbarer Tag, es hatte deutlich über 20°, während in Wien wettermäßig eher Trübsal geblasen wurde.

In einer Indoor-Location kann man sich aber nicht auf gutes Wetter als Stimmungsgarant verlassen und so musste das Mr. Stevens himself übernehmen. Gut gelaunt und charmant führte er durch die Setlist, die er als von neuen Stücken dominiert und tanzbar vorstellte, erzählte mal hier eine Anekdote, mal dort ein philosophisches Geschichtchen.

Das ihn begleitende Orchester erwies sich als großartig, die Tänzerinnen im Hintergrund hatten phasenweise leichte Probleme, die Choreographie einzuhalten, ergänzten aber die musikalische Darbietung sehr schön. Auf eine Leinwand wurden ab und zu strange Visuals projeziert, mal auch auf den Bühnenvorhang, mal stakste Sufjan Stevens mit großen Flügeln über die Bühne, mal trug er futuristische Kopfbedeckungen und gebrauchte Stimmverzerrer.

Vorläufiger Höhepunkt, und mit nichts anderem hatte ich gerechnet, wurde Vesuvius. Ein Wahnsinnssong! "Follow me now, as I favor the ghost..."
Wen einem hier nicht Tränen kommen dürfen, dann weiß ich auch nicht. Hinter dem Vorhang - eine Szene wie aus einer anderen Welt, aus einer Zwischenebene von Dies- und Jenseits, wie der Gesang der Sirenen. Wunderschön, betörend - so nahe geht einem selten ein Song.

In der Tonart ging es weiter, Sufjan Stevens gab eine Biografie eines Malers zum Besten, der ihn sehr inspiriert hatte, eine etwas skurrile Geschichte. Jedenfalls widmete er diesem, man nannte ihn Royal Robertson, sein Album und recht viel größere Geschenke darf man auf dieser Erde eigentlich nicht erwarten.

Nach Futile Devices meinte er lapidar, dreiminütige Folk-Songs zu schreiben sei ja ganz nett, hier käme allerdings ein fünfundzwanzigminütiges, psychotherapeutisches Epos. Ob wir bereit dafür seien? Und ob!

Herausfordernd, körperlich wie seelisch, war es auch vor allem für den Sänger und seine Musiker, weniger für uns. Denn Sufjan Stevens zog echt beinhart Impossible Soul durch. Was das für ein Kraftakt gewesen sein muss, kann sich wohl nur vorstellen, wer vor Ort war. Gegen Ende des Songs begann das Publikum dann zum ersten Mal aufzustehen, mitzuklatschen, bisweilen auch zu singen. "Boy, we can do much more together..."
Impossible Soul geriet zum Triumphzug.

Danach verdrückten sich die Protagonisten in den Hintergrund, das Publikum nahm sich allerdings nicht zurück und erreichte nach zehn Minuten rhythmischen Klatschens, Stampfens und Rufens die Rückkehr des Mister Stevens, der vorerst die ganze Bühne für sich alleine hatte und alles Tempo radikal raus nahm. Concerning the Ufo Sighting Near Highland, Illinois stand auf dem Programm.

Dann aber kam die Band zurück, die ersten Akkorde von Chicago erklangen und wie auf Kommando riss es alle aus den bequemen Stühlen, noble Zurückhaltung war längst vergessen, hier wurde ein Kunstwerk zelebriert. Luftballone schwebten von der Saaldecke herab, Bühne und Saal erstrahlten in leuchtenden Farben, im Hintergrund lauerte die schwarze Wand.

Ist der Hinweis auf seine christliche Haltung fixer Bestandteil (kritischer) Betrachtungen der Person Sufjan Stevens, so muss man seinem Konzert Spiritualität im besten Sinne attestieren. Im Sinne einer Heimat, nicht im Sinne von starrer Dogmatik. Die Welt, möge sie doch rational nicht erklärbar sein, Sufjan Stevens versteht sie auch nicht, aber er liebt sie und als wäre das noch nicht Hippie genug, gibt er diese Liebe auch weiter. Und ich bin mir sicher, hätte Jean-Claude vom Cafe Nord-Sud gewusst, weswegen wir so Hals über Kopf abgedampft waren, was ihm da entging, er hätte es uns bestimmt gleich getan. Wenn sich diese Wochenendfahrt nicht ausgezahlt hat... It's the age of Sufjan!



Setlist Sufjan Stevens, Admiralspalast, Berlin:

01: Seven Swans
02: Too Much
03: Age Of Adz
04: Heirloom
05: I Walked
06: Now That I'm Older
07: Vesuvius
08: Enchanting Ghost
09: Get Real Get Right
10: All For Myself
11: I Want To Be Well
12: Futile Devices
13: Impossible Soul

14: Concerning The Ufo Sighting Near Highland, Illinois (Z)
15: John Wayne Gacy, Jr. (Z)
16: Chicago (Z)


Die hübschen Fotos stammen von Anne-Hèlène Lebrun (merci beaucoup). Sie enstanden im Admiralspalast und wurden bereits für ihre Webseite le Cargo.org verwendet. Ihre gesamten Fotoarbeiten kann man auf ihrer Webseite frall-photo.com bewundern.



2 Kommentare :

Oliver Peel hat gesagt…

Prima, daß du es zu Sufjan geschafft hast, Julius!

Habe schon eine Anfrage bei einer Bekannten für die Fotos gestellt, vielleicht ist sie einverstanden :)

LG,

Oliver

Catweazle hat gesagt…

Alles wahr, alles genau richtig! Habe Sufjans großartige Show gestern in Essen gesehen, und mir tut jeder leid, der's verpasst hat!

 

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