Donnerstag, 12. Mai 2011

Wire, Paris, 11.05.11


Konzert: Wire

Ort: La Machine Du Moulin Rouge

Datum: 11.05.2011

Zuschauer: etwa 600-700
Konzertdauer: 1 Stunde 45 Minuten



Hier will ich gar nicht lange drumrumreden: das Konzert der alten Punk-Haudegen Wire in der Machine du Moulin Rouge in Paris war einfach grandios! Mein Vater John Peel war schon großer Fan der kultigen Engländer, nun bin ich es auch.

Dabei hatte ich eigentlich nicht unbedingt ein absolut überragendes Konzert erwartet, da ich Wire im Jahre 2008 schon einmal in der Maroquinerie gesehen hatte. Dort waren die Briten positiv in Erscheinung getreten, hatten einen grundsoliden und sehr ordentlichen Gig abgeliefert, allerdings keine langanhaltende Euphorie bei mir ausgelöst. Es war nichts Unvergessliches, was ich da damals gesehen und gehört hatte.

Heute aber Begeisterung pur für Wire und dies nicht nur bei mir! Auch meine französischen Konzertfreunde waren hinterher total aus dem Häuschen! Wir waren uns alle einig darüber, daß dieser Auftritt erste Sahne war. Wichtiger Grund für das außergewöhnliche Konzerterlebnis war der fabelhafte Sound in der Machine du Moulin Rouge. Laut, aber keine Spur übersteuert, breiig oder dumpf. Stattdessen wuchtig, glaskar, nuanciert und harmonisch. Jeder einzelne Winkel der nicht gerade kleinen Location (Fassungsvermögen wohl über 1000) wurde pefekt beschallt. Egal, wo man stand, überall war der Klang tadellos. Dies war natürlich auch Verdienst der altgedienten Band, die saft-und kraftvoll agierte, aber nie zu plump, zu hymnisch oder zu derbe wurde. Es gab keine punkigen Mitgröhlnummern, sondern geistreichen Art Punk ohne elitäre Attitüde. Einfach nur perfekt exekutiert, handwerklich gekonnt gespielt und ohne große Geste auf das Publikum abgeschossen. Lässig allein, wie der glatzköpfige Drummer Robert Grey scheinbar mühelos mit ruhigem Oberkörper fast zwei Stunden lang austeilte wie ein Preisboxer und die Truppe vorantrieb. Und Sänger und Gitarrist Colin Newman setzte seine Stimme sehr variabel ein. Bei den sphärischen Stücken war sie inoffensiv, weltenrückt und angenehm sanft, bei den agressiven Nummern bissig, nörglerisch und hundsgemein. Auch die anderen beiden Musiker fielen positiv auf. Der langmähnige junge zweite Gitarrist Matt Sims spielte seinen Part am rechten Bühnenrand souverän und fehlerfrei und der Basser Graham Lewis zupfte nicht nur rasant schnell und messerscharf, sondern hatte auch das größte Charisma innerhalb der Band aufzuweisen. Grimmig sein Gesichtsausdruck, gespannt sein für sein Alter noch sehr straffer Körper und lustig seine Kopfbedeckung: Ein französisches Miltärbarret, in einem der billigen Souvenirläden um die Ecke gekauft. Woher ich weiß, daß er das Ding da erworben hat? Nun, er hat es mir gesagt! In einer Pause zwischen zwei Songs. Ihm war aufgefallen, daß eine Bekannte von mir und ich auf sein Barret zeigten und uns fragten, ob das wirlich ein Eiffelturm war, was wir da an der rechten Seite der Mütze sahen. Da hat er sich dann einfach in unser Gespräch eingeschaltet und auf gutem französisch gesagt: "C'est un bonnet", bevor er hinterherschickte: "I bought it this afternoon just around the corner. And yes, it's the Eiffel tower!"

Er sang im Übrigen auch ein paar wenige Stücke in führender Rolle und sorgte so stimmlich für Abwechslung. Ein netter Typ, so schien es. Ob man das mit dem Nett - sein auch von Sänger Colin sagen kann, ist allerdings fraglich. Er sieht zwar mit seinem schütteren Haar und der Brille aus wie ein gutmütiger Wärter in einem Naturkundemuseum, lässt sich allerdings nicht gerne in die Quere kommen. In einer der spektakulärsten Szenen des Konzertes machte er klar deutlich, wo seine Intimsphäre beginnt: in der Nähe seines Mikros! Dorthin hatte sich ein junger Zuschauer gewagt. Von abwesenden Sicherheitsleuten nicht am Erklettern der recht hohen Bühne gehindert, stand der kesse Grünspecht plötzlich gleich neben den Musikern. Als er gerade etwas ins Mikrofon brabbeln wollte, nahm Colin Schwung und schupste den Störenfried mit Wucht von der Bühne. Rums, der Kerl war schnell wieder unten! Und damit er nicht auf die Idee kam, noch einmal raufzuklettern, ließ Mister Newman unmissverständlich wissen: " If this guys comes again up on stage I'm gonna fucking kill him!"

Damit war klar, daß Wire Konzerte keine Kindergeburtstage, sondern etwas für harte (und alte) Burschen sind. Jene ergauten Haudegen im Publikum waren es letztlich dann auch, die sich besonders an dem Sound erfreuten. Ein paar alte Säcke hatten ein Dauergrinsen auf de feisten Fresse und schienen in einer Art Parallelzustand. Aber auch das jüngere Publikum, daß die Band zu seinen Glanzzeiten noch nicht gekannt haben kann, schien einen richtig geilen Abend zu verleben. Kein Wunder irgendwie, denn selbst die alten Sachen klangen keine Spur antiquiert oder überholt, sondern absolut modern und zeitgemäß. Erstaunlich auch, daß man keine großen Brüche innerhalb des Materials feststellen konnte. Immerhin reicht das Songrepertoire von 1976 bis 2010! Dabei war es keineswegs so, daß alles gleich klang. Sondern nur, daß Leute, die ohne Vorwissen zu diesem Konzert gekommen sind, definitiv nicht sagen konnten, aus welcher Zeit welches Stück stammte. Wobei natürlich der typische Spätsiebziger Post-Punksound unüberhörbar war. Man dachte an ähnliche Bands dieser ungemein kreativen Epoche wie Joy Division, die Gang Of Four oder The Fall und bekam (zumindest wenn man so alt war wie ich) nostalgische Gefühle. Ganz erstaunlich, welche Emotionen der britische Gitarrenrock zu dieser Zeit zu vermitteln im Stande war. Wenn heutzutage Bands wie Interpol, Franz Ferdinand oder These New Puritans diesen Stil kopieren, sieht man sehr deutlich, wie avantgardistisch Wire und Co. waren.

Gespielt wurden Stücke von vielen verschiedenen der insgesamt 12 Studioalben, mit einem Schwerpunkt auf dem aktuellen Output Red Barket Trees. Highlights hervorzuheben fällt mir nicht leicht. Gerade die ausgewogene Mischung aus sphärischen, eher poppigen und mitunter erstaunlich melodiösen Songs, rohen, brachialen Noisekeulen und martialischen Punk-Tracks machte das Besondere dieses Konzertes aus. Es war in jeder Phase stark, hatte keine Hänger oder gar Rohrkrepierer zu beklagen. Nicht nur die Klassiker von Pink Flag zogen, nein, auch neuere, unbekannte Sachen. Das war das Schöne.

Nach wie vor gilt deshalb festzuhalten: Wire sind eine essentielle Band. Auch in 2011. Oder wie es meine Freundin Mathilde begeistert ausdrückte: "Wire encore meilleur"- Wire noch besser.

Setlist Wire, La Machine Du Moulin Rouge (in Klammern, die Alben, von denen die Stücke stammen)

01: Comet (Send)
02: Smash (Red Barked Trees)
03: Advantage In Height (The Ideal Copy)
04: Please Take (Red Barket Trees)
05: Silk Skin Paws ( A Bell Is A Cup...Until It Is Struck)
06: Kidney Bingos ( A Bell Is A Cup...Until It Is Struck)
07: Clay (Red Barket Trees)
08: Map Ref 41 Degrees N 93 Degrees W (154)
09: Bad Worn Thing (Red Barked Trees)
10: Moreover (Red Barket Trees)
11: Two People In A Room (154)
12: 106 Beats That (Pink Flag)
13: The Boiling Boy (It's Beginning To And Back Again)
14: Red Barket Trees (Red Barket Trees)

15: Down To This (Red Barked Trees)
16: (A Berlin) Drill (The Drill)
17: Underwater Experiences (Document And Eyewitness)

18: Adapt (Red Barket Tree)
19: Pink Flag (Pink Flag)

Aus unserem Archiv:

Wire, Paris, 27.09.08



1 Kommentare :

Gudrun hat gesagt…

"Er sieht zwar mit seinem schütteren Haar und der Brille aus wie ein gutmütiger Wärter in einem Naturkundemuseum, lässt sich allerdings nicht gerne in die Quere kommen."

Da musste ich jetzt aber doch mal laut lachen....
Gruß!

 

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