Donnerstag, 26. Mai 2011

Julie Doiron, Paris, 24.05.11


Konzert: Julie Doiron
Ort: Le Swan Bar, Paris

Datum: 24.05.2011
Zuschauer: 15

Konzertdauer: 95 Minuten


Die roten Fußnägel von Julie Doiron waren mir sofort aufgefallen. Nicht, daß ich diesbezüglich einen Fetisch hätte, nein, ich fand es nur ungewöhnlich, die immer so natürliche kanadische Songwriterin so zu sehen (hierzu noch später). Mit schwarzer Skinny Jeans und kurzem, schwarzen Hemd präsentierte sie sich einer kleinen Schar gutinformierter Konzertgänger. Der Austragunsgort war ungewöhnlich und noch nicht einmal mir bekannt. Le Swan Bar im 6. Pariser Arrondissement, gelegen am Boulevard Montparnasse. Eine künstlerisch tote Gegend, die aber noch ein wenig vom Ruhm vergangener Tage zehrt. Hier in der Ecke verkehrten viele Schriftsteller, Sartre, Camus, Simone de Beauvoir, alle schrieben sie in Cafés in Montparnasse und abends konnte man sich hier gut amüsieren und Tanzlokale frequentieren.

Lange ist's her und nur noch Touris gehen hier vereinzelt aus, weil die legendäre Brasserie La Coupole in jedem Reiseführer steht. Le Swan Bar dürfte hingegen nicht so bekannt sein, ich jedenfalls hatte noch nie davon gehört. Aber es ist ja auch immer wieder schön, neue Orte ausfindig zu machen und Bars in denen gute Musik spielt, kann es nie genug geben.

Ungewöhnlich allerdings, daß man einen Eintritt von 10 Euro für das Konzert von Julie Doiron verlangte. Normalerweise sind Auftritte in Cafés, Kneipen und Bars immer kostenlos, die Läden finanzieren sich über den Getränkekonsum der durstigen Mitbürger. Die Swan Bar langte gleich doppelt hin: Eintritt und Pflichtkonsum eines Getränkes, darauf wiesen Schilder in jeder noch so kleinen Ecke hin ("Consommation obligatoire"). Mit 5 Euro war das kleine Fläschen Bitter Lemon nicht gerade billig und ich ließ mir mit dem Leeren massiv viel Zeit, damit mir der Barmensch nicht ein weiteres andrehte...

Aber damit will ich auch die Schilderung des Finanziellen beenden, denn Julie legte sich mächtig ins Zeug, spielte satte 95 Minuten lang, alle Zuhörer waren vorbildlich still und ich konnte das Konzert gemütlich auf einem Stuhl sitzend in aller Ruhe genießen. Zumal Julie selbst gar nicht wußte, wieviel die Zuschauer zu berappen hatten. Erst am Ende sah sie das kleine weiße Schildchen auf dem Tisch und meinte: "Oh, 10 Euro? Ich dachte 5! Na dann muss ich jetzt wohl mal anfangen, richtig gute Lieder zu bieten!"

Die gute Julie, Humor hat sie. Denn das zuvor gezeigte war doch bereits prima und niemand konnte sich wohl ernsthaft beschweren. Aber Julie's Spruch beinhaltete auch ein wenig Galgenhumor, denn bitter-süß grinsend hatte sie uns geschildert, daß Air Canada eine richtig üble Preispolitik betreibe und für die dritte Tasche satte 250 Dollar Aufschlag verlange. Da die Doiron für das Anschleppen der CDs und T-Shirts eben eine solche dritte Tache benötigte, war sie 250 $ los und musste schon ordentlich Tonträger absetzen, um die Verluste wieder reinzuholen. "Kauft CDs, ihr könnt auch mit mir handeln, oder legt euch ein T-Shirt zu, ich verhökere sie heute für 10", meinte sie halb resignierend, halb rumalbernd...

Aber was hatte es nun mit den roten Fußnägeln auf sich? Die Sängerin erklärte uns das ganz ausführlich, berichtete, daß ihr Freund ihr zum Geburtsatg eine Pediküre und eine Maniküre geschenkt hatte ("for this he is much more cultivated than I am") und das eigentlich ganz lustig und schick fand. Ihr Problem sei bloß, daß sie chemische Produkte ablehne und somit Nagellack und vor allem Entferner nicht in Frage kämen. Sie hätte also einen veganen (!) Lack dabei, der allerdings wahnsinnig schnell abblättere. Und außerdem hätte sie heute nur die Zeit gehabt, die beiden großen Zehen zu bemalen, was sie außerordentlich komisch fand (und ich auch).

Natürlich wurde nicht nur über Pediküre geschwätzt, aber solche Anekdoten sorgen doch immer wieder dafür, daß sich eine zunächst steife Atmosphäre auflockert und man einen privateren Zugang zum jeweiligen Künstler findet. Ohnehin hat man bei den Konzerten von Julie Doiron oft den Eindruck, man kennte sie schon von der Schule her oder so. Sie ist immer natürlich, authentisch, keine Spur aufgesetzt oder unnahbar. Angenehme Wesenzüge, die sich auch darin bemerkbar machen, daß sie grunsätzlich keine Setlist dabei hat, sondern spontan entscheidet, was sie gerade spielt. Ein Grundgerüst hatte sie sich heute zwar vorher sicherlich im Kopfe zurechtgelegt, aber das Eingehen auf jeden Wunsch der Gäste zeigte, daß sie bereit war, alles über den Haufen zu werfen und abzuwandeln.

Manche Fans verlangten gar allzu viel von ihr und forderten Songs, die sie aktuell nicht mehr auf der Pfanne und lange nicht mehr gespielt hatte. Ein Mitbürger bat um den alten Titel I'm Sorry und Julie fragte ensetzt: "wich part?", denn es gibt drei Parts. Sie schlug ihm vor, daß er Strophen singen möge, sie könne ja dann das Gitarre Spielen übernehmen. Irgendwann verhedderte sie sich, vergaß Strophen und Melodie und brach grinsend ab. Nicht die einzige Stelle, wo die Kanadierin Erinnerunsglücken hinsichtlich ihres Altmaterials hatte, aber nach 8 Alben und einer solch langen Karriere ist das verständlich und normal. Keine Band der Welt, die viele Lieder im Repertoire hat, könnte jedes einzelne spontan live spielen. Noch nicht einmal Bob Dylan, der heute 70 wurde.


Den und ein paar andere coverte die Doiron. Mehr hierzu in Kürze!

Setlist Julie Doiron, Swan Bar, Paris:*

01: He Will Forget
02: Heart Consolation Prize
03: Swan Pond
04: Ce Charmant Coeur
05: Tailor
06: In This Dark
07: The Longest Winter
08: Neu (Lyrics: "By the lake was a rock")
09: Cover von Dinner Is Ruined
10: Turn Me On (Nina Simone Cover)
11: I Threw It All Away (Bob Dylan Cover)
12: Unknown
13: No Money Makers
14: Le Piano
15: I'm Sorry (Part I & II)
16: The Wron Guy
17: No More
18: Dark Horse
19: Taller Beauty
20: Wintermitts
21: I Used To Be Good
22: Me And My Friend
23: Neu: Birthday song for her friend, Lyrics: " Last night I layed in bed..."

* habe ich mühsam durch Mitschriften und Internetrecherche zusammen bekommen. Uff!



1 Kommentare :

E. hat gesagt…

es bleibt für mich eine absonderliche vorstellung, wie man die gute julie vor ein paar leutchen in einem namenlosen cafe in paris spielen lassen kann. sehr ärgerlich. aber Ihr habt ja das beste daraus gemacht!

 

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