Freitag, 6. April 2012

Shearwater & Julie Doiron, Paris, 05.04.12


Konzert: Shearwater & Julie Doiron

Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 05.04.2012
Zuschauer: etwa 400, nicht ganz ausverkauft
Konzertdauer: Julie etwa 40 Minuten, Shearwater etwa 90 Minuten


Lola, ähem nein, Oliver Peel rennt!


Rennen für Julie. So in etwa konnte man das beschreiben, was ich an jenem 5. April abends erlebte. Ich wollte keine Minute vom Konzert der Kanadierin Julie Doiron verpassen, schließlich hatte die talentierte Dame doch 2011 bei einer Oliver Peel Session geglänzt. Aber ein verwirrter Nutzer der Pariser Metro machte mir einen Strich durch die Rechnung. Eigentlich war ich pünktlich aufgebrochen, aber gleich mehrfach wurde der Verkehr auf der Linie 2 unterbrochen, weil jemand über die Gleisanlagen lief. Was ihn dazu angetrieben hatte, weiß ich nicht, aber ich war erleichtert zu hören, daß es nicht zu einer Tragödie, sprich zu einem Suizid kam. Der Bursche kletterte irgendwann wieder nach oben und wurde in Gewahrsam genommen. Uff!


Resultat: es war bereits 20 Uhr 10 als ich an der U-Bahnstation Menilmontant ankam und nun musste ich auch noch den steilen Berg hochwetzen, weil der Anschlußbus 9 Minuten Wartezeit verzeichnete. Ich rannte wie verrückt, obwohl ich vom Training auf meinem Stepper bleischwere Beine hatte. Ziemlich erschöpft kam ich gegen 20 Uhr 20 in der Maroquinerie an. Ich hatte einen Gästelistenplatz von Julie persönlich zugeschanzt bekommen, aber die stand unten im Keller schon auf der Bühne, während ich oben noch mit dem Ordner darüber diskutierte, ob ich einen Fotopass bräuchte, um mit meiner Kamera reinzukommen. Kurzerhand lief ich noch mal zur Kasse und forderte kess und prompt einen Fotopass, den ich überraschenderweise problemlos ausgehändigt bekam, weil ich darauf verwies, daß Miss Doiron mich gebeten hatte, ein paar hübsche Fotos von ihr zu machen.


Ich rannte nun die Treppenstufen runter, stieß die Tür zum Konzertsaal auf und hörte Julie gerade Shady Lane alleine auf ihrer Elektrischen performen. Ein cooles Cover von Pavement, das ihren guten musikalischen Geschmack unterstrich.

Wie immer präsentierte sich die Kanadierin sehr natürlich und down to earth und dies owohl sie massiv viel Erfahrung und Talent in die Wagschale zu werfen hat. Ab und zu habe ich den Eindruck, daß sie es extra macht, sich an der ein oder anderen Stelle zu verspielen, um so ihre Authenzität zu waren. Sie ist die Letzte, die Lust darauf hat, ein geschliffenes und bis in den letzten Notenschlüssel ausgeklügeltes Set abzuspulen. Gerade dieses Ungekünstelte, dieses Spontane macht sie aus. Eine vorgeschriebene Setlist? Hat sie nie. Sie spielt immer frei Schnauze, performt, was ihr gerade in den Sinn kommt. Heute hatte sie zum Beispiel Bock, Lovers of The World zu bringen, was sie sonst nie tut. Ihr war einfach danach. Und die Tatsache, daß sie gleich drei französische Lieder spielte, war sicherlich dem heutigen Umfeld geschuldet. Die französischen Chansons gehören mit Abstand zu ihrem softesten, kontemplativsten Material, wirken aber dennoch nicht als Fremdkörper in ihrer Diskografie. Gemeinsamer Nenner aller Lieder ist immer der sehr persönliche, intime Ansatz, die Melancholie, die Ungeziertheit.


Julie versteht stets, mich emotional zu treffen, egal ob mit oder ohne Band. Den anderen Zuschauern schien der Solo-Auftritt aber irgendwann ein wenig zu getragen zu sein und so jubelten sie laut, als plötzlich in der Mitte des Sets ein Drummer und ein Bassist hinzustießen, um den tollen Klassiker Swanpond und einen neuen Song (Arbeitstitel: Cars And Trucks) zu performen. Zwei Solo-Lieder später war dann Schluß und Julie überließ die Bühne nun Shearwater.

Vorläufiges Fazit: das Rennen für Julie hatte sich gelohnt, die zweifache Mutter ist einfach immer klasse!

Auszug aus der Setlist Julie Doiron, La Maroquinerie, Paris:

- Shady Lane (Pavement)
- The Tailor
- Lovers Of The World
- Ce Charmant Coeur
- Le Piano
- Pour Toujours
- Dark Horse
- Swanpond
- Cars And Trucks (neu)



Und dann ging es mit Shearwater weiter. Eine jener Bands, die mir schon unvergessliche Konzerte in der Vergangeheit bereitet hat, dessen neues Album Animal Joy ich aber noch nicht habe. Vor nicht allzu langer Zeit erfuhr ich zudem, daß die attraktive Bassistin Kimberley und der geniale Drummer und Multiinstrumentalist Thor (zumindest vorläufig) ausgestiegen sind. Kimberly ist Mutter geworden und pausiert, Thor spielt mit Swans und hat noch andere Projekte. Auch der Trompeter Jordan Geiger ist nicht mehr dabei, er konzentriert sich jetzt auf seine eigene Gruppe Hospital Ships.


Folglich präsentierte sich mir und den etwa 400 Zuschauern in Paris eine ganz neue Band, deren Fels in der Brandung aber der famose Falsett-Sänger Jonathan Meinburg war. Der hochgewachsene, sportlich schlanke Bursche ist nun umso mehr der unumstrittene Chef, erwies sich aber heute als ausgezeichneter Teamplayer und harmonierte gut mit seiner Backing Band.


Die "neuen" Shearwater waren unfassbar rockig ausgerichtet. Allein das Schlagzeug schepperte tonnenschwer und höllisch laut und der Bass klang postpunkig und stark nach Interpol. Das heute war kein Folkrock-Konzert, sondern ging eher in Richtung Postrock/Indierock à la Pink Flyoyd. Alle Schnörkel die es vorher gab, waren verschwunden. Keine Trompete mehr, auch kein Glockenspiel, keine Flöte, nichts dergleichen. Stattdessen wurde phasenweise mit drei (!) Gitarren und zwei Schlagzeugen gleichzeitig angegriffen. Offensive pur!


Zwar fingen die Amerikaner mit The Snow Leopoard mit einem alten Stück von Rooks an, aber dann wurde die Aufmerksamkeit auf den neuen Output Animal Joy gerichtet. Ein famoses Album, zumindest was die Livedarbietung betrifft. Schon Animal Life an dritter Stelle war formidabel, das wirbelnde, nach vorne treibende und euphorisierende You As You Were noch stärker und das enorm basslastige Breaking The Yearlings sicherlich das stärkste Stück vom neuen Opus.


Jonathan, ein außerhalb der Bühne und zwischen den Liedern so ruhiger und fast schüchterner Mann, war auf Krawall gebürstet und wirkte fast wie ein Krieger der in den Kampf zieht. In vielen Sitautionen sah man ihn mit weiß aufgerissenem Mund und hervorstechenden Adern. Aber er zeigte auch Humor. Als er sich bei dem von Rooks stammenden Leviathan, Bound am Piano verspielte, grinste er hinterher und erklärte mit witzigen Gesten, wie seine Finger daneben gegriffen hatten.


Mehr als eine Stunde wurde also massiv gepowert, bevor Shearwater zum ersten Mal die Bühne verließen. Nach ein paar Minuten kam Meiburg zunächst alleine zurück und performte mit viel Gefühl Hail, Mary, ein altes Tück von Palo Santo. Ein Album auf das nun der Focus gerichtet wurde. Auch Nobody (leider durch zu viel Rückkopplung ruiniert) und White Waves stammten von diesem feinen Machwerk, bevor ein wirklich grandioses R.E.M Cover, These Days, das Konzert auf perfekte Weise abschloß.


Zu meckern gab es wirklich nix, auch wenn immer mehr Fans von den Alben behaupten, sie würden ständig epischer und bombastischer. Gerade live zeigt sich aber immer wieder, daß Shearwater einfach brillante Musiker sind, Meiburg eine unfassbare Stimme hat und aus den Studioversionen das Maximum herausgeholt wird.

Aftershow:

Als schon die meisten Zuschauer weg waren, hatte ich die Gelegenheit, im oben gelegenen Café draußen mit Julie und Jonathan zu plaudern. Julie trank ein bißchen Rotwein, Jonathan Whiskey. Er gestand, schon fünfmal in Paris gespielt zu haben, aber nie den Eiffelturm oder den Arc de Triomphe gesehen zu haben. Es hatte einfach nie die Zeit dazu gegeben. In Hamburg wolle er sich aber ein altes Schiff ansehen und auch den freien Tag in Istanbul für Kultur nutzen. Julie berichtete von den Yoga Klassen, die sie in Kanada unterrichtet hat. Aus meiner Hinsicht besonders schön war allerdings, daß sich Jonathan für die Oliver Peel Sessions interessierte, nachdem ihm Julie davon erzählt hatte. Ich sagte zum Abschluß: "Jonathan, please play in my house, and then I can die." Er schmunzelte vielversprechend und unsere Wege trennten sich...

Setlist Shearwater, La Maroquinerie, Paris:

01: The Snow Leopard
02: Castaways
03: Animal Life
04: Dread Sovereign
05: You As You Were
06: Insolence
07: Rooks
08: Immaculate
09: Pushing The River
10: Open Your Houses
11: Run The Banner Down
12: Leviathan, Bound
13: Breaking The Yearlings
14: Star Of The Age

15: Hail, Mary
16: Nobody
17: White Waves
18: These Days (REM)

Aus unserem Archiv:

Julie Doiron, Paris, 27.05.11*
Julie Doiron, Paris, 26.05.11
Julie Doiron, Paris, 24.05.11
Julie Doiron, Paris, 19.11.10
Julie Doiron, Paris, 01.12.09
Julie Doiron, Paris, 05.12.07

Shearwater,Frankfurt,06.08.10
Shearwater, Paris, 19.02.10
Shearwater, Paris, 13.05.09
Shearwater, Paris, 11.11.08





3 Kommentare :

E. hat gesagt…

die kritik bezüglich der alben ist berechtigt, folglich ist auch das neue eher... nix. auch live war ich nicht so beeindruckt. leider haben shearwater nunmehr bei mir verspielt. julie allerdings..., you know what i mean.

Oliver Peel hat gesagt…

Ja,aber du hast sie nicht mit dem ganz neuen Album gesehen, oder?

Und Livemusik gefällt mir ja eh viel besser als Studioaufnahmen, you know what I mean?

Habe eben noch viele Tippfehler im Text verbessert, hoffe jetzt passt es.

E. hat gesagt…

haha, wenn ich trainer wäre, würde ich dich als konterstürmer aufstellen.

mal sehen, vielleicht laufen sie mir noch heuer über den weg. die neue truppe hat eine chance verdient.

 

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