Dienstag, 3. April 2012

Soko, Berlin, 31.03.12


Konzert:SoKo
Ort: Bi Nuu (ehemals Kato), Berlin

Datum: 31.03.2012

Zuschauer: ausverkauft ca. 650

Konzertdauer: knapp 2 Stunden

Bericht von Markus aus Berlin*


Mit dem neuen Namen Bi Nuu (ehemals Kato) konnte ich bis heute kaum etwas anfangen - erinnerte mich viel mehr an eine billige China-Bude als an einen interessanten Veranstaltungsort. Erst als mich eine Arbeitskollegin darauf hinwies, dass es wohl ans englische Be New angelehnt sein könnte, bin ich langsam vom Imbiss-Gedanken weg. Insgeheim hoffe ich, dass der Name noch mal überdacht wird. Das Bi Nuu liegt direkt unter den Gleisen der U1 am Schlesischen Tor - einen Steinwurf vom Magnet Club, Comet Club und Lido entfernt.

Als ich endlich das Bi Nuu erreiche, ist Luke Rathborne mit seinem Set schon fast durch. Das kurze Reinhören, reicht mir nicht aus, um darüber viele Worte zu verlieren. Das schon reichlich vorhandene Publikum applaudiert mehr als artig. Insgesamt sollen 650 Gäste zum schon lange ausverkauften Konzert von SoKo gekommen sein. Eine beachtliche Zahl für eine Sängerin, die vor fünf Jahren mit einem myspace-Liedchen bekannt wurde - dann aber bis 2012 brauchte, um ihr Debüt-Album fertigzustellen. Andere Künstler sind über so lange Zeit längst in Vergessenheit geraten - aber SoKo scheint ein Liebling der Musikredaktionen zu sein, die im Vorfeld für ordentlich Promotion und Hype gesorgt haben. Und von diesem Hype habe ich mich auch anstecken lassen und ihr Album direkt nach der Veröffentlichung Anfang März gekauft.

Die mittlerweile 25jährige Französin lebt nach den Stationen London, Seattle und New York nun in Los Angeles. Man könnte den Eindruck gewinnen, als wäre sie ein ruheloser Geist.

Eine halbstündige Pause nutze ich für den Versuch mir einen guten Platz im Publikum zu organisieren. Das ist gar nicht so einfach, denn das Bi Nuu ist alles andere als groß - zumindest nicht für die Anzahl der Gäste. So steht man schon recht dicht an dicht und ich bin nur im hinteren Drittel des Saales gelandet. Um kurz vor neun kommt SoKo auf die Bühne. Ganz alleine - ohne Band. Sie strahlt und fängt an leise zu singen. Das Publikum um mich herum scheint wenig interessiert. Was machen die nur hier? Gab´s die Tickets irgendwo zu gewinnen? Mir fällt sofort auf: SoKo kann singen - sogar sehr schön und so zerbrechlich! Als zweites Lied kommt direkt eines meiner Lieblingslieder - Treat Your Woman Right. Ich wäre so gerne vorne an der Bühne - es ist so schön sie live singen zu hören. Ihre mittlerweile auch auf die Bühne gekommene Band schafft es dezent sich ihrer Stimme und Gitarre unterzuordnen. Wie eine brennende Kerze, die bei zu viel Wind ausgehen würde, so erlebe ich SoKo auf der Bühne. Sie schafft eine wunderbare Atmosphäre, die einzigartig ist. Bei dem Titelstück ihres Albums „I Thought I Was An Alien“ kommt all ihre Tragik zur Geltung - sie fühlt sich im Leben alleine (gelassen). Im Alter von fünf Jahren verlor sie ihren Vater, der im Ehebett neben ihrer Mutter starb. Sie zog sich in ihrem Leben zurück - suchte bewusst die Isolation und ihre eigene Gedankenwelt. Und so fühlt sie sich wie eine Außerirdische auf der Suche nach sich selbst - wie eine Raumfahrerin, die doch nur zu sich selbst finden möchte. Ich bin nicht einfach bei einem Konzert einer großartigen Künstlerin gelandet, sondern sie führt das Publikum gekonnt wie die Leiterin einer Selbsthilfegruppe für all die verletzen Seelen auf der Welt. Und diese versammelten sich auch im Bi Nuu. Auf dem unheimlich berührenden Album fühlt man dieses Alleinsein und ihre Isolation. Auf der Bühne genießt sie es sichtlich, nicht mehr alleine mit ihren Gedanken und Gefühlen zu stehen, sondern diese mit allen teilen zu können. Sie lacht viel - redet unheimlich gerne mit dem Publikum und bezieht dieses ständig mit ein. Der dauerhafte Geräuschpegel der Unterhaltungen um mich herum nervt mich irgendwann so gewaltig, dass ich mich auf den Weg weiter nach vorne mache - etwas was fast unmöglich ist und viel Ärger auf mich zieht - aber ich habe nur die Wahl zwischen nach Hause gehen und das weitere Konzert zu verpassen, oder mich zu Menschen zu gesellen, die sich wirklich für das Konzert interessieren. Meine Mission ist erfolgreich - wenn auch nicht leicht. Nach vorne und hinten habe ich 5 cm Luft. Tiefes Einatmen schafft immer mal wieder Körperkontakt.


Das erste Drittel des Konzerts ist vorüber - es ist soo schön. Ganz anders als ich es dachte - sehr intim. Keine Spur von der ihr manchmal vorgeworfenen Arroganz - ganz im Gegenteil - ich erlebe eine zutiefst mit ihrer Musik verbundene junge Frau, die dieses Gefühl offen und ehrlich teilen will und alles dafür tut, damit sie auch verstanden wird.

Bei manchen Liedern macht die Band richtig Druck - es passt. Aber dann kommen wieder die leisen und auch verstörenden Töne - so auch Destruction Of The Disgusting Ugly Hate,
dass eine mitreissende Melodie hat und zum Mitwippen einlädt - aber der Text von Selbstmord handelt. Das ist der Spannungsbogen, der SoKo geschickt versteht zu halten. Sie schafft den Balanceakt, das Drama zu entdramatisieren, aber nicht im Banalen und Langweilen zu landen - im Gegenteil - sie ködert mich immer mehr. Mit jedem Lied rücken sich die Stühle im Selbsthilfekreis näher zusammen - und irgendwann landet man unvorhergesehen auf dem Teppich eng an eng.

Sie lacht viel und gerne - spielt bekannte und unbekannte Lieder. Statt das leider zu laute Publikum in Lautstärke zu übertönen, wie ich das zuletzt bei Sharon van Etten erlebt habe, bleibt sie sich treu. Bei
dem neuen Lied „Little Mermaid Man“ darf auch das Publikum mitsingen. Das sind Momente, die schnell kitschig oder peinlich werden könnten - nicht so bei SoKo - mit viel Charme (und den hat sie zur Genüge), nimmt sie uns die Angst vor unseren Gefühlen. Ohje - was habe ich geschrieben - und doch war es so für mich. Ein so schönes Lied. SoKo erzählt uns, dass ihre große Liebe einen Abend zuvor auch in Berlin war - aber er wollte sie nicht sehen. Sie liebt ihn noch immer, und dieses gebrochene Herz öffnet sie für uns mit First Love Never Die. Eine bittersüße Hymne auf all die verlorenen großen Lieben in der Welt.

SoKo müht sich sichtlich ab, dass Berliner Publikum komplett für sich gewinnen - und es gelingt ihr nur
zum Teil. Zu groß ist der Anteil im Saal, der sich wohl lieber unterhalten möchte - das frustriert sie. Dennoch - es gibt auch viele im Publikum, die sie so sehr rühren, dass SoKo dennoch nicht die Lust und die Hoffnung aufgibt. Drei junge Frauen dürfen als Backing-Vocals mit auf die Bühne - und sie stehen dort so, als würden sie das schon lange machen. SoKo stellt sie nicht bloß, sondern nimmt sie in ihre Kleinfamilie der Band herzlichst mit auf. Eine tolle Gabe so mit Menschen umgehen zu können.

Nach fast zwei Stunden ist das Konzert beendet. Sie hinterlässt mich mit dem Gefühl, dass ich von dieser Frau noch viel viel mehr hören möchte. Ein wenig Sorge habe ich, dass sie bei all der Fürsorglichkeit für ihr Publikum irgendwann einen Burn Out bekommen könnte - wie es typisch ist für all die Menschen, die sich zu sehr öffnen und um andere sorgen. Eine so tolle Leiterin unserer Selbsthilfegruppe wünsche ich mir bald wieder in Berlin. Nach dem Konzert war SoKo noch am Merchandising Stand und erfüllte geduldig jeden Wunsch nach Umarmung und Signierung...sie sah müde aus. Keine Überraschung.

Aus unserem Archiv:

Soko, Frankfurt, 11.05.08
Soko, Paris, 04.10.07
Soko, Paris, 31.05.07
Soko, Paris, 02.05.07

* Archivpics by Oliver Peel.



2 Kommentare :

Christoph hat gesagt…

Bi Nuu ist ein großartiges Album von Ideal mit meinem Lieblingslied von ihnen, Keine Heimat.

Markus Berlin hat gesagt…

Danke. Trotzdem finde ich den Namen schlecht gewählt.

 

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