Mittwoch, 2. Dezember 2009

Julie Doiron, Paris,01.12.09


Konzert: Julie Doiron
Ort: Point Éphémère, Paris
Datum: 01.12.2009
Zuschauer:etwa zu 2/3 gefüllt
Konzertdauer: 77 Minuten



Schade, daß ich Lisa Li-Lund (auf dem Foto) verpasst habe. Ein guter Freud hatte mich zu seinem Geburtstag eingeladen und ich konnte nicht so einfach frühzeitig Leine ziehen. Sowieso ist es recht schwierig, als Konzertsüchtiger ein einigermaßen normales Sozialleben zu führen. Abends hat man in der Regel nie Zeit, man muß ja aufs Konzert. Aber mein Freund nahm es mir nicht allzu übel, schließlich hatte ich ihm schon ein paar Stunden Gesellschaft geleistet. Außerdem fand er den grünen Spielzeugtraktor, den ich ihm geschenkt hatte toll. Mit zum Konzert von Julie Doiron wollte er aber nicht. Mein kleiner Kumpel ist nämlich erst...5 Jahre alt!

Wie alt wohl die Kinder der Kanadierin Julie Doiron sind? In einem Interview hatte sie erzählt, daß sie nun wieder zu ihren Wuzeln aus der Startphase von Eric's Trip zurückkehrt und lautere, rockigere Musik macht, weil die Kids inzwischen schon größer sind. Ben, Charlotte und Rose heißen die drei Racker übrigens. Im Saal waren sie natürlich nicht, dafür aber zumindest deutlich mehr Besucher als bei ihrem letzten Pariser Konzert, daß sie vor vielleicht 20 Leuten gegeben hatte. Möglicherweise waren es heute 200 Fans (darunter alle drei Mitglieder von Herman Düne), die sich eingefunden hatten. Nicht schlecht, aber Julie verdient eigentlich noch deutlich mehr Aufmerksamkeit. Sie ist nämlich von Album zu Album gereift und hat mit I Can Wonder What You Did With Your Day ihr vielleicht bestes Werk veröffentlicht. Dennoch bleibt sie erfrischend natürlich, bescheiden und zugänglich. In einer Musikwelt der Eitelkeiten ist Julie ein bemerkenswerter Ausnahmefall. Sie wird wohl immer das "Girl next door" bleiben, das sich darüber freut, daß Leute überhaupt zu ihren Konzerten kommen und sogar bis zum Ende bleiben*.

Auch ihr äußeres Erscheinungsbild war heute absolut charmant. Unfassbar süßer Pferdeschwanz, rot-schwarz kariertes Holzfällerhemd und ein Röckchen mit Strumpfhose, die ein klitzekleines Loch unter dem Knie hatte. Dazu ein entwaffnendes Lächeln, mit dem sie Steine erweichen könnte, hach es war herrlich, sie so zu sehen! Verknallt wie ein kleiner Schuljunge ließ ich keine Sekunde den Blick von ihr und erfreute mich auch an ihrem großen Aktionsradius. Sie lief regelmäßig von rechts nach links über die Bühne und suchte den Kontakt zu ihrem Drummer, der wohl erst zum zweiten Mal dabei war und seine Sache super machte.

Julie selbst war aber mit ihrer eigenen Leistung nicht richtig zufrieden. Nachdem sie mit dem wunderbaren The Wrong Boy ins Set gestartet war, und zwei weitere Lieder folgen ließ, erklärte sie dem verduzten Publikum auf französich: "Auweia, das war richtig schlecht. Ich übe zu wenig. Außerdem bin ich sehr nervös. Dabei dachte ich vorher: "Oh, cool, in Paris zu spielen. In etwa so wie in New York nur mit weniger Stress. Aber von wegen! Mein Puls ist viel zu hoch!"

Mit dieser Offenheit zog sie in der Folge immer mehr Leute auf ihre Seite und es wurde deutlich, daß man nicht den abgebrühten, coolen Rockstar heraushängen lassen muss, um Sympathien zu gewinnen. Und schlecht war Julies Performance natürlich Mitnichten! Zwar gab es ein paar kleinere Fehlerchen, aber ihr Gitarrenspiel war doch sehr versiert und variantenreich. Stimmlich ist sie sowieso famos, denn wer kann schon von sich behaupten, beim Singen gleichzeitig zu lachen und zu wimmern? Ihre Stimme ist so zärtlich, so gütig, so liebevoll, einfach wunderschön.

Schade insofern, daß ich in letzter Zeit so selten ihre CDs gehört habe. Nicht, weil ich sie nicht mag, sondern weil ständig neue Werke von anderen guten Künstlern erscheinen, die ebenfalls ihr Recht auf Aufmerksamkeit einfordern. Ein paar Sachen habe ich aber eindeutig erkannt. Swan Pond von Woke Myself Up zum Beispiel, daß sie durch garnierte, daß sie eine Geschichte von eiem Park erzählte und preisgab, daß sie in einem 5ooo Seelenort wohne. Schön sei es dort eigentlich nicht, aber ideal, um sich zurückzuziehen. Desweiteren Me And My Friend, ein trauriges Lied mit den markanten Lyrics "Me and my friend we are not friendly anymore"und auch das ähnlich melancholische I Left Town. Auch einige wenige Lieder auf französsich gab sie zum Besten, darunter Le Piano vom Album Desormais. Witzig auch hier ihr Statement: "Hmm, ich muß mir heute wirklich mal eingestehen, daß ich nicht perfekt zweisprachig bin. Ich habe das immer von mir behauptet, aber hier in Paris fällt mir doch auf, wie oft ich nach Wörtern suchen muß und wie schwer es mir fällt, mich in französich auszudrücken."

Selbstverständlich performte sie auch viele Lieder vom neuen Opus I Can Wonder What You Did with Your Day . Highlight davon aus meiner Sicht Heavy Snow. Herrlich wie der Song zwischen lieblichem Gesang und dem agressiven Gitarrenriff hin und her pendelt, aber erst im Verlaufe explodiert. Die aufgebaute Spannung war absolut knisternd und zum Ende hin ging richtig die Post ab. So wollten wir das haben: saftiger Indierock mit Gefühl und Ideen. Toll!

Als besonderen Bonus gab es auch noch ein nagelneues Lied, das sie nach eigenen Angaben lediglich am Vortage in Brüssel einmal gespielt hatten. Der Melodiebogen erinnerte mich an The House Of The Rising Sun. Leider kann ich aber keinen Titel liefern, weil Julie keine geschriebene Setlist hatte, sondern stattdessen improvisierte und frei Schnauze spielte.

Insgesamt ein tolles Konzert, mit dem Julie sicherlich auch Neufans hinzugewonnen hat. Der CD- Verkauf lief nämlich hinterher richtig gut und es gingen auch etliche Scheibchen von ihrem Backkatalog über den Ladentisch. Ein Bekannter von mir deckte sich sogar gleich mit fünf CDs ein!

* in einer witzigen Szene wunderte sie sich: "Oh, ihr seit noch da? Merci!"

Aus unserem Archiv:

Julie Doiron, Paris, 05.12.07





2 Kommentare :

E. hat gesagt…

der bekannte hatte recht. kenne keinen tonträger von julie, der es nicht wert wäre, gehört zu werden! ach, die julie würde auch gern mal sehen...

Christina hat gesagt…

...ich wäre da (oder auf einem anderen ihrer Konzerte) auch zu gerne dabei gewesen. Danke für den Bericht! :)

 

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