Mittwoch, 16. April 2008

iLiKETRAiNS & Get Well Soon, Frankfurt, 15.04.08


Konzert: iLiKETRAiNS & Get Well Soon
Ort: Brotfabrik, Frankfurt
Datum: 15.04.2008
Zuschauer: wohl ausverkauft
Konzertdauer: iLiKETRAiNS 60 min., Get Well Soon 85 min.


"Ich dachte immer, wir wären eine melancholische Band aber jetzt komme ich mir wie eine Mallorca-Band vor," kommentierte Konstantin Gropper, der Frontmann von Get Well Soon, den vorhergegangenen Auftritt von iLiKETRAiNS in der Frankfurter Brotfabrik. "Das nächste Lied heißt 'Zehn nackte Frisösen!'"

Eine ganze Weile hatte der Get Well Soon Sänger vorher der Band aus Leeds zugesehen, die als erste Hälfte einer "Doppel-Headliner-Show" aufgeboten war.

Wir hatten so unsere Zweifel, was den Titel dieser Veranstaltung angeht. Von allen
Seiten hieß es, iLiKETRAiNS spielten um acht, Get Well Soon um neun. Das hörte sich zwar nach einem aus Sicht des morgigen Arbeitstags vernünftigen, nicht aber nach einem Doppel-Headliner-Abend an. Mit Umbau hätten dann iLiKETRAiNS höchstens 40 Minuten Zeit gehabt, was sie dann doch nur zu einer besser bezeichneten Vorgruppe gemacht hätte, ein Status, den sie nicht ansatzweise verdient hätten. Es kam glücklicherweise anders. Recht abgehetzt trafen wir um acht hungrig an der Brotfabrik an. Das Gebäude ist heute Teil eines Kulturprojekts und machte auf mich einen sehr angenehmen Eindruck. Alles war sauber, es gibt eine nette Bar, Essgelegenheiten und einen schönen Konzertraum. Vor allem ist der Saal luftig! Die hohen Decken, das Rauchverbot und Lüftungen machten das Raumklima extrem angenehm, auch wenn die Figuren auf den Bildern, die an den beiden Längswänden des Saals hängen, genervt aussehen.

Gegen Viertel nach acht erschien die erste Videoanimation auf der (Bettuch-) Leinwand. Man sah Flammen, zu denen die Band auf der Bühne erschien und ihr vermutlich immer als Eröffnungsstück verwendetes "Twenty five sins" anstimmte.
Um es aber gleich wieder zu stoppen. Die Gitarre des Leadsängers David Martin funktionierte nicht. "This time the french are not to blame."

Es wurde gebastelt, erfolgreich offenbar, denn kurz später fragte David, ob sie das Stück noch einmal beginnen sollten. Eine kurze Anweisung, wo genau man starte, und das Lied fing von vorne an. Ich bin nicht sicher und muß das noch einmal nachlesen. Ich meine mich aber zu erinnern, daß die Band in Köln, bei meinem bisher einzigen iLiKETRAiNS Konzert, überhaupt nicht sprach. Dieser Sänger, der so schrecklich
traurig und düster klagsingen kann, ist offenbar ein richtig netter Kerl, denn mit uns Publikum redete er charmant und offen - und gar nicht traurig.

"Twenty five sins" handelt wie alle iLT Lieder von geschichtlichen Ereignissen, von tragischen Momenten oder gescheiterten Personen. Im Fall des Eröffnungsstücks ist das das große Feuer, das im 17. Jhd. große Teile Londons zerstörte. Das Feuer brach während des Englisch-Niederländischen Kriegs im September 1666 aus. Die animierten Flammen, die tragische Musik und die klagende Stimme Davids gaben allen, die sich bisher nicht mit der Band aus Leeds
beschäftigt hatten, gleich vom Start an einen Vorgeschmack, worum es bei iLiKETRAiNS geht - und wie meisterhaft die Engländer dies umsetzen. "This town is burning down".

Obwohl ich an der Seite dafür nicht optimal stand, empfand ich den Sound als hervorragend. Oliver hatte das aus Paris schon berichtet, wie punktgenau iLT spielen. Das erinnerte mich - nur stilistisch, nicht musikalisch - an Interpol live.

Ab "A rook house for Bobby" wurden die Lieder durch eingeblendete Orts- und Zeitangaben vorgestellt. So wie die Visualisierungen der Songtexte durch Bilder und Animationen, gehören auch diese Vorstellungen zwingend zu den Bühnenshows der in weiße Hemden mit Trauerflor, schwarze Hosen und schwarze Krawatten gekleideten Musiker. Belgrad, 1992. Dort spielte das Schachgenie Bobby Fisher eine Revanche Serie gegen Boris Spasski. Wegen eines Verstosses gegen das Embargo
gegenüber dem damaligen Jugoslawien konnte Fisher anschließend nicht mehr in seine (wohl nur noch geografische) Heimat USA einreisen. Dem - vorsichtig ausgedrückt - merkwürdigen Genie Fisher widmeten iLiKETRAiNS dieses Lied, das auf der vor dem Album veröffentlichten EP "Progress reform" erschienen ist. Illustriert wird der Song durch schwarz-weiß Bilder von Fisher und Notationen seiner Partien.

Nach der aktuellen Single "We go hunting" (Salem, 1692 - über die Hexenprozesse in Massachusetts) mit der Zeile "Let this be a lesson to you all, and I won't rest until oh, these sisters of the devil burn in hell", "Death of an idealist" (Miami Beach, 1974) über den englischen Parlamentarier Stonehouse, der seinen Tod vortäuschte, und "The voice of reason" über einen Kriegsveteranen, der versucht hatte, die Wiederkehr Christi dadurch zu erreichen, daß er König George III. erschießen wollte, was mißlang, folgte mit "Victress" eine B-Seite von "The deception". "Victress" erzählt die Geschichte des Opfers des Segelbetrügers Donald Crowhurst, von dem "The deception" handelt. Nigel Tetley, der mittelbar durch Crowhurst um eine Weltumsegelung gebracht worden war, verfiel in Depressionen und brachte sich bei Dover 1972 um.

Anschließend kamen die drei heute beeindruckensten Lieder, "We all fall down" über den Pestausbruch in Eyam 1666, das erwähnte Segeldrama "The deception" und
"Terra Nova", gewidmet dem tragischen Antarktis-Helden Robert Scott. Scott erreichte den Südpol nach einem Rennen einen Monat nach dem Norweger Amundsen und starb mit den anderen Mitgliedern dieser "Terra Nova Expedition" auf dem Rückweg vom Pol.

Ich kann mich nur wiederholen: die tragischen Ereignisse, die diese netten Engländer so dramatisch aber nicht kitschig besingen, machen iLiKETRAiNS zu einem vollkommen grandiosen Erlebnis. Die Musik, die oft leise und langsam beginnt, dann in lauten und schnellen Gitarrenwänden endet, ist schlichtweg ergreifend, unfassbar melancholisch und (so bescheuert es kling) glücklichmachend - eine Band, die bleiben wird.

Es gab aber heute auch die andere Seite von iLT, die "Aftershow-Seite". Denn zum Konzept gehört schon, daß man nicht redet und die Musik bzw. das Gesamtkunstwerk auf sich wirken läßt. Die erste Panne hatte diesen Fluß schon ein
wenig unterbrochen, auf sehr sympathische Weise. Als "Death of an idealist" kommen sollte, spielte David etwas anderes, die Band stoppte. "I have to explain this one. My setlist is written on a piece of bread and I started the wrong song!" Und in der Tat hob er zum Beweis ein Brötchen hoch, auf dem seine Setlist stand! Brotfabrik einmal wörtlich umgesetzt! Aber im Schlachthof in Wiesbaden würde ich sie mir dann vielleicht doch nicht ansehen...

Wo er schon einmal so gesprächig war, erzählte David hinterher noch von einer schrecklichen Tour durch Italien. "We had a shitty week. We were in Italy" - Lachen im Publikum - "That's not the reason - well part of" In Italien sind iLT von falschen Polizisten um einen Geldsack (einen kleinen) beraubt worden, in denen sich die Einnahmen der vorherigen Konzerte befand. The great train robbery...

Setlist iLiKETRAiNS, Brotfabrik, Frankfurt:

01: Twenty five sins
02: A rook house for Bobby
03: We go hunting
04: Death of an idealist
05: The voice of reason
06: Victress
07: We all fall down
08: The deception
09: Terra Nova
10: Spencer Perceval

Von solch einem Ereignis wieder auf den Boden zu kommen, ist nicht leicht. Wenn
die zweite Band nicht gerade Get Well Soon gewesen wäre, hätte ich sicher auch den Abend hier enden lassen. Die deutsch-englische Band hatte ich zuletzt vergangene Woche im Gebäude 9 in Köln erlebt und all meine guten Eindrücke von einem vorherigen Konzert in Berlin und der grandiosen Platte mehr als nur bestätigt gesehen. Ich habe schon den ein oder anderen Abend mit Livemusik verbracht, solche Hörerlebnisse wie Get Well Soon in voller Länge sind aber sehr selten und mächtig beeindruckend.

Da Get Well Soon auch in Köln schon ihrer Platte spielten, rechnete ich nicht damit, daß ein anderes Programm käme. Bei englischen Dreimanngruppen kan man schon erwarten, daß während einer Tour das Set variiert wird, bei Bands, bei denen das Drumherum wichtig ist, bei denen es eben um die Gesamtheit der Aufführung geht
(oder in der Sprache des perfekten Promidinners: "Das ist eher so der Typ, der auch auf Deko achtet."), ist es nicht bloß unnötig, an der Reihenfolge der Songs zu schrauben. Es war also für mich (das ist der kurze Sinn) weniger ein Konzert der Überraschungen als das nochmalige Genießen einer großen Show (im guten Sinne des Worts). Und weil eben das Konzert aus Köln noch sehr präsent war, konnte ich diesmal auf andere Dinge achten, mir ansehen, wann welche Instrumente einsetzen und all den Kram, die Beinstellung des Sängers beispielsweise, für den man keinen Sinn hat, wenn man mit offenem Mund dasteht und nur aufnimmt, was einem gerade geboten wird.

Daß Get Well Soon in der deutschen Musiklandschaft etwas Besonderes ist, dürfte klar sein. Den iLiKETRAiNS
Mitgliedern war das wohl auch aufgefallen, denn statt Backstage Apfelwein zu trinken, standen sie im Saal und hörten zu.

Es gab offenbar viele technische Probleme. Nachdem Konstantin mehrfach bemerkt hatte, daß er seine Stimme nicht auf dem Monitor höre, wurde die Box ausgetauscht, richtig rund lief die Technik aber wohl nicht. Ich stelle es mir extrem schwer vor, zu
singen, ohne die Musik zu hören, gerade wenn die Gesangsparts so anspruchsvoll wie bei den Liedern der Band sind. Trotzallem funktionierte es aber ausgezeichnet, man merkte diese Probleme Konstantins Stimme nicht an.

Der Gesang bekommt immer dann eine besondere Zusatznote, wenn Verena Gropper singt. Die Schwester des Leadsängers spielt ansonsten Geige. Die anderen Instrumente, die zum Einsatz kommen, sind ein bis zwei Trompeten, Gitarren, ein Keyboard, das Schlagzeug von Paul (sicher der englische Teil der Band), Bass und ab
und zu ein Glockenspiel. Die mehrstimmigen Gesänge gefallen mir ganz besonders, am meisten mag ich allerdings die Passagen der Lieder, in denen, meist zum Ende hin, der Rocker mit den Gitarristen, allen voran Konstantin durchgeht. "I sold my hands for food so please feed me" zum Beispiel ist ja kein klassisches Rocklied. Das Ende des Lieds ist aber live ein überragendes Hörerlebnis! Ein anderes Beispiel: die zweite Zugabe "Dear Tempest-Tossed! Dear Weakened!" fängt so ruhig und melodiös an, mündet am Ende in irren Gitarrenpassagen, mit drei Gitarristen. Die letzten zwei Minuten dieses Lieds alleine hätten diesen Abend zu einem großen gemacht.

Aber es waren ja glücklicherweise mehr als nur zwei Minuten, Get Well Soon spielten fast anderthalb Stunden. Lieder wie "
If this hat is missing I've gone hunting" oder "Witches! Witches! Rest now in the fire" oder "Ticktack! Goes my automatic heart" sind grandios und haben den Saal begeistert (was für ein Glücksfall diese Band mit den langen Liedtiteln auch für Musikjournalisten sein muß, die nach Zeilen bezahlt werden!). Aber wenn man von diesen offensichtlich großartigen Liedern weggeht, finden sich eben auch viele andere Perlen im Set. Geliebt habe ich in Frankfurt das Cover "Born slippy nuxx", das ich bisher gar nicht so richtig als Highlight wahrgenommen habe. Konstantins Version ist allerdings sensationell.

Was soll ich sagen, Get Well Soon muß man live gesehen haben. Mehrfach! Ein ausführlicher (aber noch druckwarmer Bericht) des Kölner Konzerts vergangene Woche befindet sich hier.

Setlist Get Well Soon, Brotfabrik, Frankfurt:

01: Prelude
02: You/Aurora/You/Seaside
03: Christmas in adventure parks
04: People Magazine front cover
05: If this hat is missing I've gone hunting
06: Help to prevent forest fires
07: I sold my hands for food so please feed me
08: We are safe inside while they burn down our house
09: Listen! Those lost at sea sing a song on Christmas Day
10: Visconti, 1973
11: Born slippy nuxx
12: Witches! Witches! Rest now in the fire
13: Ticktack! Goes my automatic heart
14: Lost in the mountains (of my heart)

15: Your teenage FBI (Z)
16: Dear Tempest-Tossed! Dear Weakened! (Z)


Links:

- iLiKETRAiNS in Paris vor ein paar Tagen
- in Köln im November 07
- iLiKETRAiNS in Paris am 31.10.2007
- und am 12.10.2006

- Get Well Soon live im Gebäude 9 in Köln vor einer Woche
- bei der popkomm 2007 in Berlin
- und in Haldern 2007
- Fotos von iLiKETRAiNS und Get Well Soon
- Fotos aus dem Gebäude 9

Konzertbesucher von Get Well Soon könnten auch mögen:

- Efterklang (in Paris)
- Arcade Fire (diverse Male)
- The Kissaway Trail (in London)
- Loney, dear (verschiedene Konzerte)
- Divine Comedy (Köln & Paris)




4 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Super Review über ein unglaublich geilen Konzertabend!
Death is the end...

Christoph hat gesagt…

Vielen Dank! :-)

Ach und es mußte natürlich "20:15" als Beginn von iLT heißen!

Anonym hat gesagt…

Habe das Konzert in Frankfurt gesehen, ich wohne glücklicherweise nur 5. Minuten von der Brotfabrik entfernt, und muss sagen, dass es mir ebensogut gefallen hat wie Christoph.
Das Review ist stark, schön zu lesen und absolut nachvollziehbar.
Ich kann das nur unterstreichen, diese Band sollte man gesehen haben.

Anonym hat gesagt…

Habe bisher nur die erste Hälfte gelesen (Get Well Soon sehe ich ja übermorgen, dem soll nichts vorweg genommen werden). ;-)
Wäre gestern Abend gern zu iLT nach Münster gegangen, wusste aber erst kurzfristig dass es geht und hatte dann Angst, dass es ausverkauft sein würden (die Gleis-Seite ist ja nicht so aktuell derzeit) und hab es dann gelassen...

 

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