Konzert: Oum Shatt
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 22.01.2014
Dauer: 61 Minuten
Zuschauer: um die 60
Nichts weniger als Propaganda für innovativen deutschen Pop schreibt sich das Pop Freaks Festival des Kulturzentrums Merlin auf die Fahnen. Welch grandioses Line-Up Kurator Arne Hübner aufstellte, betonte ich wiederholt, doch offenbart kaum eine auftretende Band der diesjährigen Auflage das Gelingen des eigenen Anspruchs deutlicher als Oum Shatt aus Berlin. Die Band um etablierte Namen der Berliner Musikszene, die mit Künstlern und Bands von Jens Friebe bis zu Die Türen zusammenarbeiteten, besticht mit einem wahrlich innovativen Genre-Mix zwischen Post-Rock, New Wave und tatsächlich unterschwelligen arabischen Rhythmen. „Power to the Women of the Morning Shift“ als vielversprechende erste Single-Auskopplung sorgt für wachsende Aufmerksamkeit.
Frisches Live-Mitglied der im künstlerischen Wahl-Exil Berlin aufblühenden Österreicher Ja, Panik, Jonas Poppe, überrascht als exaltierter Frontmann an der Gitarre, der mit seinen außerordentlich profilierten Mitmusikern ein Konzert spielt, das berechtigte Hoffnungen auf eine erfolgreiche Zukunft des ungewöhnlich guten Quartetts macht. Im Hintergrund rotiert mit hypnotischer Monotonie eine schwarz-weiße Spirale. Passend zur psychedelischen Ästhetik bauen Poppe, Hannes Lehmann (Gitarre), Jörg Wolschina (Bass und Keyboards) und Berlins extravagantester Drummer Chris Imler wahre Kaskaden trockenen Sounds auf. Das, was Oum Shatt auf die Bühne bringen, ist originell, ist großer Indie-Rock, der aufzeigt, welche Optionen der einst zu recht gen Himmel gelobte, später stagnierende britisch-schottische Post-Punk mit ein wenig Mut gehabt hätte. Selbstredend versuchten Franz Ferdinand beispielsweise mit dem stetigen Feinschliff ihres durchaus patenten Konzepts neue Wege zu gehen, doch ließ sich auch in der Weiterentwicklung eine frappierende Redundanz feststellen. Interessant wenn auch nicht innovativ oder gar weltbewegend erschien mir die erste Veröffentlichung der Berliner, eine vier Lieder umfassende EP, die mit eingängigen Melodien und pulsierenden Rhythmen zwar Interesse weckte, aber sicherlich keine allzu großen Vorschusslorbeeren zuließ. Letztlich aber genügen wenige Minuten und ich finde mich im Sog eines erstaunlichen Konzerts, das mich so nachhaltig beeindruckte, dass ich erst jetzt mit zweiwöchigem Abstand mein Erlebnis in Worte fasse.
Gerne mit Joy Division verglichen, löst sich diese Assoziation schon während „Delta“, dem ersten Stück des Konzerts in Wohlgefallen auf. Vergleiche mit Ian Curtis' Gesang sind Allgemeinplätze zur Beschreibung eines Indie-Sängers im Bariton und durchaus lästig. Sicher bedienen sich Oum Shatt hier und da ähnlichen Mustern, verfallen aber zu keiner Zeit in anbiederndes Epigonentum, vielmehr vertraut man verstärkt auf ein Fundament aus psychedelischer Tradition und neo-progressiver Ausdruckskraft. „Silent Girl (With Silly Scarf)“, ein Stück mit einem Titel wie aus der sprudelnden Fantasie Omar Rodriguez Lopez', beginnt mit angenehm dilettantischen Akkorden, darüber singt Poppe mit unaufgeregter, fester Stimme. Immer wieder umfasst er das Mikrophon, starrt mit aufgerissenen Augen über die Zuschauer hinweg. In den ersten Reihen werden Ausdruckstänze aufgeführt, die Betonung der arabischen Einflüsse in Presseankündigung und Selbstinformation lockt neben bekannten Gesichtern der Stuttgarter Konzertszene auch zahlreiche World Music-Fans ins Merlin, die die Band wie eine Sensation feiern.
Zwischen dem Charakter einer spontanen Jam-Session und bis ins Detail durchkalkulierter Performance changierend sind es oft Stücke mit Arbeitstiteln wie „Neu 3“ oder „Neu 5“, die besonders faszinieren. Es sind Momente, in denen man der Band zutraut jedes eingeübte Konzept zugunsten einer leidenschaftlich treibenden Improvisation aufzubrechen, nur um es dann wieder mit müheloser Leichtigkeit in gelenkte Bahnen zu pressen. Schon auf der „Power to the Women of the Morning Shift“-EP herausstechend, sind „Madame O. (Black Friday)“ und vor allem „Hot Hot Cold Cold“ Höhepunkte des kurzweilig wie kurzen Konzerts. Insbesondere letztgenannter Song vermag mit seinem klimaktischen Chor und dem leidenschaftlichem Einsatz Chris Imlers, des „Don Corleone“ der Berliner Musikszene, die Klangästhetik Oum Shatts zusammenzufassen.
Nach gerade einmal zehn Stücken und dem fulminanten Abschluss mit der ersten Single ist das reguläre Set vorbei. Zwei Zugaben, ehrliche Worte des Danks und es ist Schluss. Die Zuschauer toben, schließlich kehren die vier Berliner für eine dritte Zugabe zurück. Es gibt noch einmal „Hot Hot Cold Cold“, markiges Understatement und ein euphorisches Publikum. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Arne Hübner ein Line-Up voller Schätze der deutschen Popmusik gelang, die wahrlich eine Sache mit Leidenschaft für ihr Genre betreiben: Propaganda. Oum Shatt sind großartig und, wie man am Tag des Konzerts auf Facebook lesen darf, im Februar mit Ja, Panik auf Tour. Die Vorfreude auf ein Wiedersehen reift – wie auch der Eindruck des Konzerts – im Nachhinein immens.
Setlist Oum Shatt, Stuttgart:
01: Delta
02: Silent Girl (With Silly Scarf)
03: Kharkow
04: Neu 2 (ARBEITSTITEL)
05: Hot Hot Cold Cold
06: Bangladesh
07: Madame O. (Black Friday)
08: Fairground
09: Tripped Up
10: Power to the Women of the Morning Shift
11: Neu 3 (ARBEITSTITEL) (Z)
12: Shabby Little Things (Z)
13: Hot Hot Cold Cold (Z)
0 Kommentare :
Kommentar veröffentlichen