Konzert: Ja, Panik
Ort: Keller Klub
Datum: 07.02.2014
Dauer: 91 Minuten
Zuschauer: ausverkauft
Die eiskalte Lüftung lässt mich fröstelnd in meiner Winterjacke in einem ausverkauften Club stehen. Ein merkwürdiges Gefühl. "Ich wünsch' mich dahin zurück, wo's nach vorne geht. / Ich hab auf back to the future die Uhr gedreht."
Nachdem die Gruppe Ja, Panik mit ihrem neuen Album „Libertatia“ erwartungsgemäß die Feuilletons und Musikmagazine in Verzückung versetzte und eine Reihe Cover zierte, sind die österreichischen Exil-Berliner wieder in aller Munde, die Konzerte sind voll. Der Keller Klub ist keine Ausnahme und so reiht es sich dichtgedrängt am Flux Friday, bis die Gruppe um Andreas Spechtl ihren ausgesprochen tanzbaren aktuellen Sound zwischen Indie-Pop, Funk, klassischer Disco und Falco entfalten darf und zumindest im vorderen Bereich fast kollektiv getanzt wird. Libertatia ist eines der besten Alben des bisherigen Jahres, darin ist man sich zum Glück einig. Gespannt wie der stilistische Wechsel vom rockigeren Diskurspop der Vorgänger hin zum poppigen, von Tobias Levin veredelten Sound live gelingen mag, freue ich mich auf ein überaus vielversprechendes Konzert. Dass meine riesigen Erwartungen am Ende nicht erfüllt werden können, ist zunächst enttäuschend, liegt aber keinesfalls an der Band. Doch der Reihe nach.
Meine erste und einzige Begegnung mit Ja, Panik am letzten Abend des BootBooHook-Festivals 2012 in Hannover war ein Konzert voller Missverständnisse. Die Band übernahm eine Art Co-Headliner-Slot und schien der großen Aufmerksamkeit noch nicht gewachsen. Das damals aktuelle Album „DMD KIU LIDT“ (Akronym von „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“) war fraglos ein Meilenstein, doch haperte es mit der Live-Umsetzung. Andreas Spechtls affektierte Bewegungen pendelten an der Grenze zur Selbstkarikatur, während sein markanter Blick nach Oben durchaus eindringlich war. Am Ende überzeugten allein die Songs, die Performance der stilsicheren Dandys ließ mich kalt.
Gut eineinhalb Jahre später ist Ja, Panik eine andere Band. Nachdem man kurz vor der Auflösung stand, Thomas Schleicher (Gitarre) und Christian Treppo (Keyboards) die Gruppe verlassen haben und nun live von Oum Shatt-Sänger Jonas Poppe und Laura Landergott von Die Eternias ersetzt werden, versucht man sich an einem neuen Sound. Was allerdings auf Platte schillert, glänzt im Konzert nur bedingt. Eine allzu routinierte Präsentation formidabler Songs, vermutlich provoziert durch den störenden Geräuschpegel im Publikum, schmälern den positiven Eindruck eines unter anderen Umständen vermutlich brillanten Konzerts.
Als kritische Geister stets den politischen Diskurs suchend, erschließt sich die Relevanz der Österreicher schon in ihrer klaren Haltung. Dass die musikalische Umsetzung, der unnachahmliche Wechsel zwischen Deutsch und Englisch innerhalb einzelner Verse diese nur noch weiter bestätigt, spricht für sich, ist eine Art Alleinstellungsmerkmal, das Ja, Panik im deutschsprachigen Pop innehat. Wenn man so will, ist „Libertatia“, benannt nach der von Legenden umwitterten Pirateninsel vor Madagaskar, ein grandioses Konzeptalbum, eine Grenzen überwindende Utopie in Zeiten von Euro-Krise, NSA-Skandalen und wachsendem politischen Populismus, gegossen in purem Pop, und ein konsequenteres „Wie wir leben wollen“ mit besseren Stücken. Das ist radikal, subversiv und macht sogar Spaß. Als am Ende des regulären Sets alle Songs des Albums durcheinander gespielt wurden, bin ich äußerst angetan von der Setlist: Spechtl, Stefan Pabst (Bass), Sebastian Janata (Schlagzeug) und die beiden neuen Live-Mitglieder bringen zwischen dem starken Beginn mit „Radio Libertatia“ und dem würdigen Schluss mit „Antananarivo“ weitaus mehr auf die Bühne, als ich erwartet habe. Schon vor den Zugaben ist die Setlist stringent und dramaturgisch geschickt aufgebaut. Zwischen all den „Libertatia“-Perlen reihen sich Klassiker der letzten beiden Alben „DMD KIU LIDT“ und „The Angst and the Money“ nahtlos ein. „Trouble“ mit seiner grazilen Walter Benjamin Referenz und Versen wie "Ich dachte so wird's kommen, es kam anders, ich blieb' hängen auf den Straßen Europas" oder "Sorry for my bad English, but my German is even worse" sowie das unkaputtbare Manifest „Alles hin, hin, hin“ sind obligatorische Höhepunkte. Pabst, Janata und Keyboarderin Landergott mit Sidecut singen herrlich schiefe Chöre, Poppe nimmt sich an der Gitarre zurück, während Andreas Spechtl wunderbar exaltiert auftritt, umhertänzelt, die Gitarre herumreißt und erstaunlich höflich bleibt. Nur einmal, während einer ruhigen Stelle zu Beginn von „Eigentlich wissen es alle“ werden dem distinguierten Frontmann die Nebengeräusche doch zu arg. „Quassel, quassel, quassel, quassel. Das ist wirklich unglaublich.“ Die Ermahnung zeigt kurzfristig Wirkung, einige Störer sind verschreckt, doch später nehmen sie Gespräche wieder auf.
Dass sich die Band es dennoch nicht nehmen lässt, eine Reihe Zugaben zu spielen, spricht sehr für sie. Die drei verbliebenen Originalmitglieder geben ein rasantes „Thomas sagt“, der Charme des Österreicher Spracheinschlags entfaltet sich in seiner Gänze. „Die Luft ist dünn“ und „Nevermore“, jetzt wieder in voller Besetzung können die energische Klasse halten. Tatsächlich kehrt man am Ende noch für eine vierte Zugabe zurück und dankt denjenigen, die ausgelassen tanzen, perfekten Indie-Pop genießen, mit dem englischen Gospel „The Evening Sun“ vom letzten Album. Spechtl sitzt am Klavier, alle – inklusive Jonas Poppe – singen den hymnischen Refrain, Laura Landergott raucht dabei.
Am Ende bleibt ein flaues Gefühl. Der Flux Friday ist wohl einfach nicht für Konzerte gemacht. In einem anderen Club, mit einem aufmerksameren Publikum hätte das Konzert ein Anwärter auf die Jahresbestenliste sein können, so war es nur ein solider Auftritt einer großartigen Band. Abschließend kann ich bloß in Anlehnung an einen der besten Songs auf „Libertatia“ bekennen und im Geiste die schwarzen Flaggen schwenken: Wir werden uns wieder und wieder begegnen. Au revoir!
Setlist Ja, Panik, Stuttgart:
01: Radio Libertatia
02: Post Shakey Time Sadness
03: Trouble
04: Dance the ECB
05: Run From the Ones that Say I Love You
06: Time Is on My Side
07: Au Revoir
08: ACAB
09: Libertatia
10: Alles leer
11: Eigentlich wissen es alle
12: Chain Gang
13: Alles hin, hin, hin
14: Antananarivo
15: Thomas sagt (Z) (zu Dritt)
16: Die Luft ist dünn (Z)
17: Nevermore (Z)
18: The Evening Sun (Z)
Links:
- aus unserem Archiv:
- Christian Rösinger (mit Andreas Spechtl), Köln, 05.02.2011
- Ja, Panik, Haldern, 02.08.2013
- Oum Shatt, Stuttgart, 22.01.2014
- Ja, Panik, Köln, 05.02.2014
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