Dienstag, 4. Februar 2014

Levin Goes Lightly, Stuttgart, 24.01.2014


Konzert: Levin Goes Lightly
Vorband: Melvin Raclette
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 24.01.2014
Dauer: Levin Goes Lightly 54 Minuten / Melvin Raclette 13 Minuten
Zuschauer: um die 70


Alle Fotos: © Markus Milcke

Gedämpftes Licht schimmert durch dichten Kunstnebel, Palmen sind auf der Bühne aufgestellt. Dazwischen tänzelt eine bizarre Erscheinung in Leopardenleggins, verzierter Jeansjacke und langer, blonder Elvis-Tolle umher, die mit viel Hall auf der Stimme zu elektronischen Beats vom Band singt, hin und wieder mit der Telecaster in der Hand: Levin Goes Lightly ist eine faszinierende Stuttgarter Kunstfigur aus der blühenden Szene um die inzwischen aufgelösten Waggons am Nordbahnhof, die mit düster schillernden Popsongs und kunstvollen Liveauftritten ein treues und wachsendes Publikum aufbauen konnte. 
Treibender Teppich Records, ein leidenschaftliches, regionales Label, das ein paar verständige Musikverrückte gründeten, veröffentlichte vergangenes Jahr das Debütalbum des Musikers, der eigentlich Levin Stadler heißt, und ernetete wenig später mit dem eindrucksvoll-ambitionierten Sampler „Von Heimat kann man hier nicht sprechen“ überregionale Aufmerksamkeit. Betrachtet man die illustre Ansammlung talentierter Stuttgarter Projekte, muss man eingestehen, dass Levin Goes Lightly zu den außergewöhnlichsten und interessantesten gehört. Sein exaltiertes Bühnengebaren ist der folgerichtige Ausdruck seiner expressiven Musik. 


Wohl überlegt, geht seinem Auftritt beim Pop Freaks Festival im Merlin eine 13-minütige Nummernrevue des Die Nerven-Schlagzeugers Kevin Kuhn als Melvin Raclette, einem seiner zahllosen Projekte, voraus. Im The Police-Shirt spielt Kuhn ein kurzweiliges Set mit pointiert-scharfsinnigen Songs. „Ich fühle mich zu Dir hingezogen“, musikalisch eine Folkpunk-Ballade in Tradition eines Billy Bragg, ist ein ironisches Liebeslied mit geglückten Seitenhieben auf das Stuttgarter Nachtleben und seine Klischees. 
Melvin Raclettes Beitrag zum genannten Sampler, „Come Up With Something“, ein kurzer Punksong mit Surf-Einschlag, ist wie schon beim Instore-Gig im Platten-Café Ratzer Records anlässlich der Release von „Von Heimat kann man hier nicht sprechen“ kurz vor Weihnachten, unbestrittener Höhepunkt, bevor der nerdig angehauchte Humor, den schon der Opener andeutete, in „Geschlechtsverkehr in Hollywood“ zu seiner definitiven Geltung kommt. 


 Zwischendurch spielt er „Dizzy Height“, das bekannteste Stück des Hauptacts, an oder zitiert Led Zeppelins „Stairway to Heaven“ als Outro. Barfüßig steht Melvin Raclette oft mit starrer Miene in der Bühnenmitte, bewegt sich nur stoßweise und beschließt nach fünf Songs mit „We Belong Together“, einem „ziemlich unbekannten Song" Ritchie Valens', der am tragischen, von Don McLean in „American Pie“ besungenen, „Day the music died“ gemeinsam mit Buddy Holly bei einem Hubschrauberabsturz tödlich verunglückte. „Der Song ist fast 60 Jahre alt, vergesst die GEMA.“

Setlist Melvin Raclette, Stuttgart: 

01: Ich fühle mich zu Dir hingezogen 
02: Come Up With Something 
03: Geschlechtsverkehr in Hollywood 
04: „Ich wette, du denkst, dieser Song ist für dich“ (?) (Mit Stairway to Heaven-Outro) 
05: We Belong Together (Ritchie Valens-Cover)



Im ganzen Saal breitet sich der Nebel aus. Mit positiv an Nick Cave erinnernder Lethargie intoniert der riesige Kunststudent Levin Stadler seine sperrigen, sphärischen Songs, die in ihrer eindringlichen Präsentation überraschende Facetten dazugewinnen. Die einzelnen Stücke sind verworrener, meisterlich gesponnener, psychedelich angehauchter Lo-Fi, der visuell durch die Pflanzenwelt auf der Bühne und auf Leinwand projizierte Videos im Zwielicht ausgeschmückt wird. Um mich herum erscheint alles nur schemenhaft, dann erregt ein monotones, immer lauter werdendes Piepen während des zweiten Songs „Wideness“ meine Aufmerksamkeit. Der erste Gedanke, es würde sich um einen Teil der elektronischen Klangfläche handeln, wird rasch von der Gewissheit verdrängt, dass der Nebel den Rauchmelder an der Decke nahe der Theke ausgelöst hat, aus den Augenwinkel sehe ich einen Mitarbeiter des Merlins das Gerät abschrauben, während der äußerlich ein wenig an Jens Friebe erinnernde Levin Stadler unbeirrt seine Show fortsetzt, dabei vermutlich alles Äußere ausblendet. 


Bei Ansagen wirkt der große Hall auf der Stimme geradezu beängstigend, doch ist er für die konsequente Ästhetik der Show des Gesamtkunstwerks elementar. Jan Georg Plavec schrieb in der Stuttgarter Zeitung letzten Sommer in höchsten Tönen von Levin Goes Lightly. „Ian Curis und Elvis haben einen Sohn“ konnte man lesen – und tatsächlich: Levin Stadler gelingt es den oft wenig sinnlich daherkommenden, kühlen Post-Punk der 80er mit der körperlichen Präsenz, dem Hüftschwung eines Elvis Presley mit der großen Showtradition der 50er zu vereinen. Eine derartige Melange ließ sich in deutscher Musik höchst selten erleben. Einige wenige Köpfe der positiven Seite dessen, was Alfred Hilsberg einst Neue Deutsche Welle taufte, waren dazu in der Lage. Danach kam wenig. Levin Goes Lightly knüpft mit englischen Texten und aufreizender Inszenierung an dieser vakanten Stelle an.


Mit einer Spur The Cure-Atmosphäre garniert, gipfeln „Feeling“ und „Metropolis“ in großartigen Momenten. Der von Plavec betonte Hüftschwung hat auch heute großen Anteil an der Eindringlichkeit der Performance. Immer wieder lässt sich Levin auf die Knie sinken, während seine kurzen, phrasenartigen Texte durch den Raum hallen. Das ist alles intensiv und beeindruckend und als schließlich das Set bezeichnenderweise mit „Elvis“ beschlossen wird, zeigt der Künstler sein ganzes Können. 

Zwischen den Pflanzen auf dem Boden umher kriechend, einen regelrechten Balztanz aufführend und am Ende mit angezogenen Beinen auf dem Rücken inmitten des Publikums liegend, zeigt sich in der dezent schimmernden Nebelwand im Merlin eine psychedelische Artrockshow, die so betörend wie einnehmend artifiziell ist. Weniger als eine Stunde schweißtreibender Verrenkungen und ein Dutzend guter Songs reichen für einen vielversprechenden Einblick in die Welt des ambitionierten Künstlers. Ein Ende ist glücklicherweise nicht in Sich: In absehbarer Zeit soll das zweite Album bei Treibender Teppich Records erscheinen – ebenso wie das Album von All diese Gewalt, einem Nebenprojekt von Die Nerven-Gitarrist Max Rieger. Stuttgart bleibt spannend und die aufstrebende Szene vernetzt. Ein in der Hauptstadt aufgenommenes Live-Video von Levin Goes Lightly wird auf Youtube als „Berlin hates Stuttgart except me“ angepriesen. In diesem Sinne. Schwaben verfügt über aufstrebende Musiker und Bands, über die man in Anlehnung an Jan Wigger als eine Art Qualitätsmerkmal sagen möchte: NICHT aus Berlin



Setlist Levin Goes Lightly, Stuttgart: 

01: 1989 
02: Wideness 
03: Copkiller 
04: Dizzy Height 
05: Feeling 
06: Metropolis 
07: Speedways 
08: Nostalgia 
09: Wild Life 
10: Elvis 

11: You are lonely (?) (Z) 
12: ? (Z) 


Links: 
- aus unserem Archiv: 
- 20.12.2013, Melvin Raclette, Stuttgart

 

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