Konzert: Mo' Fo' Festival
Ort: Mains D'Oeuvres, Saint Ouen bei Paris
Datum: 24 und 26.01.2014
Zuschauer: ausverkauft
Ist auch schon wieder mehr eine Woche her, verdient aber unbedingt eine kurze Nachlese! Die Rede ist vom schönen Mo'Fo' Festival (Abkürzung für More Folk), das seit einigen Jahren gleich vor den Toren von Paris in Saint Ouen stattfindet. Ich gehe da unglaublich gerne hin, weil man dort wirklich auf viele nette musikbegeisterte Menschen trifft, die sich bestens auskennen und nicht wie beispielsweise beim Pitchfork nur kommen, um gesehen zu werden. Ein Festival von Kennern für Kenner, eines bei dem es nicht um die großen Namen, sondern die künstlerische Qualität geht. Hier müssen keine teuren Headliner aufgeboten werden um die Leute anzulocken, hier reichen Bands, die Insidern bekannt sind, um den Laden voll zu kriegen. So war dann auch bei allen drei Tagen das Mains D'Oeuvres in dessen Räumen die Sache stattfand, ausverkauft bzw fast ausverkauft (Freitag).
Am Freitag gab es gleich zum Auftakt einen Leckerbissen. Die Singer/ Songwriterin Jessica Pratt stand auf einer der beiden Bühnen bereit. Ich hätte sie bereits beim von mir und Christoph besuchten End Of The Road Festival in England 2013 sehen können, verpasste sie aber weil sie sehr früh angesetzt war. Auch bei diesem Festival ging sie früh ins Rennen, aber früh bedeutete beim Mo'Fo' eben 19 Uhr 45 und nicht 12 Uhr mittags wie beim End Of The Road.
Der Saal war noch nicht proppenvoll wie bei späteren Acts, aber dennoch bereits recht gut gefüllt. Ruhige, kontemplative Musik wartete auf uns, das ist nicht Jedermans Sache. Nicht wenige äußern Langeweile, wenn Musiker nur mit Stimme und Gitarre operieren. Unverständlich für mich, denn ich kann mir Musik kaum purer und naturreiner vorstellen. So konnte mich Jessica Pratt dann auch recht bald in ihren Bann ziehen. Von ihren in moll gehaltenen Liedern ging ein starkes 60ies Feeling aus. Die Atmosphäre erinnerte an britischen Folk der Hippie Ära um Sandy Denny. Ein Stil, den ich aufrichtig liebe, weil von ihm so viel Zärtlichkeit, Geborgenheit und Weltklugheit ausgeht. Vor allem aber Trost. So viel Trost.
Bemerkenswert die Stimme von Jessia. Gleichzeitig reif und besonnen, aber auch kindlich und unschuldig klingend. Das leicht Infantile ist aber auch nur zu verständlich, wenn man weiß, daß die Sängerin erst 26 Jahre alt ist. Sie wirkte schüchtern und in sich gekehrt und auf grund ihrer langen rötlichen Haare und des recht dunklen Lichts konnte man ihr Gesicht selten richtig sehen.
Die gespielten Lieder waren wirklich wundervoll, so anmutig und beruhigend, so sanft und so verwunschen, wie beispielsweise Night Faces oder auch das psychdelisch- düster beginnenden I've Got A Feeling, welches aber im Verlaufe lieblicher wurde.
Sehr schön auch Wrong Hand, zu dem ich die Augen schloß und meditierte.
Eine gute halbe Stunde gönnte uns Jessica Pratt, dann war leider schon Schluß, aber es war nun einmal ein früher Festivalautritt, da ist selten mehr Zeit.
Setlist
01: Wrong Hand
02: Game That I Play
03: Dreams
04: Night Faces
05: Back
06: Hurting
07: I've Got That Feeling
Später gingen dann auf der anderen Bühne die Kanadier The Burning Hell ins Rennen. Eine Band um den bärtigen Gitarristen Mathias Kom, an jenem Tage verstärkt durch Ariel Sharat an der Klarinette, Ben Lupus am Bass und Leo Bear Creek am Schlagzeug, beide Letztgenannten von der französischen Band Coming Soon.
Die vier Musiker kredenzten einen flotten Folkrock voller Selbstironie und Natürlichkeit und amüsierten sich köstlich. Allein die Dialoge zwischen Mathias und Ariel waren Gold wert, denn die beiden nahmen sich gegenseitig auf liebevolle Weise immer wieder hoch. ("but I'm always right" meinte Ariel dazu)
Der Gesang von Mathias erinnerte mich mitunter an den von Bill Callahan, ein tiefer Bariton, teilweise im Sprechgesang. Spaßeshalber meinte Mathias dann auch er sei eigentlich ein Rapper und würde sich freuen, wenn Jay-Z ihn einladen würde, auf einem neuem Blue Print Album zu rappen. Er habe da einen diesbezüglichen Traum gehabt, ihn dem auch Klarinettistin Ariel vorkam, die sich mit Beyoncé glänzend verstand. Alle schmunzelten...
Stark das gespielte Songmaterial. Grown-Ups, Realists oder das fast Klezmer angehauchte I Love The Things That People Make, hier klang jeder gespielte Titel charmant, frisch und ungekünstelt.
Super Band, tolle Stimmung, zufriedene Zuschauer, was wollte man mehr?
Setlist
01: My Name Is Mathias
02: Grown-Ups
03: Realists
04: Last Winter
05: Barcade Song
06: Everything Will Probably Be OK
07: (intro: In The Air Tonight (Phil Collins)The Things That People Make
08: Nostalgia
09: It Happens In Florida
10: Dance Dance Dance
11: Amateur Rappers
Etwas später spielten dann die Russen Messer Chups eine Mischung aus Rockabilly und Surfpop, in den allermeisten Fällen instrumental gehalten. Nur bei zwei Stücken sang die wie ein Pin Up Girl der 1950er Jahre aussehende Bassistin (was für ein herrlich heißes Weib!) ein wenig, da dachte ich dann an die B-52s. Ansonten erinnerte mich das immer wieder an ein Lied von Pulp Fiction. Der Sound war fraglos cool und sehr lässig, aber nach etwa 20 Minuten machte sich eine gewisse Monotonie breit, weil sich die Lieder untereinander arg ähnelten und nicht viele Varianten aufwiesen.
Musikalisch spannender da die Franzosen Orval Carlos Sibelius, die auf der Bühne Mo den ersten Festivaltag beendeten. Eine Band um Sänger, die mit ihrem letztjährigen Album viel Staub in der Pariser Indie Szene aufgewirbelt hatten. Ihre Mixtur aus Krautrock und Psych Pop klang in der Tat innovativ und spacig und vor allem der äußest charismatische Trompeter Dick Turner bereicherte den Sound ungemein. Nur das Hemd des Sänges fand ich abscheulich, aber es passte stilistisch natürlich gut zur Musik vom anderen Stern. Die Band werde ich mir 2014 noch einmal ansehen und dann auch hoffentlich auführlicher berichten. Sie verdient eine intensive Auseinandersetzung.
Das Festival ging am Samstag weiter, aber ich gönnte mir eine Ruhepause und kam erst am Sonntag wieder.
Am letzten Tag der Veranstaltung spielte zunächst die Französin Alice Lewis, die ich auf Grund ihres Namens immer für eine Britin oder Amerikanerin gehalten hatte. Auch ihr Akzent im Englischen ist einwandfrei, so daß ich bislang wirklich keine Indizen dafür hatte, daß sie aus Frankreich stammt.* Ihr Stil ist der lupenreine Elektropop mit wavigem Einschlag im Stile der 1980 er Jahre. Kate Bush war sicherlich ein Vorbild, auch gesanglich, Siouxsie and The Banshees möglicherweise auch.
Alice spielte zusammen mit einem neu engagierten Keyboarder (ihr erstes gemeinsames Konzert) einige Lieder von einer am 21 März erhältlichen neuen EP namens Ignorance Is Bliss, aber mit Night's End und To The Magical Mountain auch ältere Sachen von ihrem 2010 veröffentlichten Longplayer No One Knows We Are Here, der von Ian Caple produziert wurde. Ein Bursche, der auch schon bei Stina Nordenstamm an den Reglern saß und dies ist wohl kein Zufall, denn der Sound von Alice Lewis könnte durchaus auch aus Schweden oder Island stammen, der Name Björk wird in ihrem Zusammenhang oft und nicht zu unrecht im Munde geführt.
Ich denke aber, daß Lewis keinesfalls nur ein Klon ist, man findet bei ihr viel Eigenständiges (allein die Instrumente Omnichord, alte Orgeln, Vintage Synthesizer, wer hat so was?) und ihre liebliche und glockenklare Stimme stechen heraus. Zudem ist ihr Songmaterial wirklich gut. Viele der gespielten Lieder findet man leider aber im Internet (bzw. auf Platte) noch nicht.
Man muss sich also noch ein wenig gedulden. Die neue EP Ignorance Is Bliss werde ich nach ihrem starken Autritt beim Mo' Fo' sicherlich kaufen!
Setlist:
01: Intro/instrumental Crossing The River
01: Intro/instrumental Crossing The River
02: The Drought
03: Let It Fall
04: Night's End
05: To The Magical Mountain
06: Where Do We Go Now
07: Bellboy
08: Ignorance Is Bliss
09: Perfect Stranger
10: Nothing I Could Say
11: The Statue
12: Haunted Reveries
Tja und dann wurde es immer voller in den Räume des Mains d'Oeuvres. Normal, es war schließlich eine ausverkaufte Veranstaltung. Eher nicht normal aber, daß es so derart überlaufen war, daß man nur unter Mühen zum Konzert des gehypten Son Lux reinkam. Drinnen wurde man aber so unglaublich stark an seinen jeweiligen Nachbarn gepresst, daß man kaum von einem Genuß reden konnte. Ich entschied mich deshalb, wieder nach oben in den Empfangsbereich zu gehen, wo CD Händler ihre Stände hatten und man auch etwas essen und trinken konnte. Meiner optimistischen Einschätzung zu Folge würde sich der Raum unten etwas leeren, so daß ich es 10 Minuten später noch einmal versuchen wollte. In der Zwischenzeit hatte ich mich aber mit den Plattenverkäufern festgequatscht und als ich dann etwa 25 Minuten später wieder mal nachsehen wollte, ob es bei Son Lux leerer geworden war, ließ mich der Security Mensch noch nicht einmal mehr durch. Es sei zu voll, sagte er lapidar und ließ auch nicht mit sich handeln. Dummerweise kam ich auch nicht auf die Idee, hintenrum quer durchs Gebäude zu laufen, um wenigstens auf die andere, die zweite Bühne zu gelangen, wo The New Mendicants, ein kultiges Duo aus den Sängern von Teenage Fan Club und den Pernice Brothers spielten. Kurzum: ich verpasste die laut Zeugenaussagen besten Konzerte! God damn! Schon kurios, aber so sind Festivals manchmal. Wenn man sich nicht frühzeitig an den jeweiligen Bühnen anstellt, läuft man Gefahr, in die Röhre zu gucken.
Ich ließ mich dennoch nicht deprimieren, schließlich ist das Mo' Fo' auch ein Ort, wo man viele nette Leute treffen kann und ich begegnete wirklich vielen Sympathen an diesem Wochenende.
Außerdem gab es zum Ende überdies noch ein wirklich starkes Konzert. Jeffrey Lewis spielten auf der Scène Mo und begeisterten schon mit dem ersten Lied You're Invited. Es geht um die Einladung zu einer Geburtstagsparty und der Song versprühte wahnsinnig viel Charme, Wehmut und Zärtlichkeit. Er klang fast wie eine der wundervollen Balladen von Yo La Tengo, so dezent und feinfühlig. Es war wundervoll.
In der Folge wurden Tempo und Laustärke aber teilweise massiv verschärft. Jeffrey Lewis bewies, daß er musikalisch in vielen Stilen zu Hause ist. Indiepop, Anti-Folk, Indierock, Punk, Rap. Ja richtig gelesen, Rap. Zu den russischen Protestlerinnen Pussy Riot hatte er seinen ganz eigenen Song parat, in dem er in schnellen Sprechgesang verfiel, die Mädels als Heldinnen der Punkkultur pries und immer wieder die Fragestellung aufwarf: "what would Pussy Riot do?" Es ging aber nicht nur um russische Politik, sondern auch den Einfluß von Marken auf Bands, den Jeffrey Lewis anprangerte. In einer Songzeile attackierte er Best Coast weil sie ihren Namen für Schuhe hergebe, aber auch Bands die in gesponserten Ray Ban Brillen bei Sout By Southwest spielen. Er warnte vor dem Ausverkauf, betonte, daß Künstler sich nicht vor den Karren von Firmen spannen lassen sollten ("you wanna bands that sell you things, or bands that tell you things?"), selbst wenn es schwierig sei, sich heutzutage über Wasser zu halten. In einem späteren Song stieß er in das gleiche Horn, gab Musikern den Rat, sich nicht von ihrem Label zum Lunch einladen zu lassen. Ihnen würde der Betrag später in Rechnung gestellt.
Offener Protest gegen die Musikindustrie also, aber im Grunde genommen keine Lästerei gegen Musikerkollegen, die das teilweise tun. Eher der eindringliche Rat, nicht naiv zu sein und unabhängig zu bleiben und sich nicht korrumpieren zu lassen.
Jeffrey Lewis selbst scheint sich auch an seine eigenen Parolen zu halten, seine CDs und EPs sehen definitiv wie self releases aus, kamen ohne aufwändige Verpackung daher und waren höchtswahrscheinlich selbstgebrannt. Für lediglich 5 Euro pro Stück konnte man sie am Merch erwerben, seine tollen Comic-Hefte kosteten sogar nur läppische 2, 50 Euro.
Während der Show projezierte er auch in paar seiner Comics auf eine Leinwand und sang dazu. In einem dieser Stücke ging es auch um den Vietnam, im Rahmen seiner Serie History Of Communism Part 6: Vietnam. Süß sauer das Ganze, gleichzeitig bissig und sehr witzig wie irgendwie alles bei Jeffrey.
War wirklich ein sehr gutes Konzert des Amerikaners und seiner beiden Mädels. Einzig das Daniel Johnston Cover True Love Will Find You In The End, bei dem er das Publikum aufforderte, den Text zu singen, war eher entbehrlich. Den muss ich mir wieder ansehen!
* die Erklärung: sie hat einige Jahre ihres Leben in Großbritannien verbracht.
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