Donnerstag, 19. November 2009

Gossip, Köln, 18.11.09


Konzert: Gossip
Ort: Palladium, Köln
Datum: 18.11.2009
Zuschauer: ausverkauft (4.000, oder wie viele?)
Dauer: Gossip gut 80 min, SSION 35 min


Als ich 2007 zum ersten Mal Gossip live sah, hätte ich nie gedacht, daß mein übernächstes Konzert der US-Punkpopband im ausverkauften Palladium stattfinden würde. Auch das Cooky's in Frankfurt war damals rappelvoll, das war allerdings eine kleine Bar-Kneipe, in die vielleicht hundert Leute passten. Natürlich sind es nicht alleine die guten Popsongs, die die Band aus Portland in den vergangenen Jahren auch im deutschen Radio plazieren konnten, die den späten Erfolg erklären; Gossip haben schließlich im Januar 2001 ihr erstes Album veröffentlicht. Vielmehr ist die Band in erster Linie wegen ihrer nicht unauffälligen Frontfrau Beth Ditto so bekannt geworden, daß sie den größten Konzertort unter den Sportstätten in Köln an einem Mittwoch restlos ausverkaufte.

Und es war voll! Letzte Woche, als mit den Editors und den fabelhaften Europe (oder
umgekehrt?) gleich zwei Großkonzerte in der Schanzenstraße stattfanden, war Parken vollkommen problemlos möglich, heute überall Massen. Auch wenn ich nicht unbedingt Lust auf die Vorgruppe hatte (ihre Bilder auf myspace hatten mir ein wenig angst gemacht), entschied ich trotzdem, spätestens um acht da zu sein, um wenigstens noch halbwegs in Bühnennähe sein zu können. Das funktionierte ganz gut, und so hatte ich freie Sicht auf das skurrile Eröffnungsstück...

Um kurz vor acht stieg nämlich aus dem Fotograben ein an einen Hauptdarsteller der Oberammergauer Passionsspiele erinnernder Mann, der allerdings eine E-Gitarre umgebunden hatte. Und da stand er dann erst einmal alleine. Kurzzeitig überkam mich Panik, noch eine zweite Vorgruppe sehen zu müssen. Zu dem langhaarigen Gitarristen gesellte sich dann aber
ein Schlagzeuger mit kurzen Haaren und Boy-Kappe. Der Sänger der Band aus Kansas City* erschien zunächst nur auf der Leinwand, die auf der Bühne hing.

Während des ersten Stücks (namens Bullshit) erschien Sänger Cody Critchelos dann auf der Bühne, mit viel Neon am Leib, einer indischen Kappe und lustigem Haarschmuck.

Die Musik der Amerikaner ist vielleicht mit Art-Elektropunk zu beschreiben. Bullshit klang für mich nach den allerersten B-52's Platten mit modernerem Beat, dann hörte sich der Sänger mal nach Prince an oder nach Gogol Bordello elektronisch (obwohl da
nichts Elektronisches auf der Bühne war), und am Ende glaubte ich kurzfristig einen alten Traum in Erfüllung gehen zu sehen, da hätte ich schwören können, Blümchen stünde da oben. Die treibenden Beats des Boy-Schlagzeugers machten SSION extrem tanzbar. Am Anfang fand ich den Auftritt des Trios auch sehr unterhaltsam, das nutzte sich aber schnell ab. Eine gute Pausenunterhaltung boten SSION aber auf alle Fälle. Daran waren auch sicher die Bühnengetränke nicht schuldlos. Cody hatte eine Flasche Gin dabei, aus der er immer wieder ambitionierte Schlucke nahm! Besonders sehenswert war aber der langhaarige Wuschel-Gitarrist! Sein graues Obergewand hatte er schnell abgelegt. Darunter war eine wundervolle mausgraue ausgebeulte Jogginghose hervorgekommen, die er mit Hosenträgern fixiert hatte. Ansonsten trug er nur Tattoos und Haare, ging ab und zu eindrucksvoll auf die Knie und bot etwa das Programm, das ich vermutlich auch bei Europe gesehen hätte. Toll!

Zur tollsten Umbaumusik seit langem (P.I.L, Smiths, Ramones... Stimmung kam aber nur bei 7 Nations Army auf - war ja auch Länderspielabend) baute eine Netzstrumpfhosen-Roadine um. Mich irritierte, daß für vier aufgebaut wurde (war das in Paris auch so, Oliver?), bisher hatte ich Gossip nur in normaler 3er Besetzung erlebt. Jedenfalls war neben Beth, Schlagzeugerin
Hannah Blilie und Gitarrist Brace Pain ein Bassist dabei.** Brace hatte neben sich noch Keyboards aufgebaut. Damit beantwortete sich auch meine Frage nach der Umsetzung des aktuellen Albums, auf dem ja viel Keyboard vorkommt.

Es war da bereits kurz vor halb zehn, die Pause hatte lange gedauert. Dimestore diamond eröffnete das Konzert, von der Sängerin war aber noch nichts zu sehen. Auch als ihre Stimme erklang, weit und breit keine Beth. Irgendwann kam sie dann aber und beeindruckte sofort wieder mit ihrer fabelhaften Live-Stimme. Auch ihr Outfit war irgendwie beeindruckend, für meinen (spießigen Geschmack) allerdings mehr interessant als fabelhaft. Beth hatte ein schulterfreies giftgrünes Kleidchen mit schwarzen Tigerstreifen an, dessen Rock
aufgeplustert war und mich an einen Kürbis erinnerte. Ist ja gerade die Jahreszeit. Irgendwas drunter schien aber nicht richtig zu sitzen, sie griff sich immer wieder beherzt unter den Rock und arrangierte sich neu.

Das Kleid sollte in den folgenden 80 Minuten aber auch immer wieder kräftig beansprucht werden, die Sängerin rannte über die Bühne, bleib kaum einmal einen Moment ruhig stehen und unterstützte ihre schnellen lauten Songs damit, als wollte sie die noch überholen. Daß Beth Ditto dabei bis zum Ende eine so klare und umfangreiche Stimme hat, ist immer wieder hochgradig faszinierend. Die kleine Frau mit der ketchupfarbenen Frisur ist eben
nicht nur Modepüppchen und Klatschpresse-Liebling, sie ist vor allem eine ausgezeichnete Musikerin!

Irgendwann (bei Men in love, um genau zu sein) gab es Probleme mit einem von Beths beiden Mikros. Während die Mikroständer bei SSION noch einen konkreten Nutzen hatten (sie wurden weggetreten), brauchte die Gossip-Frau sie nicht. Sie stand ja nie. Das eine Mikro funktionierte dann aber mitten im Lied nicht mehr. Einer der aufmerksamen Helfer war sofort da und tauschte es aus, zum Dank (hmm...) durfte er dann auch ein paar Takte singen, als es wieder klappte. Ein anderes Mal, als er gerade wieder etwas richtete, kam Beth zu ihm und rieb Rücken und Po an den armen völlig überrumpelten Roadie. Nein, ruhig und zurückhaltend ist die Sängerin wirklich nicht.

Diese Erfahrung haben auch sicher die Interviewer gemacht, die am Nachmittag das Vergnügen mit den drei Gossips hatten. "You know I'm a fat person and I'm really into this!" Alle Interviewer hätten sie auf ihren angeblichen Wunsch abzunehmen
angesprochen. Das habe die InTouch berichtet. "I never wanted to lose weight less in my life." Sie wolle jetzt vielmehr erst recht beweisen, daß man dick und schön und gesund sein könne. Und da sage noch mal einer, Klatsch-Magazine haben keinen Einfluss!

Das Set bestand zum Großteil - noch mehr als Paris - aus Liedern des aktuellen Albums Music for men. Den Rest füllten Stücke des Vorgängers Standing in the way of control. Lediglich ein älterer Titel (Fire/Sign) war heute Teil des Programms. Schade, daß Yesterday's news und (Don't make) waves im Palladium fehlten!

Dafür gab es wieder das kleine deutsche Lied, eine kurze Darbietung eines Stücks namens Milch und Fleisch (ganzer Text: "Milch und Fleisch, Milch und Fleisch,
Cologne besteht aus Fleisch und Milch"), das sie aber angeblich extra neu geschrieben habe.

Nach einer sehr energiereichen Stunde war mit Heavy cross zunächst Schluß. Aber es sollten ja noch die gute und die beiden schlechten Zugaben folgen. Daß mich noch ein Tina Turner und ein Queen Cover erwarten würden, hatte ich aus Paris gelesen. Viele fremde Songs zu spielen, finde ich bei Gossip toll. Auch die vielen Cover-Stückchen in ihren Liedern, Psycho killer und Lady Marmalade in Listen up. Aber aus Tina Turner und Queen kann man ja nicht viel rausholen, mir gefiel also nur die mittlere Zugabe Standing in the way of control, das immer noch tollste Stück der Amerikaner. Und natürlich kletterte Beth dazu auch wieder ins Publikum und lief quer durchs Palladium. Ihre
Helferin stand mit Mikrokabel am Bühnenrand und schien sie richtiggehend zurückzuangeln, sie zog kräftig am Kabel, als Beth zurück zur Bühne wollte.

Bei der letzten Zugabe konnte eigentlich nichts schiefgehen (We are the champions kann jeder gröhlen). Beth hatte sich auch vorher einige Male erkundigt, ob wir English verstünden, ihr Deutsch sei leider schlecht geworden. Sie bat dann um eine Ansage aus dem Publikum, daß alle mit ihr mitsingen sollten. Die erste gefragte Frau verstand, sie solle ein Lied anstimmen. Also Viva Colonia. Eigentlich eine nette Idee, allerdings nicht das, was Frau Ditto wollte. Ein
zweiter Versuch. Die Frau deutete es aber so, daß sie ein schöneres Lied singen solle. Sie versuchte es. Beth stoppte auch das höflich und erklärte erneut, daß wir ein Lied mit ihr singen sollten. Eins, das sie ausgesucht habe, nämlich das unvermeidliche Champions Dings. Das ging dann auch vorbei, schmälerte aber nicht den hervorragenden Konzertabend.

Gossip verdienen den sicher auch für sie überraschenden Erfolg! Die Band ist live extrem sehens- und hörenswert, das ist mir heute wieder mehr als deutlich geworden!

Setlist Gossip, Palladium, Köln:


01: Dimestore diamond
02: Pop goes the world
03: 2012
04: Yr mangled heart
05: Men in love
06: Fire/sign
07: Coal to diamonds
08: Love long distance
09: 8th wonder
10: Vertical rhythm
11: Listen up
12: Four letter word
13: Milch und Fleisch
14: Heavy cross

15: What's love got to do with it? (Tina Turner Cover) (Z)
16: Standing in the way of control (Z)
17: We are the champions (Queen Cover) (Z)

Links:

- Gossip, Paris, 15.11.09
-
Gossip, Cergy Pontoise, 05.07.09
- Gossip, Köln, 26.08.08
- Gossip, Paris, 25.08.08
- Gossip, Evreux, 28.06.08
- Gossip, Paris, 18.03.08
- Gossip, Paris, 10.11.07
- Gossip, Frankfurt, 28.08.07
- mehr Fotos von Gossip aus dem Palladium

* unnützes Konzerttagebuch-Wissen: das nicht in Kansas liegt
** an den ich mich hätte erinnern können...






11 Kommentare :

Oliver Peel hat gesagt…

Milch und Fleisch?

Christoph hat gesagt…

Arbeitstitel!

Das hat sie aber schon mal gespielt, im Gloria, glaube ich. Sie hat es als neues Lied auf Deutsch verkauft. Es ist etwa 20 Sekunden lang.

Anonym hat gesagt…

Der Bassist war im Gloria damals doch auch schon dabei...

Christoph hat gesagt…

Gott, habe ich ein schlechtes Gedächtnis. Der kam mir vollkommen neu vor.

Danke für den Hinweis!

Anonym hat gesagt…

Extrem gutes Konzert von Gossip! Extrem guter Review von Dir! Vielen Dank.

Oliver Peel hat gesagt…

Du solltest meine Konzertberichte genauer lesen, Christoph. Der Bassist war schon am 18.03.2008 dabei, also vor mehr als 1 1/2 Jahren!

Ein Blick ins Archiv mit Fotobeweis:

http://meinzuhausemeinblog.blogspot.com/2008/03/gossip-kills-paris-180308.html

Christoph hat gesagt…

Bei 1000 Konzertberichten kann ich mich nicht an jedes Detail erinnern. Ich fragte mich (in dem Kommentar), ob er vor ein paar Tagen dabei war. Aber das war er dann wohl.

Anonym hat gesagt…

Zu Milch und Fleisch! und dem netten Berichterstatter !

Ich bin mir ziehmlich sicher daß sie die Schlagzeugerin gefragt hat was sie auf Deutsch kann . Weil Ihr nix mehr einviel ! Und diese sagte Milch und Fleisch , wobei sie dann zu sang . ( Nix neues Lied?!)

P.S. : Ich fand es übrigens sehr daneben wie sich ein Mann deines Alters ( Statur )benommen hat. Es ist schon echt schade wenn einer beim Konzert ganz vorn , einfach stumpf und starr stehenbleibt und sich dann mit agressieven Tritten nach hinten (gegen mein Schienbein) `Ruhe´ vor den tanzenden Mädels verschafft.
Vielleicht solltes Du Deine Fotos machen und wenn Du keine Lust hast zu rocken Dich einfach nach hinten verpissen !

Danke

Christoph hat gesagt…

Ich hatte verstanden, daß sie das als neues Lied angekündigt hatte, das sie extra für uns geschrieben habe. Aber bin nicht ganz sicher.

Sicher bin ich, daß ich noch nie aggressiv nach hinten getreten habe. Aber cool, vielleicht bekomme ich jetzt endlich mal einen anderen Ruf.

Christina hat gesagt…

oh, Christoph, du aggressiver Nachhintentreter, ich bekommen Angst vor dir! (warum wissen Leute im Internet eigentlich, wie du aussiehst, ich dachte offiziell gibt es nur das Legobild??)

E. hat gesagt…

'milch & fleisch' halte ich für einen extrem guten schlachtruf aller konzertreviewer und/oder - fotografen. jedesmal, wenn wir uns raum verschaffen müssen, um die besten plätze zu erwischen, schreien wir fortan: "milch und fleisch!" das wird sich bald derart etabliert haben, dass die massen weichen, um unseren stahlkappen zu entgehen.

christoph, ich bin entrüstet!

 

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