Sonntag, 22. November 2009

Troy von Balthazar, Paris, 21.11.09


Konzert: Troy von Balthazar

Ort: ein Wohnzimmer irgendwo in Paris, Oliver Peel Session # 13
Datum: 21.11.2009
Zuschauer: 48 (!), ein neuer Rekord. Mehr passen nicht rein bei uns!
Konzertdauer: 50 Minuten


Une chronique en français se trouve en-bas!

Wie schon nach der Session mit Simone White* bin ich wieder regelrecht verwirrt. Kneif mich mal jemand, bitte! Hat gestern wirklich Troy von Baltahzar in unserem Wohnzimmer gespielt? Der Mann also, der mit seiner damaligen Band Chokebore Kultstatus in Indiekreisen erlangt hat und mit Nirvana auf Tournee war? Kurt Cobain soll riesiger Fan gewesen sein!

Zur Not habe ich 48 Zeugen, die alles bestätigen können. Genau wie ich erlebten sie dichtgedrängt ein atemberaubend intimes Konzert eines Mannes ohne Allüren.

Ein ausführlicher Bericht folgt, wenn ich wieder von meiner Wolke runtergestiegen bin...

So, wieder halbwegs nüchtern:

Die Idee, Troy von Balthazar einzuladen, kam mir beim Absurfen seiner MySpace Seite. In einem alten Blogeintrag, der glaube ich vom Januar 2009 stammte, hatte er verlauten lassen, daß er grundsätzlich bereit sei, bei Leuten im Wohnzimmer zu spielen. Das ließ mich natürlich neugierig werden, zumal ich Troy bereits zwei mal auf "richtigen" Konzertbühnen gesehen hatte und von seiner Präsenz und seinem Charisma beeindruckt war. Zudem mochte und mag ich sein 2005 erschienenes, selbstbetiteltes Album, bei dem ihm gesanglich die Französin Adeline*zur Seite stand.

Ohne Adeline und auch ohne seine übliche E-Gitarre klingelte der Hawaiianer am 21. 11.2009 gegen 16 Uhr an unserer Haustür. Ich hob den Hörer des Türtelefons ab und vernahm seine angenehme und höfliche Stimme: "Hello, this is Troy." Meine Güte, er war es wirklich! Jetzt ganz ruhig bleiben und sofort einen guten Eindruck machen! Ich lief ihm im Treppenhaus entgegen und nahm im seine Tasche ab. Auch unser Kater d'Artagnan war neugierig und hoppelte die Treppenstufen runter. Was sich Troy wohl gedacht haben mag? Vielleicht etwa: "Oh Gott, jetzt spiele ich schon Konzerte für einen alten, überfütterten Stubentiger?" Oder: "Hätte ich mich doch bloß nicht auf so etwas eingelassen. Wenn man doch nur Gedanken lesen könnte...

Aber wie war die ganze Geschichte eigentlich zustande gekommen? Nun, vor dem Vergnügen gab es etwas Kommunikationsarbeit zu verrichten. Großartige Schützenhilfe hat mir dabei meine Freundin Mathilde geleistet. Sie stellte den ersten Kontakt her und das Feedback war schon einmal hoffungsspendend. Grundsätzlich war er nicht abgeneigt. Ich schrieb ihn nun selbst an und erklärte ihm ,wie das bei uns abläuft. Und relativ kurze Zeit später war er überzeugt, daß das für ihn passt und gab grünes Licht. Hurra!!! Auch ein Termin war bald gefunden und zwar der 21. November.

Anschließend gingen ein paar Wochen ins Land, in denen ich nichts mehr von Troy hörte. Als der Termin immer näher rückte, hielt ich es für höchste Zeit, nochmal nachzufragen, ob nichts dazwischen gekommen sei. Schließlich war der Mann gerade auf Tour und vielleicht hatte er eine bessere Location als ein Wohnzimmer gefunden. Ich stattete seiner MySpace Seite einen Besuch ab und stellte etwas ernüchtert fest, daß er für den 21.11.2009 nichts eingetragen hatte, wohl aber zwei vorher datierte Homeshows in einem anderen Teil Frankreichs. Seltsam! Ob er abgesprungen war? Ich fragte ihn per mail, aber nicht so direkt, sondern umging die Frage, indem ich sagte: "Oh, ich habe gesehen, daß Du die Oliver Peel Session noch nicht bei MySpace veröffentlich hast, kannst Du ja bei Gelegenheit mal nachholen. Er schrieb zurück: "Achso, du wolltest, daß ich den Termin eintrage? Dann mach ich das mal sofort. Soll ich Deine Adresse auch vermerken?"

Zum Glück hatte ich dem zweiten Teil nicht zugestimmt. Denn auch ohne Preisgabe unserer Anschrift, fand gerade in der letzten Woche vor der Session ein regelrechter Run von Fans von Troy und seiner alten Grungeband Chokebore statt. Ich erhielt etliche E-Mails von fremden Personen, die um Einlaß bettelten. Die ersten von ihnen beschied ich positiv, weil ich gerne neue Gesichter sehe und offen bleiben will, am Ende muste ich aber eine Absage nach der nächsten erteilen, weil wir ohnehin schon drohten, aus allen Nähten zu platzen. 55 Leute hatten sich schließlich angesagt. Eine Katastrophe, denn ich schätze das Fassungsvermögen unseres Wohnzimmers auf vielleicht 40! Höchstens. Meine Frau hatte eine Stinkwut auf mich und ließ mich das auch spüren. Ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, fluchte sie nicht zu Unrecht...

Als Troy aber am Nachmittag des 21.11. bei uns eintrat, war keine Zeit mehr für negative Gedanken. Von nun an galt: Sensationell, daß der Bursche hier ist und die Gäste kriegen wir auch schon irgendwie unter! Zur Not könnten wir ja bei Überfüllung einen Zettel mit der Aufschrift: "ausverkauft!" an die Tür hängen. Bezüglich des materiellen Teils hätte das aber nicht richtig gepasst, denn natürlich sind unsere Sessions gratis. Lediglich eine kleine Spende in den rumgereichten Hut erbitte ich mir nach den jeweiligen Auftritten von unseren Besuchern und die Kohle wandert natürlich zu 100 % in den Geldbeutel des Künstlers.

Zunächst einmal herrschte aber etwa eine Stunde lang Ruhe vor dem Sturm. Troy testete den Sound seiner Akustikgitarre, baute eine kleine Steckverbindung mit zwei Minipedalen und zwei Bonsaiverstärkerboxen von Marshall auf. Außerdem hatte er ein Keyboard dabei. Von Beginn an klang alles super. Ich war sicher, daß in musikalischer Hinsicht nichts schief gehen würe.

Dann tröpfelten die Leute ein und in unserem Wohnzimmer wurde es voller und voller. Am Ende hatten sich 48 Gäste aus 9 Nationen (Frankreich, Deutschland, Russland, Dänemark, Norwegen, Japan, China, USA, Marokko) eingefunden und über viel Bewegunsgfreiheit verfügten wir schließlich nicht mehr. War aber auch gar nicht von Nachteil, denn so blieben während der Session alle ganz ruhig und konzentriert.

Von Balthazar begann gegen 18 Uhr. Da alle andächtig und still seinem Vortrage lauschten, musste er seine Stimmbänder nicht besonders strapazieren und man konnte ihn gut hören, auch wenn er nicht sonderlich laut sang. Ohnehin ist aus dem wütenden jungen Frontmann von Chokebore ein ruhiger und besonnener Kerl geworden, in dem allerdings noch ein Vulkan lodert. Man merkt sofort, daß er impulsiv und temperamentvoll sein kann. Heute allerdings zeigte er uns seine zärtliche, verletzliche Seite. Es war überhaupt erst sein zweites Akustikkonzert seiner Karriere*. Und das bei uns, Wahnsinn!

Mit Heroic Little Sister wurde schon recht früh ein erstes Highlight abgefackelt. Hierzu setzte der Ami sein Minikeyboard ein und sang auf das Eindringlichste die Lyrics mit der prägnanten Songzeile: "The government don't own us yet. The government d'ont own us yet. We're so lucky." Ob er wohl ein politisch engagierter Singer/Songwriter ist? Glaube ich eigentlich weniger. Im Vordergrund stehen sicherlich emotional aufwühlende Lebenssituationen, Ängste, Depressionen, aber auch Hoffnung, Glücksgefühle und der Rausch. Und natürlich Frauen. Immer wieder Frauen. Der Gesang von Troy hat etwas Erotisches, manchmal stöhnt er geradezu und seines attraktiven Äußeren und der Wirkung auf die Damenwelt ist er sich bestimmt bewußt. Typen wie ihn nennt man wohl neudeutsch Womanizer. Ein Scheißausdruck, keine Frage, benutzt von den nicht sonderlich poetischen Bildzeitungs- und Bunte Schreiberlingen, aber irgendwie passt er zu Troy. Der ließ sich aber weder von den anwesenden Weibern noch unserem dicken Kater ablenken, der ihm immer dichter auf die Pelle rückte. Ganz gelassen sang er seine melancholischen Folksongs und erinnerte mich dabei oft an meinen Helden Elliott Smith. Wunderbar war das und sehr bewegend, auch wenn ich selbst gar nicht so gut sehen konnte, weil ich abgedrängt im Türrahmen kauerte.

Gegen Ende schaffte ich es aber, die Seiten zu wechseln und aus anderen Perspektive das wundervolle Konzert zu verfolgen, das gegen Ende mit Wings und I Block The Sunlight Out noch echte Perlen aufzubieten hatte.

Das Tollste war aber, daß mir Troy den Chokebore Klassiker Days Of Nothing widmete und auch noch erfeut hinzufügte: "Today was not a day of nothing."

Nein, daß war er sicherlich nicht, für mich war der Tag etwas ganz Besonderes und bestimmt für die meisten Gäste, darunter auch viele Musiker (Simon von Exsonvaldes, Rivkah, Tam vom Konki Duet, Erwan von Flowers From The Man Who Shot Your Cousin) auch.

Traumhaft!

Achso: Chokebore werden 2010 ein Comeback starten! Mehr Infos hier

Setlist Troy von Balthazar, Oliver Peel Session #13, Paris:

01: Rainbow

02: Communicate
03: Heroic Little Sisters
04: Dots and Hearts
05: Dogs
06: Very Famous
07: Duncan
08: To A Girl With One Wing Gone
09: I Block The Sunlight Out
10: Wings
11: Valentine
12: Days Of Nothing

Konzertdaten von Troy von Balthazar:

27.11.2009: Molodoi, Straßburg
28.11.2009: Emile Vaceh, Metz
09.12.2009: NBI, Berlin
18.12.2009: Madame Claude, Berlin-Kreuzberg
19.12.2009: Klub Matrix, Prag

* Interessant: genau wie Simon White stammt Troy von Balthazar aus Hawaii
* ein glänzendes Foto von dieser Schönheit gibt es bei Robert Gil
* das erste fand 2008 in Rouen statt. Ein fabelhaftes Video von dieser brillianten Session gibt es hier

Links:

- Rockerparis hat schon ein paar Fotos und ein Video, hier

- Und Konzertfotografenzar Robert Gil war auch da. Hier sind seine tollen Pics von Troy.

Grand merci à Mathilde! Grâce à toi on a eu Troy!

Pour nos lecteurs français:

Je suis toujours sur mon petit nuage et j'ai du mal à réaliser que le Hawaiian Troy von Balthazar, ex-chanteur* des très cultes Chokebore, a donné dans notre salon un concert intimiste, beau à chialer et plein d'emotions. Mais j'ai 48 personnes qui peuvent témoigner que ça a vraiment eu lieu!

Pour la petite histoire. C'est ma copine Mathilde qui a établi le premier contact avec Troy. Celui-ci, dans un bulletin de janvier 2009, se disait ouvert à ce genre de choses. Puis nous nous sommes écrits et j'ai un peu expliqué le concept. Il était partant et nous avons fixé la date du 21 novembre.
A cause du concert de Grizzly Bear le même soir nous avons decidé de le faire jouer vers 18 heures.

Le 21 novembre arrive et vers 16 heures Troy sonne à la porte. Il est gentil comme tout, simple et accessible. Le" angry young man" de la phase sauvage de Chokebore est devenu un homme élegant, cultivé et souriant.

Tranquillement il pose ses affaires, installe deux petits haut parleurs Marshall, deux minuscules pédales et son keyboard. Il va nous présenter un concert accoustique. C'est seulement son deuxième et il explique qu'il n'y est pas. En rigolant il nous montre comment on jouait à l'époque grunge et pourquoi c'est difficile de passer à l'accoustique.

Mais ce n'est pas vrai, puisqu'il joue à merveille et chante d'une voix sensuelle, touchante et incroyablement belle ses paroles melancoliques et tristes.

Le public est ravi et même notre gros chat, le ragdoll D'Artagnan semble adorer. Il se couche aux pieds du beau chanteur.

Troy est très généreux et joue 50 minutes. Pourtant il avait prévu de jouer seulement 30. Chaque morceau est sublime, mais je cite quand même Heroic Little Sister, I Block The Sunlight Out et Wings comme highlights. À la fin il donne même un rappel et joue à ma demande Days Of Nothing, un classique de Chokebore. Je suis très heureux qu'il me dédicace ce morceau en expliquant que le titre ne s'applique pas à cette journée!

Je crois qu'il a vraiment apprécié le concert* et le public aussi, qui applaudit pendant de longues minutes.

Wow!!

* ex chanteur de Chokebore est desormais faux, puisque le groupe va se reformer en 2010! Plus d'infos sur ce sujet ici
* sur son site Twitter il disait après: "Loved playing acoustic show last night...loved it."





6 Kommentare :

E. hat gesagt…

tolle session, hat dank deiner einen guten nachhall.

E. hat gesagt…

wer ist eigentlich die dame mit dem losen mittelfinger? steht ihr überhaupt nicht. richte ihr das mal aus!

Oliver Peel hat gesagt…

Das ist Jeanne Madic. Eine wunderbare Akordeonspielerin, die bei der Session mit Simone White das Vorprogramm bestritt. Die Gestik ist in der Tat absolut ungewöhnlich für sie. Sie ist sehr elegant und wohlerzogen. Ich habe sie in einem unytpischen Moment überrascht.

Hier kann man ihre Musik hören:

http://www.myspace.com/jeannevsmonsters

Florent hat gesagt…

Oliver,

Très grand merci pour ce concert exceptionnel, et merci pour ces photos très sympas ! :o)

Voici une vidéo du concert que l'on m'a envoyé récemment : http://www.dailymotion.com/video/xb9r7c_troy-von-balthazar-dogs-oliver-peel_music

A bientôt au concert de Chokebore !

E. hat gesagt…

von mir gab es auch einen beitrag, um deine aktivitäten zu unterstützen. entweder ist er für immer verschwunden oder er taucht mit dem klienicum wie phoenix aus der asche wieder auf...

Oliver Peel hat gesagt…

Diesen Beitrag hätte ich für mein Leben gerne gelesen, Eike! Kannst Du ihn aus dem Gedächtnis rekonstruieren?

 

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