Donnerstag, 19. November 2009

Tegan & Sara, Paris, 18.11.09


Konzert: Tegan & Sara
Ort: Theatre de l'Alhambra
Datum: 18.11.2009
Zuschauer: restlos ausverkauft
Konzertdauer: stolze 100 Minuten brutto (netto weniger, es wurde zwischendurch
viel geplaudert)

Chronique en français à venir! Promis!




An diesen kurzen Novembertagen muss man den Serotoninspiegel ein wenig ankurbeln, will man nicht in bluesige Stimmung geraten. Patrick Watson und sein (auf hohem Niveau stattfindendes) niederschmetterndes Katzengejammer schien mir da ziemlich ungeeignet. Ich bevorzugte heute deshalb andere Muntermacher. Tegan & Sara kommen zwar wie Watson aus Kanada, machen aber deutlich unprätentiösere und fröhlichere Musik. Da musste ich hin!

Wie schon beim Gig von Gossip kam aber keiner meiner Konzertjunkie-Freunde auf die gleiche Idee. Im Publikum erkannte ich kein einziges bekanntes Gesicht. Wo waren die Pappnasen denn? Etwa alle bei Herrn Watson?

Egal, so fand ich mich eben ganz alleine in der Pariser Lesbencommunity wieder. Als Mann war ich ganz klar in der Unterzahl und umringt von knabenhaft aussehenden Mädchen, die romantisch Händchen hielten und sich abschmusten. Optisch herrschte ein ziemlich einheitlicher äußerlicher Kodex. Die Haare waren kurz gehalten, aber oft struwelig über die Schläfen gekämmt. Längere Strähnen und Asymetrie waren der Renner! Lippenstift drucken die Mädels keinen, dafür aber gerne mal ein Piercing oder auch ein Oberarmtattoo. Im Grunde genommen galt die alte Regel: Das Publikum sieht genauso aus, wie die Band, die auf der Bühne steht. Bloß, daß die wenigsten so süße Gesichter hatten wie Tegan and Sara, die einfach von der Natur begünstigt sind.

Ich rede wieder zuviel über Äußerlichkieten? Hmm, vielleicht habt ihr Recht. Davon abgesehen stellen wir uns hier auf dem Konzerttagebuch selbstredend hinter die Schwulen und Lesben. Ohne homosexuelle Künstler wäre die Musikszene armseelig und die juristische Gleichstellung von Homoesexuellen bei Ehe und Adoption halte ich für zeitgemäß und selbstverständlich.

Aber jetzt sofort mal ein Wort zur Stimmung. Die war nach und zwischen den Liedern blendend, hätte aber während des Abspulen der Songs wesentlich lebhafter sein können. Wahrscheinlich lag es einfach daran, daß die Mädels permanent Fotos mit ihrem I-Phone von ihren Idolen schoßen, so daß sie die Aufnahmen nicht verwackeln wollten. Wenn aber Tegan, oder auch Sara (was etwas seltener vorkam), lustige Ansagen machte und Anekdoten erzählte, waren die Fans deutlich lauter. Dankbar wurden die Witze von Tegan mit Lachern quittiert und das Aufsagen einzelner französischer Wortfetzen wurde wie so oft euphorisch aufgenommen. Der Franzose, ob Männlein oder Weiblein, liebt es eben, wenn Amis französisch reden. Dann fühlen sich die Froschfresser geehrt und umschmeichelt. Funktioniert immer! Viel war es jedoch nicht, was die beiden Zwillinge auf französich zu sagen wußten, da merkte man doch deutlich die Sprachgrenzen in Kanada.

Ebenfalls entzückt war das Publikum, als Sara erzählte, daß es toll wäre, wenn man eine dieser Dating Shows im Fernsehen mit Französinnen haben könnte. Außerdem sei sie, Sara, ja auch noch zu haben, im Gegensatz zu Tegan, die sofort abwinkte und hinzufügte: "Bin vergeben!"


In einer anderen Plauderpause zwischen den Titeln ging es auch um das Thema Twittern. Wenn man seinem Partner vollkommen treu sein wolle, müße man in heutigen Zeiten erklären: "Ok, versprochen, ich lese ab jetzt nur noch Deine Tweeds. "

Die Geschichte mit Twitter schien sie ohnehin zu amüsieren, an mehreren Stellen ging es um diese moderne Kommunikationsform und es wurde dem Publikum geraten, Tegan & Sara bei Twitter zu folgen.


Weitereres wichtiges Anliegen war es den Musikerinnen, daß die Leute ihre neue CD (z.B. als Weihnachtsgeschenk für gute Freunde) kaufen sollten, damit sie selbst nicht verarmen würden. Europa, speziell Paris, sei so teuer, daß es sich für sie kaum lohnen würde. Eigentlich würden sie die Tour nur machen, um sich bei den europäischen Fans zu bedanken. Bei einem ihrer ersten Konzerte in der französischen Metropole (das war in der Maroquinerie) hätten sie so wenig Geld gehabt, daß sie nach dem Gig mit ihrem Van aus der Stadt herausgefahren seien und mit offener Tür (sie hätten keine Klimaanlage gehabt) Frankreich durchquerten. Mein Mitleid hielt sich aber ehrlicherweise in Grenzen, denn so voll wie heute hatte ich das Alhambra noch nie erlebt und das neue Album Sainthood erreichte laut Plattenvorgericht immerhin Platz vier der kanadischen und Platz 21 der amerikanischen Charts. Zumindest genug Geld, um von ihrer Musik zu leben, sollten sie also haben. Ein Privileg, daß nicht jede gute Indieband hat!

Und um den außermusikalischen Teil meiner Berichterstattung zu beenden, muss auch noch etwas zum Vorstellen der männlichen Begleitmusiker gesagt werden. Diese Vorstellung war nämlich äußerst amüsant und charmant. Tegan nannte die Namen der drei Burschen, die an Bass, Schlagzeug und Keyboard (bzw. Gitarre) tätig waren und fragte jeweils, wie viele Fehler sie im Laufe des Sets gemacht hätten. Ganz offen gab beispielsweise der Keyboarder Ted zu, daß er gleich beim ersten Lied gepatzt hatte. Ich hatte das nicht gemerkt, fand die Offenheit aber entwaffnend. Außerdem wollte Tegan auch von jedem einzelnen wissen, wie ihnen Paris gefalle und ob sie schon einmal Pott geraucht hätten. Die Antworten waren einheitlich: Jeder der drei Kerle fand Paris wundervoll (bloß zu teuer), keiner aber hatte je Pott geraucht. Gerade der letzte Teil verwunderte Tegan: "Was seit ihr denn für Nerds? Ihr wart wirklich immer so brav? Deshalb macht ihr so wenige Fehler! Ich selbst habe mir schon meine Gehirnzellen durch ungesunde Lebensweise ruiniert!"...

Natürlich war das übertreiben, denn Tegan spielte und sang genau wie Sara ganz hervorragend! Mit viel Herzblut und ihren typischen Mickie-Maus Stimmen (nehmen sie vorher Heliumgas zu sich?) schmetterten sie alte und neue Hits und ließen keinerlei Langeweile aufkommen. Das war zackig, eingängig und frisch. Alles ohne viele Schnörkel, genau wie die beiden Zwillinge selbst. Und live ist das Ganze natürlich wesentlich rockiger und lauter als auf den Alben, da wird aus Indie Pop schnell mal fast noisiger Indie Rock.

Einzelne Lieder besonders hervorzuheben fällt mir hingegen schwer, die beste Phase hatte das Konzert aber für mich, als hintereinander weg die ungemein ohrwurmigen Stücke Nineteen und Where Does The Good Go performt wurden. Von den neuen Tracks zog natürlich Hell besonders gut.

Letztlich sind Tegan and Sara nicht so komplex wie Built To Spill, nicht so kompromissloss noisig wie Sonic Youth und auch nicht so innovativ wie Kaki King, aber dennoch eine ganz wichtige Band der nordamerikanischen Indieszene.

Kaum jemand ist nämlich so catchy, charismatisch und liebenswürdig wie die beiden Zwillinge!


Setlist Tegan & Sara, Alhambra, Paris:

01: The Con
02: Walking With A Ghost
03: I Bet It Stung
04: Speak Slow
05: So Jealous
06: Arrow
07: Hell
08: On Directing
09: Red Belt
10: The Cure
11. Northshore
12: Night Watch
13: Soil, Soil
14: Knife Going In
15: Like Oh, Like H
16: Nineteen
17: Where Does The Good Go
18: Alligator
19: Paperback Head
20: The Ocean
21: Sentimental Tune
22: Someday
23: Back In Your Head
24: Living Room
25: Call It Off

Zusätzlich wurde My Number akustisch angestimmt und überwiegend vom Publikum gesungen, daß sich diesen Titel gewünscht hatte. Eine Amerikanerin im Publikum wollte unbedingt Come On hören, wurde aber mit anderen Songs vertröstet.

- Mehr Fotos von Tegan and Sara vom Pariser Alhambra hier

Links: Hervorragende Pics von Tegan & Sara in Glasgow (2008) hat meine Flickr Freundin Sarah Bastin. Klick!
- Und noch viel aktueller sind ihre brillianten Fotos von Tegan in Sara in Victoria vom 25.09.2009

Aus unserem Archiv:

Tegan and Sara, Köln, 10.03.08
Tegan and Sara, Köln, 25.08.07
Tegan and Sara, Hohenfelden (Highfield Festival), 19.08.07





 

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