Samstag, 6. September 2008

Jonquil, Köln, 05.09.08


Konzert: Jonquil (& Periscope)
Ort: Motoki Wohnzimmer, Köln
Datum: 05.09.2008
Zuschauer: etwa 100
Dauer: Jonquil 50 min.


Was für ein wundervoller Abend...

Vernünftig wäre es an diesem Freitag gewesen, zu Hause zu bleiben und früh ins Bett zu gehen, um Samstag beim Arbeiten nicht ununterbrochen zu gähnen. Schließlich gab es am Vorabend Friska Viljor und sehr wenig Schlaf.

Die Neugierde war dann aber stärker als diese Vernunft, die Neugierde auf einen spannend klingenden Konzertort und eine aufregend beschriebene Band. Vom Motoki Wohnzimmer hatte ich irgendwann schon einmal gelesen, von einem Raum, in dem man in gemütlicher Umgebung, auf Sofas sitzend Musik erleben könnte, mangels Gelegenheit hatte ich aber keines dieser Wohnzimmerkonzerte bisher gesehen. Jonquil kannte ich ähnlich vage. Oliver hatte die Band aus Oxford im April in Paris gesehen, nachdem vorher das wie üblich früh und perfekt informierte klienicum über die Engländer geschrieben hatte. Das reichte ganz locker, meine Restvernunft auszuhebeln.

Das Motoki Wohnzimmer ist ein Konzept des Motoki Kollektivs, eines gemeinnützigen Vereins aus Ehrenfeld. Schon von außen sah man, wie toll dieser Ort für Konzerte sein würde. Riesige runde Lampen an den hohen Loftdecken, eine geziegelte Wand, eine kleine erhöhte Bühne, daneben eine Bar und jede Menge Sofas, Sessel und Hocker, die allerdings leider alle schon besetzt oder reserviert waren, als wir ankamen. Der Eintritt hatte fünf Euro gekostet, unglaublich billig für
das, was geboten wurde, enorm teuer im Verhältnis zu den Getränken, denn die kosteten einen Euro!

Weil das Konzert wegen der Ehrenfelder Nachbarn pünktlich um zehn zu Ende sein musste, ging es auch kurz nach acht bereits los. Die Vorgruppe Periscope aus Köln und Bonn hatte für uns quasi einen Vorstellungstermin, obwohl sie das nicht wußte. Auf dem Weg hatten wir uns nämlich darüber unterhalten, daß wir die ansehen wollten, um zu sehen, wann wir am 1. Oktober zu Someone Still Loves You Boris Yeltsin in den Tsunami Club gehen müssen, denn da werden die Periscopes auch Support sein. Allerspätestens beim ersten blingbling eines Glockenspiels hatten sie überzeugt, auch im Tsunami früh zu sein, denn die Musik der vierköpfigen Band war toll! Periscope bestehen aus Schlagzeuger (mit Glockenspiel), Keyboarder, Bassist und Gitarrist, hatten aber auch eine Melodica im Einsatz. Gitarrist und Keyboarder singen die abwechslungsreichen und komplexen Lieder, mal auf Deutsch meist aber auf Englisch.

"Wir spielen für gewöhnlich alles was lauter", entschuldigte eines der Bandmitglieder irgendwann, der Abend sei ein Experiment. Die Lieder sind aber weit mehr als Versuche in meinen Ohren, auch wenn der Gesang schon ab und zu nicht perfekt war. Aber das ist ein Haar in der Suppe. Und die Suppe schmeckte ansonsten ganz prima! Periscope möchte ich auf jeden Fall einmal auf Platte hören, ich denke, daß sich das lohnen wird!

Obwohl die kleine Bühne mit Periscope schon bis in den letzten Winkel ausgenutzt wurde, sollte es da noch deutlich enger werden. Jonquil kamen nämlich zu siebt. Also
sieben Musiker. Instrumente hatten sie aber ausreichend für eine mittelgroße Musikschule dabei. Gesehen habe ich: ein großes Keyboard, mehrere Gitarren, einen sehr schmalen und sehr modernen Kontrabaß (in Karotten- statt Birnen-Form), ein Schlagzeug, zwei Trompeten, ein Horn (denke ich), eine Querflöte, eine Violine, ein zweites Keyboard mit Halterung für eine Melodica und ein Akkordeon. Fabelhaft!

Die Referenzen, die ich im Zusammenhang mit Jonquil gelesen habe, reichen von Beirut über Arcade Fire, Grizzley Bear, Animal Collective zu Kissaway Trail, mit dem
Hinweis darauf, daß Jonquil aber zu eigen sind, um sich damit greifen zu lassen. Das trifft es auch für mich genau. Eines der prägenden Stilelemente (neben dem Instrumentemix, dem häufigen Einsatz von Bläsern...) sind die Chorgesänge, mindestens drei der Musiker hatten regelmäßig an a cappella Gruppen erinnernte Gesangsparts. Also war auch ein wenig Housemartins vertreten. Ein weiteres Element sind Handclaps. Bei einigen der Stücken klatschen die Bandmitglieder in verschiedenen Rhythmen als Begleitung. All das formt ganz wundervolle, feierliche Musik, die zwar (nach Bandaussage) experimentell, allerdings sehr angenehm hörbar ist.

Ein paar der Lieder kannte ich bereits, wie so oft wirkten die live aber noch zig Nummern aufregender. Oft gehört bei der Beurteilung von Musik eben auch dazu, sie live zu erleben, direkt und laut zu
hören, das Horn nicht bloß rauszuhören, es eben auch beim Einsatz zu sehen. Das alles hätte in normalen Kölner Clubs schon Wirkung entfaltet, die besonders schöne und ungewohnte Atmosphäre dieses Wohnzimmers setzte der Musik aber noch eine Krone auf.

Aus den vielen guten Lieder stach eines besonders hervor, Lions, das letzte Stück kurz vor der Zugabe. Sänger Hugo Manuel, der bis da "nur" Keyboard gespielt hatte, schnallte sich dazu ein Akkordeon um diesen wundervollen Walzer zu spielen. Toll, toll, toll!

Leider war nach einer Zugabe Schluß. Die Nachbarn... Ich bin allerdings sehr sicher, daß ich Jonquil nicht zum letzten Mal gesehen habe. Die folkpopige Musik , die manchmal sogar an Seemannslieder erinnert hat, hat mir ausgezeichnet gefallen!

Der Abend in Köln war die erste Station* einer Europatour. Es gibt in den kommenden Wochen reichlich Gelegenheit, sich Jonquil einmal anzusehen, das möchte ich dringend empfehlen!

Setlist Jonquil, Motoki Wohnzimmer, Köln:

01: Intro
02: The weight of lying on your back
03: Parasol
04: Night time story
05: Babe, so now why no?
06: Pencil, paper
07: Whistle low
08: Magdalen Bridge
09: Putting names to faces
10: Lions

11: Sudden sun (Z)

Links:

- Jonquil in Paris im April
- mehr Fotos (eins...)

Tourtermine Jonquil:

06.09.08 Mjam Festival, Evelette, Belgien
07.09.08 dB’s (mit The Black Atlantic), Utrecht, Niederlande
08.09.08 Livingroom Show! (mit The Black Atlantic), 27A Bessemoerstraat, Groningen, Niederlande
09.09.08 Astra-Stube, Hamburg
10.09.08 Kamp, Bielefeld
11.09.08 Schokoladen, Berlin
14.09.08 Sweat Club, Leipzig
17.10.08 Maroquinerie, Paris
18.10.08 Grrnd Zero, Lyon
19.10.08 La Chapelle, Nimes


* Eigentlich hätte am Donnerstag der erste Termin der Tour in Belgien stattfinden sollen. Vorher wurde der Band aber in London der Tourbus aufgebrochen. Es wurde zwar nichts gestohlen, dauerte aber Stunden, bis ein Service den Wagen repariert hat. Also war Köln Auftakt der Tour.



3 Kommentare :

Oliver Peel hat gesagt…

Schön!!

"Lions", in der Tat ein Hit.

Christoph hat gesagt…

Jonquil haben dieses Jahr übrigens auch Glastonbury gespielt.

Anonym hat gesagt…

Hey,
das ist ja eine super Beschreibung, ich bin schwer beeindruckt. Danke für das ganze Lob für das Motoki Wohnzimmer, das ist schön zu lesen.

Grüße aus Ehrenfeld!
Micha

 

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