Sonntag, 17. August 2008

Die Ärzte, Highfield Festival, 16.08.08


Konzert: Die Ärzte
Ort: Highfield Festival, Hohenfelden bei Erfurt
Datum: 16.08.2008
Zuschauer: wahnsinnig viele, circa 20.000
Konzertdauer: stolze 130 Minuten



Welche Lieder die Ärzte denn so spielen, will ich von den beiden jungen Mädchen wissen, die anhand ihrer Tour-T-Shirts unschwer als Fans der „Besten Band der Welt" zu erkennen sind.


„Och, alles mögliche. Natürlich einige neue Lieder vom letzten Album aber auch Klassiker, wie z.B. Schrei nach Liebe oder Zu spät."

„Und was kommt als Zugabe?, will ich weiter wissen. - „Na, ja, meistens gehen die nach 'ner guten Stunde von der Bühne, kommen dann wieder und spielen noch mindestens eine halbe Stunde, so dass man eigentlich gar nicht von einer Zugabe im klassischen Sinn reden kann." Die beiden Mädels hatten den Durchblick, die wussten wirklich genau wovon sie reden. Schließlich waren sie schon bei ein paar Ärzte-Konzerten gewesen. In dieser Hinsicht hatten sie mir etwas voraus, ich mit meinen inzwischen 37 Jahren war noch nie bei einem Konzert der witzigen Berliner. Dabei kenne ich die Band natürlich schon seit den glorreichen 80ern, einer Zeit, als noch eine Mauer die beiden Teile Deutschlands trennte und viele hier im Publikum noch gar nicht geboren waren!

Aber gerade das junge Publikum auf dem Highfield kannte jedes gespielte Lied. Gleich schon beim Opener musste ich hingegen passen. "Der Himmel ist blau", das sagte mir als Liedtext nichts. Wovon stammte diese Zeile? Ich sollte es hinterher erfahren, der Song heißt Himmelblau und ist ein wahrer Ohrwurm! Der Himmel ist blau und der Rest Deines Lebens wird schön, jeahoh! Gerade dieses „jeahoh" schrien circa. 18 Tausend begeisterte Zuschauer mit und der Lärmpegel wurde noch höher, als sich endlich der schwarze Vorhang (Aufdruck: „Vorsicht Jazz!") lüftete und die Band zum Vorschein kam. Der semmelblonde Schelm Farin Urlaub stand vom Publikum gesehen ganz links, Bela B. trommelte in Uniform in der Mitte hinten und Rod hatte rechts Stellung bezogen und blieb dort auch die meiste Zeit, wenn er nicht gerade mit Nordic Walking - Skistöcken seine Runden zog. Einmal tauschten allerdings Farin und Rod ihre Plätze und so war mir „The Rod" zumindest kurzzeitig recht nah. Bela hielt es zwischen den Liedern jedoch meist nicht lange hinter seinen Drums, denn ihm bereitete es eine sichtliche Freude, neben Farin zu stehen und mit ihm rumzublödeln.

Eine frühe Kostprobe: „Guck mal dieses Schild! Da steht drauf: Farin, ich bin jetzt volljährig geworden. Ficken? Oder gibt es wenigstens ein Plektrum zur Entschädigung?"
Farin: „Über das Ficken können wir reden, aber ein Plektrum gibt's nich!" Rod: „Wie, Du treibst es jetzt schon mit 18 jährigen?" Farin: "Hmm, sind mir eigentlich viel zu alt! "

Bei solchen Sprüchen war es nicht sonderlich verwunderlich, dass keiner frühzeitig in sein Zelt wollte, obwohl es schon weit nach Mitternacht und zudem für die Jahreszeit bitterkalt war. Das schien Farin aber zu überraschen: „Ihr seit bestimmt nur noch da, weil es hier viel zu voll ist, um ins Zelt zu kommen. Dabei hätte das Zelt viele Vorteile, ihr könntet schlafen gehen, wir könnten auch Schluss machen und außerdem würdet ihr den Regen nicht mehr mitbekommen, der hier spätestens in 10 Minuten runtergehen wird."

„Wollt ihr wirklich noch stundenlang uns drei Schwachköpfen zuhören?" - Natürlich wollte das Publikum! Schließlich waren etliche Leute nur wegen der Ärzte überhaupt zum Highfield 2008 gekommen, da wollte man keine Minute verpassen. Und neben den Sprüchen kamen auch die meisten Lieder extrem gut an. Frühes Highlight: Hurra, das Farin mit den Worten Zuckerwatte, Big Mac, Heroin, einleitete, warum auch immer.

„Überall wo man hinguckt Liebe und Friede" heißt es in Hurra und natürlich: „Alles ist besser als es gestern war". Zweckoptimismus oder unbeschwerte Lebensfreude? Wie auch immer man den Text deutet, klar ist zumindest, dass diese Form von Ironie und trotzigem Humor nach wie vor sehr gut ankommt, vielleicht weil es die jungen Leute satt haben, immer nur mit Jammerei und Pessimismus konfrontiert zu werden. Da kommen Typen wie Farin, Bela und Rod gerade richtig. Sie vermitteln wie kaum eine andere Band Spaß, Selbstironie und eine als sympathisch empfundene „Scheiss-egal-jetzt – erst- recht- Haltung". Nicht umsonst heißt es in einem frühgebrachten Song „Du bist immer dann am besten, wenn es Dir eigentlich egal ist".

Und natürlich kommen da auch immer wieder die unzähligen Hits, die längst zu Klassikern geworden sind. Ich ess Blumen ein von Bela geschriebener Titel, war sogar mir noch ein Begriff und Textzeilen wie „die Fäkalien tun dann auch nicht mehr so stinken" sind nach wie vor urkomisch. Besonders cool war, dass sie in Ich ess Blumen das Bangles-Cover Gehen wie ein Ägypter reingepackt hatten, so dass man gleichzeitig zwei Lieder geboten bekam.

Die nächsten Sprüche:
Farin: Wird das Highfield eigentlich immer größer? Oder werden wir nur kleiner? (Bela: „Logisch, wir schrumpfen!") Die Leute gehen ja bis zu dem Stand da, „ Nudel-und Pfannengerichte", bzw, bis zu den Alkoholständen, ja sogar bis zu den Toiletten. Bela: Sehr schön beschrieben!

Kurze Zeit später:
Farin: „Bela, reicht der Applaus als Anerkennung? Oder meinst Du zu der Uhrzeit sollen wir nehmen, was wir kriegen können?" Bela: „Ich nehme doch immer, was ich kriegen kann!" Farin: „Aber Bela, Du kannst mich doch immer haben.

Und noch etwas später:
Bela: „Toll, Farin , durch Deine Anweisungen hast Du jetzt das Publikum dazu gebracht, uns auszubuhen!" Farin: Aber Du bist doch immer dann am besten, wenn die Leute gegen Dich sind, Bela." „Seit ihr gegen uns?? (er wendet sich ans Publikum) Publikum: „Jaaa!" Bela (Richtung Publikum): „Ihr seit mir ja ein paar Fotzen!"
Achso, Musik wurde auch noch gespielt, das nächste Lied, das besonders gut zog, war Deine Schuld, zu dem die Leute extrem textsicher mitsangen.

Dann aber wieder Gags:
Bela: Rod wird Euch jetzt eine neue Trendsportart vorstellen, das „Nordic Walking" (Rod latscht mit seinen dämlichen Skistöcken unter dem Johlen der Menge auf und ab). Er ist sozusagen der Kaiser dieses Sports, mein persönlicher Guru!" „Habt ihr schon einmal was von Voodoo gehört? Mein Großvater war Papst im Vatikan und pflegte zu sagen: „Urbi et orbi" Dieser Spruch war die Einleitung für das fast heavy zu nennende Kannibalen-Stück Anti-Zombie. Hinterher fragt Farin: „War das perfekt?" - Die Leute johlen. Daraufhin Bela: „Ihr Heuchler!"

Aber den Ärzten kann man einfach nichts übel nehmen, ihre lausbübige Art ist dafür schlichtweg zu sympathisch.

Die nächsten Sprüche:
Bela: So, das nächste Lied handelt von der Substanz, die ihr später in euren Zelten zu euch nehmen werdet...., ganz genau: grüner Tee!" Das Stück, das so angekündigt wurde, war natürlich Breit und traf den Zustand, in dem sich einige Leute hier befanden, mit Sicherheit genau auf den Punkt.

Danach war Zeit für „Feuerzeuge, Handydisplays, Leuchtraketen, Wunderkerzen,, Feuerspucker... (Farin), Zeit für Gemütlichkeit (Bela), Zeit für Gefühle, Zeit, dass ihr (das Publikum) hier mal die Lichtshow übernehmt. Seid nicht so geizig mit euren Handybatterien, ihr habt doch alle Strom im Zelt (Farin).

Rod: „Wollt ihr mich in eure Herzen lassen?" Bela: „Wollt ihr Rodrigo Gonzalez in eure schleimigen, kleinen Herzen lassen?" - „Wo er dann wüten kann, wie ihm der Penis gewachsen ist?!"

Was diesen versauten Worten folgte, war die Ballade ½ Lovesong (soll es das gewesen sein?), eines der wenigen von Rod geschriebenen Lieder. Es kam so eine Art Lagerfeueratmosphäre auf, es fehlte allerdings das Lagerfeuer selbst, dass bei der verdammten Kälte, die auf dem Gelände herrschte, für Wärme gesorgt hätte.

Menschliche Wärme gab es hingegen reichlich, denn nun fingen die Fans an, lautstark den Namen ihrer Lieblingsband zu skandieren. „Ärzte, Ärzte," hallte es von allen Seiten, was Farin gewohnt schlagfertig mit den Worten „Bei der Arbeit" konterte. Bela hingegen stellte sich die Sinnfage: „Wer sind diese Ärzte eigentlich?" Daraufhin Farin ganz trocken: „Na Du, Rod und icke." - Bela: „Wenn ich nicht wüsste, dass ich Dich lieb habe, würde ich Dich für 'nen Feind halten!"

Dann übernahm Farin wieder das Zepter: „So, jetzt mache ich wieder ein wenig Laola-Diktatur mit Euch", was die Fans seltsamerweise mit „Ausziehen!, Ausziehen-Rufen! beantworteten. Aber Herr Urlaub ließ sich darauf natürlich nicht ein: „Wat soll ick denn ausziehen?, etwa meine Gitarre, Du Schwachkopp?!" So sprach er und fuhr unbeirrt damit fort, dem Publikum die Laola zu erklären, was einige Zeit in Anspruch nahm. Irgendwann hatten die Leute aber dann kapiert, wie es funktioniert, bevor mit „Lass sie Reden" mit dem musikalischen Programm fortgefahren werden konnte. Den schlagerartigen Song mochte ich zwar überhaupt nicht, aber das spielte jetzt keine große Rolle mehr, zumal der Graf von Bela folgte und es somit wieder deutlich besser wurde. Selbst der Liedschreiber selbst war über die „ausgemachte Schönheit des Liedes" erstaunt und wunderte sich „wie so etwas von ihm sein könne"...

In der Folge blieb man bei den Balladen, denn es kam jetzt Nichts in der Welt (es ist vorbei), gesungen von Farin und der ein oder andere wird sicherlich an seinen letzten schlimmen Liebeskummer gedacht haben. Bela war das Ganze aber schnell zu gefühlsduselig, weshalb er hinterher trocken anmerkte: „Farin Urlaub, traurig auf Knopfdruck!" Und da Bela gerade schon beim Reden war, sang er gleich hinterher das Stück Perfekt.

Kurz nachdem dies verklungen war, ging es mit flotten Sprüchen weiter:
Farin: „Komisch, ich habe die Vermutung, dass hier mehr Männer als Frauen anwesend sind. Das ist ungewöhnlich für ein Ärzte-Konzert! Bela wir sind jetzt offiziell alt. Oder schwul, je nachdem!" Bela: Ich vermute die Damen sind alle Backstage mit den Hives...

Es folgte das wohl scheußlichste Stück des Abends, Deine Freundin, bei dem auch das Publikum wieder miteinbezogen wurde. Die Männer mussten „kuschelweich" singen, die Frauen „niedlich" und zwar möglichst hoch. Irgendwann war die „Funk-Nummer" zum Glück zu Ende und Farin lobte sich selbst : „Det war super! Oder wie der Berliner sagt, Jo, war janz jut jewesen..."

Mit den Mitmachstücken war auch danach noch nicht Schluss, zu dem Klassiker Westerland wurde die sogenannte Wellenversion einstudiert, d.h. nach dem Wort „Wellen" musste das Publikum einen deutlich vernehmbaren Zischlaut von sich geben. Ich persönlich hätte das nicht gebraucht, aber den Leuten schien es offensichtlich zu gefallen.

Viel besser fand ich Ignorama, angekündigt als: „Ein Lied für die vielen Sportler, die jetzt bei den Olympischen Spielen in China sind; einem Land in dem Folter und politischer Mord an der Tagesordnung sind. So läuft's halt in der globalisierten Welt..."

„Tod und Krieg auf der ganzen Welt, es könnt' mir nichts egaler sein.", so lautet die erste Zeit von Ignorama, das musikalisch verdammt nach den fast komplett dahingeschiedenen Kult-Punks „Ramones" klang. Und als Punks haben die Ärzte nun einmal angefangen, auch wenn sie heutzutage nicht mehr so roh klingen. Zumindest die Liedtitel sind aber immer noch rebellisch, wie Rebell belegt. Danach war mit den Worten „Bis dannemanski" Schluss. Angeblich...

Aber ich wusste ja schon von den eingangs zitierten Mädels, dass es noch munter weiter gehen würde. Die Jungs kamen zurück.

Farin: Ärzte also besser als schlafengehen, oder wie? Publikum: Jaa! Farin: „Das ist aber ein schönes Kompliment!" Bela: „Ja, das haste dir selbst gemacht." Farin: „Warum, die Leute hätten ja auch nee sagen können." Bela: „Die sagen doch immer ja! Warte, ich beweise es Dir: Ficken!" Publikum: Ja Farin: Nicht ficken? Publikum: Nöö. Farin: Siehste, sagen doch nicht immer ja.

Ohne lange zu zögern sagte ich aber laut und deutlich „Ja" und zwar zur ersten Zugabe Junge. Was für ein geiles Lied, sowohl textlich, als auch musikalisch! In dieser Form sind die Ärzte nach wie vor so gut wie früher, als sie Stücke wie das nachfolgende Ist das alles geschrieben haben.

Inzwischen war es in Hohenfelden schon sehr spät geworden, der Zeiger meiner Uhr bestätigte es mir: 1 Uhr 35! Auch deshalb fragte Farin nach, ob das Publikum noch ein weiteres Lied wolle. Wenn ja, solle es einfach sagen: „Bitte, liebe Ärzte haut ab." Die Fans taten, wie ihnen geraten wurde, was die Band prompt mit: „Danke, tschüss", konterte.

War aber selbstverständlich nur ein Gag, denn mit Unrockbar ging es munter weiter. Hierzu mussten sich alle auf den Boden setzen und immer wenn der Refrain kam aufspringen. Farin war zufrieden: „Danke schön, das hat gesessen. Ähh, das Publikum meine ich..."

Noch einmal gingen die Ärzte von der Bühne, kamen aber nach nicht allzu langer Zeit wieder, um Wir sind die Besten, den Hit Schrei nach Liebe („hey, das war ein Lied gegen Nazis, klatscht gefälligst!") und Das ist Rock 'n Roll (Gabi sagt zu Uwe, Uwe sagt zu Gabi...) zu schmettern.

Um kurz vor 2 war schließlich die Zeit für das große Finale gekommen: Klar, ich rede von der Neu - (Interpretation) des bekanntesten Ärzte Liedes Zu spät.

Der Song wurde ewig lange ausgedehnt und endete in endlosen improvisierten (?) Reimen, wobei sich Bela und Farin ständig den Ball zuspielten. Dabei ging es um Geld (Farin verriet, dass er gerne in der Forbes Liste der reichsten Personen der Welt unter den ersten Zehn sein würde), die Bankverbindungen der Bandmitglieder und die Sinnfrage: „Woraus wird Geld gemacht". Die Antwort war... "Kacke und „Bullensperma!"...

Zwischenzeitlich sinnierte die beiden aber auch über Gene Simmons, frühzeitiges Ejakulieren und andere ähnlich wichtige Themen, es war wirklich zum Schießen!

Irgendwann hatten sie fertig gereimt, suchten aber noch nach einem Wort, welches sich auf „sauber" reimte und kamen zu der kuriosen Antwort „Hubschrauber". Von da an, jubelten die Fans nicht mehr den Ärzten, sondern ihrer neuen fiktiven Lieblingsband „Hubschrauber" zu. Meine Güte, was für ein Schmarrn! Aber ein lustiger...

Das Konzert endete dann sogar noch mit einer humanen Geste: Da auf dem Highfield Festival eine Aktion namens „Viva Con Aqua" ins Leben gerufen wurde, die zum Ziel hat, Spenden für die Wasserversorgung in der dritten Welt zu sammeln, wurde das Publikum dazu animiert, seine Plastikbecher auf die Bühne zu werfen. Der Erlös aus dem Pfandgut kam dem zitierten Projekt zu gute und so hatte dann auch niemand Skrupel, die Ärzte mit den Bechern zu befeuern, zumal die drei „Feiglinge" zum Schutz weiße Bauarbeiterhelme trugen.

Wie sagte die „Beste Band der Welt" am Ende selbst so schön:
„Wir haben unseren Job wieder einmal perfekt abgeliefert." - Stimmt!

Setlist Die Ärzte, Highfield Festival, Hohenfelden:

01: Himmelblau
02: Lied Vom Scheitern
03: Hurra
04: Angeber
05: Ich ess Blumen
06: Gehen wie ein Ägypter
07: Heulerei
08: Deine Schuld
09: Anti-Zombie
10: Breit
11: 1/2 Lovesong
12: Lass sie reden
13: Der Graf (Bela)
14: Nichts in der Welt
15: Perfekt
16: Deine Freundin
17: Westerland (Wellenversion)
18: Ignorama
19: Wie es geht
20: Rebell
21: Junge
22: Ist das alles?
23: Unrockbar

24: Wir sind die Besten (Z)
25: Schrei nach Liebe (Z)
26: Das ist Rock 'n Roll (Z)
27: Zu spät (Z)







 

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