Konzert: New Order
Ort: Le Grand Rex, Paris
Datum: 11.10.2019
Zuschauer: ausverkauft, also etwa 2700
Konzertdauer: 1:40
Fotos: Foto 1 und 6 Christoph Gatschiné ©, Foto 2 und 4 Laurent Coudol ©, Foto 3 Emmanuel Foricher ©, Foto 5 Francis Lennert ©, merci beaucoup à vous !
Was hatte ich eigentlich unter all den ergrauten und faltigen Herren zu suchen? Wo kamen diesen ganzen alten Säcke her? Ich konnte mir das nicht erklären...
Psychologen würden mir wahrscheinlich sagen, dass ich eine gestörte Selbstwahrnehmung habe, dass die Diskrepanz zwischen meinem gefühlten und tatsächlichen Alter riesig sei. Denn: ich war mit hoher Wahrscheinlichkeit genauso alt und grau wie die meisten anderen hier im Pariser Grand Rex die sich zum Konzert von New Order eingefunden hatten. Da standen sie nun also mit ihren alten verwaschenen Joy Division T-Shirts und ihren Harrington Jacken und warteten darauf, dass die Vorgruppe fertig war. Ich selbst hatte auch keine Lust, mir vor New Order noch eine andere Band anzusehen, schliesslich bin ich nicht mehr der Jüngste (ach so?) und brauchte meine Energie.
Durch eine Cola Zero gestärkt betrat ich nun den Konzertsaal und liess mir von der netten Platzanweiserin meinen Sitzplatz zeigen. Das Grand Rex ist bestuhlt, denn es ist eigentlich auch ein Kino, wenn keine Konzerte sind. Angeblich das grösste Europas. Die Preise für einen dieser Sitzplätze für New Order waren gesalzen, gut 60 Euro musste man blechen, um sich dort reinflätzen zu dürfen. Allein deshalb schon verliefen sich nur wenige jüngere Leute hierhin.
Ich sass also gemütlich im Sessel und harrte der Dinge. Die Dame links neben mir las auf ihrem Handy Tennisnachrichten. Federer hatte heute verloren, für mich als Fan ein kleines Drama. Eigentlich wollte ich da gar nicht mehr dran denken, aber heutzutage ist es kaum noch möglich, Infos aus dem Weg zu gehen. Irgendjemand hat immer ein Handy mit einem grossen Display und da schaut man halt mal ab und zu drauf.
Dann erklang plötzlich Das Rheingold von Wagner. Ein schöner Beginn dieses Intro! Die Band selbst war noch in der Kabine und kam erst nach Ausklingen auf die Bühne. Erster regulärer Song war Age Of Consent, ein Klassiker von Power, Corruption and Lies. Ein wahnsinnig rasantes Stück mit eindrucksvollem Schlagzeugspiel von Stephen Morris und einem markanten Basslauf. Es gehört sicherlich zu den 10 besten Liedern von New Order. Dennoch blieb das Publikum erst einmal recht verhalten, kein Wunder, die überwiegende Mehrheit sass ja bequem im Sessel!
Es folgte Restless, der vermutlich beste und kernigste Song des letzten Albums Music Complete, mit dem New Order 2015 getourt sind. Von diesem Machwerk sollte schliesslich die Mehrheit der Lieder stammen, später auch unter anderem der starke Dance Track Plastic.
Dann überraschte mich die Band mit einem doppelten Paukenschlag in Form von zwei Joy Division Songs. She's Lost Control war schon vor dem Kinofilm Control einer meiner absoluten Favoriten und Disorder ist auch ein sehr starkes Lied. Beide bekamen New Order sehr ordentlich hin, wenngleich Barney natürlich überhaupt nicht die gleiche Stimme wie Ian Curtis hat. Er versuchte ihn erst gar nicht zu imitieren, was auch besser so war.
Das Intro von Your Silent Face klang nach Kraftwerk oder auch Cluster, bevor die Synthies einsetzten und Barney Harmonica spielte, in der Mitte dann diese irre Bass Passage, bei der Bassist Tom Chapman zeigte, dass er ein sehr ordentlicher Ersatz für Hooky ist.
Überhaupt machte die Band einen guten Eindruck, vor allem Drummer Stephen Morris beeindruckte mich mit seinem präzisen und irre schnellem Spiel. Schade, dass um ihn noch nie halb so viel Wirbel gemacht wurde wie um Barney und Hocky obwohl er schon bei Warsaw, der Vorgangerband von Joy Division, trommelte. Er hat kürzlich ein Buch herausgegeben, vielleicht macht ihn dies ein wenig bekannter.
Die zweite Hälfte des Sets war ein regelrechtes Best-Of, in der zur grossen Freude der Fans die bekanntesten Stucke der Gruppe gespielt wurden. Blue Monday, True Faith, Bizarre Love Triangle, Temptation, wir bekamen fast alle Hits geboten. Fast, denn es fehlten Klassiker wie Perfect Kiss, Crystal oder Ceremony. Die hätten sie ruhig spielen können, schließlich hatten wir hier alle viel Geld geblecht. Aber auch so kam man insgesamt auf seine Kosten, denn allein die Videoanimationen waren das Kommen wert. Normalerweise machte ich mir nichts aus Videos, die hier waren aber allesamt anregend und sehenswert. Besonders toll waren die Autofahrten, das war fast wie einem Computerspiel!
Auf der Videoleinwand "spielte auch bei den beiden Zugaben die Musik". Nicht im wörtlichen Sinne natürlich, aber man sah in verschwommenen Bildern Ian Curtis tanzenderweise, zusammen mit seinen Bandkollegen auf einer Brücke stehend, später in einem markanten schwarz-weiss Porträtfoto und schliesslich gab es den Schriftzug Forever Joy Division.
Das hatte ich 2012 schon mal live miterlebt, neu war das also nicht, aber irgendwie war ich doch recht bewegt, als ich das auf der Leinwand sah. Die Fans tanzten zu Love will Tear Us Appart noch einmal sehr ausgelassen mit und taten so als seien sie 16 und nicht 46. Teilweise schon ein wenig albern, aber was will man machen, gegen Nostalgiewallungen sind wir alle nicht gewappnet und nicht nur in meinem Falle waren New Order ein wichtiger Teil unserer Jugend. Schon toll, dass sie 2019 noch auf den Bühnen der Welt stehen und ihre Klassiker zum Besten geben!
Setlist:
Age Of Consent
Restless
She's Lost Control (Joy Division Song)
Disorder (Joy Division Song)
Academic
Your Silent Face
World
Tutti Frutti
Subculture
Bizarre Love Triangle
Fine Time
Plastic
True Faith
Blue Monday
Temptation
Decades (Joy Division Song)
Love Will Tear Us Apart (Joy Division Song)