Konzert: New Order
Ort: Ancienne Belgique, Brüssel
Datum: 17.10.2011
Zuschauer: 2.000 (nach 15 min. ausverkauft)
Dauer: 90 min
Der 9. September hat mich Jahre meines Lebens gekostet. Ab 11 Uhr sollte es Tickets für das erste von zwei Reunion-Konzerten von New Order in Brüssel geben. Die Band hat sich zu diesen ersten Auftritten nach dem Verwürfnis und Ausstieg von Bassist Peter Hook entschlossen, um Geld für ihren kranken Freund Michael Shamberg zu sammeln. Shamberg, ein amerikanischer Filmemacher, der u.a. Ein Fisch namens Wanda produziert hat, lernte New Order 1980 während eines New Yorker Konzerts kennen, freundete sich mit der Band an und wurde später Produzent vieler ihrer Videos.
Auch bei den Gründen ihres Comebacks zeigen New Order also Stil. Nicht (eigene) finanzielle Belange, die sicher bei vielen wieder aufgetauchten Bands Hauptmotivation sind (oder warum gibt es die Guano Apes und Skunk Anansie wieder?), sondern eine Herzensangelegenheit. Die Bandgründung von New Order nach dem Selbstmord von Ian Curtis, nach dem eben nicht Joy Division mit neuem Sänger weitermachten, war vor 30 Jahren schon Vorbild für würdevolles Handeln, das Comeback passt in dieses Bild.
Daß es vor dem Hintergrund des Zwecks der beiden Konzerte nicht gelang, den Streit zwischen Bassist Peter Hook und der Restband beizulegen oder zumindest auszusetzen, ist für Außenstehende traurig und schwer nachvollziehbar. Ich hatte bis zuletzt die Hoffnung, der Bassist, der den typischen New Order Klang so sehr geprägt hat, erschiene als Überraschungsgast bei den beiden Konzerten. Die gegenseitige Verbitterung ließ das aber offenbar nicht zu.
Dafür wurde Gillian Gilbert, viertes Mitglied von New Order ab 1980 angekündigt. Gilbert, die mit Joy Division- und New Order Schlagzeuger Stephen Morris verheiratet ist, war 2001 bei New Order ausgestiegen und durch Phil Cunningham ersetzt worden.
Zurück zum 9. September. Ich war gut vorbereitet. Mein Account auf der Veranstalterwebsite funktionierte, die Kreditkarte lag bereit, ich war eine Viertelstunde vor Verkaufsstart online. Um elf erschien dann das Konzert auf der Seite, auch der nächste Click machte keine Probleme. Nur als es zum Bestellen ging, erschien "Dear Client, to avoid the overload of our online sales pages we have limited the number of simultaneous buyers. At this moment, the maximum number of simultaneous buyers has been attained" - und das immer wieder. Ich weiß nicht, wie oft man F5 in zwölf Minuten drücken kann, vermutlich gab es das bei Wetten dass? schon, jedenfalls stieg meine Panik minütlich. Die rettende Idee war das Handy, über die mobile Clubseite durfte ich Tickets kaufen, nach unzähligen Flüchen über die Autokorrektur beim Eintippen der Kreditkartendaten klappte das. Puh! Als ich sofort anschließend noch einmal auf der Website des Ancienne Belgique war, war das Konzert ausverkauft. Bekanntlich springt ein gutes Pferd immer nur so hoch, wie es muß, reichte ja auch so.
Das Ancienne Belgique ist ein Kulturzentrum, das an einem der unzähligen großen Boulevards mitten in der Stadt liegt. Nach angenehm laxer Eingangskontrolle waren wir um acht im noch sehr leeren großen Saal (im kleinen spielten die tollen Yuck), in dem ein DJ versuchte, mich davon zu überzeugen, daß dies ein kurzweiliges Vorprogramm ist. Hat nicht funktioniert. Immerhin wurde das mehr als einstündige Set durch einen kurzen Film mit Arbeiten von Michael Shamberg unterbrochen, der u.a. ein Notwist Video beinhaltete.
Um neun drehte der DJ endlich seine Regler runter und überließ New Order die Bühne. Nach einem kurzen Instrumentalintro (war das Elegia?) eröffnete Crystal vom 2001er Album Get ready das Programm. Danach Regret - und meine Bedenken, der Abend könne schlimm werden, waren weg! Auch auf der Bühne sind New Order würdevoll gealtert. Bernard Sumner, ganz in schwarz, ist unbestrittener Frontmann. Neben ihm hampelte Phil Cunnigham etwas viel am Bühnenrand, während die beiden "Neuen" Gillian und Bassist Tom Chapman sich zunächst extrem zurückhielten. Vor allem bei Tom Chapman war dies auffällig. Die Aufgabe, Peter Hook zu ersetzen, bedeutete sicher einen enormen Druck. Erst am Ende traute sich der Bassist langsam nach vorne und wurde selbstbewußter. Gillian (mit sehr bunter Bluse) blieb meist hinter ihrem Keyboard und spielte (wohl) nur einmal Gitarre, nämlich beim besten Stück des Abends, bei der ersten Single Ceremony, die als drittes gespielt wurde.
Ceremony hört man an, daß das Lied noch für Joy Division geplant war. Auch nach 30 Jahren ist das Stück besser als die Gesamtwerke der meisten aktuellen Bands. Ceremony war der erste ganz besondere Moment des Abends!
Der nächste Knüller war 1963, die True faith B-Seite, die New Order laut Bernard Sumner noch nie live gespielt hätten. Ich mochte 1963 schon immer, hätte es sicher nicht auf einer Wunschsetlist aufgeführt, war aber sehr angetan - es war toll!
Von den bekannteren Singles überzeugte mich True faith ganz besonders. Obwohl eigentlich totgenudelt, war vor allem der Anfang gigantisch! Es ist wenig originell, einen der Hits besonders zu loben, True faith gehört aber zu den absoluten Höhepunkten des Abends.
Als New Order um kurz nach zehn Temptation ankündigten, war absehbar, daß das Ende nah war. Der Zeitplan war vorher veröffentlicht worden, 22.30 Uhr als Schluß angekündigt. Also hielt sich die Enttäuschung in Grenzen, daß die Band wirklich nach dem hervorragenden Stück die Bühne räumte. Genauso vorhersehbar (oder unvermeidlich) war aber, daß Blue monday fehlte, also würde es zwei Zugaben geben, die zweite wäre überraschend.
So kam es. Erst Blue monday, das mir nicht sonderlich gefiel - hier störte mich wirklich der Bass, aber auch nur hier und dann Love will tear us apart, das Joy Division Lied, daß man sich vermutlich am wenigsten gewünscht hätte, wäre man befragt worden. Im Gegensatz zum New Order Evergreen Blue monday und entgegen aller Befürchtungen während der ersten Takte, packte mich Love will tear us apart aber enorm. Trotz der rockigeren Art, trotz des lauten, mittlerweile angetrunkenen massenhaften Mitgegröhles. Auch Love will tear us apart ist würdevoll gealtert und machte so enorm großen Sinn am Ende des Sets.
Der Preis für das Erleben des Comeback-Konzerts war die mangelnde Spielpraxis der Band. Die fiel (mir) nicht während der Stücke auf, zwischendurch nervte es. Die Pausen zwischen den Liedern waren lang und nahmen immer wieder die Spannung. Wäre das Konzert strenger durchgespielt worden - auch auf Kosten der Ansagen - wäre ich vermutlich begeisterter rausgegangen. Bernards Ansagen und Kommentaren merkte man aber die enorme Freude an, die die Band hatte - und die auch mir Spaß gemacht hat. Das hatte ich bei New Order schon anders erlebt.
Meine Erwartungen vorher gingen von "Konzert des Jahres" bis zu "Riesenflop". Das Gefühl hinterher sagt: sehr guter Abend. Das Konzert des Jahres kommt dann irgendwann 2012. Bernard kündigte Gillians Anwesenheit mit "willkommen zurück bei New Order" an, das klingt doch vielversprechend!
Setlist New Order, Ancienne Belgique, Brüssel:
01: Crystal
02: Regret
03: Ceremony
04: Age of consent
05: Love vigilantes
06: Krafty
07: 1963
08: Bizarre love triangle
09: True faith
10: 5. 8. 6.
11: The perfect kiss
12: Temptation
13: Blue monday (Z)
14: Love will tear us apart (Joy Division) (Z)
Links:
- mehr Fotos von New Order in Brüssel
Auch bei den Gründen ihres Comebacks zeigen New Order also Stil. Nicht (eigene) finanzielle Belange, die sicher bei vielen wieder aufgetauchten Bands Hauptmotivation sind (oder warum gibt es die Guano Apes und Skunk Anansie wieder?), sondern eine Herzensangelegenheit. Die Bandgründung von New Order nach dem Selbstmord von Ian Curtis, nach dem eben nicht Joy Division mit neuem Sänger weitermachten, war vor 30 Jahren schon Vorbild für würdevolles Handeln, das Comeback passt in dieses Bild.
Daß es vor dem Hintergrund des Zwecks der beiden Konzerte nicht gelang, den Streit zwischen Bassist Peter Hook und der Restband beizulegen oder zumindest auszusetzen, ist für Außenstehende traurig und schwer nachvollziehbar. Ich hatte bis zuletzt die Hoffnung, der Bassist, der den typischen New Order Klang so sehr geprägt hat, erschiene als Überraschungsgast bei den beiden Konzerten. Die gegenseitige Verbitterung ließ das aber offenbar nicht zu.
Dafür wurde Gillian Gilbert, viertes Mitglied von New Order ab 1980 angekündigt. Gilbert, die mit Joy Division- und New Order Schlagzeuger Stephen Morris verheiratet ist, war 2001 bei New Order ausgestiegen und durch Phil Cunningham ersetzt worden.
Zurück zum 9. September. Ich war gut vorbereitet. Mein Account auf der Veranstalterwebsite funktionierte, die Kreditkarte lag bereit, ich war eine Viertelstunde vor Verkaufsstart online. Um elf erschien dann das Konzert auf der Seite, auch der nächste Click machte keine Probleme. Nur als es zum Bestellen ging, erschien "Dear Client, to avoid the overload of our online sales pages we have limited the number of simultaneous buyers. At this moment, the maximum number of simultaneous buyers has been attained" - und das immer wieder. Ich weiß nicht, wie oft man F5 in zwölf Minuten drücken kann, vermutlich gab es das bei Wetten dass? schon, jedenfalls stieg meine Panik minütlich. Die rettende Idee war das Handy, über die mobile Clubseite durfte ich Tickets kaufen, nach unzähligen Flüchen über die Autokorrektur beim Eintippen der Kreditkartendaten klappte das. Puh! Als ich sofort anschließend noch einmal auf der Website des Ancienne Belgique war, war das Konzert ausverkauft. Bekanntlich springt ein gutes Pferd immer nur so hoch, wie es muß, reichte ja auch so.
Das Ancienne Belgique ist ein Kulturzentrum, das an einem der unzähligen großen Boulevards mitten in der Stadt liegt. Nach angenehm laxer Eingangskontrolle waren wir um acht im noch sehr leeren großen Saal (im kleinen spielten die tollen Yuck), in dem ein DJ versuchte, mich davon zu überzeugen, daß dies ein kurzweiliges Vorprogramm ist. Hat nicht funktioniert. Immerhin wurde das mehr als einstündige Set durch einen kurzen Film mit Arbeiten von Michael Shamberg unterbrochen, der u.a. ein Notwist Video beinhaltete.
Um neun drehte der DJ endlich seine Regler runter und überließ New Order die Bühne. Nach einem kurzen Instrumentalintro (war das Elegia?) eröffnete Crystal vom 2001er Album Get ready das Programm. Danach Regret - und meine Bedenken, der Abend könne schlimm werden, waren weg! Auch auf der Bühne sind New Order würdevoll gealtert. Bernard Sumner, ganz in schwarz, ist unbestrittener Frontmann. Neben ihm hampelte Phil Cunnigham etwas viel am Bühnenrand, während die beiden "Neuen" Gillian und Bassist Tom Chapman sich zunächst extrem zurückhielten. Vor allem bei Tom Chapman war dies auffällig. Die Aufgabe, Peter Hook zu ersetzen, bedeutete sicher einen enormen Druck. Erst am Ende traute sich der Bassist langsam nach vorne und wurde selbstbewußter. Gillian (mit sehr bunter Bluse) blieb meist hinter ihrem Keyboard und spielte (wohl) nur einmal Gitarre, nämlich beim besten Stück des Abends, bei der ersten Single Ceremony, die als drittes gespielt wurde.
Ceremony hört man an, daß das Lied noch für Joy Division geplant war. Auch nach 30 Jahren ist das Stück besser als die Gesamtwerke der meisten aktuellen Bands. Ceremony war der erste ganz besondere Moment des Abends!
Der nächste Knüller war 1963, die True faith B-Seite, die New Order laut Bernard Sumner noch nie live gespielt hätten. Ich mochte 1963 schon immer, hätte es sicher nicht auf einer Wunschsetlist aufgeführt, war aber sehr angetan - es war toll!
Von den bekannteren Singles überzeugte mich True faith ganz besonders. Obwohl eigentlich totgenudelt, war vor allem der Anfang gigantisch! Es ist wenig originell, einen der Hits besonders zu loben, True faith gehört aber zu den absoluten Höhepunkten des Abends.
Als New Order um kurz nach zehn Temptation ankündigten, war absehbar, daß das Ende nah war. Der Zeitplan war vorher veröffentlicht worden, 22.30 Uhr als Schluß angekündigt. Also hielt sich die Enttäuschung in Grenzen, daß die Band wirklich nach dem hervorragenden Stück die Bühne räumte. Genauso vorhersehbar (oder unvermeidlich) war aber, daß Blue monday fehlte, also würde es zwei Zugaben geben, die zweite wäre überraschend.
So kam es. Erst Blue monday, das mir nicht sonderlich gefiel - hier störte mich wirklich der Bass, aber auch nur hier und dann Love will tear us apart, das Joy Division Lied, daß man sich vermutlich am wenigsten gewünscht hätte, wäre man befragt worden. Im Gegensatz zum New Order Evergreen Blue monday und entgegen aller Befürchtungen während der ersten Takte, packte mich Love will tear us apart aber enorm. Trotz der rockigeren Art, trotz des lauten, mittlerweile angetrunkenen massenhaften Mitgegröhles. Auch Love will tear us apart ist würdevoll gealtert und machte so enorm großen Sinn am Ende des Sets.
Der Preis für das Erleben des Comeback-Konzerts war die mangelnde Spielpraxis der Band. Die fiel (mir) nicht während der Stücke auf, zwischendurch nervte es. Die Pausen zwischen den Liedern waren lang und nahmen immer wieder die Spannung. Wäre das Konzert strenger durchgespielt worden - auch auf Kosten der Ansagen - wäre ich vermutlich begeisterter rausgegangen. Bernards Ansagen und Kommentaren merkte man aber die enorme Freude an, die die Band hatte - und die auch mir Spaß gemacht hat. Das hatte ich bei New Order schon anders erlebt.
Meine Erwartungen vorher gingen von "Konzert des Jahres" bis zu "Riesenflop". Das Gefühl hinterher sagt: sehr guter Abend. Das Konzert des Jahres kommt dann irgendwann 2012. Bernard kündigte Gillians Anwesenheit mit "willkommen zurück bei New Order" an, das klingt doch vielversprechend!
Setlist New Order, Ancienne Belgique, Brüssel:
01: Crystal
02: Regret
03: Ceremony
04: Age of consent
05: Love vigilantes
06: Krafty
07: 1963
08: Bizarre love triangle
09: True faith
10: 5. 8. 6.
11: The perfect kiss
12: Temptation
13: Blue monday (Z)
14: Love will tear us apart (Joy Division) (Z)
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- mehr Fotos von New Order in Brüssel
9 Kommentare :
Gute, aber enttäuschend kurze Setlist. Die Kurzbeschreibung klingt nicht nach einem Konzert des Jahres.
Was willst Du in 90 min erwarten?
Mir war das teilweise zu fahrig, der Zug fehlte durch die langen Pausen. Ansonsten war es prima.
Nachdem ich jetzt eine Nacht darüber geschlafen habe würde ich es jetzt doch als gut bezeichnen, abgesehen das mir der Bass Hookie doch sehr fehlte. Meine erste Begegnung mit New Order, damals auf der guten alten Loreley, bleibt aber weiter unerreicht.
Was ich in 90 Minuten erwarten will? Mehr Lieder! Jens Lekman hatte kürzlich in einer Stunde die gleiche Anzahl an Songs gespielt wie New Order. Das spricht stark für deine These der Zerfahrenheit.
@ Oliver: Bad Religion spielen in einer Stunde sogar 30 Songs :-).
Ich habe mir jetzt auf Franks Drängeln ein paar youtube-videos angesehen und war doch ganz angetan. Kann so schlecht nicht gewesen sein.
@ Katja: A Silver Mt. Zion spielen in 90 Minuten 5 bis 6 Lieder! :-)
n abend zusammen, also ich fand das ganze großartig. hab mich gefreut wie ein kleines kind, die herren und dame nochmal zu sehen. dann hauen die in einer tollen location eine greatest hits show mit 2 selten gespielten stücken raus.was will man mehr? dass new order live nicht immer sattelfest waren ist doch bekannt. ich fand die spürbare neervosität im gegenteil sehr sympathisch - das bei ner band mit nem godlike genius award ;-) also:konzert des jahres!!!
Leute! Leute, Qualitaet statt Quantitaet!! Ausserdem hat's angefangen mit Elegia (LowLife) Bevor es los ging mit Crystal, also ein song ekstra auf euer Konto.
Hi,
ich stelle fest, dass wir auch da waren und sogar auf einem der Fotos zu sehen sind (Auf dem Balkon, zweite Etage!!!)
Der Abend ist mir heute noch in Erinerung und zwar positiv.
Was die Menge der Songs angeht: The Smiths hätten in 90 Minuten etwa 40 Songs gespielt, bei einer Länge von etwa 2Min pro Song logisch! Die NO-Songs zeichnen sich eben mitunter durch epische Länge aus...
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