Konzert: Martin Kohlstedt
Ort: Deutsches Nationaltheater Weimar
Datum: 22. November 2017
Dauer: 100 min
Zuschauer: knapp 1000 (ausverkauft)
Heimat ist ein Konzept, dem ich mich immer wieder etwas verwundert nähere. Manchmal jäh geworfen und verzankt - ein andermal unerwartet geborgen und Menschen innerlichst verbunden, nur weil sie die gleiche Geburtsstadt im Ausweis zeigen. Zum Studium musste ich unbedingt weg aus der Provinzresidenz. Musste mir einen weiteren Ort heimatlich unterwerfen, wurde ein gestandener Mensch in sehr dichten Jahren. Nun ist das alles sehr, sehr lange her und im heimkommen überwiegt ein Gefühl der Dankbarkeit für das, was die kleine wunderbare Stadt dem Kind in mir so nebenbei mitgegeben hat.
Manches ist verbunden mit den lieben Menschen, den grünen Hügeln, den Flüsschen und Bächen, den Kirchen und buckligen Gassen. Vieles hängt aber an diesem markanten Gebäude am westlichen Stadtrand, wo ich in aller Selbstverständlichkeit monatlich die Staatskapelle im Konzert erlebte und das gesamte Repertoire des erstklassigen Theaters als Abo. Weil man das so machte. Musik wurde gemeinsam erlebt und in der Schule (wegen bestimmter Menschen) auch gelebt und diskutiert, zerfetzt und manches jubilierend im Herz umschlossen. Ich vergesse nicht den Tag, als ich nach so einem Konzertabend in der Schillerstraße meine erste eigene Platte kaufte.
Zu dieser wohligen Heimatsgefühlswolke zählt auch damals wie heute die magnetische Anziehungskraft meiner Heimatstadt auf die Musikanten der Welt. Entweder sie kommen als lernende oder als lehrende. Manche bleiben und erwerben sich mein Nest in Thüringen als Heimat. Und schon immer war die Wand zwischen dem was damals noch E- und U-Musik hieß besonders durchlässig und erstklassige Interpretinnen und Musiker machten hervorragend ausgebildet einfach ihr Ding. Auch provinziell verlacht (weil Weimar trägt die Nase manchmal sehr speziell), aber doch in einer Kohorte sich gegenseitig einen Rahmen schaffend.
Nun also dieser Martin Kohlstedt. Ein Nachname, wie ein Ortsname im Weimarer Umland. Jemand, dessen heimatlichen Ort ich an den Tasten sehe, weil ich erlebt habe, was da passiert, wenn er spielt. Der mich in der Kirche in Storkow vor zwei Jahren damit ganz und gar verzaubert hatte, berührt und erstaunt und so charmant eingeladen in eine Welt, die mir irgendwie vertraut schien. Auf der aktuellen Tour wollte ich ihn gern möglichst in Ruhe sehen - ohne Störer und Schubser, ganz ohne Ablenkung vom musikalischen Geschehen. Also warum nicht in "meinem" Theater, meiner kulturellen Wiege? Was sich irgendwie einrichten lassen würde. Ganz bestimmt.
Erst in der unmittelbaren Vorbereitung des Abends, als das aktuellste Album Strom in meinen Rechner floß, klebte ich auf einmal an der Adresse: wohlbekannt, 1000 mal vorbeigelaufen, Wurfweite vom Weimarer Theater. So einer also - ein dagebliebener in meiner Stadt ... Und auf einmal wurde der Abend zu einer Heimat-Sache für uns beide. Das, was aktuell auf Tonträger gebannt, musikalisch in die Welt tritt, hatte ich ohnehin als sehr innig erlebt, als Wegweisung zu einem Sehnsuchtsort. Nicht im Sinn von Eiapopeia aber als dieses Gefühl angekommen und an einem guten Ort zu sein - Heimat eben.
Im Konzert selbst war es dann neues wie älteres Material, das sich in einer nur in diesem Moment sich materialisierenden Variante existierte und uns alle beschenkte und mitriß. Eine viel größere Rolle als erwartet hatte der Kasten in der Mitte: der ohne Tasten, aber mit Reglern und Rädchen. Der durfte auch gleich am Anfang ordentlich Bums machen und ekstatisch zelebrieren, dass sich die Bühne des DNT für diesen Abend bereit gezeigt hatte. Und auch Martin Kohlstedt war bereit und glücklich. Ganz da und bei sich und zeigte uns ruhig aber doch auch mit gebotener Aufregung, wie er sein Klanguniversum entstehen läßt.
Und es gab in diesem Moment keinen besseren Ort für mich. Ein Glück, mein Fleckchen zu herzen und zu teilen mit solchen Menschen. Und das Publikum feierte das aus ganzem Herzen. Ein ganz besonderer Abend, der noch lange in mir nachklingen wird.
Aus unserem Archiv:
Martin Kohlstedt, Storkow, 22.08.15
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