Mittwoch, 18. Juni 2014

Arcade Fire, Dresden, 17.06.14


Konzert: Arcade Fire
Ort: Junge Garde, Dresden
Datum: 17.06.2014
Dauer: Arcade Fire 100 min, Owen Pallett knapp 45 min
Zuschauer: vielleicht 5.000 (offenbar fast ausverkauft)


Im vergangenen Herbst hätte ich zu gerne Arcade Fire (unter ihrem Tarnnamen The Reflektors) auf ihrer kurzen Europa-Tour gesehen. Die geheimen Konzerte waren natürlich alles andere als geheim, nur der (weltgrößte oder zweitgrößte) Online-Tickethändler rechnete nicht mit einem Ansturm und versagte amateurhaft. Ich hatte meine Karten für das Mini-Konzert bereits im Warenkorb, hatte die Kreditkartendaten eingegeben, war sogar bis zur Eingabe meines Secure-Codes auf einer externen Sparkassen-Seite gekommen und bin auf dem Rückweg zum Ausdruck der Tickets abgestürzt. Ich habe irgendwann mal in einem Sozialpsychologie-Buch über das unterschiedlich starke Maß an Verlangen nach Keksen gelesen, wenn a) keine Kekse auf dem Tisch standen und b) welche da waren, aber wieder weggenommen wurden. Das funktioniert auch mit Konzertkarten.

Vor drei Wochen waren die Kanadier dann einer der Headliner des Primavera Festivals. Ich mag die aktuelle Platte immer noch weniger als die ersten drei, sie wird aber immer besser. Das Konzert auf dem Primavera war trotzdem nach dem sagenhaft-irren Auftritt im Gebäude 9 2005 mein bestes Arcade Fire Konzert bislang.

In Barcelona gehörte Owen Pallett wieder zur Live-Besetzung der ohnehin schon großen Band. Damit schloss sich der Kreis meiner Arcade Fire Konzerte, denn auch vor neun Jahren war der kanadische Geiger Teil der Truppe. Und wie im Gebäude 9 bestritt Owen Pallett (damals jedoch noch als Final Fantasy) das Vorprogramm. Und wenn ich ganz ehrlich bin, war ich ganz froh, daß nach ihm noch eine Lieblingsband kommen würde, denn ich wäre auch nur wegen des Vorprogramms nach Dresden gefahren, das wäre aber schwerer zu erklären gewesen.

Owen Pallett hat im Mai auch sein viertes Album veröffentlicht - zwei als Final Fantasy, zwei unter seinem Namen. Und im Gegensatz zu Reflektor ist In conflict mindestens so gut wie die Vorgänger. Die neuen Stücke des Geigers, der im März für einen Oscar nominiert war, sind mit mehr Instrumenten arrangiert. Owen spielt seine Solo-Konzerte (zuletzt etwa in Berlin und Paris) auch mit Band. Ich hatte vor ein paar Jahren schon Konzerte von ihm mit Gitarristen oder mit kompletter Band gesehen, mochte aber Owens Solo-Auftritte immer am liebsten. Ihm zuzusehen, wie er mit seiner Loopmaschine die Geigenarrangements schichtweise erzeugt, hat auch beim x-ten Male nichts an Faszination verloren. Daß Owen Pallett vermutlich der talentierteste Indie-Künstler ist, beweisen nicht nur die zahllosen Kooperationen, dazu reicht eigentlich nur das erstaunte Zugucken bei einem seiner Konzerte.

In Dresden trat Owen Pallett um Punkt sieben alleine auf. Er trug noch seine Zivilkleidung, T-Shirt und Jeans (und keine Schuhe, die zieht er immer als erstes aus) und stellte sich mit seiner Geigen ans Keyboard und begann... mit keinem der neuen Stücke. E is for estranged von der mittlerweile vier Jahre alten dritten Platte Heartland war das erste Lied. Wenn ich eine Liste mit den besten Owen-Pallett-Titeln machen müsste, käme E is... wahrscheinlich nicht vor, weil ich das immer wieder vergesse. Und wenn es dann live gespielt wird, fällt mir wieder auf, was für ein Knüller der Song ist. 

Es ging weiter mit That's when the audience died vom ersten Final Fantasy Album, Midnight directives von Heartland (bestes Lied des Sets!) aber nichts Neuem!

Vor dem nächsten alten Hit (Keep the dog quiet) riss eine Saite an Owens Geige. Oh, no! Er wollte sie schnell flicken, ihm fiel aber gleichzeitig ein, daß das zu lange dauere, also lieh Owen sich (ohne fragen zu können) das Instrument von Kollegin Sarah Neufeld. "Sarah's gonna kill me!" - "Nein, das ist schon ok, ich leihe ihr meine Geige auch dauernd!" Es beschäftigte ihn aber weiter. Owen Pallett benutzt seine Geige nicht nur im klassischen Sinne, er klopf aufs Gehäuse, um Rhythmen zu erzeugen, spielt sie wie eine Mandoline oder singt in das Mikro im inneren der Geige. Mit Sarahs Instrument fühlte er sich offenbar eingeschränkt. Ob er sein Programm daran anpasste, kann ich nicht sagen, ich könnte es mir aber vorstellen. "I'm sure she is fine!"

Das nächste Lied hielt ich für ein Cover, es war aber eines der von mir selten gehörten Final Fantasy Stücke Song song song vom zweiten Album He poos clouds, das ich offenbar dringend wieder hören muß! Danach kam mit Panic at the parkade ein weiterer - ich weiß, ich langweile - Liebling, Scandal at the parkade von der wundervollen 2010er EP A Swedish love story bevor er endlich, endlich das erste neue Stück anstimmte. Daß eines (und das) noch kam, hatten wir am Einlaß mitbekommen, der sich verzögert hatte, weil Owen noch seinen Soundcheck machen musste, und den absolvierte er mit Song for five & six. Ich hätte gerne viel mehr von In conflict gehört, aber scheinbar geht das ohne Band nicht so gut, wie der Künstler das möchte. Es blieb also bei dem einem Stück, bevor natürlich sein Arcade Fire Lied (This is the dream of Win and Régine) und Lewis takes off his shirt als Abschluß folgten. Die beiden Wachleute mit "Sicherheit"-Polos mochten den weibischen Kram nicht so, mich begeisterte Owen Pallett einmal mehr! Hätte Kanada außer Kevin McKenna Fußballspieler, die so viel Talent in ihrem Job haben wie Owen Pallett in seinem, Kanada käme sicher ins WM-Halbfinale!

Setlist Owen Pallett, Junge Garde, Dresden:

01: E is for estranged
02: That's when the audience died
03: Midnight directives
04: Keep the dog quiet
05: Song song song
06: Scandal at the parkade
07: Song for five & six
08: This is the dream of Win and Régine
09: Lewis takes off his shirt

"Ich ziehe mich jetzt um, dann komme ich wieder mit Arcade Fire!"

Es dauerte eine Weile, bis dafür alles vorbereitet war. Die Ansetzung Owen Pallett 19 Uhr, Arcade Fire 21 Uhr konnte nur funktionieren, wenn der Support nur 30 Minuten dauerte, damit hatte ich gerechnet. Die zusätzliche Viertelstunde Vorprogramm war aber ein toller Preis für längeres Warten auf die Hauptgruppe! Auf der anderen Seite bedeutete dies aber bereits da, daß das Konzert kürzer als das beim Primavera Festival sein würde. Die Junge Garde ist eine in den 50er Jahren in einem Stadtpark errichtete Freiluft-Bühne, die nah genug an Wohnhäusern steht, daß Konzerte um zehn vorbei sein müssen. Der Festival-Auftritt hatte fast zwei Stunden gedauert, so viel Zeit blieb bis zum ersten möglichen Anruf bei der Polizei nicht mehr.

Der Bühnenaufbau war dem von Barcelona sehr ähnlich, auch wenn die Bühne in Dresden kleiner war. Auch die Bandbesetzung war fast identisch, es fehlte lediglich ein dritter Blechbläser. In Dresden waren zwölf Musiker auf der Bühne, zwei Bläser, zwei Percussionisten, Owen Pallett und Sarah Neufeld (Geige und Keyboard) und die sechs festen Bandmitglieder um Régine Chassagne und Win Butler. Die Musiker waren diesmal nicht einheitlich in weiße Dinge mit schwarzen Verzierungen gekleidet, nur die Tour-Mitglieder trugen diese Outfits. Die Band hatte andere Sachen gefunden, Win zum Beispiel ein güldenes Jacket, sein Bruder einen blauen Camouflage-Anzug.

Nachdem das Alufolien-Roboterwesen, das die Tour begleitet, auf der Bühne erschienen war und uns (durch einen etwas hölzern wirkenden Sprecher) auf Deutsch begrüßt hatte, kamen die zahllosen (nein, 12) Musiker auf die Bühne und begannen die Party mit Reflektor, dem besten Song des neuen Albums. 

Die Setlist glich zu Beginn der von Barcelona sehr. Mit Empty room von Reflektor wich sie erstmals ab. Das Stück von The Suburbs war neu im Set. Sehr schön!

Auf Tunnels war beim Primavera Laika gefolgt, die besten zehn Minuten des Festivals! Darauf hatte ich mich wieder gefreut, es kam aber kein Laika. Der Ersatz war allerdings auch nicht verkehrt, Win Butler stimmte Common people von Pulp an. In den letzten Tagen habe ich das Album Different class einige Male gehört, Common people gehört auch nach fast 20 Jahren noch zu meinen unbedingten Lieblingsliedern! Die Arcade Fire Version war kurz, schön, ließ aber im Publikum vor allem fregende Gesichter zurück. Erstaunlich!

Wir hatten uns vorher unterhalten, welchen deutschen Song die Band wohl covern würde und kamen auf Nena, Hyper Hyper, Can oder Wind of change. Daß es Common people sein würde, hatte ich wirklich nicht erwartet. Es war toll!


Danach ging alles furchtbar schnell! Furchtbar schnell, weil so viel auf der Bühne passierte, daß die Lieder nur so dahinflogen. Immerhin dauerte es rund 75 min, bis die Band die Bühne erstmals verließ. Es fühlte sich aber wie eine gute halbe Stunde an. Neben all den anderen Knüllern überzeugt mich Sprawl II live immer mehr. Vermutlich ist das eines der besten, vielleicht das beste Livestück der Kanadier. Aber auch Ready to start, No cars go und wie sie alle heißen, kamen toll an!

Bei Afterlife hatte sich das Alumonster auf ein Podest vor dem Mischpult gestellt. Für uns in den ersten Reihen bot sich ein tolles Bild mit den Zuschauermengen hinter der lebenden Discokugel. Bei It's never over übernahm Régine seinen Platz uns lieferte sich mit Win ein Duett, das schon ein wenig an Kleine Taschenlampe brenn' (das ich mag!) oder Stella Maris erinnert. Dazu erschien Régines Gesicht auf der Leinwand, es ist ein wirklich schöner Moment, dieses Duett!

Bevor die Band wieder auf die Bühne kam, liefen die Doppelgänger mit den großen Köpfen auf. Der Papst fehlte, im protestantischen Osten passte der vielleicht nicht. Stattdessen führte eine Figur mit Bildschirmen als Kopf, auf denen das Gesicht von David Bowie zu sehen war. Bowie sang seine deutsche Version von Heroes. Danach waren Arcade Fire wieder bereit und coverten jetzt wirklich einen deutschen Song, Sexy von Westernhagen. Sie nennen dieses Bluesstück Normal person - und ich mag es mit Abstand am wenigsten von allen gespielten Liedern. Rebellion (lies), Here comes the nighttime und Wake up entschädigten aber dafür und bildeten einen sagenhaft guten Abschluß im Konfetti-Regen.

Der Abend gefiel mir außerordentlich gut. Hätte ich die Band nicht vor zwei Wochen noch eine Ecke besser gesehen, wäre das vermutlich das Konzert, an das ich mich in Jahren noch erinnern werde. Mein Frust, die kleinen Auftritte im Herbst nicht gesehen zu haben, ist wieder ein kleines Stückchen kleiner geworden.

Setlist Arcade Fire, Junge Garde, Dresden:

01: Reflektor
02: Flashbulb eyes
03: Neighborhood #3 (Power out)
04: Joan of Arc
05: Empty room
06: The suburbs
07: Ready to start
08: Neighborhood #1 (Tunnels)
09: Common people (Pulp Cover)
10: No cars go
11: Rococo
12: My body is a cage (kurz)
13: Afterlife
14: It's never over (Hey Orpheus)
15: Sprawl II

16: Normal person (Z)
17: Rebellion (lies) (Z)
18: Here comes the nighttime (Z)
19: Wake up (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
- Arcade Fire, Barcelona, 29.05.14
- Arcade Fire, Luxemburg, 26.06.11
- Arcade Fire, Wiesen, 22.06.11
- Arcade Fire, Düsseldorf, 29.11.10
- Arcade Fire, Paris, 29.08.10
- Arcade Fire, Paris, 05.07.10
- Arcade Fire, Paris, 24.08.07
- Arcade Fire, Köln, 22.08.07
- Arcade Fire, Nimes, 22.07.07
- Arcade Fire, Paris, 20.03.07
- Owen Pallett, Paris, 11.12.12

- Owen Pallett, Düsseldorf, 26.05.12
- Owen Pallett, Eindhoven, 11.11.11
- Owen Pallett, Köln, 23.06.11
- Owen Pallett, Paris, 22.02.11
- Owen Pallett, Eindhoven, 18.02.11
- Owen Pallett, Paris, 01.06.10
- Owen Pallett, Barcelona, 28.05.10
- Owen Pallett, Frankfurt, 15.03.10


Schlechte Fotos folgen. Bessere hat vermutlich der örtliche Veranstalter.





4 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Common People war ein Gruss an Steve Mackey von Pulp, der vor der Show und nachher Platten aufgelegt hat.

Christoph hat gesagt…

Das hatte ich überhaupt nicht kapiert! Danke!

Anonym hat gesagt…

Feines Resümee des Garde-Konzertes. Danke für die Hintergrundinfos und die Setlist.
Der Gig aus meiner Sicht - einfach großartig !!!
Was (wie auf jedem Konzert)nervte, waren die Alkoholsüchtigen, die sich 5...6 Halbe reinpfeifen und alle paar Minuten zum Pinkeln rennen ...
Grüße
-firlie-

Anonym hat gesagt…

Soll das mit dem angeblichen Westernhagen-Cover ein Witz sein, oder warum ist dies hier die einzige Stelle im Internet, wo man diese Verknüpfung behauptet?

 

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