Freitag, 20. Juni 2014

Violent Femmes, Brüssel, 19.06.14


Konzert: Violent Femmes
Ort: Ancienne Belgique, Brüssel
Datum: 19.06.2014
Dauer: 95 min
Zuschauer: gut 1.500


"warning: if the following record album didn’t change your life, ignore this blog. my enthusiasm will make no sense to you" (Amanda Palmer)*



Violent Femmes änderte weder meine Berufswahl, meine Essens-, Frauen- oder meine Sportmannschaften-Vorlieben, Violent Femmes prägte aber meinen Musikgeschmack wie kaum eine andere Platte und rette mich aus den Klauen der Radio-Belanglosigkeit. Und damit änderte sie mein Leben.


Die Band dazu hatte ich weder in den spätern 80ern noch danach sehen können. Einmal war es knapp. Vor gut zehn Jahren spielten die Amerikaner ein Konzert in London als ich dort war. Das Konzert war ausverkauft und die Gewissheit, sie irgendwann später zu sehen, verhinderte einen teuren Schwarzmarktkauf. 2009 lösten die Violent Femmes sich auf, meine Chance schien dahin. Umso schneller reagierte mein Abzugsfinger, als vor einigen Monaten ein Konzert in Brüssel angekündigt wurde. Nein, nicht noch einmal!


Und so standen wir trotz des England-Spiels an einem Donnerstagabend im AB in Brüssel und waren gespannt. Ich hatte mir bis zum Nachmittag keinerlei Livevideos angeguckt. Ich wollte auf alle Fälle fahren und nicht durch Bilder von miesen Auftritten genötigt werden, zu Hause bleiben. Ich hatte auch nichts gelesen, keine Setlisten angeguckt und war vollkommen unvorbereitet - als Selbstschutz. Lediglich in ein Video von einem Auftritt der Dresden Dolls "mit Freunden", das ich am Nachmittag geschickt bekommen hatte, hatte ich reingesehen. Der Konzertmitschnitt aus Tasmanien entpuppte sich als gemeinsamer Auftritt von Dresden Dolls und Violent Femmes mit Amanda Palmer am Mikro, bei dem die erste Platte komplett gespielt wurde. Am anderen Ende der Welt.


Fünf Minuten vor dem angekündigten Beginn betraten Gordon Gano, Brian Ritchie und Dresden Dolls Schlagzeuger Brian Viglione die Bühne, begleitet von John Sparrow auf einer Kistentrommel.

"When I'm out walking I strut my stuff and I'm so strung out" - wie oft habe ich diesen Plattenbeginn gehört! Mit den ersten Takten war das Konzert großartig! Meine Befürchtungen, die alten Männer könnten es versauen, waren sofort weg. Blister in the sun war live genauso aufregend wie auf Platte und wurde frenetisch gefeiert (und mitgegröhlt)! Bei Kiss off und spätestens dem nachfolgenden Please do not go war auch mein Tasmanien-Neid weg. Die Violent Femmes spielten gerade ihr Debüt komplett und chronologisch. Der Abend würde so viel besser werden als nur keine Enttäuschung!



Der ruhig und seriös wirkende Sänger Gano, der rumtigernde Hippie Ritchie, anfangs mit Hütchen und meist mit akustischem Bass und der viel jüngere Viglione, der das abgespeckte typische VF-Schlagzeug ohne Bassdrum bediente, dabei oft extrem überqualifiziert wirkte und dies mit besonders viel Elan ausglich - es war ein sagenhaft intensives (dämliches Musikjournalisten-Wort, zu dem mir keine gute Alternative einfällt) Erlebnis. 


In der Mitte von Confessions kamen fünf weitere Musiker auf die Bühne, bewaffnet mit recht nerdhaften Blasinstrumenten. Geleitet wurde die Gruppe vom Stooges-Saxophonisten Steve Mackay. Brian Ritchie spielte zu Confessions eine riesige Holzflöte.


Bis To the kill sagten sie Musiker nichts. Daß auch das drittletzte Stück des Albums euphorisch gefeiert worden war, erstaunte Gordon Gano. "Nobody likes this song. But you like ist."

Zu Gone daddy gone ging Brian Ritchie ans Vibraphon. Ich bin nicht ganz sicher, ob er alles dabei live spielte, es klang zu perfekt. Aber da der Rest des Konzerts so brillant war, liege ich mit diesem Verdacht vermutlich falsch. Seinen Basspart spielte währenddessen einer der anderen Musiker.

Zu Good feeling griff Gordon erstmals zur Geige, die er aber meist als Ukulele spielte. 



"Das war unser erstes Album. Wir haben nämlich vor 31 Jahren unser erstes Konzert in Europa in Brüssel gespielt!"



Ich war nicht ganz sicher, wie weit ich die Band in den 90ern verfolgt hatte. Irgendwann hatte ich sie aus den Augen verloren und neue Platten nicht mehr gehört (warum auch, das Debüt würde ja eh nie mehr erreichbar sein). Die ersten vier Alben kannte ich, zwei, drei und vier hatte ich aber sicher seit 20 Jahren nicht mehr gehört. Trotzdem kannte und erkannte ich fast alles. Dieses "ach, genau!"-Erlebnis, das so typisch für solche Konzerte alter Lieblinge ist.



Der zweite Konzertteil begann mit dem umjubelten Jesus walking on the water, bevor Gordon sich ein Banjo umschnallte und den Country death song ankündigte. "Halt! Sie kennen das schon, wir müssen das nicht spielen!" Er stimmte es trotzdem noch einmal an, er habe schließlich sein Banjo extra aus Banjoland mitgebracht.

Aus der zweiten Konzerthälfte ragten neben Hallowed ground das ewig lange Gimme the car heraus. Da Schlagzeuger Brian in der Mitte des Stücks nichts zu tun hatte, tanzte er einmal quer über die Bühne. Natürlich habe ich den alten Drummer nie live erlebt, der Dresden Dolls Trommler war aber solch ein Knüller, daß mir dieser Verlust nicht auffiel.

American music bildete nach extrem kurzweiligen 90 min den Schlußpunkt. Man müsse um halb elf aufhören. Daher gab es auch nur eine Zugabe, die es aber in sich hatte.  Gorden klimperte ein wenig auf der Geige rum und niemand erkannte etwas. Irgendwann wurde daraus der Beginn von Blister in the sun. Das erste Stücke würde auch das letzte sein, allerdings in einer alternativen Version. In einer schlechteren. Aber da die andere ja auch gespielt worden war, war es ein Gewinn!

"Do you like american music?" - Wenn sie so ist unbedingt! Es war ein berauschendes Konzert und nicht bloß ein nicht-peinlicher Altherren-Gig. Dazu das glücklich mitsingende Publikum... Wenn das Hören einer Platte vor 25 Jahren dazu führt, heute solche Abende zu erleben, dann war sie wohl offenbar lebensverändernder, als man das einem Brocken Vinyl zutraut. Aber hört ihr (die ihr das ohnehin nicht lest) ruhig weiter alle Revolverheld und James Blunt! Veränderung ist ja auch irgendwie Mist.

Setlist Violent Femmes, Ancienne Belgique, Brüssel:

01: Blister in the sun
02: Kiss off
03: Please do not go
04: Add it up
05: Confessions
06: Prove my love
07: Promise
08: To the kill
09: Gone daddy gone
10: Good feeling

11: Jesus walking on the water
12: Country death song
13: Hallowed ground
14: Life is an adventure
15: Old mother Reagan
16: Freak magnet
17: Gimme the car
18: Black girls
19: I held her in my arms
20: American music

21: Blister in the sun (anders) (Z) 

* gleiches Album, anderer Blogeintag. Hier nachzulesen!


 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates