Konzert: Sharon van Etten
Ort: La Maroquinerie, Paris
Datum: 24.05.12
Zuschauer: etwa 250
Konzertdauer: ungefähr 80 Minuten
Am Ende zog die attraktive New Yorkerin Sharon van Etten dann doch ihre sexy schwarzen High Heels aus und kam zu den Zugaben mit bequemen ungeschnürten Boots zurück. "I tried to be cool, but I'm not", kommentierte sie die Szene schmunzelnd. In der Sache stimmte das natürlich nicht, denn sie ist natürlich saucool und vor allem war sie besonders heute abend in Paris höllisch sexy! In ihrem engen Bleistiftrock und mit den schwarzen Pumps sah sie wirklich umwerfend aus!
Aber lassen wir es mit diesen Anmerkungen zu den Äußerlichkeiten gut sein, denn ansonsten wirft man mir wieder vor, ich würde Musikerinnen nur auf ihr Aussehen reduzieren. Wäre im Fall von Sharon van Etten auch ein Skandal, denn ihr Konzert in der Pariser Maroquinerie war wirklich fabelhaft, Highheels oder enge Röcke hin oder her. Sie und ihre Band fanden die richtige Balance zwischen ruhigeren und rockigeren Phasen, zwischen Folk und Rock und zwischen reduzierter und etwas opulenterer Instrumentierung. Phasenweise wurde mit zwei E-Gitarren und einem Bass angegriffen (so bei Serpents, dem Knüller schlechthin), aber das war eher die Ausnahme, denn auch die Akustische kam immer wieder zum Einsatz.
Highlight war ohnehin die Stimme von van Etten, die sie so berührend und authentisch einsetzte, daß einem das Herz klopfte. Man fühlte in den Schwingungen jeden Schmerz, jede Enttäuschung, jeden Liebeskummer, den sie erlebt hat. Das war wahnsinnig intensiv und ungefiltert, obwohl Sharon während der ersten zwanzig Minuten mit dem Sound nicht zufrieden war und erklärte, sie könne sich selbst nicht hören. "Sorry for being a bitch by saying that" entschuldigte sie sich aber gleich dafür, dem Soundmenschen eine Rüge erteilt haben zu müssen. In der Tat war die Aussteuerung anfänglich nicht ganz optimal, ohne jedoch katastrophal gewesen zu sein. Im zweiten und dritten Drittel lief aber alles störungsfrei ab und der Auftritt wurde immer besser und emotionaler. Wie schon beim Gig im Point Ephémère hatte ich das Gefühl, van Etten habe Tränen in den Augen. Jedenfalls verrieten ihre hübschen Sehorgane, daß sie das Ganze nicht kalt ließ. Es lag ein schöner Schimmer auf ihren Augen, ein ganz besonderer Glanz, der die Verletzlichkeit ihres Wesens auf faszinierende Weise dokumentierte. Manchmal gab sie auch ein wenig von ihrem Innenleben preis, als sie zum Beispiel erzählte, daß sie kürzlich weinend bei ihrer Mutter angerufen habe, um sich dafür zu entschuldigen, daß sie so eine schwierige Tochter sei ("the worst daughter in the world" wie sie selbst dramatisch überspitzt sagte) und ihr so viele Probleme bereite. Aber ich glaube ihre Mutter wird ihr immer wieder verzeihen, denn wer kann schließlich einem solchen Mädel widerstehen?
Die Zuschauer in der Maroquinerie jedenfalls nicht. Die hingen fast 90 Minuten lang an ihren rot geschminkten Lippen, guckten entzückt wenn ihre Lieblingslieder gespielt wurden und gingen gut mit. Es herrschte eine angenehme, herzliche Stimmung und es war weder zu voll noch zu leer, so daß man die Show wirklich voll und ganz genießen konnte.
Viele starke Songs versüßten mir den Abend. Das treibende Peace Signs zum Beispiel, oder die wundervolle Ballade Kevin's, das herzerwärmende Give Out (toll die Gitarrenarbeit ihres lockenköpfigen Mitmusikers und der Backgroundgesang von Heather Woods Broderick) und in ganz besonderem Maße Leonard. Wie ihre Stimme beim Refrain "well, well I am bad, well, weeel, hell I am bad at loving" fast brach, das war schon ein sehr emotionaler Moment.
Kurze Zeit später räumte das rockigste Stück Serpents dann erwartungsgemäß ab und dies war wirklich der einzige Moment, wo man wirklich an The National (der Bass, das Schlagzeug!) erinnert wurde, mit denen (bzw. derem Gitarristen Aaron Dessner) Sharon auf ihrem letzten Album Tramp zusammengearbeitet hatte.
Gegen Ende des offiziellen Sets kam dann das nebulöse I'm Wrong, das zwar schön war, aber doch zu lange ausgedehnt wurde und ein wenig die Spannung zusammensacken ließ. Es glitt übergangslos in das ähnlich milde Joke Or A Lie. Ich persönlich hätte mir zwei knackigere Stücke zum (freilich vorläufigen) Schluß gewünscht. Der Wunsch nach Knackigkeit wurde aber mit dem fetzigen Don't Do It bei den Zugaben zur Genüge erfüllt. Toll, wie Heather Woods Broderick hierbei das Tambourin knallen ließ. Die Melodica Fans kamen ihrerseits bei Love More auf ihre Kosten, bei dem der Gitarrist in das (vermeintliche) Kinderinstrument bließ und eine feierliche Seemannsstimmung aufkommen ließ. "You chained me like a dog in our room" sang Sharon hierzu und hatte längst die High Heels gegen die Boots ausgetauscht. Selbst in diesen ausgelatschten Dingern sah die Amerikanerin blendend aus. Aber ich wollte mich ja nicht mehr zu Äußerlichkeiten äußern, erwähne aber an dieser Stelle noch kurz, daß die Künsterin auf eine Nachfrage aus dem Publikum hin, ausführlich ihre Tattoos auf den Armen erklärt hatte.
Merkt euch einfach: Sharon van Etten macht durfte Musik und gibt klasse Konzerte!
Setlist:
01: All I Can
02: Warsaw
03: Save Yourself
04: Kevin's
05: Peace Sign
06: Give Out
07: Magic Chords
08: Ask
09: I Wish I Knew- Van Etten Solo
10: Serpent's
11: I'm Wrong
12: Joke Or A Lie
13: For You
14: Don't Do It
15: Love More
Aus unserem Archiv:
Sharon van Etten, Paris, 02.03.12
7 Kommentare :
Sehr klasse. Das Berlin-Konzert war auch sehr schön. Würde mich nicht wundern, wenn sie auch irgendwann nach Berlin ziehen würde - mit Julie Peel in eine WG :)
Ich bin für Reize von Musikerinnen zwar auch empfänglich und möchte beim Hören mancher zarten Frauenstimmen, die männliche Schulter zum Ausheulen bieten (ohne Hintergedanken wohlgemerkt), aber gerade bei Sharon Van Etten käme ich eigentlich nicht auf die Idee, mich mit einem Bleistiftrock (wie sieht so einer eigentlich aus?) zu beschäftigten. Van Etten habe ich noch nicht live gesehen, aber die Persönlichkeit ihrer Songs ist für mich über alle Maßen bewundernswert. Weiß eigentlich keine Singer-Songwriterin der letzten 5 Jahre, die mich nur annähernd so begeistert. Für mich durchaus eine neue Joni Mitchell, eine, die zukünftig ruhig noch das eine oder andere musikalische Experiment wagen darf. Ach ja, Tramp ist großartigst, allein ein zweites Don't Do It fehlt.
Hallo SomeVapourTrails,
Das ist eben der Punkt, du hast sie noch nicht live gesehen. Beim Hören der Musik im stillen Kämmerlein zu Hause, kämst du ja auch nicht auf die Idee, Sharon nach der Bedeutung ihrer Tattoos zu fragen, wie das eine Zuschauerin in Paris tat, oder? Sharon freute sich übrigens enorm über diese Nachfrage.
Live rückt eben auch das Erscheinungsbild der Künstler in den Mittelpunkt, es geht nicht nur um das laute Anhören einer CD. Und der enge Bleistiftrock (wie der aussieht, siehst du ja jetzt auf den Fotos, ansonsten kennst du ihn von Hitchcock Filmen) und die Highheels waren ein wunderbares Bekenntnis zur Feminität von Sharon. Sie wollte eben ausdrücken, daß auch eine eher burschikose, erdige und authentische Person als Frau wahrgenommen werden möchte. Wir Deutschen haben da ja wie in vielen Dingen ein verkrampftes, nahezu verklemmtes Verständnis. Ein sexy Look wird sofort mit billiger Musik assoziiert, verrucht darf nur Lady Gaga sein, Folkrockerinnen müssen bodenständig rüberkommen.
Der Look von Sharon war ein spannender Gegensatz zu ihrem unverkrampften,wilden Auftreten und deshalb besonders erwähnenswert. Auch Scout Niblett hatte die Leute vor ein paar Jahren mal mit Röckchen und feinen Schuhen überrascht, wo sie doch sonst so oft mit Bergsteigerstiefeln und Rettungsweste ankam.
An Joni Mitchell erinnert mich van Etten nicht, da würde ich eher Erica Buettner, Rachael Dadd, Sharon Krauss oder andere nennen. Und Tramp ist wirklich sehr gelungen, aber ich ziehe immer Livedarbietungen Musik aus der Konserve vor.
Rückt das Erscheinungbild des Künstlers live tatsächlich auch in den Mittelpunkt? Wäre schade, wenn es so wäre, denn der Künstler sollte nur bedingt vor sein Werk treten und dem Hörer dadurch die Sicht nehmen. Bei einem Vortrag von Einstein ging es ja den Zuhörern wohl auch eher um das Verstehen der Theorien und weniger um die Belustigung über ein kauziges Auftreten.
Folk ist Lebensgefühl und erzieht wie jedes Lebensgefühl eben auch zu einer gewissen Konformität, beispielsweise in Kleidungsfragen. Man kann davon abweichen, wird dies aber in der Regel vielleicht eben auch als Anstrengung empfinden. Feminität drückt sie ja auch nicht im Tragen des kleinen Schwarzens oder hochhackiger Schuhe aus. Unter diesem Gesichtspunkt ist ein erdigeres Auftreten keineswegs unfeminin.
Mein Vergleich mit Joni bezog sich eher auf das kreative, erzählerische Potential, weniger auf die Stimme oder einzelne Songs an sich.
Nun ja, live sieht man den Künstler eben, es sei denn man hat die ganze Zeit die Augen geschlossen.
Der Künstler tritt nicht vor sein Werk, sondern es ergibt sich im Idealfall eine Symbiose zwischen Künstler und Werk. Man erhält ein Gesamtbild, das ist ja das Schöne.
Um Einstein und Naturwissenschaften geht es uns hier nicht, da musst du unsere Einleitung zu "über uns lesen": "Musik ist für uns Spaß und keine Wissenschaft." Insofern plädiere ich auf mein Recht auf Entertainment und möchte auch nicht jedes Wort auf die Goldwage legen.
Außerdem gilt natürlich auch nach wie vor der Satz "Sex, Drugs und Rock'n Roll, zumindest für mich.
Wenn ein Look sexy ist, nehme ich mir raus, das auch so zu sagen.Und Highheels sind nun mal sexier als Socken wie bei This Is The Kit, die auch natürlich trotzdem liebe.Ich mag auch den natürlichen Look sehr. Das geht beides für mich und stellt keinen Widerspruch dar.
Und das wichtigste Lebensgefühl des Folk ist die Freiheit und eben nicht die Konformität. Ich glaube da hast du was falsch verstanden.
Oliver, ich könnte schwören, dass du meinen Kommentar in den falschen Hals bekommen hast. Der war nicht als Kritik gedacht, eher schon von Verwunderung geprägt. Nur so kann ich es mir erklären, dass wir uns hier in der Wolle liegen.
Zu deinen Argumenten: Natürlich nimmst du Musik ernst, ist sie mehr als nur Spaß, sonst gäbe es diesen Blog nicht. Und natürlich erziehen Lebensgefühle auch Konformität an. Hippies wollten auch frei von Zwängen sein, deshalb legten sie den Schlips ab oder verabschiedeten sich kollektiv von toupierten Haaren. Und sahen plötzlich erst recht wieder innerhalb ihrer Gruppe sehr gleich aus.
Nun ja, auch ich war über den Look von Sharon verwundert. Nur das wollte ich in dem Bericht anfänglich kurz erwähnen. Das darüber eine solche Diskussion entbrannt ist, ist irgendwie sehr amüsant.
In der Wolle liegen müssen wir uns nicht, in der Sache sind wir uns ja einig: Sharon ist großartig!
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