Donnerstag, 3. Mai 2012

Chelsea Wolfe, Trier, 02.05.12

Konzert: Chelsea Wolfe
Ort: Exhaus, Trier (kleiner Saal)
Datum: 02.05.2012
Zuschauer: vielleicht 80 (recht voll)
Dauer: Chelsea Wolfe knapp 60 min, Pretty Lightning gut 35 min


Im 3. Jhd war Trier unter Kaiser Konstantin dem Großen zeitweilig eine von vier Hauptstädten des Römischen Reichs und erlebte eine Blütezeit, von der die Stadt heute noch profitiert. Daß 1.700 Jahre später Prince im Moselstadion auftrat, kann auch nur daran gelegen haben, daß der Veranstalter etwas von Hauptstadt, Kaiser und einem Stadion genuschelt hat und das Management des Amerikaners, das in europäischer Geschichte in der Highschool gefehlt hatte, das geglaubt hat. 

Der Tobsuchtanfall des Künstlers, der da, wenn ich mich richtig erinnere, gerade TAFKAP hieß, soll jedenfalls legendär gewesen sein, als er im "Stadion" der Römischen Hauptstadt ankam und gemerkt hat, daß man ihn in die tiefste Provinz gebucht hatte. Ob man heute noch mit gleichen Methoden Künstler an die Mosel schanghaien muß, weiß ich nicht. Chelsea Wolfe schien freiwillig gekommen zu sein. 

Das Exhaus liegt direkt gegenüber vom Princeschen Moselstadion. Das - das Stadion, nicht das Jugendzentrum - erlebte seine Glanzzeit 1998, als die dort ansässige Eintracht im DFB Pokal Schalke und Dortmund ausschaltete, die beide im Sommer davor einen Europapokal gewonnen hatten. Der (Ur-)Trierer Spieler Rudi Thömmes war nach einem dieser Spieler in der Sportschau und grüßte in breitestem Trierisch seine Kollegen, die gerade "im Saaagreb" feierten, einem Kroaten direkt neben dem Exhaus. Eine verdammt geschichtsträchtige Gegend rund um den Laden, in dem die Kalifornierin Wolfe heute auftrat. Ich habe in meinem Leben ein Konzert im Exhaus gesehen, die Toydolls irgendwann Anfang der 90er Jahre, im vollkommen überfüllten großen Saal des Kulturzentrums. Der heutige Raum lag daneben, war auch ein Keller, vielleicht knappe 100 qm groß und roch eklig moderig. Er war noch nicht voll, als das zweiköpfige saarländische Projekt Pretty Lightning auftrat. 

Schlagzeug und Gitarre war die Instrumentierung des Duos, psychedelischer Bluesrock der Output. Mit bluesigen, wabernden Gitarren kann man mich jagen. Es war also nichts für mich, auch wenn die selbstgebastelte Gitarre beim ersten Stück toll aussah (bald gibt es ja wieder Yps-Hefte, diesmal mit Zielgruppe Männer zwischen 35 und 40 - ob es da auch mal eine E-Gitarre als Gimmick gibt?). 

Chelsea Wolfe stammt aus Kalifornien und wurde heute von drei Musikern begleitet. Bevor sie aber starten konnte, mussten massive technische Probleme ausgeräumt werden. Chelseas Mikros klangen beim Soundcheck grausam knisternd, die Effekte mussten umgestöpselt werden, einer wurde ganz abgeklemmt, es knirschte immer noch. Erst als die beiden Mikroständer neu aufgebaut wurden, war der Klang zumindest so weit tragbar, daß das Konzert beginnen konnte. Aber es klappte auch in der Folge vorne und hinten nicht. Chelsea konnte ihre Stimme während des ganzen Konzerts nicht über die Monitorboxen hören, sang quasi blind. Dafür schlug sie sich extrem souverän, das Konzert hörte sich überraschend gut an. Es gab immer wieder Rückkopplungen, die nicht vorgesehen waren, häufige Bitten, mehr dies oder das auf die Monitore zu spielen. Als das ausblieb, reagierte die Band erstaunlich professionell und ließ sich kaum anmerken, wie unglaublich nervig dieser Auftritt für sie war. Ich hatte fest damit gerechnet, daß das Konzert vorzeitig beendet werden würde, die Band zog das geplante Programm aber tapfer durch. 

Dabei hängt Chelseas Musik stark von gutem Sound ab. Das mag komisch klingen, weil rohe, düstere Lieder sich ja ohnehin oft dumpf anhören. Wenn man sich die Stücke von Chelseas letzter Platte aber einmal akustisch vorzustellen versucht, merkt man, wie wichtig ordentlicher Hall und andere Effekte sind. Und wieso die Sängerin zwei Mikros auf der Bühne braucht. "Most likely to scare your arse," beschreibt der Guardian Chelseas Musik (oder war es Chelseas Vorbereitung auf ein mögliches Elfmeterschießen in München?). 

Mir macht Musik im Stile von PJ Harvey oder endsiebziger Punk keine angst, mich fasziniert sie. Und solche Momente gab es durchaus während des Auftritts der Amerikanerin. Sensationell war zum Beispiel Feral love (ich denke, daß es so heißt), das vorletzte Stück des regulären Sets. Zu Chelseas Gesang kam da ein Schlagzeug, das sich wie starker Regen oder Hagel auf einem Blechdach anhörte. Wenn es über dem Gebäude 9 oder der Live Music Hall regnet, klingt es so. Auch Noorus war ein großer Höhepunkt und wahrscheinlich das beste Lied des Abends. Aber auch der Punk-Beginn taugte sehr viel. Bei Movie screen hörte sich Chelsea Gesang nicht an, als stamme er von einer Stimme, er klang, als komme er von einer weiteren Gitarre. Auch das gefiel mir ganz besonders! Obwohl dem Konzert jeder Fluß fehlte, weil zwischen die Liedern immer Korrekturen versucht wurden, war es ein sehr guter Abend. Die Probleme der Band waren nicht gespielt, man merkte ihnen die immer verzweifelteren Versuche an, etwas auf der Bühne zu retten. Mal wurde das Keyboard nach hinten gebaut, mal verkabelte der Gitarrist seine Pedale während eines Songs neu (bei Widow), immer wieder fragte Chelsea, ob wir sie hören könnten. Erstaunlicherweise hörte es sich aber vor der Bühne nicht anders an, als ich es vorher erwartet hätte. Wer hinten im muffigen Keller stand, konnte den Eindruck gewinnen, es sei alles normal. 

Ich möchte Chelsea Wolfe gerne noch einmal weniger widrig sehen, weil ihre Musik toll ist! Auf der anderen Seite passen ein stinkender Keller und ein verfluchter Bühnenaufbau ja auch ganz gut zu ihrer Musik. 

Setlist Chelsea Wolfe, Exhaus, Trier (noch ungeprüft): 

01: Movie screen 
02: Demons 
03: Mer 
04: Tracks (tall bodies) 
05: Noorus 
06: Moses 
07: Widow 
08: Ancestors (?) 
09: Feral love 
10: Pale on pale 

11: Halfsleeper (Z) 


Links:
 

- Chelsea Wolfe, Paris, 08.03.11


1 Kommentare :

Guido hat gesagt…

Nur schade das ich Chelsea Wolfe jetzt und für alle Zeit immer mit diesem modrigen Geruch in Verbindung bringen werde.
Ich kann ihn noch förmlich riechen.

 

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