Konzert: Other Lives & The Magnetic North
Ort: Brotfabrik, Frankfurt
Datum: 27.03.2012
Zuschauer: ganz gut gefüllt
Dauer: Other Lives gut 60 min, The Magnetic North 33 min
Angenommen, ein deutscher Sänger hörte plötzlich Stimmen, die ihm einflüsterten, er müsse sofort einen Liederzyklus über seine Heimat schreiben, über die Eifel vielleicht, über Baden oder das Vogtland. Mit ein paar Freunden ins Gartenhaus der Eltern, eine Aufnahmesession am alten Baggersee und eine mit dem Männergesangsverein des Nachbardorfs, fertig! Nur würden wir niemals über über solch ein Projekt berichten, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen* kann, wie eine solche vertonte Heimatliebe anders als scheußlich sein könnte.
Trotzdem habe ich mir so etwas heute angesehen - und war begeistert. Die Geschichte spielt allerdings eine Ecke weiter nördlich, ganz im (von London aus) magnetischen Norden Großbritanniens, auf den Orkney Inseln. Diese karge Inselgruppe, die ungefähr so viele Einwohner hat wie Meckenheim, liegt vor der schottischen Nordküste und blickt auf eine wechselvolle Geschichte zwischen norwegischer, schottischer und britischer Herrschaft zurück. Auf einer dieser Inseln ist Gawain Erland Cooper aufgewachsen, der mit 18 der Insel entflohen und gemeinsam u.a. mit Simon Tong Erland And The Carnival gegründet hat, eine Folkband, die mir in den vergangenen Jahren große Freude gemacht hat. Eines der Konzerte dieser Band, die ich in Köln gesehen hatte, wurde von einer jungen Irin namens Hannah Peel eröffnet. Hannah und Simon wurden dann auch Erlands Partner bei seiner musikalischen Heimatreise, bei Orkney - Symphony Of The Magnetic North, einer Liebeserklärung (oder Aufarbeitung) der Kindheit auf den kleinen Inseln. Lange Einleitung für ein Konzert einer ganz anderen Band... Aber meine Hauptmotivation heute war die Supportband; ich wollte eines der ersten Konzerte von The Magnetic North erleben, nachdem ich durch ihre Vorabveröffentlichungen bei Facebook ordentlich angefixt worden bin.
Es war das vierte Konzert der Briten (jemals), die live von einem Schlagzeuger begleitet wurden. Die Arrangements der Platte, die im Mai erscheint, viele Streicher, der Kneipenchor von Hoy, die Glöckchen und das (mindestens eingebildete) Meeresrauschen fehlten heute, dafür waren die Gitarren lauter und die elektronischen Rhythmen weniger dezent. Trotzdem verzauberte mich der Auftritt vollkommen. Daß mit Simon Tong, Erland Cooper, aber vor allem auch Hannah Peel, die die Stücke arrangiert, wahnsinnig viel Talent in dieser Band vereint ist, merkt man überall, eben auch in der der kleinen Supporttour geschuldeten anderen Instrumentierung. Im Sommer werden The Magnetic North Konzerte mit Streichern, Bläsern und Chor in Schottland (u.a. in der Kathedrale auf den Orkneys) spielen, ganz sicher ein ganz besonderes Erlebnis. Aber auch abgespeckt, ohne die ganz sphärische Stimmung funktionierte das Heimatstück ganz ausgezeichnet!
Nach einer guten halben Stunde Orkney-Symphony wurde es anschließend deutlich weltlicher, aber nicht viel schlechter. Other Lives aus den USA spielten ebenfalls ihr erstes Konzert in Frankfurt. Ich habe die Band um Jesse Tabish erst richtig über ihr aktuelles Album Tamer Animals kennengelernt und wollte sie dringend einmal sehen.
Auch wenn die Musik vorzüglich war, konnte ich mich nur schwer darauf konzentrieren, weil es auf der Bühne so unglaublich viel zu sehen gab. Jesse sieht aus wie eine Mischung aus Hans Süper, Leslie Mandoki und Robin Pecknold und hüpft über die Bühne wie Rumpelstilzchen. Dabei war da kaum Platz zum Rumpeln, weil überall Keyboards standen und dann scheinbar alle anderen Instrumente, die noch ins Flugzeug passten, von oben draufgekippt wurden. Ich hatte mir den Spaß gemacht, aufzuschreiben, wer was spielt, dabei waren der Schlagzeuger (nur Schlagzeug - Amateur!), Jesse (Gitarre, Keyboard) und Geigerin Jenny (Cello, Geige, Keyboard, Hirschgeweihglöckchen, Glockenspiel) noch diejenigen, die den Stempel "Multiinstrumentalist" am wenigsten verdienten. Während der Musiker hinten rechts mindestens acht Instrumente spielte, punktete sein Vordermann damit, daß er meist drei Geräte gleichzeitig dabei hatte, die Gitarre am Gurt auf dem Rücken, Geige oder Keyboard und Trompete in den Händen. Ich glaube, ich hätte auch ohne Ton richtig viel Spaß gehabt!
Umso besser aber, daß es auch musikalisch toll war! Zwar war meine Aufmerksamkeit noch einmal ernsthaft gefährdet, als mein Nachbar in der Mitte des Konzerts vollkommen zutreffend feststellte: "klingt wie Kula Shaker", sie reichte aber aus, um die gute Stunde Other Lives sehr zu genießen, auch das taugte viel!
Trotz der aberwitzig vielen Instrumente klangen Other Lives auf der Bühne anders als auf Platte. Auch wenn zwei Streicher anwesend waren, fehlten die symphonischen Elemente weitestgehend. Aus der Kino-Musik wurde etwas Konzerttauglicheres. Aber die fehlende Dramatik von Violinen-Batterien kompensierte der strubbelige Sänger durch große Gesten. Jesse litt am schönsten, wenn er sich die Faust auf die Brust schlug. In den Momenten sah man ihm allerlei Seelenqual an (vermute ich; sein Gesicht war zwischen den Haaren selten zu erkennen).
Auch wenn sie ab und zu solche Momente hatte, ist die Musik der Amerikaner nicht immer Kula Shaker ähnlich. Wenn man mag, hört man die Fleet Foxes raus (bevor die langweilig wurden) oder eine weniger kitschige Version von Mercury Rev, immer wieder auch Get Well Soon, die eben schon einmal als Vergleich herhalten mussten.
Ein rundum gelungener Konzertabend mit zwei sehr unterschiedlichen aber ebenso spannenden Bands! Auch wenn Other Lives viele gute Stücke im Programm hatten, hieß das mit Abstand beste Lied des Abends Bay Of Skaill, und die liegt an der Westküste von Mainland - der größten der Orkney Inseln.
Setlist Other Lives, Brotfabrik, Frankfurt:
01: As I lay my head down
02: Dark horse
03: Old statues
04: Landforms
05: Desert
06: Great sky
07: Take us alive
08: For 12
09: Tamer animals
10: Weather
11: Dust bowl III
12: Black tables (Jesse solo) (Z)
13: Dustbowl II
Links:
- Other Lives, Paris, 23.03.12
- Other Lives, Paris, 02.11.11
- Other Lives, Paris, 01.09.11
- Erland And The Carnival, Köln, 30.10.11
- Erland And The Carnival & Hannah Peel, Paris, 13.05.11
- Erland And The Carnival & Hannah Peel, Köln, 27.04.11
- Erland And The Carnival, Duisburg, 12.11.10
* so etwas könnte in Deutschland höchstens bei Locas In Love oder Konstantin Gropper funktionieren.
Ort: Brotfabrik, Frankfurt
Datum: 27.03.2012
Zuschauer: ganz gut gefüllt
Dauer: Other Lives gut 60 min, The Magnetic North 33 min
Angenommen, ein deutscher Sänger hörte plötzlich Stimmen, die ihm einflüsterten, er müsse sofort einen Liederzyklus über seine Heimat schreiben, über die Eifel vielleicht, über Baden oder das Vogtland. Mit ein paar Freunden ins Gartenhaus der Eltern, eine Aufnahmesession am alten Baggersee und eine mit dem Männergesangsverein des Nachbardorfs, fertig! Nur würden wir niemals über über solch ein Projekt berichten, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen* kann, wie eine solche vertonte Heimatliebe anders als scheußlich sein könnte.
Trotzdem habe ich mir so etwas heute angesehen - und war begeistert. Die Geschichte spielt allerdings eine Ecke weiter nördlich, ganz im (von London aus) magnetischen Norden Großbritanniens, auf den Orkney Inseln. Diese karge Inselgruppe, die ungefähr so viele Einwohner hat wie Meckenheim, liegt vor der schottischen Nordküste und blickt auf eine wechselvolle Geschichte zwischen norwegischer, schottischer und britischer Herrschaft zurück. Auf einer dieser Inseln ist Gawain Erland Cooper aufgewachsen, der mit 18 der Insel entflohen und gemeinsam u.a. mit Simon Tong Erland And The Carnival gegründet hat, eine Folkband, die mir in den vergangenen Jahren große Freude gemacht hat. Eines der Konzerte dieser Band, die ich in Köln gesehen hatte, wurde von einer jungen Irin namens Hannah Peel eröffnet. Hannah und Simon wurden dann auch Erlands Partner bei seiner musikalischen Heimatreise, bei Orkney - Symphony Of The Magnetic North, einer Liebeserklärung (oder Aufarbeitung) der Kindheit auf den kleinen Inseln. Lange Einleitung für ein Konzert einer ganz anderen Band... Aber meine Hauptmotivation heute war die Supportband; ich wollte eines der ersten Konzerte von The Magnetic North erleben, nachdem ich durch ihre Vorabveröffentlichungen bei Facebook ordentlich angefixt worden bin.
Es war das vierte Konzert der Briten (jemals), die live von einem Schlagzeuger begleitet wurden. Die Arrangements der Platte, die im Mai erscheint, viele Streicher, der Kneipenchor von Hoy, die Glöckchen und das (mindestens eingebildete) Meeresrauschen fehlten heute, dafür waren die Gitarren lauter und die elektronischen Rhythmen weniger dezent. Trotzdem verzauberte mich der Auftritt vollkommen. Daß mit Simon Tong, Erland Cooper, aber vor allem auch Hannah Peel, die die Stücke arrangiert, wahnsinnig viel Talent in dieser Band vereint ist, merkt man überall, eben auch in der der kleinen Supporttour geschuldeten anderen Instrumentierung. Im Sommer werden The Magnetic North Konzerte mit Streichern, Bläsern und Chor in Schottland (u.a. in der Kathedrale auf den Orkneys) spielen, ganz sicher ein ganz besonderes Erlebnis. Aber auch abgespeckt, ohne die ganz sphärische Stimmung funktionierte das Heimatstück ganz ausgezeichnet!
Nach einer guten halben Stunde Orkney-Symphony wurde es anschließend deutlich weltlicher, aber nicht viel schlechter. Other Lives aus den USA spielten ebenfalls ihr erstes Konzert in Frankfurt. Ich habe die Band um Jesse Tabish erst richtig über ihr aktuelles Album Tamer Animals kennengelernt und wollte sie dringend einmal sehen.
Auch wenn die Musik vorzüglich war, konnte ich mich nur schwer darauf konzentrieren, weil es auf der Bühne so unglaublich viel zu sehen gab. Jesse sieht aus wie eine Mischung aus Hans Süper, Leslie Mandoki und Robin Pecknold und hüpft über die Bühne wie Rumpelstilzchen. Dabei war da kaum Platz zum Rumpeln, weil überall Keyboards standen und dann scheinbar alle anderen Instrumente, die noch ins Flugzeug passten, von oben draufgekippt wurden. Ich hatte mir den Spaß gemacht, aufzuschreiben, wer was spielt, dabei waren der Schlagzeuger (nur Schlagzeug - Amateur!), Jesse (Gitarre, Keyboard) und Geigerin Jenny (Cello, Geige, Keyboard, Hirschgeweihglöckchen, Glockenspiel) noch diejenigen, die den Stempel "Multiinstrumentalist" am wenigsten verdienten. Während der Musiker hinten rechts mindestens acht Instrumente spielte, punktete sein Vordermann damit, daß er meist drei Geräte gleichzeitig dabei hatte, die Gitarre am Gurt auf dem Rücken, Geige oder Keyboard und Trompete in den Händen. Ich glaube, ich hätte auch ohne Ton richtig viel Spaß gehabt!
Umso besser aber, daß es auch musikalisch toll war! Zwar war meine Aufmerksamkeit noch einmal ernsthaft gefährdet, als mein Nachbar in der Mitte des Konzerts vollkommen zutreffend feststellte: "klingt wie Kula Shaker", sie reichte aber aus, um die gute Stunde Other Lives sehr zu genießen, auch das taugte viel!
Trotz der aberwitzig vielen Instrumente klangen Other Lives auf der Bühne anders als auf Platte. Auch wenn zwei Streicher anwesend waren, fehlten die symphonischen Elemente weitestgehend. Aus der Kino-Musik wurde etwas Konzerttauglicheres. Aber die fehlende Dramatik von Violinen-Batterien kompensierte der strubbelige Sänger durch große Gesten. Jesse litt am schönsten, wenn er sich die Faust auf die Brust schlug. In den Momenten sah man ihm allerlei Seelenqual an (vermute ich; sein Gesicht war zwischen den Haaren selten zu erkennen).
Auch wenn sie ab und zu solche Momente hatte, ist die Musik der Amerikaner nicht immer Kula Shaker ähnlich. Wenn man mag, hört man die Fleet Foxes raus (bevor die langweilig wurden) oder eine weniger kitschige Version von Mercury Rev, immer wieder auch Get Well Soon, die eben schon einmal als Vergleich herhalten mussten.
Ein rundum gelungener Konzertabend mit zwei sehr unterschiedlichen aber ebenso spannenden Bands! Auch wenn Other Lives viele gute Stücke im Programm hatten, hieß das mit Abstand beste Lied des Abends Bay Of Skaill, und die liegt an der Westküste von Mainland - der größten der Orkney Inseln.
Setlist Other Lives, Brotfabrik, Frankfurt:
01: As I lay my head down
02: Dark horse
03: Old statues
04: Landforms
05: Desert
06: Great sky
07: Take us alive
08: For 12
09: Tamer animals
10: Weather
11: Dust bowl III
12: Black tables (Jesse solo) (Z)
13: Dustbowl II
Links:
- Other Lives, Paris, 23.03.12
- Other Lives, Paris, 02.11.11
- Other Lives, Paris, 01.09.11
- Erland And The Carnival, Köln, 30.10.11
- Erland And The Carnival & Hannah Peel, Paris, 13.05.11
- Erland And The Carnival & Hannah Peel, Köln, 27.04.11
- Erland And The Carnival, Duisburg, 12.11.10
* so etwas könnte in Deutschland höchstens bei Locas In Love oder Konstantin Gropper funktionieren.
2 Kommentare :
Noch zwei Mal schlafen - dann geht´s auch hier ab :) Toll geschrieben - wie schön!
ja, sehr schöner bericht, der vor allem neugierig macht, denn beide kapellen habe ich bislang beflissentlich ignoriert. warum auch immer.
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