Dienstag, 19. Februar 2013

Bloc Party, Köln, 18.02.13


Konzert: Bloc Party
Ort: E-Werk, Köln
Datum: 18.02.2013
Zuschauer: ausverkauft
Dauer: Bloc Party knapp 90 min, The Joy Formidable 37 min




Ach, Schwamm drüber. Spaß hat der Abend trotzdem gemacht, auch wenn Bloc Party mich heute nur durch ihre Entertainment-Qualitäten, nicht durch das Songmaterial überzeugt haben. Denn das war - objektiv betrachtet - nicht toll. Die Londoner Band hat bei mir allerdings weiterhin so viel Kredit, daß ich darüber hinweg sehe. Schwamm drüber eben.

Im vergangenen Jahr haben Bloc Party ihr viertes Album veröffentlicht. Nachdem das zweite schlechter als das erste und das dritte schlechter als das zweite war, war ich einigermaßen beruhigt daß Four wieder ein Schritt hin zu den Wurzeln der (Gitarren-) Band war. Aber heute beim zweiten Livehören der "neuen" Lieder haben mich die wenigsten davon überzeugt. Wäre Frontmann Kele nicht eine solche Rampensau, wäre das Konzert schlecht gewesen, sechs, wohlwollend sieben gute Lieder, dann aber immer wieder Langweiler reichen eigentlich nicht für eine bessere Bewertung. Aber da die Briten das E-Werk auch mit den Langweilern in Bewegung brachten, rettete die Entertainer-Qualität des Sängers eine ganze Menge!


Vor Bloc Party spielten The Joy Formidable, der heimliche Hauptgrund meines Konzertbesuchs. Ich hätte kürzlich Gelegenheit gehabt, die Waliser bei einem ihrer eigenen Auftritte zu sehen, ein Konzert in Luxemburg, das etwa bis Mitternacht dauern sollte und eine Heimreise durch die winterliche Eifel erschienen mir aber nicht sehr verlockend (zumal die Eifel - so stand es der Legende nach in einer alten Ausgabe des Großen Brockhaus - von einem "diebischen Bergvolk" bewohnt wird). "Ich kann The Joy Formidable ja schließlich auch als Bloc Party Support sehen", war meine Strategie.


Was mich erwarten würde, wusste ich durch die Berichte von Frank auf Pretty Paracetamol und Jens bei uns schon recht gut. Da ich die beiden Alben der Waliser (auch so ein Bergvolk) auch wenigstens ganz gut kannte, blieben die großen musikalischen Überraschungen dann auch aus. Unterschätzt hatte ich aber, was für eine großartige Sängerin der Band vorsteht! Ritzy Bryan verbindet die Coolness einer Laura-Mary Carter mit dem Bewegungsdrang der Subways Gitarristin Charlotte Cooper - und der Beklopptheit vieler anderer Kolleginnen. Sie rannte über die eigentlich ja riesigen E-Werk Bühne, als habe sie gerade in einer Ecke Teile des Equipments verloren. Ihre Bewegungen sahen dabei urkomisch aus. Aber das war erst der Anfang.

Auch Bassist (Achtung: sensationeller walisischer Name!) Rydian Dafydd legte irgendwann anfängliche Hemmungen ab und wanderte und lief umher. Mit tat das dritte Mitglied Matt Thomas leid, der nicht von seinem Schlagzeug wegkam. Als Rydian und Ritzy bei Cradle gleichzeitig am Schlagzeug standen, rempelte die Gitarristin ihren Kollegen Richtung Trommeln. Er kannte das wohl schon und konnte das Gleichgewicht halten, viel gefehlt hat aber nicht. Danach gab sie dem Bassisten einige Zidane-Kopfnüsse - alles während der Lieder, versteht sich! Das war urkomisch! Abgerundet wurde dieses Drumherum von Ritzys (viel zu seltenen) Singsang-Ansagen!


Das Programm war das, was zu erwarten war: die Setlist eine abgespeckte Version derjenigen, die The Joy Formidable bei ihren Clubkonzerten eingesetzt haben. Schlecht war keines der Lieder, am besten aber sicher Cradle und das an- und abschließende Whirring, eine wilde Rocknummer, die in großartigen Szenen endete. Natürlich stieg Ritzy irgendwann auf Matts Schlagzeug und machte da Mätzchen mit ihrer Gitarre, natürlich schmiß Rydian Mikroständer um - Rockstar-Späße. Aber Matt schnappte sich dann die Gitarre und knallte sie gegen den Gong hinter seinem Instrument und schleuderte sie anschließend auf die Bühne! Es gab wohl eine ordentliche Gage heute. Dieser Abschluß war herrlich und rundete das kurze aber genau richtig lange Konzert perfekt ab! So geht so etwas!

Das Publikum war bei den ersten ein, zwei Stücken noch arg lahm, ließ sich aber schnell anstecken. Job prima erledigt!

Setlist The Joy Formidable, E-Werk, Köln:

01: Cholla
02: Austere
03: The ladder is ours
04: Little blimp
05: The greatest light is the greatest shade
06: Cradle
07: Whirring

Fast genauso viel Spaß wie mit The Joy Formidable hatte ich aber auch beim Beobachten der Rockpalast Kameramänner. Üblicherweise nerven diese Fernsehteams ja bei Konzerten. Die heutigen WDR Männer hatten aber offenbar kürzlich einen Workshop "Moderne Kameratechnik", in dem sie eine ganze Menge über die Kunstform des dynamischen Bildlaufs gelernt haben (vielleicht gab es auch einen Vortrag von Peter Scholl-Latour, wie man unter Beschuß Bilder aus Kriegsregionen für die Tagesschau filmt). Jedenfalls standen bei der Vorgruppe zwei bis drei Kameraleute nebeneinander (ohne Stative, das hat Lars von Trier dem WDR geraten!) und filmten aus der Hand. Dabei machten sie lustige Schwenke und Kamerafahrten mit flüssigen Wiegebewegungen. Es sah so aus wie der Jubel dreier Fußballspieler, von denen einen Vater geworden ist. Wundervoll! Der Kameramann-Choreo (sagt man so, habe ich im Fernsehen gelernt) hätte ich noch Stunden zusehen können!


Bei Bloc Party wurde es noch besser! Da gab es ein neues Stilmittel, den Überraschungsschwenk (und auch den machte wieder jeder!): ein Kameramann filmt die Bühne und reißt plötzlich die Kamera um 180° und filmt das Publikum. Und zurück. Und irgendwann wieder schnell und vollkommen unvermittelt ins Publikum. Wow! Ich bin so gespannt auf die Bilder, das muß ganz große Fernsehkunst geworden sein (kein Witz!)

Warum ich während Bloc Party so viel Zeit für meine Grimme-Preis Überlegungen hatte... nun, weil eben weite Teile des Konzerts musikalisch lahm waren.


Es fing an mit So he begins to lie, dem merkwürdigen Mercury, bei dem Bassist Gordon Keyboard spielte und Kele die Gitarre ablegte, bevor mit Hunting for witches und vor allem Positive tension die ersten gute Lieder folgten. Ok, es nimmt Fahrt auf, dachte ich nach Positive tension, um dann mit Real talk einen großen Langweiler serviert zu bekommen. Auch Waiting for the 7:18 war nicht dolle, allerdings erzeugte es mächtig Stimmung im Saal - alles richtig gemacht also.

Das Doppel Song for clay und Banquet war schon beim winzigen Radiokonzert in Koblenz im letzten August ein großes Highlight, auch heute zogen die ineinander übergehenden Titel in der ersten Konzerthälfte mit Abstand am besten. Aber jetzt fängt es also richtig an!


Nein, die Handbremse wurde wieder gezogen. Ich mochte diesen Konzertrhythmus nicht, allerdings - die Erkenntnis kann ich nicht abstreiten, muß ein gutes Bloc Party Konzert für mich hauptsächlich Lieder vom Debütalbum enthalten. Wir haben uns sehr auseinander gelebt.


Day four war schlimm lahmarschig. Puh... Danach eine Eurodisco-Cascade-Stampf-Version von One more chance - auch nichts für mich! Octopus war wieder eine der Ausnahmen, das gefiel mir recht gut, We are good people war nichtssagend - und der plötzliche Abschluß! Wie, nicht mehr alte Lieder? Um Gottes Willen! Was müssen jetzt für tolle Zugaben kommen.

Als die Band wiederkam, griff Kele meine Gedanken auf: "jetzt kommt die zweite Hälfte des Auftritts!" - "Some might say the more important part of our performance"

... um dann ausgerechnet Kreuzberg zu spielen. Kein Hit leider. Ares danach musste man zu den besseren Liedern zählen, bevor This modern love endlich meine Alt-Sehnsucht erfüllte! Flux schloß diesen Zugabenteil ab. Auch wenn Helicopter noch fehlte, war ich gar nicht mehr so sicher, ob es das nicht doch schon war. Aber die Roadies stimmten glücklicherweise die Instrumente, es sollte also weiter gehen.


Als sie wiederkamen, kündigte Kele, der den ganzen Abend über mit offenem Mund Kaugummi knatschte, ein neues, unveröffentlichtes Stück an. Ratchet heißt das Lied und erinnert dramatisch an Scatman! Schlimm!

Nach Truth kam dann noch Helicopter, toll wie immer, das viel rausriss. Das machte aber eben auch vor allem der Frontmann mit seiner großen Show. Musikalisch haben mich Bloc Party verloren. Ich habe mir den Aufwärtstrend mit Four im vergangenen Sommer wohl nur schöngeredet. Höre ich halt jetzt wieder das Debüt!

Setlist Bloc Party, E-Werk, Köln:

01: So he begins to lie
02: Mercury
03: Hunting for witches
04: Positive tension
05: Real talk
06: Waiting for the 7:18
07: Song for clay
08: Banquet
09: Coliseum
10: Day four
11: One more chance
12: Octopus
13: We are good people
14: Kreuzberg (Z)
15: Ares (Z)
16: This modern love (Z)
17: Flux (Z)
18: Ratchet (neu) (Z)
19: Truth (Z)
20: Helicopter (Z)


 


10 Kommentare :

Oliver Peel hat gesagt…

Die Schärfe auf diesem ersten Foto ist absolut fantastisch, Christoph! Mosern wir auch nicht über den etwas abgeschnittenen Haarschopf.

Welche Einstellungen hast du benutzt?

Gudrun hat gesagt…

Ich war ja am Bildschirm dabei und war irgendwie froh, mir nicht dafür die Fahrt nach Köln angetan zu haben. Aber optisch fand ich es tatsächlich besonders gut eingefangen. Der Beschwörungstanz der Kameramänner traf meinen Geschmack. Wenngleich ich gern noch besser ins Publikum geschaut hätte...

Frank hat gesagt…

Kreuzberg ist doch toll!

Anonym hat gesagt…

I have to agree with you, nothing really spectacular, musically. It was incredibly fun, though.

Andreas hat gesagt…

Aber langweilig ist es vor allem, nicht viel mehr zu erfahren, als welche Lieder Du gut findest und welche nicht. Dass das nur Dich selber angeht, müsste doch klar sein.

Oliver Peel hat gesagt…

Der Song Ratchet ist wirklich ein schlechter Witz. Ich hoffe, er ist mit einem Augenzwinkern gemeint, ansonsten sehe ich für Bloc Party keine Zukunft mehr.

Oliver Peel hat gesagt…

Zum Kommentar von Andreas noch kurz:

Ich verweise da auf unsere Entstehungsgeschichte als kleines, privates Konzerttagebuch, in dem wir aufzeichnen, wie uns die Gigs gefallen haben.

Letztlich hat sich an dieser Ausrichtung trotz des inzwischen öffentlichen Charakters nichts geändert. Es geht uns hier in der Tat nur um Dinge, die uns selber angehen. Das hier ist einzig und allein eine Schilderung unserer persönlichen Erlebnisse bei einem Konzert.Nicht mehr und nicht weniger.

Anonym hat gesagt…

Egal wie klein und privat das Konzerttagebuch ist, es ist öffentlich und der Text ist furchtbar. Ich stimme zwar in vielem überein, aber längst nicht alles bei The Joy Formidable war "lustig" und bei Bloc Party "langweilig". Davon abgesehen heißt es "We are NOT Good People", vielleicht sagt es dir dann mehr ;)

Christoph hat gesagt…

An meinem Song-Titel-Fehler siehst Du, wie sehr ich die Band eigentlich mag! Das unterschlagene "Not" macht das Lied aber leider nicht weniger nichtsagend, fürchte ich. Werde ihn mir aber diesbezüglich nachher noch mal anhören.

Christoph hat gesagt…

Ach, und es war natürlich weder alles bei Bloc Party langweilig noch alles bei Joy Formidable großartig.

Daß mir der Kurz-Auftritt der Vorgruppe absolut ausgereicht hatte, und die Handvoll toller Lieder bei Bloc Party immer wieder begeistern, hatte ich aber auch geschrieben, glaube ich.

 

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