Freitag, 22. Februar 2013

Pascal Pinon & Amy Schmidt, Darmstadt, 21.02.13


Konzert: Pascal Pinon & Amy Schmidt (Bedroomdisco)
Ort: Agentur quäntchen & glück, Darmstadt
Datum: 21.02.2013
Zuschauer: 80 bis 90
Dauer: Pascal Pinon 55 min, Amy Schmidt 50 min



Wenn ich es recht bedenke, war der Abend bei der Bedroomdisco in Darmstadt ziemlich ärgerlich. Nicht, weil die Bands etwa schlecht gewesen wären. Amy Schmidt aus Nebraska, die so herrlich traurige Lieder über ihre Heimat in Nebraska oder über das Reisen sang, und die isländischen Schwestern Pascal Pinon mit ihren wundervollen auf Isländisch, Englisch und Schwedisch gesungenen Stücken waren perfekt! Es lag auch nicht an der Atmosphäre oder den Besuchern. Der Raum in der Darmstädter Internetagentur quäntchen & glück war schön, die Macher der Bedroomdisco wahnsinnig freundlich und das Publikum aufmerksam, ruhig und begeisterungsfähig. Nein, ich hatte eine Stinkwut, weil ich so viele andere Konzerte in ähnlichem Rahmen bisher verpasst habe. Unter dem Label Bedroomdisco finden nämlich seit einiger Zeit solche Wohnzimmerkonzerte im Rhein-Main-Gebiet, meist aber in Darmstadt statt. Das nächste wird von den fabelhaften Sea + Air bestritten, auch das wird vorzüglich, dafür braucht es nicht viel Phantasie.

Ich hatte mich Dienstag angemeldet bzw. per mail beworben, weil die Karten für die Konzerte begehrt sind und verlost werden. Mittwoch kam das Bestätigungsmail mit Informationen zum geheimen Veranstaltungsort. Weil im mail der Hinweis steckte, daß 19:50 Uhr der letzte Einlass sei und die A3 gerade nicht meine Lieblingsautobahn ist, war ich zeitig in Darmstadt. Das Büro der Agentur ist eine Art Loft mit blankem Betonboden, das heute zum Wohnzimmer umfunktioniert wurde. Es gab eine Bar mit Muffins und Getränken.


Der Abend begann um 20:15 Uhr mit Amy Schmidt. Wir haben zwar hier bereits über drei Konzerte der Amerikanerin berichtet, ich kannte die Musik der Singer/Songwriterin bisher aber nicht. Ich hatte mir das nach den euphorischen Berichten immer wieder vorgenommen, aber auch immer wieder vergessen. Da ich aber Bands ohnehin am liebsten live kennenlerne, kann ich mir solchen Versäumnisse schnell schönreden.


Amy wirkte erst ein wenig schüchtern, als sie mit ihrer akustischen Gitarre ans Mikro trat. Vielleicht lag das an der für ein Wohnzimmerkonzert doch großen Kulisse. Aber wenn Unsicherheit da war, legte die sich sehr schnell. Und genauso schnell hatte mich Amys Musik erwischt. Die junge Frau aus dem mittleren Westen der USA erklärte vor den meisten Stücken, wovon sie handelten. Vom Leben mit den Stürmen, auch gerade fege einer über Nebraska, vom Job auf einer Touristenranch in Wyoming, von Süchten, dem Herumreisen. Mir sind Liedtexte weit weniger wichtig, als sie wahrscheinlich sein sollten, miese Lyrics versauen aber auch die schönsten Lieder. Amys Texte waren wohltuend clever und zeugen von großem Talent der Sängerin. Für ihre Melodien galt das gleiche, wobei mir besonders gefiel, wenn Amy ganz energisch und laut spielte. Selbst die Einsätze einer Mundharmonika bei zwei Liedern konnten das nicht ändern, eines dieser Stücke (Hill country) war neben Grateful das beste des Sets!

Zur Zugabe Hey John bat Amy um Mithilfe. Das Lied hat eine Pfeifpassage, an der wir uns alle beteiligen sollten. Wer jemanden neben sich sehe, der nicht pfeife, solle den einen Ellbogenstoß geben (mein Nachbar traute sich nicht). Hey John ist ein Lied mit einer enorm fröhlichen Melodie aber einem schrecklich traurigen Text.

Wow, diese 50 Minuten hatten es in sich! Amy ist noch eine Weile in Deutschland, bevor sie in die USA zurückreist. Dringend ansehen!

Setlist Amy Schmidt, Bedroomdisco, Darmstadt:

01: Grateful
02: Miles between
03: Fireworks in the house
04: Moonshine
05: Weighs you down
06: Hill country
07: Storm
08: Glass jars
09: Geography

10: Hey John (Z)


Nach Amy Schmidt bauten sich die Zwillingsschwestern Ákadóttir aus Island hinter einem Multiinstrumente-Tisch auf. "Den Tisch haben wir selbst gebaut. Unsere Bassistin konnte nicht mitkommen, also mussten wir einen Ersatzbass finden." Eines dieser monströsen Instrumente eines Kirmeszelt-Alleinunterhalters bot die Lösung. Jófrídur und Ásthildur haben des Basselement demontiert, umgebastelt und programmiert und hatten das fehlende Instrument. Die Mikros hatten die Ákadóttirs mit Klebeband umwickelt. "Wir bekamen dauernd Stromschläge, irgendwie ist die Gitarre seit unserem Flug aufgeladen." Ich habe Physik zu früh abgewählt, es brauchte aber nicht viel Phantasie, um den Plastikfransen-Pullover von Jófrídur als Quelle elektrostatischer Aufladungen auszumachen. Schon vom Zusehen standen mir die Haare zu Berge.

Das klang und wirkte jedenfalls schon einmal sehr vielversprechend! 


Das erste Lied Bloom vom zweiten Album der Schwestern (Twosomeness), das im Januar bei Morr Music erschienen ist, spielten Jófrídur und Ásthildur an ihren Gitarren (akustisch und elektrisch). Dazu sangen beide, wobei es das nicht ausreichend beschreibt. Besonders beim Gesang der Schwestern ist, daß sie unterschiedliche Melodien singen, also nicht mit- sondern nebeneinander. Das ist eine ganz dumme Ansammlung von Stereotypen, der Gesang der Zwillinge klingt aber typisch Isländisch und ein wenig nach Björk.

Jófrídur, die rechts stehende Schwester, ist offenbar (mehr Vorurteile) die ältere der beiden. Sie sprach nicht nur davon, daß sie die Lieder geschrieben habe, sie gab ihrer (jüngeren) Bandkollegin auch immer wieder Anweisungen. Mal zeigte sie, wann die einzusetzen habe, mal - energischer - daß sie am falschen Knopf drehe. Am schönsten war es aber vor der letzten - offenbar ungeplanten - Zugabe Moi: Ásthildur und Jófrídur kamen eigentlich nur noch einmal raus, um mitzuteilen, daß sie nichts mehr spielen könnten, das ihr Repertoire erschöpft sei. Sie ließen sich aber erweichen und reagierten auf den Zuruf "Moi" mit "das können wir machen." Sie waren sich aber nicht einig, unterhielten sich intensiv, schienen sogar zu streiten, bis die ältere die jüngere an ihr Keyboard beorderte. "Geh jetzt!" Auch wenn sie die Zugabe ein wenig verpatzten (einen Tempowechsel versuchten, der nicht ganz klappte), war auch dieser Abschluß schön wie alles zuvor!

Die meisten ihrer Lieder haben isländische Texte. Die beiden sagten oft, wovon die Stücke handelten, nachvollziehen konnte ich das natürlich nicht. Wenn sie uns darin verspottet haben (so wie Tätowierer, die den Wunsch jungegebliebener Frauen aus Herne nach einer asiatischen Weisheit auf der Schulter neben dem Delphin mit den chinesischen Schriftzeichen für Bronchitis erfüllen), werde ich das nicht herausfinden. Aber auch bandintern war man sich nicht immer sicher... Einmal sagte auch Ásthildur ein Lied an (Somewhere): "It's about... - what is it about?" - "She doesn't know, I wrote it. It's a secret song!"

Fernando sangen die beiden auf Schwedisch. Ein Freund habe den Text geschrieben. "I don't really speak Swedish and I don't even like Sweden." Das Konzert hatte enorm viel Charme, auch zwischen den Liedern!

Alles war wahnsinnig gut, selbst das kleine Kanye West-Liedchen, das in das eigentlich instrumentale Annar Logi eingebaut war. Der Refrain war aus einer Jamsession mit einer Freundin, die nicht singen könne, Kanye West liebe und ihm zu Ehren rappen wollte (was sie aber auch nicht könne) und einem dahingedaddelten Text von Jófrídur entstanden. Der Rap sei mies gewesen - "but I decided the chorus was good!"

Neben all den anderen Schönheiten ragte aber 53 raus, ein Lied, das nicht auf den Alben ist und das Jófrídur für einen Freund, dessen Mutter mit 53 gestorben war, geschrieben hat. Ich empfinde es als anmaßend, solch ein höchst persönliches Lied ganz besonders zu mögen, aber es war in all seiner Traurigkeit ein ganz besonderer Höhepunkt.

Pascal Pinon sind noch eine Weile auf Tour. Das darf man nicht verpassen! Genauso wenig wie künftige Bedroomdiscos!

Setlist Pascal Pinon, Bedroomdisco, Darmstadt:

01: Bloom
02: Ekki Vanmeta
03: Evgeni kissin
04: Somewhere
05: Fernando
06: I wrote a song
07: Rifrildi (?)
08: Annar Logi (mit Kanye West)
09: Þerney (one thing)

10: 53 (Z)

11: Moi (Z)

Tourdaten Amy Schmidt:

22.02.: Café Tagtraum, Ingolstadt
23.02.: Café Haag, Tübingen
24.02.: Bern, tba
26.02.: Ulm, tba 
27.02.: Ausschank OST, Stuttgart
28.02.: Engelsburg, Erfurt

Tourdaten Pascal Pinon:

22.02.: Café Nun, Karlsruhe
23.02.: St. Gallen
25.02.: Der Tag, Wien
05.03.: Le Lux, Neuchâtel
06.03.: Milla, München
07.07.: Club KimTimJim, Stuttgart
08.03.: Hafen2, Offenbach

Links:

- aus unserem Archiv:
- Amy Schmidt, Stuttgart, 24.01.13
- Amy Schmidt, Karlsruhe, 22.01.13
- Amy Schmidt, Freiburg, 30.04.12 



 

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