Samstag, 2. Februar 2013

Sophie Hunger, Paris, 29.01.13


Konzert: Sophie Hunger
Ort: La Cigale, Paris
Datum: 20.01.2013 
Zuschauer: ausverkauft
Konzertdauer: hmm, fast zwei Stunden, kann das sein?


Kein Walzer für Niemand aber rote Stöckelschüchen und ein hübsches schwarzes Spitzenkleid. Ein gutes Tauschgeschäft? Hmm, nicht wirklich. Am liebsten hätte ich beides gleichzeitig gehabt, aber trotz ein paar Reinrufern, die am Ende energisch den Walzer forderten, bekamen wir mit Train People lediglich eine andere Ballade. Immerhin. 
   
Mehr zu Meckern gab es allerdings nicht, das Konzert von Sophie Hunger in der wundervollen Cigale war erneut ein rauschendes Fest. Was erlebte man nicht alles?! Szenenapplaus während der Stücke nach genialen Instrumentalpassagen der Band! Lachkrämpfe, als Sophie ein paar wirre Dinge auf französisch zur Freiheitsstatue erzählte, die freiwillig oder unfreiwillig komisch waren. Strahlende Fans, die gänzlich auf ihre Kosten kamen. Songs in vier verschiedenen Sprachen englisch, deutsch, französisch, swyzerdütsch. Trombonensoli, Vintageklavierklänge, Hammondorgel, Cello, Klarinette, etc. Pop, Jazz, Blues, Indierock, Folk. Über mangelnde Abwechslung konnte man sich wahrlich nicht beschweren. 


Es war wieder einmal ein typisches Sophie Hunger Konzert. Eines, bei dem sich die Schweizerin in einen regelrechten Rausch spielte und am Ende völlig frei und unbeschwert auftrumpfte, so daß ihre Spielfreude regelrecht greifbar war. Eines, bei dem man bei manchen Balladen wieder einen dicken Kloß im Hals hatte und die Emotionen hochkochten. Eines, bei dem eine wunderbare Symbiose mit dem Publikum eingegangen wurde.


Am Ende kriegt die Hunger das Publikum immer, so war es vorher, so war es auch an jenem 29 Januar in Paris. Wahrscheinlich ist es ihr schüchternes, manchmal fast linkisches Auftreten, ihre liebenswürdige Bescheidenheit, ihre Gerührtheit ob des großen Applauses. Wenn sie sich am Ende immer auf den eigenen Brustkorb schlägt, sieht man in ihren Augen die Tränen hochsteigen. Da ist sie dann immer ganz überwältigt und lässt sich zu recht feiern. Kaum jemanden lässt das kalt.

Ihre Band hält ihr musikalisch immer den Rücken frei, so daß sie sich auf ihren Gesang konzentrieren kann. Die Jungs und das eine Mädel (Sara Oswald am Cello) spielten erneut überragend gut und hatten einen großen Anteil an dem Triumph. 
  
    
Konzerte dieser Art sieht man (sehe ich) ja eher selten. Viel Jazz, viel Blues, alles eigentlich nicht ganz meine Welt, aber bei Sophie Hunger bin ich davon immer total gefesselt. Dabei sind die Texte z.B. ja nicht immer unbedingt erstklassig. Wobei sie schon wieder so wenig konkret sind, daß man vieles reininterpretieren kann. Bei "Das Neue" etwa, fragt man sich, ob das Gesellschaftskritik ist, oder einfach nur ein tragisches Liebeslied. Z'Lied vor Freiheitsstatue, vorgetragen im a-capella-Chor ist auch von zwiespältigen, schwer verständlichen Lyrics durchzogen. "Mir ist schwindlig, aber schwindlig bin i net." Ja was denn jetzt, schwindlig oder nicht? Bin ich immer noch nicht draus schlau geworden, aber Sophie weiß sicherlich, was sie damit meint. Und der schwyzerdütsche Akzent hat durchaus Sexappeal. Aber ist Hunger nicht verheiratet? Ich habe keine Ahnung. Einen Ring, der verdammt nach einem Hochzeitsring aussieht, trägt sie zumindest. An ihrer rechten Hand im Übrigen. Der Franzose trägt wie fast die gesamte Welt L'alliance links. Nur in Deutschland ist das anders und wohl eben auch in der Schweiz. Ein französischer Freund sagte mir hinter halb scherzhaft: "Na ja ihr Deutschen und ihr Schweizer seit halt politisch rechts drauf, ihr denkt immer nur ans Geld." Da erinnerte ich ihn daran, daß in Frankreich nach dem zweiten Weltkrieg nur zwei Sozialisten zum Präsidenten gewählt wurden, in Deutschland aber drei Sozis am Ruder waren. Da verstummte sein Lächeln plötzlich, aber er meinte: "In Frankreich stehen die Rechten weiter links als bei euch in Deutschland. Ich dachte mir: "was Sarkozy weiter links als Merkel?", ging darauf aber nicht mehr weiter ein.

Aber was ist dran an den Klischees über die Schweizer? Sie seien konservativ, sicherheitsverliebt, materiell veranlagt, wahnsinnig langsam, würden andere gerne überwachen und maßregeln (Ähnliches sagt man uns Deutschen auch nach).


 


Nun, langsam ist sie wirklich manchmal, die Sophie Hunger. Die Vorstellung der Musiker dauert bei ihr gut und gerne mal 20 Minuten. Bis alle Instrumente und Heimatsorte der Musiker aufgezählt sind, das braucht nun mal seine Zeit, you know?

Aber konservativ und pedantisch ist sie sicherlich nicht. Eher freiheitsliebend, sehr freiheitsliebend. So freiheitsliebend, daß sie nach den Konzerten nie raus an den Merch kommt und sich grundsätzlich nicht blicken lässt. Zufälligerweise hatte ich mich mit einem Freund nach dem Konzert festgequatscht und selbst nach vergangenen dreißig bis vierzig Minuten kamen zwar die Musiker der Band raus und stiegen in den Bus, aber nicht die Sängerin selbst. Ähnlich war es schon vor ein paar Monaten im Café de la Danse gewesen. Fans warteten  sehr lange vergeblich auf ein Autogramm oder Erinnerungsfotos.

Nun gut, sie hat dafür aber ihren Job sehr gut gemacht und der Rummel um ihre Person ist ihr sicherlich ein wenig zuviel. Kann man verstehen.




Ob sie ein Wunderkind ist, wie man manchmal lesen kann? Nun, eigentlich nicht. Wenn man sie mit ihrem Landsmann Federer vergleicht, dann ist das schon eine andere Sache. Bei Roger sieht alles so spielerisch, so leicht und locker und unangestrengt aus, daß man wirklich das Gefühl hat, einem Genie zuzusehen, dem Gott alles geschenkt hat. Bei Sophie merkt man trotz des zweifelsohne großen Talents auch die Arbeit die dahinter steckt, die Akribie, das viele Üben und den vollen Einsatz. Die Gitarre bearbeitet sie mitunter wie einen Gegner, an dem man Frust ablässt. Der Gesang ist manchmal forciert. Allerdings bewegt sie sich ähnlich wie Roger federleicht und elegant. Selbst mit ihren Stöckelschuhen verlor sie in der Cigale nie die Balance, schwebte förmlich über das Parkett. Am Ende war sie so aufgedreht, daß ihre Augen fast herausfielen vom vielen Nach-oben -gucken (eine etwas seltsame Macke von ihr). Da rockte sie mit ihrer Band zu der alten Fischer Hymne Speech tierisch ab. Eine perfekte Dramaturgie, die ich inzwischen durchschaut habe. Sophie Hunger versteht es glänzend, dem Zuschauer ein Wechselbad der Gefühle aus Balladen und Rocknummern zu präsentieren, früh von der Bühne zu gehen, um später zahlreiche umjubelte Zugaben präsentieren zu können und den Eindruck zu vermitteln, das am Ende sei alles ein großzügiger Bonus. Also kein Wunderkind, aber wie für die Bühne geschaffen und von ihren jeweiligen Bands (seit dem neuen Album sind Flury und co. nicht mehr dabei) so großartig in Szene gesetzt, daß man immer das Fazit zieht: Weltklasse!

Und der Walzer für Niemand? Den kriegt wohl nur das Publikum in Deutschland, gemein so was!

Auch ganz schön, das Statement von Sophie Hunger zu diesem Konzert bei Facebook:

"Chers Parisiens. Merci infiniment pour ce concert incroyable et pour tous vos mots gentils. Vous nous avez fait voler hier soir. Et maintenant c'est définitif: la Cigale c'est ma scène préféré."

Setlist Sophie Hunger, La Cigale 2013, Paris

01: Rererevolution
02: Can You SeeMe?
03: Shape
04: Manhattan
04: Holy Helles
06: Heharum
07: Protest Song
08: Le Vent Nous Portera (Noir Desir)
09: My Oh My
10: Das Neue
11: 1983
12: Personal Religion
13: Citylights
14: Z'Lied Vor Freiheitsstatue

15: Monkeys
16: Souldier
17:Like Like Like 

18: The Fallen
19: Trainpeople

20: Speech (Fischer) 

Aus unserem Archiv:

Sophie Hunger, Berlin, 19.11.12
Sophie Hunger, Paris, 10.11.12
Sophie Hunger, Paris, 09.03.12
Sophie Hunger, Paris, 06.12.10
Sophie Hunger, Paris, 02.06.10
Sophie Hunger, Köln, 29.09.09
Sophie Hunger, Köln, 09.05.09
Sophie Hunger, Paris, 23.03.09 









 

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