Samstag, 16. Februar 2013

Pias Nites mit Serafina Steer, Lord Huron u.a., Paris, 12.02.13



Konzert: Pias Nites, mit Serafina Steer, Lord Huron, On And On, Champs
Ort: La Flèche d'or, Paris
Datum: 12.02.2013
Zuschauer: leider nur mittlerer Andrang
Konzertdauer: pro Act etwa gut 40 Minuten

Es spricht für die großstädtische Pariser Gelassenheit, daß Jarvis Cocker* völlig unbehelligt an der letzten Pias Nites in der Pariser Fléche d'or teilnehmen konnte. Und zwar als Gast. Er war gekommen um seinen Schützling Serafina Steer zu begutachten. Jarvis hat das aktuelle Album... der Harfespielerin produziert und war deshalb natürlich neugierig, wie die Liveumsetzung gelingen würde. Es war schon eine witzige Sache, daß der Pulp Sänger plötzlich und unerwartet neben mir stand, Photos von Serafina schoss und dann sogar ein kleines Video aufnahm. Ich ließ ihn natürlich in Ruhe, schließlich wollte ich die Show auch sehen und nicht den Vortrag durch deplatzierte Plapperei stören. Hinterher ließ ich es mir allerdings nicht nehmen, ihn anzusprechen, ihm zu seiner gelungenen Kooperation zu gratulieren und zu erzählen, daß ich Serafina bereits dreimal live in Paris gesehen hätte. Davon schien er gar nichts zu wissen und meinte nur trocken: "she doesn't tell me anything."

Entdeckt hatte ich Steer beim Festival BB Mix in Boulogne-Billancourt vor den Toren von Paris. Danach sah ich sie noch zwei weitere Male live und war jeweils sehr von der Dame angetan.

Seitdem ist ein wenig Zeit ins Land gegangen und nun war ich froh, die aus Wales stammende Musikerin wieder einmal on stage zu erleben. 

Vor ihr  waren schon zwei Bands an den Start gegangen. On and On aus den US of A (das neue Signing von Cityslang) und Champs von der britischen Isle Of Wight. On and On hatte ich komplett verpasst (Ansetzung 20 Uhr, ohne Worte), Champs dann aber weitenteils mitbekommen. War ein gelungener Auftritt bestehend aus Simon & Garfunkelschen Balladen und melodischem Indierock.

Dann endlich Serafina und ihre riesige Harfe. Mit roter Hippiehose und zusammen mit einem Musiker, der später am Laptop werkelte, kam sie auf die Bühne und bot rund 40 Minuten lang wundervoll ätherischen Folk, der aufgrund der synthetischen Beiklänge bisweilen poppige Formen annahm (Nerds sprechen in diesem Falle von Folktronica).




Die klassisch ausgebildete Künstlerin Steer hat sich längst von der steifen Musikerin aus dem Konservatorium zu einer Allrounderin entwickelt, die keine Genregrenzen kennt und definitiv keine Kopie von Joanna Newsom ist. Dafür ist bereits ihre Stimme viel zu unterschiedlich. Statt kindlichem Piepsgesang hört und hörte man eine recht tiefe Frauenstimme mit herrlich englischem Akzent. Serafina hat ein solch trostspendendes und trauriges Gesangesorgan, daß ich unweigerlich an die große Sandy Denny erinnert wurde. Und als ich dann noch feststellte, daß sich die beiden optisch ähneln, war ich umso mehr verdutzt. Dennoch war das hier kein Revival Folk, sondern eine moderne Interpretation mit einer Mischung aus klassischen und zeitgenössischen Einflüssen. Das erste Lied sang Serafina auf französisch, bevor sie in ihre Muttersprache wechselte. Allein ihr beim Zupfen der Harfe zuzusehen, war ein Genuß! Immer wieder faszinierend anzusehen, diese Tätigkeit, die gleichzeitig Kraft, aber auch Gefühl erfordert. Es ist ein widerborstiges Instrument, daß freilich solch  himmlische Töne hervorlockt, daß man sich vor den Pforten des Paradises wähnt. Die harte Arbeit die dahinter steckt, verdrängt man natürlich beflissentlich, schließlich will man genießen.


Der Genuß war auch weitestgehend ungestört, wenngleich es trotzdem ein paar Labertaschen gab, die durch ihr Geplappere nervten. Aber ich konzentrierte mich nur auf Steer, sah ihr beim Zupfen zu und versuchte, mich fallen zu lassen. Ziemlich gut gelang mir dies bei dem Stück Machine Room mit der repetetiven Gesangespassage: "transformation, transformation transformation" und den mysteriösen Tönen, die es begleitete.


Klassischer klang Brick Lane, das vor allem durch seine Sanftheit bezauberte.


An fünfter Stelle mit How To Haunt A House Party dann ein Lied, das wirklich an der Grenzlinie zwischen Elektropop und Kammerfolk hin und herwanderte. Synthetische Beats und klassisches Harfespiel gingen eine funktionierende Ehe ein und manchmal erinnerte mich das Ganze gar an Anika und ihren New Wave Dubsteb.


Wesentlich lieblicher und völlig frei von Diskoklängen dann The Moths Are Real. Hier war der Vergleich mit Sandy Denny wirklich angebracht, beide sind so anziehend melancholisch und fast mittelalterlich angehaucht.


Mit Uncomfortable dann später wieder treibende Discobeats und ein wirklich flottes Harfespiel.


Abgeschlossen wurde schließlich mit Disco Compilation, ein ebenfalls poppig klingendes Stück mit einem catchy Refrain und einem äußerst flotten Ryhthmus:


Unter dem Strich stand ein verblüffendes Konzert, bei dem deutlich wurde, daß Serafina sich wirklich nicht darauf festlegen will, ob sie Folk oder Pop macht. Sie will und kann halt eben beides. Jarvis brauchte sie eigentlich nicht dazu, aber seine Prominenz verschafft ihr hoffentlich die seit langem verdiente größere Aufmerksamkeit.

 

Aufmerksamkeit, die eine Band wie Lord Huron anscheinend bereits jetzt schon bekommt, zumidest in den USA. "All my friends are talking about this band for months!" erklärte mir ganz aufgeregt ein amerikanischer Kumpel, der seit zwei Jahren in Paris lebt und selbst als Blogger unterwegs ist. Ein gewisser Hype also, der somit geradezu nach Überprüfung schreit. Also, was taugen sie wirklich diese Lord Huron? Ist das eine Band, auf die sich die Indie Folker in den nächsten Jahren einigen können? Wenn es denn überhaupt eine Band ist, denn eigentlich handelt es sich wohl um das Solprojekt des ehemaligen Kunststudenten Ben Schneider, der- obwohl aus Michigan stammend, inzwischen in L.A. lebt.



Soloprojekt oder richtige Band, anyway, auf der Bühne standen jedenfalls viele Musiker, die einen sehr reichen, melodiösen und sonnengereiften Sound kredenzten, der unglaublich stark an die Fleet Foxes und Vampire Weekend erinnerte. Ich wußte nicht so recht, was ich davon halten sollte. Vor Begeisterung jubeln, weil die Musik wirklich sehr catchy und stimmungsfördernd war, oder mein Mißgefallen darüber bekunden, daß schon wieder eine Band unterwegs ist, die ein Stück von dem Folkkuchen, den die Fleet Foxes und Mumford & Sons gebacken haben, abbekommen will?



Das Songmaterial war jedenfalls schon einmal sehr attraktiv. Da hörte man tolle Nummern wie The Ghost On The Shore oder Man Who Lives Forever und wurde von den funkelnden Gitarren und den feinen Chorgesängen geradezu überwältigt.

Ist also jeglicher Widerstand zwecklos? Sollte man sich einfach Lord Huron zu 100 % ergeben und sich einen Teufel darum scheren, daß es zur Zeit viele Bands gibt, die ähnlich klingen?

Das Publikum in der Pariser Flèche d'or schien diese Fragen recht eindeutig beantwortet zu haben. Es bestand zu großen Teilen aus Amerikanern und war angetan, tanzte, sang mit und hatte einen fantastischen Abend.


Den hatte ich letztlich auch, alle Bands waren gut, die Stimmung angenehm und die Pias Nites im Allgemeinen ein Garant für schöne Konzerte!

* Foto: Archiv.



 

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