Dienstag, 12. August 2008

Sigur Rós, Köln, 11.08.08


Konzert: Sigur Rós & Ólafur Arnalds
Ort: Palladium, Köln
Datum: 11.08.2008
Zuschauer: scheinbar nicht ausverkauft
Dauer: Ólafur Arnalds 30 min, Sigur Rós 110 min


An diesem Abend waren viele Dinge schön. Und viele vollkommen unschön. Die schönen Momente waren allerdings so viel schöner, als die unschönen unschön, daß ich die in Kauf nahm und einen (netto) guten Abend hatte.

Die erste erleichternde Erkenntnis war, daß offenbar nicht all unsere Landsleute Paul Potts für die größte kulturelle Errungenschaft der letzten Jahrzehnte halten, das Palladium war nämlich, obwohl vermutlich nicht
ausverkauft, an diesem Montag (und recht früh am Abend) sehr gut gefüllt. Auch wenn das erhebliche Anstrengungen erfordert hatte, hatte ich mich sehr bemüht, pünktlich da zu sein, weil ich auf keinen Fall die Vorgruppe verpassen wollte. In Haldern hätte ich am Samstag schon die Gelegenheit gehabt, Ólafur Arnalds zu sehen. Der späte Slot im Spiegelzelt und die Rückreise hatten mich aber abgeschreckt. Die Gewissheit, den Isländer zwei Tage später zu sehen und die mangelnde Kenntnis seiner Platten, ließen das vertretbar erscheinen. Nach der knappen halben Stunde als perfekte Einstimmung zu Sigur Rós bereue ich diese Entscheidung jedoch.

Auf der Palladiumbühne waren schon reichlich
Instrumente und Hilfsmittel der Hauptgruppe drapiert, die Musiker, die um acht erschienen, benötigten allerdings nur ein paar Stühle und Notenständer und ein Klavier. Ólafur, der wahnsinnig jung wirkt, setzte sich hinter das Piano, seine vier Streicherbegleiter nahmen auf den gegenüberliegenden Stühlen Platz. Diese Aufstellung erinnerte an klassische Musik, das folgende Programm auch. Leider kannte ich eben vorher nur den ausgezeichneten Ruf des Isländers, allerdings keine seiner Stücke. Bereits das erste erschütterte mich jedoch mit wahnsinniger Eleganz und Schönheit. Obwohl musikalisch nicht furchtbar komplex, erzeugte das Klavier mit den Streicherarrangements eine fabelhafte Stimmung.

"Wir sind nicht Sigur Rós aber auch aus Island und wir spielen ein paar neue Lieder", erklärte der 20 oder 21jährige im Anschluß und ließ ein Stück schhöner als das nächste folgen. Oh, wie traumhaft - wäre es doch bloß an einem anderen Ort gewesen. Auch wenn es vielleicht langweilt, das Palladium war auch diesmal der denkbar schlechteste Platz in Köln für solch ein Konzert. Naja, zumindest fast. Im Sion oder Früh wäre es vermutlich noch etwas unpassender gewesen, viel hätte es sich aber nicht genommen. Zielsicher, bei jedem leisen Moment, kam von den Bars Krach, als wäre gerade in der Ford-Kantine Essenausgabe. Ich habe Geschirr klappern und knallen gehört, obwohl es - soweit ich
weiß - im Palladium kein Essen gibt. Natürlich ist es vielen auch vollkommen egal, wie schön die Vorgruppe ist. Denn auch ganz vorne stehend erzählt man sich währenddessen grundsätzlich, was man am Wochenende erlebt hat. Wenn dabei die Musik von vorne mal zu laut wird, muß man eben auch lauter sprechen.

Das, was sonst gerne mal im Palladium schrecklich ist, war perfekt. Der Sound passte toll! Auch ohne Ohrenstöpsel (die eine Schande gewesen wären, hätte ich sie tragen müssen) war es gut auszuhalten - und dadurch ein besonderer Genuß. Dachte ich zumindest zu diesem Zeitpunkt noch.

Natürlich war
Ólafur viel zu schnell fertig. Er kommt aber noch im August nach Köln zurück. Und jeder, der nicht bis zum Paul-Potts-Konzert in der ausverkaufte Kölnarena warten will, um grandiose semi-klassische Musik zu erleben*, sollte sich das nicht entgehen lassen! Da wird der Isländer auch nicht wie Montag in einer Bahnhofskneipe spielen, es sollte also ein noch größeres Vergnügen sein!

Hinter den ersten Isländern hingen als Bühnendeko bereits einige große, ach Unsinn, riesige runde, weiße Lampen. Ich stand mittlerweile weiter hinten im Saal, auch um die Gespräche links hinter mir nicht mehr angestrengt überhören zu müssen. Einmal hinten, gab es ohnehin kein Durchkommen mehr nach vorne. Es schien mir aber auch keine so schlechte Idee zu sein, das Konzert in seiner erwartet ganzen Wucht frontal und breitseitig auf mich wirken zu lassen.

Uiuiui, und wirken tat es. Zunächst erschienen überschaubar viele Musiker unter großem Applaus auf der Palladium-Bühne. Eröffnet wurde das Spektakel mit
"Svefn-g-englar" von "Ágætis byrjun". Eigentlich hätte man die Augen schließen sollen und die folgenden Lieder so genießen müssen. Aber auch visuell bietet Sigur Rós vieles. Das Bearbeiten der Gitarre mit einem Geigenbogen (Cellobogen wohl eher), die Kostüme der Begleitmusiker, selbst das lustige Hütchen des Schlagzeugers war sehenswert... Und die Lichteffekte! Es gab nicht die opulente Show, von der Oliver von den Flaming Lips in Haldern berichtet hat, es war eher feierlich, nördlich und perfekt passend.

Nach "
Glósóli" von "Takk..." tauchten scheinbar Unmengen an Musikern auf. Geschickt ausgeleuchtet wirkte es, als sei ganz Island plötzlich auf der Bühne. "Sé Lest" auch von "Takk..." war ergreifend wie seine beiden Vorgänger. Kurz vor Schluß endete die Ergriffenheit des Publikums aber ganz plötzlich ein paar Bläser über die Bühne liefen und das kurze Blasmusik-Stück spielten, wie es auf der Platte zu hören ist. Es brandete quasi auf offenen Szene großer Beifall auf, vollkommen berechtigt, denn der Effekt der plötzlich auftauchenden Dixieland-Crew war fabelhaft.

Die Bläser sollten von da an eine größere Rolle spielen. Auch bei "
Ný batterí" spielten die weiß bzw. cremefarben gekleideten Musiker. Bei "Við Spilum Endalaust" (lustigerweise war dieses Lied, das übersetzt "Wir spielen ohne Ende" heißt, eines der kürzesten des Abends) vom aktuellen Album "Með suð í eyrum við spilum endalaust" (langsam klappt das mit dem Isländisch) spielten die Blasmusiker dann auch die Hauptrolle in der lustigsten Szene des Abends: sie hüpften einmal ganz kurz alle in die Höhe! Niedlich!

Je mehr ich live von Sigur Rós erschlagen wurde, desto mehr erschien es mir, daß die einzigartige Stimme von Sänger Jón Þór Birgisson im Prinzip eher melodieformendes Instrument als wirklich Stimme ist. Und so in diese Gedanken vertieft und die Musik vertieft trafen mich plötzlich ganz merkwürdige Töne. Es klang
ähnlich wie Sigur Rós allerdings in schief. In meiner Nachbarschaft sang jemand mit... Mangels Fluchtmöglichkeiten erlebte ich den Rest des Konzerts nun "með suð í eyrum".

Das so-ähnlich-wie-rhythmische-Klatschen eines einzelnen am Anfang hatte ich ja schon überstanden, den Mensa-Lärm von den Bars auch, warum sollte mir also ein Zweit-Falsett den Abend verderben? Think positive!

Schwerpunkt des Sets waren Lieder des neuen Albums
"Með suð í eyrum við spilum endalaust", darunter "Festival" in der von Sigur Rós immer wieder benutzten Fantasiesprache (nein, nicht Isländisch, das gibt es!). Echte Sprache hin oder her, der Sänger im Publikum störte sich nicht dran...

Nach fast 90 Minuten mit vielen Höhepunkten, mit Stellen, an denen ich zu gerne aufgejuchzt hätte, nach Wänden aus Konfetti, die herabregneten, nach Symphonien mit 12, 13 Musikern auf der Bühne, endete es erst einmal mit
"Gobbledigook", dem Eröffnungslied des neuen Albums. Der langanhaltenden Applaus, während die Musiker sich mehrfach verbeugten, hätte wohl nur eine vollkommen herzlose Band kaltgelassen. Sigur Rós kamen selbstverständlich zurück und spielten mit "Popplagið" bzw. "untitled #8" von "()" eine der wuchtigsten und längsten Zugaben, die ich bisher erlebt habe. Der Song mündet in Gitarrenpassagen, die jeden Postrock Freund erstrahlen lassen. Er dauerte eine knappe Viertelstunde, es fühlte sich aber an wie zwei Built To Spill und 65daysofstatic Konzerte nacheinander.

Danach verließen einige den Saal. Die Band zunächst auch. Allerdings kamen Teile zurück, um noch eine zweite Zugabe zu spielen, "
All Alright", das einzige englischsprachige Stück der Isländer. Auch "All Alrigth" dauerte noch einmal fast zehn Minuten und war sehr ergreifend schön - so wie der ganze Abend. Also netto.

Setlist Sigur Rós, Palladium, Köln:

01: Svefn-g-englar
02: Glósóli
03: Sé Lest
04: Ný batterí
05: Við Spilum Endalaust
06: Hoppípolla/Með Blóðnasir
07: Festival
08: Fljótavík
09: Sæglópur
10: Inní Mér Syngur Vitleysingur
11: Hafsól
12: Gobbledigook

13: Popplagið (Z)

14: All Alright (Z)

Links:

- ein paar (schlechte) Fotos

* 'Tschuldigung für das Rumhacken, aber dieser unerträgliche Hype gerade, der in den kommenden Monaten noch so viel schrecklicher sein wird - gut, daß ich kein Wetten-Dass sehe - geht mir schrecklich auf den Kittel. Man merkt das vielleicht ein wenig.



3 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Hi,

und danke für den schönen Bericht. Er trifft die Stimmung voll und ganz. Es war mein erstes und garantiert nicht letztes Ros-Konzert.

(p.s.: wie hieß der Song, bei dem von Anfang an rythmisch mitgeklatscht wurde??)

Die Geräuschkulisse im Palladium ist wirklich furchtbar. Hier sollten dem Veranstalter viel mehr Beschwerdemails geschickt werden. Für das Publikum kann er nichts. Aber der Getränkeausschank und die permanent offenen Türen - hier sollte er Einfluss nehmen. Meine Mail ist auf dem Weg.

Beste Grüße,
Wolfgang

egghat hat gesagt…

Danke für den Bericht. Musste leider wegen einer Mandelentzündung passen und bin mir inzwischen icher, dass ich mich einfach durchdopen hätte sollen ... Habe die zwar schonmal gesehen, aber das Konzert war auch damals schon toll und ich habe das Gefühl, dass es dieses Mal noch besser war. Allein schon wegen der Dixie-Band ...

Heul!

Anonym hat gesagt…

Hi Christoph!
Als ergänzung: Ólafur Arnalds am 24.08 im Kulturbunker in Köln-Mühlheim. Ein ganz netter Ort!

 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates