Mittwoch, 29. August 2007

The Gossip, Frankfurt, 28.08.07


Konzert: The Gossip & Wet Dog
Ort: Cooky's, Frankfurt
Datum: 28.08.2007
Zuschauer: restlos ausverkauft


Von The Gossip habe ich vor zwei, drei Jahren zum ersten Mal gehört. Das Lied, das ich da im Radio gehört habe, klang gut, ich habe der Band aber nicht mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Bis The Gossip bekannter wurde, verging auch noch etwas Zeit, spätestens seit der Veröffentlichung des aktuellen Albums "Standing in the way of control" 2006, das Nummer eins der Indie Charts in Großbritannien war, sind Beth Ditto und Kollegen einer größeren Öffentlichkeit ein Begriff. Vorläufiger Höhepunkt dabei war sicher, daß Frontfrau Beth es aufs Cover des NME geschafft hat - nackt...*

Vor ihrem Ruf, sich bei Konzerten gerne mal bis auf die Unterwäsche auszuziehen, hatte ich wirklich ein wenig Angst. Das Cooky's, vor allem wenn es knackvoll ist, bietet so wenig Fluchtmöglichkeiten. Daß es voll würde, hatte ich vorher geahnt. The
Gossip sind eben gerade sehr hypig, da war das kein Wunder. Ein riesiges Gedränge vor dem Cooky's hatte ich bisher aber noch nicht erlebt, auch keine Leute, die noch verzweifelt nach Karten suchen. All das gab es diesmal.

An der Merchandising-Garderobe sah ich, daß es eine Vorgruppe namens Wet Dog geben sollte, kein furchtbar verlockender Name. Wet Dog sind drei Frauen aus England, die eigentlich gar nicht richtig nach Band
aussahen. Vor allem aber nicht nach einer Band, die wie ein frühes, rohes Demotape von Siouxsie & the Banshees klingt. Die Stimme von Sängerin und Gitarristin Rivka Gillieron war leider für meinen Geschmack zu leise, darunter litt der Auftritt ein wenig. Interessant war die Musik auf alle Fälle, es gab plötzliche Rhythmuswechsel und es war mächtig punkig. Nur sahen die drei Frauen eben nicht so richtig nach Punkmusikerinnen aus. Sängerin Rivka trug einen schwarzen Hosenanzug und eine Gitarre, die aussah, als sei sie selbstgebastelt und Schlagzeugerin Sarah Datblygu ein türkisfarbenes Kleid. Nur Bassistin Sophie Politowicz (das ist ein Künstlername, oder?) sah mit ihrem Shirt mit aufgedruckten Schlagzeugen eher nach Musikerin als nach Publikum aus.

Wet Dog sind gar nicht so neu und unbekannt. Frühpunk Vic Godard war so angetan von Rivka und Sophie, daß er sie in seine wiederbelebte Band Subway Sect, die ursprünglich im Taumel der ersten Sex Pistols Konzerte gegründet worden war, aufnahm. Warum er dabei Sarah übersah, kann ich mir nicht erklären. Die Schlagzeugerin war alleine deshalb schon sehenswert, weil sie ihre
Trommeln wie ein Spielzeug-Roboter bediente. Eine solch lustige Technik habe ich bisher noch nicht gesehen. Sophie war auch nicht die, die die Stücke anspielte, das übernahmen Bass und Gitarre, das Schlagzeug stieg dann ins laufende Lied ein.

Während des folgenden kurzen Umbaus zog schon Beths Hofstaat über die Bühne in eine kleine, direkt an die Bühne angrenzende Sitzecke. Das sah so ein wenig nach englischem
Junggesellenabschied aus. Die drei Gossips, die dann die Bühne betraten, sind schon etwas fürs Auge. Sängerin Beth trug ein weitausgeschnittenes Glitzerding, das wohl strenggenommen ein Kleid war. Schlagzeugerin Hannah Blilie (die Schwester eines Sängers der Blood Brothers) trägt viele lustige Tattoos auf den Armen und Gitarrist und Bassist Brace Paine eine sehr abgefahrene Brille.

Die drei machten von Beginn an klar, was uns erwarten sollte: Es wurde schrill, laut, verschwitzt, eng - aber toll. Die Musik der Band ist Punkpop und lebt zusätzlich von Beths souliger Stimme. Und diese Stimme funktioniert auch live ganz ausgezeichnet. Obwohl die Sängerin eine irre Show ablieferte und jeden Zentimeter der Mini-Bühne nutzte (anfangs), merkte man der Stimme an, daß sie etwas taugt. Da schadeten auch die großzügig gefüllten Whisky-Gläser nicht, die Beth schnell kippte und lautstark nachorderte. "I am so drunk", teilte sie uns mehrfach mit. Sie erzählte aber auch sonst einiges. Eine ihrer in der "Lounge", also dieser Sitzecke, hockenden Freundinnen z.B. sei "always horny", sie selbst sehr stolz, gay zu sein. Dann erzählte sie von ihren Deutschkenntnissen, sie könne schließlich bis zehn zählen, auf Deutsch und Englisch und fragte dauernd, was irgendetwas auf Deutsch heiße - sehr redselig die Dame.

Aus musikalischer Sicht war der Abend ohnehin ein Kracher. Auch die unbekannteren Stücke erzeugen prima Stimmung, das täten sie auch, wenn sie von einer weniger extrovertierten Band vorgetragen würden. Es ist also nicht bloß die Hülle, die The Gossip zu einer guten Liveband macht. Nach drei eigenen Liedern folgte mit "Careless
whisper" ein grandioses Wham-Cover! Das war auch mehr als eine Verlegenheitslösung, weil die Band ein zu kleines Repertoire hätte. Es war ein wirklich großer Hit! Später folgte noch ein Aaliyah-Cover, das bei mir nicht den gleichen Eindruck hinterlassen hat. Aber insgesamt ist das Set hochgradig unterhaltsam, die Punkpop-Version von guter Partymusik und vor allem durch die Stimme von Beth originell. Nach "Jason's basement" folgte ein gleich am Anfang versprochenes "Kinderlied", das sie extra einstudiert habe. "Fleisch und Milch", wohl die eingedeutschte Version eines amerikanischen Kinderlieds. Beth hatte damit so viel Spaß, daß sie in der Folge immer mal wieder "Fleisch und Milch" anstimmte.

Mit steigendem Alkoholpegel stieg auch Beths Tatendrang. Irgendwann war das
kleine Persönchen aus dem Blickfeld der meisten verschwunden und tauchte hinter der Bar wieder auf, ohne allerdings mit dem Singen aufzuhören. Dann nahm sie jemanden aus dem Publikum hoch, hob die Person auf die Hände der anderen zum Crowdsurfen! Kein Witz! Eine Frau in der ersten Reihe hatte das zweifelhafte Vergnügen, von ihr an ihre verschwitzte Brust gedrückt zu werden. Vermutlich guckte die Frau daneben etwas irritiert, Beth fragte sie dann nämlich, ob sie die Freundin sei - und drückte sie auch an die Brust...

Nach einer Zugabe ("Listen up") war das Spektakel leider um halb zwölf beendet. Das Kleid war angeblieben, auch wenn es bei einigen Hüpfeinlagen von Beth bedrohlich weit hochrutschte. Ich glaube sicher, daß das Cooky's gestern der Ort in Frankfurt war, an dem man sein mußte. Sehr schade für die, die vor der Tür standen und keine Karte mehr bekommen haben.


Setlist The Gossip Cooky's Frankfurt

01: Eyes open
02: Yr magled heart
03: Fire sign
04: Careless whisper (Wham-Cover)
05: Coal to diamonds
06: Jealous girls
07: Swing low
08: Are you that somebody (Aaliyah-Cover)
09: Jason's basement
10: Keeping you alive
11: Yesterday's news
12: Standing in the way of control

13: Listen up (Z)

* grandioser ist aber das Cover-Cover von Art Bruts Eddie Argos

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13 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Sängerinnen bei den Blood Brothers??? Soweit ich weiß sind das alles Männer und als Gesang kann man das nun wirklich nicht bezeichnen ;)

Anonym hat gesagt…

Danke für den ausführlichen Bericht! War ein irres Konzert, in der Tat. Was für eine Powerfrau! Es waren übrigens beides Mädels, die Beth da an ihre Brust drückte.

Anonym hat gesagt…

Ach ja, Deine Begeisterung für die Vorband kann ich nun gar nicht teilen... ich fand die nur grottenschlecht und hatte das Gefühl, da werden halt mal ein paar Freundinnen aus Solidarität mit auf Tour genommen.

Christoph hat gesagt…

Mein Fehler! Es ist der Sänger. Man konnte aber gestern wirklich mit den Geschlechtern durcheinander kommen.

Christoph hat gesagt…

An Kasmeneo: Den anderen Geschlechtsfehler korrigiere ich auch gerade. Deinen doppelten Kommentar mache ich weg, ok? Vielen Dank fürs Kommentieren!

Anonym hat gesagt…

Danke für die Eindrücke für die, die nicht dabei waren...
Spüre ich hier und da etwa Angst vor geballter Weiblichkeit, Christoph?
ts ts... :-)

Christoph hat gesagt…

Im Prinzip nicht. In diesem konkreten Fall absolut! :-)

Oliver Peel hat gesagt…

Wunderbar formulierter Bericht, amüsante Anekdoten, bravo Christoph!

E. hat gesagt…

ALTER VERWALTER!
manchmal bin ich einfach nur froh, am heimischen kamin hocken zu dürfen, um dem knistern des feuers zu lauschen!
christoph, es wird der tag kommen, da wirst du vor so einer matrone nicht reißaus nehmen können! und denn?

Christoph hat gesagt…

... werdet Ihr mich hoffentlich in guter Erinnerung behalten und nichts zu viel Sahnetorte bei der anschließenden Gedenkfeier essen.

Leonie hat gesagt…

Sehr gute Kritik, detaillierter, als ich es von meinem Platz hinten an der Treppe hätte beobachten können! Hab nämlich wirklich nicht gewusst, wo sie zeitweise hin verschwunden war. Nur die Vorband fand ich wirklich schlecht.

Anonym hat gesagt…

Arrrrgh! Du Glücklicher! Habe keine Karten mehr bekommen und verfluche gerade die Welt. Da hilft dein Bericht über das Schlimmste hinweg.

Danke mal wieder ;-)

Anonym hat gesagt…

Das Vergnügen, an Beths verschwitzte Brust gedrückt zu werden, war alles andere als zweifelhaft :) Beth hatte vorher schon durch Interaktion mit dem Publikum herausgefunden, dass sowohl die erste Dame, die sie an sich drückte, als auch meine Wenigkeit gay sind.

Ich denke, wir hatten alle sehr viel Spaß! Ein großartiges Konzert! Danke für den ausführlichen Bericht und die coolen Fotos!!

 

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