Konzert: Naked Lunch
Vorband: And The Golden Choir
Ort: Zwölfzehn, Stuttgart
Datum: 08.04.2013
Zuschauer: ziemlich voll; vielleicht 150
Dauer: Naked Lunch 95 Minuten; And The Golden Choir 23 Minuten
Vorband: And The Golden Choir
Ort: Zwölfzehn, Stuttgart
Datum: 08.04.2013
Zuschauer: ziemlich voll; vielleicht 150
Dauer: Naked Lunch 95 Minuten; And The Golden Choir 23 Minuten
„Als
Österreicher bin ich froh in Stuttgart zu sein.“
Oliver Welter
nimmt einen Schluck aus der Plastikwasserflasche einer großen Discounter-Kette und lächelt in den
gut gefüllten schwäbischen Club. „Seltsam, oder? Ich weiß nicht,
woran das liegt.“ Lakonisch verdruckst fährt er pointiert fort.
„Wahrscheinlich liegt es an Martin Harnik, gebt ihm mehr
Einsatzminuten.“ Die beim Hamburger Indie-Label „Tapete Records“
veröffentlichende Vorzeigeband Klagenfurts und der in Hamburg
geborene österreichische Fußball-Nationalspieler, der für den VfB
spielt. Ein naheliegender Schulterschluss, der dennoch für großen Applaus
sorgt.
Zuvor
ist Support Act Tobias Siebert als And The Golden Choir für etwas über 20 Minuten auf
der Bühne, der Rotwein trinkend im Vorprogramm eine mittelmäßige
Figur macht, Akustikgitarre spielt und singt, während seine Band von
einer Schallplatte kommt, die er auf der Bühne spielen lässt. Das Konzept
hätte gelingen können, doch dann bleibt die Platte immer wieder
hängen, was zu unschönen Momenten führt. "Entschuldigt bitte, meine Band hat gestern zu viel getrunken." Stimmlich ähnelt das
Ganze eine Spur zu epigonenhaft Thom Yorke, doch immerhin ist die Ausstrahlung ziemlich sympathisch.
Vielleicht sollte ich dem jungen
Musiker im dunklen Jacket bei einem Soloauftritt eine weitere Chance
geben. Potential haben seine opulenten Lieder nämlich zweifelsohne, was auch schon Me And My Drummer erkannt haben, die scheinbar gut mit ihm befreundet sind und ihn im vergangenenen Winter mit auf Tour nahmen.
Doch zurück zu Naked Lunch: Bands
aus Österreich sind in der deutschen Musikszene erstaunlich
unterpräsentiert. Erfolgreiche Musiker und Bands? Was fällt einem
da schon ein; Falco, Wolfgang Ambros, der unvergessene Meister des
deutschprachigen Song Noir Ludwig Hirsch, oder ganz schlimme Dinge
wie Opus. Alles - zugegebenermaßen - ältere Projekte; zwei der
genannten Musiker sind seit Jahren tot. Dann gibt es noch Udo Jürgens, auch aus Klagenfurt und ein eher älteres Semester.
Denkt
man an Indie-Bands aus Österreich wird das Ganze - zumindest für
mich - noch schwieriger. Blicke ich in die vergangenen Jahre zurück,
so muss ich mir doch eingestehen, gerade einmal drei Musikprojekte
aus unserem Alpennachbarland gesehen zu haben: My Glorious, mit denen
ich im letzten Jahr auf dem Soundgarden Festival in Bad Nauheim
flüchtig Bekanntschaft machte, ein Act zum vergessen; Chansonette
Gustav, die mich mit ihrer nicht katalogisierbaren Musik 2011 beim Berliner Poesiefestival
verzauberte, wo sie PeterLicht und Thomas Meinecke die Show stahl; und Ja, Panik!, die
ich lange feierte, die aber seit einiger Zeit in Berlin zuhause sind
– und auch genau so klingen.
Umso
größer war die Motivation, zu Naked Lunch in einen meiner
Lieblingsclubs, dem Zwölfzehn, zu gehen, einer von nur sechs Tournee-Stationen in Deutschland. Auch wenn es für eine
Rockband sicherlich nicht sonderlich originell ist, sich nach einem
Roman des Beat Generation – Autors William S. Burroughs zu
benennen, wissen Oliver Welter (Gesang und Gitarre), Herwig Zamernik
(Gesang und Bass), Stefan Deisenberger (Keyboards) und Alex Jezdinsky
(Schlagzeug) mit ungewöhnlichen Popsongs zwischen The Notwist, The
Cure und The National zu bestechen, wobei sich die Ähnlichkeit mit
den amerikanischen Indie-Helden vor allem im Bühnengebaren Welters
zeigt, vor allem in den Momenten, in denen er die Gitarre zur Seite legt, um den staksenden
Frontmann zu geben, der weltentrückte Popsongs singt.
Während
Naked Lunch in Österreich ein klares Vorzeigeprodukt alternativer
Musik sind, blieb das Quartett in Deutschland immer ein
Nischenprodukt eingeweihter, verschworener Liebhaber. Dabei sind die meisten Alben
der 1991 gegründeten Formation weitaus mehr als solides Handwerk.
1997 erkannte das große Major-Label „Mercury“ die Qualitäten
der Band aus der großen Stadt am Wörthersee, der ja eher für
unsäglich seichte Schlagerfilmchen mit Roy Black oder unerträglichen
Stumpfsinn wie diesen „Supernasen“-Film bekannt ist, als für
herausragende popkulturelle Kunst. Naked Lunch ist da der
bestmögliche Gegenpol. „Nenn' mich nicht Gerd Höllerich“, wie
Bernd Begemann sagen würde. Das erste Album bei „Mercury“,
„Superstardom“, erschienen 1997, klingt noch ganz anders, als
der sphärische, Synthesizer getragene Indie-Pop, den die Band in der
jüngeren Vergangenheit und auch im Zwölfzehn ekstatisch zelebriert.
Vor 16 Jahren dominierten Punkeinflüsse und rockige Gitarren. Songs
wie „We are Universe“ lassen mich bei Naked Lunch gar an ein
österreichisches Pendant zu den frühen Placebo denken. Mit der
musikalischen Weiterentwicklung, die sich vor allem auf den beiden -
meines Erachtens besten - Naked Lunch-Alben „This Atom Heart Of
Ours“ (2007) und dem gerade veröffentlichten Album „All Is
Fever“, dem ersten bei meinem Lieblingslabel, haben auch die Fans
der ersten Stunde kein großes Problem. Die Band hingegen steht
konsequent zur weiterentwickelten Ausrichtung und folgt nicht dem
Wunsch eines Zuschauers, der sich „Tambourine“, eine Single aus
„Superstardom“, lautstark wünscht.
„Keep
It Hardcore“ der Opener des aktuellen Albums besteht den Livetest
grandios. Der fast sechs minütige Song, der mit bedrohlichem
Basseinsatz und Schlagwerkbehandlung beginnt, bevor Gitarre und
Keyboard einen weichen Gegenpol bilden, ist der ideale Beginn des
Konzert. Es vergehen über zwei Minuten bis Welters Gesang einsetzt,
Bassist Zamernik steuert von jetzt an immer wieder bezaubernde
Harmonien hinzu. „Keep it hardcore / Keep it real.“ Als
Germanistik-Student, der ständig daran erinnert wird, auf
Intertextualität zu achten, suche ich nach Bezügen zu dem meisterhaften
Pulp-Album „This is Hardcore“, finde diese aber nur in kurzen
Momente, wenn die Liedästhetik ähnlich gewählt ist, was
hauptsächlich auf die Harmonien zutrifft.
„My
Country Girl“, zweiter Song heute Abend, rührt mich in seiner
schlichten Folkhaftigkeit. Hier wird die Nähe zur Weilheimer Szene
um The Notwist, zu deren Umfeld Naked Lunch bekanntlich zählen, überaus
deutlich. Die Musik ist reduziert, Welter klingt heiser. „So take
me to the woods and the hey / step into a place I've never been /
down there where the sea meets the sky / take me to the wasteland of
your mind.“ Der Song steigert sich. Zamernik, der die Melodie mitsingt,
wird immer hektischer, Welter folgt ihm. Das ist dann bedrohlich,
nicht einmal pathetisch. Und wunderschön.
„41“
ist nicht minder brillant und alles versinkt bereits beim dritten
Song in andächtiger Weltentrücktheit. Es geschieht nicht oft, dass
einen Klangtrips derartig physisch mitnehmen. Spätestens bei „Militairy Of
The Heart“, der Single des 2007er Albums tanzt man auf engen Raum,
vereinzelt wird mitgesungen. Der Pathos ist schlicht, die Bilder
passen zur Musik. „I walk on with my seven inch boots / I cross
this planet in a day / I madly climb the highest mountain / I swim
the deepest ocean / only to be with you.“ Die sechs großen symmetrisch verteilten Glühbirnen blinken im Takt, Wärme füllt den Raum.
„God“
von „Songs for the exhausted“ (2003) ist eines der ältesten
Stücke, die es heute gibt, bevor die fünf folgenden Songs des
regulären Sets ausnahmslos von meinen genannten zwei Lieblingsalben stammen.
Nach
einer winzigen Pause kehren die vier (eigentlich drei, denn Keyboarder Deisenberger verlässt sie gar nicht erst, sondern "versteckt" sich hinter seinem Instrument) auf die Bühne zurück, um „The
Sun“, die aktuelle Single, die mit Synthie-Streichern und einer
eingängigen Melodie, den wohl größten Pop-Appeal des Band
d'oeuvres besitzt. Danach gibt es verzichtbare Zurufe aus dem
Publikum und „King George“, das deutliche Referenz auf „My
Friend George“ von Lou Reed nimmt, hier habe ich meine
Intertextualität, man muss doch immer nur suchen.
„The
Funeral“ soll dann der letzte Song heute Abend werden. Es ist das
emotionalste Lied des Konzerts, was der Titel bereits nahe legt. Die
Musik kommt vom Band, während die gesamte Gruppe und der Vorband-Musiker nebeneinander stehen und zauberhafte Harmonien
beisteuern und Welter in melancholischer Schlichtheit einen Suizid besingt; ein todtrauriges Lied, man lauscht andächtig. Hier wird nicht ungeschickt auf
die Tränendrüse gedrückt, ich muss schlucken. Nacheinander
verlassen die Musiker die Bühne, nachdem man wieder an den
Instrumenten Platz nahm.
Der
Applaus fällt frenetisch aus. Welter kehrt alleine auf die Bühne
zurück, um eine weitere wohl nicht geplante Zugabe zu spielen:
„Shine on“ vom aktuellen Album, das heute in seiner erstklassigen
Ganzheit gespielt wurde. Der eigentlich nur vier Minuten lange Song
wird heute in die Länge gezogen. Irgendwann stehen alle Mitmusiker
auf der Bühne und alle singen den Refrain zusammen.Keyboarder Deisenberger spielt Schlagzeug. Dann endet ein
Abend in sphärischer Ekstase mit einer Band, die fraglos die
Speerspitze österreichischer Indie-Musik darstellt. Chapeu, Naked
Lunch. Wir sehen uns wieder. Shine on!
Setlist,
Naked Lunch, Stuttgart:
01: Keep It Hardcore
02: My Country Girl
03: 41
04: Town Full Of Dogs
05: First Man On The Sun
06: In The Dark
07: Militairy Of The Heart
08: Into Your Arms
09: At The Lovecourt
10: God
11: Dreaming Hiroshima
12: Hammer It All
13: My Lonely Boy
14: Waterfall
15: Colours
16: The Sun (Z)
17: King George (Z)
18: The Funeral (Z)
19: Shine On (Z)
5 Kommentare :
Ein Tip aus Österreich für Jens von mir: Clara Luzia. Traumhaft!
Danke für den Tipp, Oliver!
Oh, Siebert hat derzeit noch eine Band? Deshalb hört man von Klez.e deshalb so wenig...
Kleine info am rande noch: "King George" ist für den ehemaligen bassisten, der sich zu tode getrunken hat (http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Timber-Trattnig), nur so nebenbei. ;)
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