Konzert: Bernadette La Hengst
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 17.04.2013
Zuschauer: etwa 50
Dauer: 95 Minuten
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 17.04.2013
Zuschauer: etwa 50
Dauer: 95 Minuten
Die dünne Linie zwischen Punk und Schlager, die Toten Hosen haben sie unter einem platten Pseudonym in den Achtzigern einmal ziemlich deutlich offenbart. „Never Mind The Hosen – Here's Die Roten Rosen“ nannten die Düsseldorfer ihr 1987er Coveralbum mit allerlei Schlagerklassikern. Es wurde der erste Charterfolg der heutigen Stadionrocker. Ausgerechnet in Ostwestfalen, genauer im provinziellen Kurstädtchen Bad Salzuflen, spielte sich damals weit interessanteres ab. Die kreative Explosion um große Köpfe wie Bernd Begemann, Frank Spilker – der später Die Sterne ins Leben rief – oder Jochen Distelmeyer, der mit Blumfeld ein Star wurde, rettete die deutsche Popmusik vor der Tristesse der Bedeutungslosigkeit. Das Label „Fast weltweit“ entstand, an vorderster Front war damals auch Bernadette Hengst, die mit etwa 20 im Jahr des Hosen-Schlager-Punk-Albums zur illustren Musikerrunde stieß. Aus der Bad Salzufler Szene wurde später das, was man nach einem Tocotronic – Song „Hamburger Schule“ nannte und Bernadette Hengst war mit ihrer Frauen-Band Die Braut haut ins Auge das feministische Gesicht der Jugendbewegung, die eigentlich gar keine sein wollte – höchstens ein Teil davon.
Als
Bernadette
La Hengst veröffentlichte die charismatische Musiker vier
grandiose Alben, die mir beweisen, dass die dünne Linie zwischen
Schlager und Punk tatsächlich übertreten werden kann, ohne dass man als
Musiker in Fettnäpfchen treten muss. Als „Queen des
Diskurschlager“ bezeichnete die ZEIT die Künstlerin mit dem
ungewöhnlichen Namen. Diskurs betreibt Hengst, sicher; letztlich
kreiert die 46-jährige bis heute stilsicher höchst politischen
Electro-Pop-Punk, der die großen gesellschaftlichen Themen anpackt und
daran nicht in pathetisch-leeren Phrasen erstickt.
Wie
eindrucksvoll La Hengst den Bogen von schlageresken Melodien und
Chören zur bissigen Gesellschaftskritik spannt, zeigt sie im leider
nicht sonderlich gut besuchten Kulturzentrum Merlin, bereits mit
„Integrier mich,
Baby“,
dem pulsierenden Titeltrack ihres aktuellen Albums, veröffentlicht
beim vermutlich traditionellsten Independent-Label der Welt, Trikont.
Die rote 90s Adidas-Trainingsjacke, dem Inbegriff des Outfits, das
Hamburger Schüler und Tocotronic – Jünger damals trugen, legt
Bernadette La Hengst bereits beim Betreten der Bühne ab. Mit
Cowboyhut, entsprechenden hohen Stiefeln und gepunkteten Kleid lässt
die charismatische Sängerin elektronische Musik vom Band laufen,
während sie zum Mikrophon greift und sie von ihrer energischen
Mitmusikerin perkussiv begleitet wird.
Wie Christiane Rösinger,
deren „Berlin -
Baku. Meine Reise zum Eurovision Song Contest“
sie gerade liest und den Zuschauern ans Herz legt, ist La Hengst eine
großartige emanzipatorische Figur, wie es sie in der deutschen
Musikwelt nur ganz selten gibt. Nostalgie ist auch nicht ihre Tasse
Tee, auf Songs ihrer alten Band wartet man vergeblich. Stattdessen
gibt es das aktuelle Album fast in seiner Gesamtheit zu hören; ihre
Texte liefern ein Panoptikum des verbleichenden kapitalistischen
Traums neoliberaler Allmachtphantasien; die Musik klingt nur auf dem
ersten Blick wie ein elektronischer Hybrid aus Rosenstolz und
Marianne Rosenberg. „Aber
du meine Liebste / Bist die schönste Rose / Die jemals erblühte, /
In dieser Stadt ohne Stolz / In diesem Land ohne Würde“ hieß
es einst im Debütalbum der viel zu schnell in Vergessenheit
geratenen Hamburger Band Die Antwort, es sind Zeilen die auf die
Musik der Hengst übertragen werden könnten. Ihr Verhältnis zum
Antwort-Sänger, das sie im WDR Dokumentar-Hörspiel „Bad Salzuflen weltweit – Ein Feature über die Geburt des Diskurspops aus dem Geiste der Kurztaxe“ darstellt,
ist dabei vollkommen nebensächlich.
„Das
träge Glück“ ist
ein groovende Nummer, die mit bissigster Zeitgeistkritik aufwartet
und mit ihrem Northern Soul Appeal beglückt. „Ich
würd' gern mal nach Indien / Das kann man Google-Streetviewen“.
An
der E-Gitarre macht die Vollblutmusikerin und
Teilzeit-Theater-Regisseurin ein glänzende Figur, „Rolling
Role Models“ wirkt wie
eine leidenschaftliche Vorlesung in Gender Studies: „We're
the queer generation / And I feel fine“. Die
R.E.M. - Anleihe macht Spaß, der Aufruf „Körpergrenzen
aufzulösen“ ist ehrlich.
Das furchtbare Wort Authentizität, auf Bernadette La Hengst
angewendet hat es wenigstens einen Zweck.
Auf
„Liebe im öffentlichen Raum“ bezogen,
versteht jeder sofort, was der Begriff Diskursschlager soll. Die
Musik ist höchst schlageresk, das Klavier hüpft vor sich hin,
Synthie-Streicher und Bläser wetteifern, während La Hengst fast
kabarettistisch urkomische Sozialkritik betreibt. „Im
Bundestag da debattiert man sich um Kopf und Kragen / wollen wir es
wagen auch dort? / An diesem transparenten Ort wird man uns entdecken
/ und gleich ins Gefängnis stecken / Doch schon steigt der Puls / Es
glüht die Kuppel / Das Glasdach schmilzt / Der alte Reichstag brennt
/ Wir beide nur im Hemd / Wir huschen schnell hinüber ins
Kanzleramt.“ Die
Kombination aus seichter Musik und bitterböser Lyrik, niemandem in
Deutschland gelingt sie so formschön wie Bernadette La Hengst; man
muss ihre Musik nicht mögen, vor ihrem Werk muss man den Hut ziehen.
Von ihrem Cowboyhut trennt sich die Künstlerin hingegen erst relativ
spät („Ich muss
den Hut endlich ausziehen, sonst sieht es aus, als wäre ich seit
Tagen mit einem Kochtopf auf dem Kopf herumgelaufen“),
nur um ihn auf Publikumszuruf wenig später wieder aufzusetzen.
Erster
nicht aktuelle Song heute Abend ist „Liebe
ist ein Tauschgeschäft“ vom
2008er Album „Machinette“,
bevor es mit „Deine eigene Art“ den
herausragenden Opener von „Intergrier
mich, Baby“ gibt.
„Haus im Ozean“
eine
interessante Auseinandersetzung mit dem Nahost-Konflikt mit einem
treibenden Techno-Schlager-Beat im Hintergrund begeistert mich sehr. „Der beste
Augenblick“ ist
der vermutlich älteste eigene Song des Abends. Bernadette La Hengst
und ihre Mitmusikerin spielen sich in Rage, die treuen Fans singen
jede Zeile mit – und das nicht nur wegen der Erwähnung ihrer
Mutterstadt im Liedtext. Die Sängerin malträtiert ihre Gitarre,
schwitzt und beteuert erschöpft, dass sie soeben die beste Version
des Songs in ihrer Laufbahn gespielt habe.
Als
Theatermacherin überzeugt das Multitalent in Berlin und auch am
bekannten Hamburger Thalia Theater; „Transformacion“,
eine deutsch-spanische Nummer, die eigentlich ein Duett mit einer
kolumbianischen Sängerin sei, ist so ein Beispiel für einen
Theatersong. Der treibende Song mit einem Text über einen deutschen
Juden, der vor dem Holocaust nach Kolumbien floh, lebt von Rhythmik
und Inhalt, bevor von der Transformation als stärkste Integration
auf eine tatsächliche physische Veränderung übergegangen wird;
„Katharina hat
für ihre neuen Brüste lang gespart / Adriana ist mit ihrer neuen
Nase sehr apart“.
Duette
finden sich auf „Integrier
mich, Baby“ mehrere;
„Grundeinkommen Liebe“
ist ein wunderbares
Stück, das zusammen mit dem unnachahmlichen Rocko Schamoni entstand
– es fällt schwer sich eine gelungenere Kollaboration
vorzustellen. „Bedingungsloses
Grundeinsingen“ heißt
das aktuelle Theaterprodukt der Hengst, politisch klar einzuordnen,
gelingt es ihr dennoch kreativ und ohne Plattitüden mit schwierigen
Themen umzugehen. Bei „Niemals
dorthin“ spielt sie im
Publikum Gitarre, während um sie herum extravertiert getanzt wird
und der Refrain mitgegrölt wird, teils mit erhobenen Fäusten; toll.
Der
Schweiß läuft, auch der Schlagzeugerin und Bassistin, die vor allem
als zweite Vokalistin mehr leistet, als man vom klassischen Sideman,
Pardon Sidewoman, gewohnt ist, sieht man die Intensität der Performance deutlich an. „Happy
End“ zum Beispiel ist
quasi ein Duett der beiden, sogar ein sehr schönes. Dass danach
ausgerechnet Michael Jacksons „Beat
it“ knochenbrechend
dekonstruiert wird, ist in seiner hemmungslosen Direktheit
konsequent. Eine Studioversion entstand letztes Jahr für die
„Thriller“-Tribute-Beilagen-CD
des deutschen Rolling Stone. Bernadette La Hengst geht in die Knie,
strapaziert ihre Gitarre, streut daraufhin ein paar Zeilen ihres
Songs „La Beat“ ein.
Ihre schonungslosen Coverversionen sind berüchtigt, unvergessen die
deutsche Fassung des Johnny-Cash-Klassiker „A
Boy Named Sue“ („Ein
Mädchen namens Gerd“),
doch derartiges habe ich live noch nicht erlebt. Musikalisch gut ist
es natürlich nicht, aber schockierend auseinandergenommen, was
gefallen muss.
Das
sanfte „Liebe teilen“,
mit dem die aktuelle Platte gelassen endet, stellt den Schlusspunkt
des regulären Sets dar.
„Jetzt
beginnt das Wunschkonzert“, ruft
die Sängerin, die ihren Hut wieder aufgezogen hat, ins Publikum.
Einige Titel werden daraufhin abgelehnt („Das
können wir nicht mehr“),
gespielt werden „Hunger“
und
„Nie mehr vor
Mittag“,
zwei der größten Klassikers ihrer Solokarriere. Ganz ohne an
Schlager zu erinnern, hier ist der Punk. Die 50 bis 60 im Stuttgarter
Westen sind glücklich, ich auch. Denn - Achtung Plattitüde - die Braut haut eben ins Auge.
Setlist, Bernadette La Hengst, Stuttgart:
01: Integrier mich, Baby
02: Das träge Glück03: Rolling Role Models
04: Liebe im öffentlichen Raum
05: Liebe ist ein Tauschgeschäft
06: Deine eigene Art
07: Haus im Ozean
08: Schafft die Leidenschaft ab
09: Der beste Augenblick
10: Transformacion
11: Grundeinkommen Liebe
12: Ich bin drüber weg
13: Niemals dorthin
14: Süße Gefangenschaft
15: Happy End
16: Beat it (Michael Jackson – Cover)
17: Liebe teilen
18: Hunger (Z)
19: Nie mehr vor Mittag (Z)
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